Fantasy & Horror
Sonate der Dolche - Kapitel 6

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"Sonate der Dolche - Kapitel 6"
Veröffentlicht am 27. Juli 2014, 20 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Wer wäre ich hier, wenn nicht jemand, der seinen Visionen ein Zuhause geben will? Tue ich das gerade nicht, studiere ich Rechtswissenschaften und bemühe mich, nicht gleich jedes damit verbundene Klischee zu erfüllen (letzteres womöglich nur mit mittelmäßigem Erfolg), oder fröne in irgendeinem Pub meinen Lastern.
Sonate der Dolche - Kapitel 6

Sonate der Dolche - Kapitel 6

Schemen

1. Rotwalden. 775 ÄIII n.Br. – Fürstentum Ledria Als Eva Nell die Kutsche verließ, brandete sie an den Rücken ihrer Reisebegleiter, die wie eine Mauer vor ihr aufragten. Alle hatten die Köpfe in den Nacken gelegt und starrten zu etwas hinauf, das sie selbst noch nicht erkennen konnte. „Lasst mich vorbei!“, forderte sie, nachdem sie eingesehen hatte, dass sie sich auch unter Einsatz ihrer Ellbogen nicht zwischen den beiden grobschlächtigen Vaskanern

hindurchkämpfen konnte. Für ein paar Herzschläge, brodelte Zorn in ihr, bevor einer der sie begleitenden Nichtsnutze endlich Platz machte. Sie blickte auf die ersten Ausläufer eines kleinen Pinienwaldes, doch was sie dort sah, vermochte kaum, sie zu schockieren. Im Gegensatz zu den Mienen der anderen verblieb die ihre verhärtet und unbewegt. Wie kalter Marmor. Sie hatte schon schlimmeres, weitaus schlimmeres gesehen als den Anblick, der sich ihr dort bot. Im warmen Spätsommerwind baumelten zahllose Leichen, die man an den Bäumen gehängt hatte. Zu Füßen der Stämme

häuften sich weitere Kadaver, in deren Fleisch oft grausame Wunden klafften. Die meisten von ihnen waren Männer, die meisten von ihnen trugen den blauweißen Rock des Republikheeres. Obgleich er sie nicht erschreckte, erfüllte der Anblick sie doch mit Ekel. Es waren nicht die faulenden Gliedmaßen, nicht die toten Augen, nicht die Fliegen, die sich an den Leichen labten. Was ihr den Magen umdrehte, war der Affront, die Dreistigkeit, mit der man sich gegen die Republik gewandt hatte. Nun erkannte sie, was die Soldaten an der Straße nach Travelle gefürchtet hatten, konnte es aber dennoch nicht

nachvollziehen. Ihr Handwerk ist der Tod, den können sie schwerlich fürchten. Sie wollte die Männer Memmen schimpfen, wurde dann jedoch von jäher Ernüchterung überwältigt, denn der Dämon, den sie suchte, Renard Schwarzschild, war nicht dafür bekannt, seine Feinde zu hängen. Als sie sich dessen entsann, glaubte sie für einen Moment, verbranntes Fleisch zu riechen. „Das ist ja…widerlich“, stammelte Locres, dessen fassungsloser Blick an den baumelnden Leichen klebte, „Ihr solltet Euch das nicht ansehen müssen, Milady.“ „Haltet den Mund!“, herrschte sie ihn an,

bevor sie ein paar weitere Schritte auf den Waldrand zusetzte. Während Petron zu ihr aufschloss, wisch der imaginäre Gestank realem Fäulnisgeruch. Das Brummen dicker Fliegen drang ekelhaft laut in ihre Ohren und doch ging sie weiter ohne mit der Wimper zu zucken. Das ist nichts! Zwischen zwei stolzen Pinien, die jeweils mit drei toten Soldaten behangen waren, hielt sie inne und warf einen Blick zurück auf ihre Begleiter. Petron war ein Stück hinter ihr zurückgeblieben und hatte sich gebückt, um eine der Leichen zu untersuchen, der Stumme war ihr ebenfalls gefolgt und besah die Toten nun aus der Nähe, der Rest

hingegen verharrte immer noch wie versteinert bei der Kutsche, Locres mit der Hand am Schwertgriff. Damit verletzt er sich höchstens selbst, höhnte sie in Gedanken. „Die wurden niedergemetzelt, in Stücke gehackt“, murrte Petron, wobei er sich erhob, „Schien eine große Meute gewesen zu sein, die kannten wohl keine Gnade.“ „Die wurden nicht hier überfallen, das ist ein Mahnmal“, sprach der Stumme. „Ich will wissen, wer das getan hat“, forderte sie, während sie ihren Blick über die Leichen fliegen ließ. Immer noch empfand sie nicht einen Hauch von Mitleid, wohl aber andauernden Zorn

darüber, dass jemand es gewagt hatte, der Republik derart ins Gesicht zu spucken. „Ledria“, zischte sie, „So etwas ist auch nur hier möglich…“ „Ihr…irrt euch.“ Sie erschrak. Die Stimme war direkt hinter ihr erklungen und wisperte wie ein todesschwaches Röcheln. Sie verharrte auf der Stelle, unschlüssig, was sie nun tun sollte, und musste sich zum ersten Mal eingestehen, wieder Angst zu verspüren. Bevor sie sich umdrehen konnte, waren die beiden Männer auch schon an ihrer Seite. „Beim Erlöser…“, ächzte Petron, worauf auch sie es wagte, sich dem Unbekannten

zuzuwenden. Zunächst starrte sie nur in die furchige Rinde einer weiteren Pinie, bevor sie den Blick senkte und einen Ritter erkannte, der an dem Baum lehnte. Ihn kleidete ein dunkelvioletter Waffenrock, der jedoch an so vielen Stellen zerrissen war, dass man den schweren, versilberten Panzer darunter mühelos erkennen konnte. Etliche Beulen hatten die kunstvollen Gravierungen darin zersplittern lassen, jedoch reichte das, was übrig war, um ein Liliensymbol darauf auszumachen. „Royalist…“, Eva spuckte das Wort heraus, „Seid Ihr dafür verantwortlich?“ Unter dem silbernen Visier, das immer noch das Gesicht des Mannes verbarg,

zischte nur ein abwertender Laut hervor. „Nein…“, fügte er mit einem Röcheln an. „Aber Ihr wisst, wer es war?“, wandte der Petron ein. „Da wo ich her komme, bat man einem Sterbenden zunächst Hilfe an, bevor man ihm Fragen stellte.“ „Ihr seid ein Royalist“, wiederholte Eva erneut, ohne sich dabei auch nur eines Fingerzuckens zu erbarmen. „Er ist auch nur ein Mensch“, murrte der Stumme, „Ich sehe mal, ob einer der anderen helfen kann.“ Er wollte sich gerade abwenden, als der Ritter erneut die Stimme hob. „Lasst es, mir ist nicht mehr zu helfen. Ich sage, Euch…was ihr wissen wollt,

doch vorher…gewährt mir, eine Bitte.“ „Ihr seid nicht in der Position…“, begann Eva, bevor sich der Stumme einfach an ihr vorbeischob, um ebenfalls zu Seiten des Sterbenden auf die Knie zu gehen. „Was kann ich für euch tun?“ „Ich bin Tharys Wyrmhand, Ritter seiner königlichen Majestät Vaelis Lemorgant I.. Ich bitte nur um eines…“, der verwundete Ritter griff an seinen Gürtel und zog eine versiegelte Pergamentrolle aus einem dafür vorgesehenen, rohrartigen Behälter, „Mein Eid war, dies hier Senator Iverlyn zu überbringen; versigelt und ohne dass es eine andere Person liest als er

selbst.“ In einem Akt letzter Anstrengung klappte der Mann das Visier hoch und offenbarte sein Gesicht, dessen Haut der nahende Tod bereits eng über die Knochen gespannt hatte. Die grünen Augen starrten glasig und viel tiefer, als sie sollten, aus ihren schattigen Höhlen. Tatsächlich, so dachte Eva, hätte der Mann schön sein können, wenn er nicht die Schwelle zwischen Leben und Tod schon überschritten hätte. Unverwehrt starrte er den Stummen an mit einem Blick, von dem sie nicht zu sagen vermochte, was genau darin lag. „Ich werde dafür sorgen, dass Euer Eid Erfüllung findet“, der Stumme nickte

dem Sterbenden zu. „Habt Dank, dann habe ich wenigstens nicht…versagt“, ein Lächeln bog sich über Wyrmhands erblasste Lippen, während er seinem Gegenüber das Pergament reichte. Sie rümpfte die Nase und verspottete den Mann innerlich für sein sinnloses Ehrdenken. Er glaubt immer noch an diese Dinge, dabei ist er schon so gut wie tot. „Nun sagt uns, wer für das hier verantwortlich ist“, forderte sie. Das bleiche Lächeln des Sterbenden schwang ins Spöttische: „Nun gut, bevor ich nicht mehr…dazu komme“, er seufzte,

„Immortalisten.“ „Was?“, ächzte sie. Sie hatte durchaus verstanden, was der Mann gesagt hatte. Auch kannte sie die Glaubensgemeinschaft, welche dem sogenannten Unsterblichen Heiligen huldigte und seit der Herrschaft König Aldrins immer Größen Einfluss in den Fürstentümern Westkalatars gewonnen hatte. Was sie schlicht nicht glauben konnte, war, dass dieser Einfluss mittlerweile ausreichen sollte, um ganze Truppenzüge einfach niederzumähen und offen gegen die Republik zu rebellieren. Aber wenn es ihnen um die Republik geht, wieso dann der Royalist? „Was hattet Ihr damit zu schaffen?“,

verlangte sie zu wissen. „Ich wollte…sie aufhalten“, ächzte der Ritter, „Ihr Handeln hat keinen…keinen Sinn.“ „Ach was!“, lachte sie, wobei ihr die Gedanken einfach so aus dem Mund sprudelten, „Diese verirrten Narren können schwerlich eine Gefahr für die Republik darstellen.“ „Ich…meinte…nicht, ihr werdet alle…ihr müsst…“, der glasige Schleier vor seinen Augen zerriss, für einen Moment schienen sie aus ihren Höhlen zu quellen, er beugte sich noch einmal nach vorne, und sprach plötzlich mit beängstigender Klarheit, „Bringt diesen Brief zu Iverlyn.“

Dann endete es. Der Ritter sackte zurück und der Blick in seinen Augen verlosch, während sein letzter Atemzug verhallte. Seine Lippen schienen merkwürdig verbogen, als würde er lächeln. „Lasst uns von diesem Ort verschwinden“, sprach der Stumme, nachdem er die Augen des Toten mit einer Handbewegung geschlossen hatte, die so fließend wirkte, dass er sie unmöglich zum ersten Mal ausgeführt haben konnte. Obwohl Petron zustimmend nickte, dachte Eva nicht daran, auch nur eine Handbreit von der Stelle zu weichen. „Ich will wissen, was in dem Brief

steht“, sagte sie trocken. „Das werdet Ihr nicht erfahren“, erwiderte der Stumme. Wie kann er es wagen? Sie war Eva Nell von Kronsweiher und Servyn, eine Dienerin der kalatarischen Republik und sie spürte, sie wusste geradezu, dass der Brief des toten Ritters sicher mehr war als ein paar Liebesfloskeln. Niemand bediente sich eines königlichen Gardisten als Boten, wenn es nicht um eine wirklich wichtige Angelegenheit ging; und mochten auch die Immortalisten hinter diesem Gemetzel stecken, es stank geradezu danach, dass das Königreich ebenso seine Finger im Spiel

hatte. „Der Brief!“, forderte sie. „Nein“, die Stimme des Mannes klang so karg wie eine Felswand, „Ich habe dem sterbenden Mann mein Wort gegeben und dabei bleibt es.“ „Ihr werdet mir…“, sein Verhalten erzürnte sie, sodass die Phrasen einfach so aus ihrem Mund brachen, während sie einen blitzartigen Schritt auf ihn zu setzte. „Werde ich nicht“, allein seine Worte, obgleich ohne Wut ausgesprochen, reichten sie verharren zu lassen. Trotz der Ruhe, die er noch ausstrahlte, lag seine Hand auf dem Griff des Schwertes an seinem Gürtel. Als sie nichts

erwiderte, zog er an ihr vorbei, streifte sie dabei mit der Flanke und schmetterte sie fast zu Boden. „Elender Bastard“, fluchte sie, nachdem er außer Hörweite war. „Das wird Euch nochmal umbringen“, mahnte Petron, ohne dass es ihm gelang, seine Gleichgültigkeit zu verbergen. „Ich will diesen Brief“, zischte sie, bevor sie zurück zur Kutsche stapfte. Und ich werde ihn bekommen.

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Hörbuch

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Crawley
Wer wäre ich hier, wenn nicht jemand, der seinen Visionen ein Zuhause geben will?
Tue ich das gerade nicht, studiere ich Rechtswissenschaften und bemühe mich, nicht gleich jedes damit verbundene Klischee zu erfüllen (letzteres womöglich nur mit mittelmäßigem Erfolg), oder fröne in irgendeinem Pub meinen Lastern.

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EagleWriter Oh je,. Da ist ja alles für einen richtigen Konflikt beisammen. Und da wären jetzt die Immortalisten aus dem Prolog. Und jetzt interessiert mich auch,was in dem Brief steht.
lg
E:W
Vor langer Zeit - Antworten
Crawley Ja, genau die aus dem Prolog. Hm, ob das Geheimnis um den Brief so schnell gelüftet wird, weiß ich noch nicht^^
Hoffe nur, dass es nicht zu kompliziert wird, zumal es unter den Royalisten doch noch einige Splittergruppen gibt.

Danke fürs Lesen und Kommentieren
LG
Crawley
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