Kapitel 14 Das Westmeer
Eden sah mit gemischten Gefühlen nach Risara zurück, als sie schließlich aufbrachen. Die roten Dächer der Stadt blieben rasch hinter ihnen zurück und wenn sie anfangs noch ein Dutzend kleinere und größere Schiffe begleiteten, gab es bald nur noch den Ozean um sie herum. Blaues, endloses Wasser, durch das die Tiamat, Alvarez Schiff, trieb.
Die Gejarn trat einen Schritt von der Reling zurück. Es war eine unsichere Reise. Sie glaubte nicht, dass Alvarez noch irgendetwas wagen würde. Nicht,
nachdem er nun die gesamte Überfahrt mit krummer Nase und mehreren Verbänden verbringen musste. Und der Fakt, dass die neu angeworbene Crew offenbar schon mitbekommen hatte, mit wem sie sich da eingelassen hatten. Woran Eden nicht ganz unschuldig war. Die ziemlich einseitige Schlägerei vor dem Gasthaus hatte sich wohl herumgesprochen. Nein, der Kapitän war erledigt. Alles auf diesem Schiff schien nur auf eine gute Rechtfertigung zu warten, ihn über Bord zu werfen.
Die Crew selbst bestand überwiegend aus Menschen. Eine bunt zusammengewürfelte Truppe, die wohl aus den verschiedensten Ecken des
Reichs stammte. Von den dunkelhäutigen Menschen der Westküsten bis zu den in bunte Roben gekleideten Männern, der neu eroberten Südprovinzen.
Eden blieb zwar die meiste Zeit auf Abstand, aber während die Wochen auf See dahinzogen, wechselte sie doch mit den meisten ein paar Worte.
Einer der wenigen Gejarn an Bord, war ein schwarzer Kater, der wohl schon praktisch zum Schiffsinventar gehörte. Wie sie erfuhr, war der Mann seit über einem Jahrzehnt mit Alvarez unterwegs.
„Und Ihr haltet das wirklich schon so lange mit dem Kerl aus?“, wollte sie eines Tages Wissen. Mittlerweile kam die Ostküste Cantons wieder in Sicht. Wie es
aussah hatte Alvarez vor, hier nach einem möglichen Wasserkanal zu suchen um ins Westmeer zu gelangen. Den um den Kontinent herum zu segeln, das war noch keinem gelungen. Im Norden war der Ozean angeblich bis auf den Grund gefroren und im Süden beherrschten nach wie vor fremde Stämme, Länder und Stadtstaaten das Wasser.
Der Gejarn lachte.
„Bei dem, was er mir jetzt schuldet, gehört mir das Schiff schon praktisch. Noch ein paar Monate und ich verklag ihn darauf.“
„Das könnt Ihr?“
„Na ich will‘s mal hoffen, oder er darf doch bald anfangen, seine Schulden
abzustottern. Wisst ihr, Alvarez ist trotz allem einer der besten Seeleute, die ich je getroffen habe.“
„Ja?“ , fragte Eden.
„In zwölf Jahren hat er noch nie einen Sturm gekreuzt oder sich verfahren. Das will etwas heißen. Nur menschlich….“ , Der Gejarn unterstrich seine Worte damit, dass er auf eine alte Narbe an seinem Arm deutete. „Ein kleiner Streit, zu meinem Glück ist Alvarez ein lausiger Schütze. Und generell eher ein Feigling. Aber ich habe gehört, das habt ihr schon selber mitbekommen.“
Sie nickte. Und ob.
„Muss ich mir deshalb Gedanken machen?“
Ihr gegenüber winkte ab.
„Ich glaube nicht, dass er so dumm ist. Aber ich würde die Ohren aufhalten.“ Er streckte ihr eine Hand hin.„Ich bin übrigens Leander.“
„Eden.“
Es dauerte keine Woche mehr, bis Alvarez schließlich behauptete, eine schiffbare Wasserstraße gefunden zu haben. Eden konnte diese Behauptung schlecht überprüfen, also musste sie sich in dieser Hinsicht wohl auf den Kapitän verlassen. Die Tiamat hielt bald direkt auf die Küste zu. Wenn es hier in der Nähe Siedlungen gab, so entdeckte
Eden sie zumindest nicht. Die gesamte Küstenlinie war mit dichter Vegetation bestanden. Bäume so hoch wie Türme ragten überall auf und sie war kurz davor, Alvarez zu fragen, wo denn die Wasserstraße sei, als sie ihren Irrtum bemerkte. Ein schmaler Flusslauf schnitt an einer Stelle durch das ansonsten undurchdringliche Grün. Die Mündung war kaum doppelt so breit wie der Rumpf des Schiffs. Und dieser Weg sollte sie von einem Ende des Kontinents zum anderen bringen…. Sicher, das Land, das die beiden Ozeane trennte war schmal, aber die Idee mit einem Schiff eine solche Strecke zu bewältigen, war trotzdem… beunruhigend.
Eden hatte ihre Zweifel, dass das Schiff überhaupt auf dem Fluss fahren könnte, ohne auf Grund zu laufen. Alvarez jedoch machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Davon versteht Ihr eben nichts.“
Die Gejarn hätte ihm am liebsten die Meinung gesagt. Aber auf seine Art hatte er damit Recht. Sie hatte keine Ahnung von der Seefahrt. Aber, dass die Idee aberwitzig war, das konnte sie auch in den beunruhigten Gesichtern der übrigen Crew sehen.
Sie entschied die Gelegenheit zu nutzen um nach Zachary zu sehen. Der Magier war vermutlich unter Deck. Die Tiamat war kein großes Schiff, aber man
konnte sich gut verstecken. Und Zachary schien in letzter Zeit darauf bedacht, selbst ihr aus dem Weg zu gehen. Eden fürchtete den Grund zu kennen. Der Junge hatte schon zu viel Blut gesehen. Und sie hatte nicht grade dazu beigetragen, dass es weniger wurde. Aber Geister, was hätte sie den ansonsten tun sollen? Und wenn es nicht wegen Zachary gewesen wäre, sie hätte Alvarez vermutlich eiskalt getötet. Sicher, sie hatte sich mehr als einmal geschworen, Andre zu töten, aber das hier… wirklich in der Situation zu sein, hatte sie überrascht.
Nein, sagte sie sich selbst, das war nur die halbe Wahrheit. Die
Leichtigkeit, mit der sie es über sich gebracht hätte, diesem Mann die Klinge in die Kehle zu rammen, das war es, was sie erschreckt hatte.
Die Gejarn fand Zachary schließlich im Laderaum des Schiffes. Schwere Fässer, das meiste davon Wein aus Risara, waren bis unter die Decke gestapelt. Bei einem Sturm wäre es hier unten schnell lebensgefährlich, doch so nahe an der Küste war das Wasser ruhig. Der junge Zauberer saß an eines der Fässer gelehnt und war scheinbar in ein Buch vertieft.
„Hey.“
Zachary sah auf und klappte das Buch zu, als er Eden bemerkte.
„Hallo.“, meinte er mit belegter Stimme.
Sie hielt etwas Abstand, als sie sich neben ihn auf den Boden setzte.
„Darf ich fragen was Du da liest?“
Zacchary zuckte mit den Schultern und reichte ihr das Buch. Der Einband wirkte mitgenommen und der Titel war kaum mehr lesbar.
„Kannst Du mir verraten, wo Du das her hast?“
„Markus hat es mir gegeben. Bevor wir Lore verlassen haben.“, erklärte er lediglich kalt.
Eden seufzte, Das würde nicht einfach werden, oder? Sie legte das Buch neben sich bei Seite und schlang die
Arme um die Knie.
„Du bist seit wir aufgebrochen sind praktisch nur hier unten.“ Und du weichst mir aus, fügte sie in Gedanken hinzu.
„Und ?“
„Ich hatte keine Wahl, Zac. Ich weiß es gibt Dinge, die Du nicht hören oder sehen wolltest, aber… was hätte ich tun sollen? Und ich habe Alvarez nicht getötet….“
„Aber Du wolltest es.“
Eden hätte gerne gesagt, dass das nicht stimmte. Sie hätte viel dafür gegeben, das ehrlich behaupten zu können. Aber es wäre eine Lüge. Und sie würde Zachary nicht anlügen. Das
konnte sie sich nicht erlauben. Und das der Zauberer manchmal den Eindruck erweckte, als könnte er direkt durch sie hindurch sehen schob dem ohnehin einen Riegel vor.
„Du hast Angst, oder?“ , fragte Eden. Und das vor mir . Geister bin ich dämlich“
„Nein nicht vor Dir.“, erklärte Zachary hastig. „Aber… vor dem was Du tun kannst, vielleicht?“
„Und ich kann Dir nicht versprechen, dass es dabei bleibt. Ich habe geschworen auf Dich aufzupassen, Zac. Und was immer passiert, ich habe vor, dieses Versprechen zu halten. Wer versucht uns was zu tun….“
Zachary nickte.
„Ich versteh es Eden. Ich verstehe es ja.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich wünschte, Du würdest das nicht sagen. Du solltest es nicht verstehen, Vielleicht in ein paar Jahren, aber nicht jetzt. Aber kannst Du mir wenigstens verzeihen?“
Zachary nickte und Eden atmete erleichtert auf. Wenn es nach ihr ging, würde es auch bei dem einen Vorfall bleiben. Sie hatte diese Seite von sich bisher noch nie so … deutlich erlebt. Und sie war sich nicht sicher, ob sie ihr gefiel.
Und das ist wieder eine Lüge, meinte
eine Stimme. Es hat dir gefallen. Mehr als das….
Ja. Es war…eine Art dunkler Gerechtigkeit in dem Ganzen gewesen. Und diese dunkle Seite brodelte jetzt dicht unter der Oberfläche ihres Verstandes. Sie strich Zachary sacht durch die Haare. Solange ihm dabei nichts geschah, sollte es eben so sein. Eden stand auf.
Im gleichen Moment ging ein Ruck durch den ganzen Schiffsrumpf. Sie mussten die Flussmündung erreicht haben, schoss es ihr durch den Kopf. Im gleichen Moment gerieten ein paar, der aufgestapelten Fässer ins schwanken. Eden sah, wie sich eines direkt über ihr,
aus seiner Verankerung befreite. Oh Verflucht….
„Pass auf…“ Der plötzliche Stoß, der sie von den Füßen riss, rettet ihr vermutlich das Leben. Eine Welle aus verdichteter Luft schleuderte sie mehrere Schritte weit beiseite, während das Fass an der Stelle in Stücke brach, an der sie eben noch gestanden hatte. Der rubinrote Inhalt ergoss sich über die Planken und durchtränkte ihre Kleidung. Zachary war sofort an ihrer Seite.
„Entschuldige, ging nicht anders.“ , meinte er, während die Gejarn sich wieder aufrichtete. „Der Zauber war fast nicht schnell genug.“
Eden nickte dankbar. Zachary jedoch
schien nicht mit sich zufrieden. Die Magie hatte ihr grade das Leben gerettet. Aber offenbar war sie nicht die einzige, die mit sich zu kämpfen hatte
Sie lächelte aufmunternd.
„Wir passen schon aufeinander auf, ja?“
Zachary nickte lediglich stumm.
Als sie schließlich mit dem Magier an Deck zurückkehrte, war der Ozean nur noch durch ein Dickicht an grünen Blättern zu erkennen. Alvarez hatte offenbar wirklich Vertrauen in sich, dachte Eden. Die schmale Wasserrinne, durch die sie das Schiff mit einer Reihe langer Holzstanden navigierten, wurde rasch noch schmaler als ohnehin schon.
Zu beiden Seiten ragten die Ufer nur einige Handbreit vom Rumpf der Tiamat entfernt auf. Und die schwere Holzkonstruktion auch noch gegen den Strom des Flusses zu steuern, war alles andere als eine leichte Aufgabe. Eden tat das wenige was sie konnte. Sie verteilte Wasser, aber ihr Angebot eine der schwereren Aufgaben zu übernehmen, lehnte jedes einzelne Crewmitglied dankend ab.
Selbst Leander der Kater versicherte ihr, dass das wirklich keine Arbeit für sie wäre. Nun... wenn die wüssten, dachte sie im Stillen. Trotz des dichten Blätterdachs, das sich über ihnen spannte, war es brütend heiß. Die Luft
war so feucht, das sich das Wasser in Edens Pelz sammelte und sie bald ständig das Gefühl hatte, grade einem Fluss entstiegen zu sein. Und dann waren da die Mücken. Die lästigen Insekten machten ihr und der Handvoll anderer Gejarn weit weniger zu schaffen, als der menschlichen Crew. Bald wurden sie es müde, ständig nach den kleinen Quälgeistern zu schlagen und ertrugen die ständigen Nadelstiche nur noch schicksalsergeben. Im Lauf der nächsten Tage, war Alvarez praktisch ständig damit beschäftigt, die Wassertiefe zu messen und soweit Eden das beurteilen konnte, wurde der Fluss beständig flacher. Vor allen Dingen, nachdem sie
von dem Kanal, den sie bisher gefolgt waren, auf einen Seitenarm auswichen, der hoffentlich im Westmeer endete.
Am Beginn der zweiten Woche, die sie auf den Flüssen verbrachten, zog er das Seil aus dem Wasser und erstarrte praktisch auf der Stelle. Und Eden sah sofort warum.
Einem einzigen Knoten tief stand das Wasser noch unter dem Rumpf des Schiffes. Ein kleiner Fehler und sie würden auf Grund laufen.
„Großartig.“, seufzte der Kapitän und zog eine kleine Silberkantine aus seinem Mantel. Er nahm einen tiefen Schluck und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. „Also gut… also gut, ich will,
dass ihr ein paar Fässer hier raufbring und ans Ufer werft. Wir müssen das Schiff irgendwie leichter bekommen und zwar sofort.“
Keiner stellte eine Frage und niemand zögerte. Auch wenn sie alle Alvarez nicht mochten, mit einem hatte Leander wohl recht behalte. Er wusste durchaus, was er tat. Und tatsächlich ging der Plan des Kapitäns auf. Es grenzte an ein Wunder, aber sie kamen durch, ohne dass das Schiff einen Kratzer bekam. Am Nachmittag desselben Tages hatten sie bereits wieder mehr als eine wortwörtliche Handbreit Wasser unterm Kiel.
Und als sich der Abend schließlich
über den Dschungel senkte, konnten sie einen schwachen silbrigen Schimmer in der Ferne sehen. Das offene Meer war zum greifen nahe. Sie hatten es geschafft.
Die westliche Sonnensee lag direkt vor ihnen.