1. Rotwalden. 775 ÄIII n.Br. – Fürstentum Ledria Eva starrte mit immer noch offenem Mund den Mann an, der ihr gegenüberstand, während Locres es nicht wagte, die Hand von seinem Schwertgriff zu nehmen. Der Ankömmling überragte sie zwar sicher um mehr als einen Kopf, womit er jedoch keinesfalls als groß gelten konnte. Obgleich er schmächtig war und selbst Locres ihn in körperlicher Stärke vermutlich ausgestochen hätte, besaß seine Erscheinung etwas
Beeindruckendes. Ariona vermochte nicht zu sagen, ob es an dem eleganten dunkelgrünen Mantel lag, über den sich filigrane, goldene Verzierungen rankten, oder an der albernen Perücke, die sein Haupt mit schneeweißer Pracht bedeckte, oder aber lediglich an dem goldenen Pfauenemblem, das an seiner Brust prangte. Das Wappen des Hauses Valmont allein reichte, um dem Mann eine Aura zu verleihen. Es hatte jahrhundertelang in Kalatar eine Macht symbolisiert, die der des Königs fast ebenbürtig gewesen war, und dass dieser Mann es noch hier und heute offen zur Schau stellen konnte, sprach dagegen, dass es diese gänzlich verloren hatte. Sie
starrte in die pechschwarzen Augen und versuchte, sich des Namens zu entsinnen. Sie kannte drei Valmonts; er war zu jung für den einen, zu lebendig für den anderen, so blieb letztlich noch: „Toulessé Valmont, Prinz von Viné.“ „Nicht ganz richtig“, das Lächeln des Mannes wirkte ganz so, als müsste er sich erst dazu herablassen, seinem Gegenüber eine Geste zu schenken, „Mein Vater ist inzwischen ebenfalls verstorben. Ihr sprecht also mit Erzherzog Toulessé Valmont“, er sprach die Worte mit einem solchen Genuss aus, dass Eva simpel nichts anderes erwidern konnte: „Hohle
Titel.“ Sie genoss den Moment, sie genoss es, Worte auszusprechen, für die man sie früher auf einen Scheiterhaufen gestellt und jubelnd verbrannt hätte. Auf der wächsernen Visage Valmonts provozierte sie damit jedoch nicht einmal ein Zucken. „So hohl sie in Euren Augen auch sein mögen, es gibt immer noch genügend Leute, deren Achtung diese Titel füllt“, er rang sich erneut ein Lächeln ab, bevor er sich gen Locres wandte, „Und Ihr, würdet Ihr bitte endlich die Hand von Eurem Schwert nehmen. Ich bin nicht hier, um jemanden zu ermorden.“ „Wir aber vielleicht schon“, zischte sie,
„Ihr wagt es, hier mit Eurem Wappen herumzustolzieren, als erklärter Royalist und Feind der Republik.“ „Feind der Republik?“, Valmont brach in ein schallendes Lachen aus, das anhielt, bis es ihm schließlich gelang, seinen Mund hinter seiner Hand zu verbergen, „Ich bin lediglich ein Reisender, der seine verlorene Heimat besuchen möchte. Außerdem halte ich es kaum für möglich, mit diesen zwei Händen allein die Republik zu stürzen.“ „Ihr seid aber nicht alleine hier“, entgegnete Locres. „Das ist korrekt. Natürlich werde ich von einer Garde begleitet, da ich schon erwartete, dass mir jeder dahergelaufene
Revolutionär den Kopf abschlagen will. Aber seid unbesorgt, auch diese reicht leider nicht aus, um Eure geliebte Republik zu stürzen.“ „Ich glaube Euch kein Wort“, sie verschränkte die Arme vor der Brust, „Es gibt Aufstände in Ledria und ausgerechnet dann seid Ihr hier? Das ist ganz sicherlich vieles, aber kein Zufall.“ „Dass die Aufstände mein Interesse weckten, ist wahr, daher verließ ich Viné erst“, gestand der Erzherzog. „Ein Interesse daran, wie Ihr sie am besten zu Eurem Vorteil nutzen könnt?“ „Da fragt man sich, womit ich es verdient habe, dass Ihr mich für einen derartigen Kriegstreiber haltet“, er
räusperte sich, „Ich bin nicht Schwarzschild, sonst hätte ich mich wohl zunächst nach dem Befinden Eures Verlobten erkundigt.“ Wie kann er es wagen! Von einem Augenblick auf den anderen fühlte sie sich, als sei ihr gesamter Körper in Flammen aufgegangen. Jeder Muskel brannte, jede Sehne schrie und selbst ihr Geist loderte, alles verlangte nur danach, sich auf Valmont zu stürzen und sie konnte nicht anders, als dem nachzugeben, weil sie wusste, dass sie sonst zerreißen würde. Sie preschte los, verhedderte sich fast in ihrem Reisegewand, Locres versuchte noch, sie aufzuhalten, verfehlte sie aber, sie holte
aus und langte ins Leere. Valmont war schneller ausgewichen, als sie es jäh von seiner gestelzten Erscheinung erwartet hätte. Tatsächlich war es ihr nicht einmal gelungen, seine Bewegung wahrzunehmen. Nun lehnte er gelassen an der Wand. „Wie barbarisch“, er zollte einen höhnisch hohlen Beifall, „Sagt, sind alle Revolutionäre so?“ „Ihr widerlicher…“, fauchte sie, wobei sie jedoch einen Schritt zurücksetzte, weil sie nicht wusste, was sie tun sollte. Ein Teil von ihr wollte weiterhin auf den Erzherzog losgehen, ihm das schäbige Grinsen aus dem Gesicht brennen, wie sie es schon einmal bei
jemand anderem getan hatte. Für einen Moment schwelgte sie in dieser erhebenden Erinnerung, was ihr Gemüt zumindest ein wenig abkühlte. „Ihr solltet Eure Zunge hüten“, forderte Locres. „Nein, das sollte ich nicht“, erwiderte Valmont, „Denn ich darf sehr wohl annehmen, dass dies zu unser aller Nachteil gereichen würde. „Pah, was könnten Eure Worte mir schon nutzen?“, höhnte Eva, wobei sie die Faust ballte. „Möglicherweise wollt Ihr einmal realistisch bedenken, wer Ihr seid, wo Ihr seid und wonach Ihr sucht.“ Sie
stockte. Schwarzschild! Er kann unmöglich… Anscheinend hatte man ihr die Gedanken anmerken können, denn über die Lippen des Erzherzogs rankte sich erneut dieses kaum merkliche, gezwungene Lächeln. Sie besann sich. Die Situation war grotesk, irgendetwas stank an dieser Sache zum Himmel und die größte Wahrscheinlichkeit lag dabei, dass Toulessé Valmont sich einen makabren Scherz erlaubte. Doch wenn nicht… Die Aussicht stach wie ein Dorn in ihren Geist, der sich bei jedem Gedanken regte, den sie dagegen anführte, bis sie schließlich begriff, dass sie diese
Gelegenheit, so aussichtslos sie auch sein mochte, nicht verstreichen lassen, konnte. Aber sie musste vorsichtig sein. „Warum solltet Ihr, gerade Ihr, mir helfen wollen? Schwarzschild war ein Royalist, er war…“ „Renard Schwarzschild war ein Monster, für das wir uns alle schämen, ob Royalist oder nicht“, Valmont legte zwei Finger seiner Linken an das bartlose Kinn, „Manch einer könnte sogar behaupten, wir hätten seinetwegen den Krieg verloren.“ „Das ist lächerlich“, widersprach sie, obgleich sie sehr wohl wusste, dass Valmonts Äußerung nicht unrealistisch war, hatten die Taten des Schlächters von
Servyn doch viele Getreue Aldrins dazu gebracht, sich von diesem abzuwenden. „Ihr wisst doch selbst am besten, dass dem nicht so ist“, bestätigte der Erzherzog ihre Gedanken, „Zumal ich Euch hier kein nachteiliges Geschäft anbiete.“ „Wollt Ihr wirklich Rache?“, das wiederum klang so abstrus, dass sie es weder glauben wollte noch konnte. „Rache?“, Toulessés Stirn legte sich in Falten, „Nein, das ist es nicht. Meine Motive liegen ein wenig anders, aber das würde ich ungern auf diesem Flur ausführen.“ „Dieser Ort ist genau so gut, wie jeder andere“, maulte sie. Egal, was er ihr
auch anzubieten hatte, sie würde dafür nicht seine Marionette spielen. „Schön“, er verschränkte die Arme, „Seht, ich will der Republik, den Immortalisten und allen Menschen, die unter dem Himmel der Gebrochenen Welt weilen, einen Gefallen tun und Euch bei der Jagd nach dem wohl größten Kriegsverbrecher, der je geboren wurde, behilflich sein.“ „Das tut Ihr sicher nicht ohne Eigennutz“, merkte Eva an, denn dafür kannte sie Royalisten mittlerweile zu gut. Keiner von ihnen hatte an Aldrins Seite gestanden, weil er die Werte verteidigen wollte, die der König vertreten hatte, und schon gar nicht um
diesen selbst zu schützen. Nein, jeder Royalist hatte nur für den eigenen Samt, das eigene Gold, den eigenen Titel gefochten. „Nein, in der Tat nicht“, der Erzherzog gab erneut sein affektiertes Lächeln zum Besten, „Die Republik hat einen lächerlich hohen Preis auf seinen Kopf ausgesetzt. Seht es ist schwer, ohne Untertanen einen meinem Titel angemessenen Lebensstil zu finanzieren. Ich will nicht alles, aber einen gebührenden Anteil.“ „Ihr?“, spottete sie, „Warum sollte das ausgerechnet Euch gelingen?“ „Weil Ihr Narren ein Raubtier jagt, von dem Ihr nicht wisst, wie es denkt“, seine
Augen funkelten, „Und im Gegensatz zu mir wisst auch etwas anderes nicht mit Sicherheit.“ „Und das wäre?“, verlangte sie zu wissen. „Renard Schwarzschild lebt noch“, zunächst ekelte sie der Frohmut an, mit dem Valmont die Worte aussprach, dann jedoch ertrank der Ekel in feuriger Erregung. Der Geist der Rache streckte seine lodernden Finger nach ihr aus. Er lebte und damit hatte ihr niemand die Chance auf ihre Vergeltung geraubt, die Chance jenen Zweck zu erfüllen, für den sie überhaupt noch existierte. Es gab keine Wahl, jeder Zweifel in ihr verstummte, sodass sie Valmont nur noch
eine Frage stellen konnte.
„Wie fangen wir an?“
Er lächelte, dieses Mal jedoch weniger affektiert.
„Indem wir zu Senator Iverlyns Bankett gehen. Ich habe Hunger.“
EagleWriter Na ob das ein so verlässlicher Verbündeter ist... Ich wage es zu bezweifeln. Bleibt auf jeden Fall weiterhin spannend. lg E:W |