In meinem Bekanntenkreis wird jetzt geheiratet. Mein lieber Herr Gesangsverein, wird da geheiratet. Als gäb’s dabei was zu gewinnen, wenn man nur möglichst am besten noch gestern vorm Altar aufkreuzt. Und dann wird sich fortgepflanzt. Heidewitzka, wird sich da fortgepflanzt. Da war man mal zwei, drei Wochen nicht da, schon rennen einem beim Grillabend wieder ein paar Krümel mehr um die Beine. Weiß man gar nicht mehr, wo man hintreten soll. Und dann wird natürlich gebaut. Mein lieber Scholli, wird da heute gebaut. Bei den Zinsen baut man am besten gleich drei, vier Häuser. Man weiß ja nie, was die nächsten Jahre mal
kommt. So’n Haus, das kommt schließlich nicht weg, kann man schon mal machen. Heirat, Kinder, Haus – nicht zwingend in der Reihenfolge, das ist heutzutage nicht mehr so wichtig, wo man nicht mehr so konservativ ist, FKK aber doch irgendwie peinlicher findet als die Leute aus der Vorgeneration. Hauptsache, man hat jedenfalls am Ende alles zusammen und kann ’nen Haken druntersetzen.
Ich bin da ja irgendwie noch nicht so weit. Meine Freundin und ich, also wenn wir irgendwohin kommen, dann wird schon zunehmend nachgefragt. Das mit dem Haus und der Hochzeit – geschenkt. Aber diese Kinderfrage, puh!
»Na, wann ist es bei euch so weit?« Das ist so ziemlich die Standardfrage, und was soll man darauf antworten, bitte? »Warte, ich guck mal eben in die Flasche«, fiele mir dazu spontan ein.
Das mit den Kindern ist echt so ’ne heikle Angelegenheit. Wir haben ja jetzt ’ne Katze zu Hause, und schon deswegen kann man das eigentlich ja gar nicht bringen, auch noch ein Kind, äh, dazuzuholen. Ich meine, wie würde die sich denn dann fühlen, die Katze? Die hat ja ohnehin schon kaum zu erfüllende Aufmerksamkeitsansprüche. Wenn da jetzt zusätzlich ein kleines Quengelbündel durch die Gegend robbte, mit dem sie sich auch noch den Napf
teilen müsste, also nee, das geht echt nicht. Die arme Katze, das kann man der gegenüber gar nicht verargumentieren.
Dann wäre da noch die Sache mit dem Generationenkonflikt. Uh, Generationenkonflikt, was war das damals im Deutschunterricht ein großes Ding. Wenn es galt, einen Text zu interpretieren, dann war die Grundaussage des Textes entweder Kommunikationsproblem oder Generationenkonflikt. Riet man eines von beidem, konnte man so viel eigentlich nicht verkehrt machen. Das war eine Fifty-fifty-Chance, so durch den Unterricht zu kommen, ohne wirklich zu kapieren, was der jeweilige
Autor tatsächlich von einem wollte. Na jedenfalls hätten wir mit einem Kind diesen bösen Generationenkonflikt direkt in den eigenen vier Wänden. Wie Fußpilz – hat man den erst mal an den Hacken, respektive an den Zehen ... nee, nicht schön so was.
Solange man kinderlos ist, kann man sich ja irgendwie doch noch sehr jugendlich fühlen. Da ist es eigentlich wurscht, wie verschroben man auf andere wirkt, man selbst kriegt es eh nicht mit. Kommt jetzt aber ein Kind dazu und damit der Generationenkonflikt ins Haus, dann merkt man doch, wie altbacken man eigentlich ist. Wäre ich heute Kind, ich
würde zu meinen Eltern kommen und so Sachen sagen, wie: »Ey Mutti, kannste mir mal schnell deine Kreditkarte geben? Ich will bei Candy Crush ein paar Micro Transactions tätigen. Komme nicht weiter und will ja nicht, dass mich morgen in der Schule alle auslachen.« Meine Mutter würde erst nur komisch gucken, dann die Stirn runzeln, dann wieder komisch gucken und schließlich mit der Autorität eines Erziehungsberechtigten schmettern: »Micro-WAS???« Na bitte, und da hätten wir schon den Generationenkonfliktsalat. Die Eltern verstehen das Kind nicht, und das Kind resigniert ob so dämlicher Eltern, die
echt nix mehr raffen, die Alten, am besten gleich ins Altenheim, diese alten Säcke!
Ich war ja damals nicht anders. Da gab es natürlich noch keine Micro Transactions, keine Smartphones und so weiter. Smart waren höchstens Smarties, aber für die gab ich kein Geld aus, sondern eher für diese kleinen blauen Kaugummis, die in ebenso blaues Papier und – das war wichtig – Wrestler-Sticker eingewickelt waren. Wrestling, astreine Abendunterhaltung auf RTL2, und die muskelbepackten Kämpfer waren unsere Heroen. Einer kostete zehn Pfennig – ein Kaugummi natürlich, nicht etwa ein Wrestler – und so ging ich dann
gut gekämmt zu meiner Mutter und flehte: »Mutti, krieg ich ’ne Mark?« Und Mutti guckte schon wieder so komisch und meinte: »Wofür das denn schon wieder? Du hast doch erst Taschengeld gekriegt.« Und ich dann so: »Ja, aber das ist schon alle. Ich will mir nur ein paar Kaugummis kaufen.« Dann bekam meine Mutter so ganz, ganz große Augen und schimpfte: »Du willst nur wieder diese scheiß Aufkleber. Guck mal in den Schrank, da liegen noch fünfzig von deinen ekligen Kaugummis. Iss die erst mal auf, dann kriegste neue.« Pah, als wäre es mir um die Kaugummis gegangen, die tatsächlich eklig schmeckten und immer aussahen
wie gepresste Schlümpfe. Da jedenfalls war er wieder, der Generationenkonflikt. Keine Ahnung, die Alten! Aber will man selbst so einer sein, der keine Ahnung hat? Unmodern und altbacken wie ’ne Schweizer Kuckucksuhr? Also ich ja nicht.
Dann wäre ja auch noch diese Sache mit der Erziehung, die bewerkstelligt werden will. Das Kind so weit zu kriegen, dass es später nicht in Blumentöpfe kackt und pinkelt, also das traue ich mir noch zu, aber was, um Himmels willen, sollte ich meinem Nachwuchs denn bitte beibringen? Ich komm ja aus einer Generation, die, wenn man ehrlich ist, über früher sagen muss:
»Früher, ja da war alles noch ganz anders. Wir, also wir hatten ja ... alles.« Und so war es auch. Wir hatten echt alles. Mussten nichts lernen. Mutti hat gekocht, Vati gehämmert. Und man selbst musste quasi nie irgendwas machen oder lernen. Heute bin ich nicht mal in der Lage, einen Kühlschrank artgerecht zu füllen. Gucke ich in unseren Kühlschrank, finde ich da ein Glas Senf. Würde man diese Fernsehköche zu uns einladen, die in fremden Haushalten aus Resten tolle Gerichte kochen, die würden glatt in Tränen ausbrechen. Die Sendung könnten sie einstampfen. Keine drei Minuten ginge diese Folge. Was soll man
aus Senf denn auch kochen? Das könnte ich einem Kind gerade noch beibringen, wie man Senf im Kühlschrank frisch hält, indem man dafür sorgt, dass er den ganzen Kühlschrank für sich alleine hat. Aber sonst? Schweres Thema, dieses Beibringen und Erziehen. Muss man nicht nur wollen, sondern auch können, so was.
Und schließlich wäre da auch noch diese Sache – darf man ja eigentlich gar nicht erwähnen, so was – mit den ... na mit den Genen halt. So, nun ist es raus. Ich stelle mir vor, wie sich alle meine fulminanten Eigenschaften auf mein potenzielles Kind übertrügen. So mit knapp 20 käme die Frucht meiner Lenden
dann zu mir und würde sagen: »Papa?« Und ich würde sagen: »Was ist denn, äh, KIND?« Und das Kind würde sagen: »Warum hab ich denn all diese Scheiße von dir geerbt?« Und diese Scheiße wäre (zumindest bei einem Jungen) beginnender Haarausfall mit ca. 15, eine Körpergröße an der Grenze zur Kleinwüchsigkeit, dafür aber immerhin ein beschissener Stoffwechsel und ein Blutdruck wie’n Heizkessel mit verstopftem Ventil. Ich müsste also sagen: »Kind«, müsste ich sagen, »sag das nicht mir, sag das deinen Großeltern, die sind schuld. Guck mich an, ich hab’s mir auch nicht ausgesucht. Meine Zeugung war nämlich bei deinen
Großeltern, als hätten die quasi Restekochen mit Genen veranstaltet: alles in einen Topf geschmissen und dabei gehofft, dass das Resultat beim Essen zumindest nicht die Organe zersetzt.« Okay, vielleicht würde ich es weniger drastisch formulieren, aber insgesamt schon in etwa so. Im Ernst, diese Gene, die muss man jetzt nicht unbedingt weitergeben. Das wäre schon fahrlässig irgendwie.
Wenn also Freunde fragen: »Na, wann ist es bei euch so weit?«, dann winke ich lässig ab wie John Wayne und sage: »Ach lass mal. Wir kriegen das Geld auch alleine alle.« Und so meine ich es auch, denn es ist ja nicht so, als
würde ich irgendwelche völlig unsinnigen Ausreden vorschieben, um mich vor der Verantwortung zu drücken oder so. Echt, also wirklich nicht.