„Du bleibst doch für immer bei mir, Jake, oder?“, fragte Mary, ihre Stimme war nur ein Flüstern. „Natürlich tue ich das, May“, kam es von Jake und Mary seufzte innerlich. Noch immer nannte ihr Freund Jake sie May, nur weil er zu faul war endlich ihren richtigen Namen zu nutzen. Weil es ja nur ein Buchstabe mehr war. Mary fuhr sich durch ihre braunen Haare und schloss die Augen. Sie war nervös. Jeder würde das sein, wenn er Teilnehmer an diesem Spiel wäre. „Rising Sun“ war nicht einfach nur ein Computerspiel. Nein, es war ein Spiel komplett anderen Ausmaßes. Mary wusste zwar noch nicht welchen Ausmaßes, aber sie spürte es. „Bist du nervös?“ Marys Blick glitt zu ihrem Freund. Sie erwartete das stets spöttische Lächeln auf Jakes Lippen zu sehen, aber Jake sah sie ernst an, seine Lippen zu einem dünnen Strich gepresst.
Sie konnte ihn verstehen. Sie selbst war nervös und unsicher. Jeder wäre das, wenn er einen Brief bekommen hatte, der erklärte, dass man dazu auserkoren wurde Tester des Spieles „Rising Sun“ zu sein. Sowohl Mary als auch Jake hatten einen solchen Brief bekommen und deshalb waren sie beide heute in das Entwicklungslabor gefahren, denn heute sollten sie das Spiel testen. Wie sie von Judy, einer jungen Frau mit braunem Haar und grünen Augen, die an der Rezeption arbeitete, erfahren hatten, gab es noch acht andere Tester, von denen ein Teil schon eingetroffen war oder noch eintreffen würde. Danach hatte Judy sie beide in diesen Raum geführt und ihnen gesagt, dass sie hier auf sie warten sollten und sie bald wiederkommen würde. Das war vor einer halben Stunde gewesen.
Mary nickte. „Ich bin’s auch“, gestand Jake und Mary sah ihn überrascht an. Ihr Freund war nicht der Typ Mensch, der seine Gefühle offen zeigte oder sagte, wie er sich fühlte. Dass er es sagte, bedeutete wohl, dass er mindestens genauso nervös war wie sie. Und dass er sich wohlmöglich genauso unwohl fühlte wie sie. Mary wollte gerade etwas sagen, als die Tür aufging und sie erblickte Judy. „Mary Clearwater.“ „Ja?“ „Du darfst mit mir mitkommen.“ Mary schluckte, sah zu Jake und fragte dann: „Was ist mit Jake?“ Judy hob eine Augenbraue und sah nun ebenfalls zu Jake, der aufgestanden war. „Du musst leider noch warten. Mary, du darfst mit mir mitkommen.“
„Aber was ist mit…“ „Jake kommt auch schon noch dran, Mary. Im Moment sollst nur du mitkommen“, kam es entscheidend von Judy und Mary schluckte, bevor sie nickte. „In…In Ordnung.“ Sie sah zu Jake. „Wir…Wir sehen uns dann, ja?“ Jake nickte und Mary ging auf Judy zu. Diese lächelte sie warmherzig an und hielt ihr die Tür auf. „Keine Sorge. „Rising Sun“ wird dir gefallen“, meinte Judy lächelnd und Mary nickte unsicher, bevor sie Judy aus dem Raum folgte. Judy führte Mary einen Gang hinunter, wobei sie immer wieder auf Menschen trafen, die sie begrüßten. „Oh hallo, Judy. Geht es heute endlich los?“, fragte ein Mann, der circa 22 war, mit
schwarzem Haar und grünen Augen Judy, woraufhin diese stehen blieb und Mary neben ihr. Judy nickte. „Ja. Unsere zehn Testpersonen sind eingetroffen, ich bringe gerade Mary zum Spielraum.“ Judy drehte sich zu Mary. „Mary, das ist Anthony. Er arbeitet im Kontrollraum“, stellte Judy den Mann vor und Anthony schenkte Mary ein Lächeln. „Hi, Mary“, begrüßte Anthony sie und Mary musterte ihn. Dafür, dass er im Kontrollraum arbeitete, trug er erstaunlich gute Kleidung. Ein dunkelblaues Jackett mit weißem Hemd und schwarzen Jeans. „Hallo“, kam es gepresst von Mary und Anthony grinste. „Keine Sorge, unser Spiel wird dir gefallen“, meinte er grinsend, bevor er zu Judy sah. „Ich gehe dann mal in den Kontrollraum. Ich
hab heute zwar eigentlich frei, aber ich will mir ansehen, wie sich unsere Kandidaten schlagen“, sagte er und Judy nickte. „Also, man sieht sich. Und dir viel Glück, Mary. Du wirst es brauchen“, kam es von Anthony und bevor Mary noch fragen konnte wieso sie Glück brauchen würde, war Anthony auch schon verschwunden. Verdattert sah sie Judy an. Diese schüttelte den Kopf. „Vergiss einfach was er gesagt hat. Anthony ist ein bisschen schräg. „Rising Sun“ ist grandios.“ Judy lächelte Mary an und diese nickte unsicher. Als sie und Judy weitergingen, sah sie nach hinten und sah Anthony nach. Sie hatte das ungute Gefühl, dass irgendetwas nicht ganz in diesem Labor stimmte. Judy blieb so abrupt stehen, dass Mary fast in sie hineingelaufen wäre.
„Hier.“ Judy sah Mary lächelnd an und öffnete die Tür. Unsicher betrat Mary den Raum und Judy schloss hinter sich die Tür, bevor sie das Licht anmachte. Als die Halogenröhren angingen, erblickte Mary zehn Stühle wie man sie vom Zahnarzt kannte, von denen bereits acht besetzt waren. Judy deutete auf einen der Stühle und als Mary näher herankam, stellte sie fest, dass es nicht normale Zahnarztstühle waren, sondern an den Seiten waren jeweils noch zwei futuristisch aussehende Hand- und Fußfesseln befestigt. An der Kopflehne war außerdem noch eine Art metallenes Stirnband befestigt. Mary schluckte und sah Judy entsetzt an. Diese lächelte milde. „Keine Sorge. Wir tun dir nichts Böses.“ Mary hob leicht eine Augenbraue. Ihr gefiel nicht, wie Judy das Wörtchen „wir“ betont
hatte. „Wenn du also Platz nehmen würdest, Mary“, bat Judy und mit verzerrtem Gesicht und deutlicher Abscheu setzte Mary sich auf den Stuhl. Judy verschwand kurz aus Marys Sicht, bevor sie mit einem Glas in der Hand zurückkam. In dem Glas befand sich eine bläuliche Flüssigkeit und Mary hob eine Augenbraue. „Was ist das?“, fragte sie und drückte ihren Kopf in die Lehne. Judy seufzte. „Dir das zu erklären würde Jahre dauern. Ich kann dir auf jeden Fall so viel sagen: Es ist entscheidend für dich. Solltest du in dem Spiel nämlich verletzt werden, dann heilen deine Wunden dadurch schneller. Außerdem sorgt es dafür, dass du wirklich Teil des Spieles wirst.“ Mary sah Judy skeptisch an, bevor sie mit einem Seufzen das Glas nahm und die Flüssigkeit mit einem Schluck hinunterkippte. Erstaunlicherweise schmeckte die Flüssigkeit
süß und nach Wassermelone, woraufhin sie Judy überrascht ansah. Woher wussten sie, welchen Geschmack sie liebte. „Nach was hat es geschmeckt?“, fragte Judy neugierig und Mary sah sie verwirrt an. „Hä?“ Judy lächelte. „Für jeden schmeckt dieses Serum anders. Also, nach was hat es geschmeckt?“ „Nach Wassermelone“, kam es von Mary und Judy kicherte. „Verstehe“, meinte sie, bevor sie das Marys Kopf an die Lehne drückte und an ihrem Kopf das Metallstirnband befestigte. Mary hörte ein Summen und hob eine Augenbraue. „Der Strom“, kam es entschuldigend von Judy und Mary nickte soweit es ging. Judy lächelte Mary an und fragte dann: „Könntest du deine Hände bitte auf die Armlehnen legen, Mary?“
Erneut nickte Mary soweit es ging, bevor sie ihre Hände auf die Armlehnen legte, wo sie dann von Judy mit den Handfesseln befestigt wurden. Mary schluckte. Aus irgendeinem Grund wurde sie langsam müde. Ihre Augen fielen immer wieder zu. Judy lächelte milde, während sie die Fußfesseln an Marys Füßen befestigte. „Bist du bereit, Mary?“, fragte sie und Mary zuckte mit den Schultern. Sie war nicht wirklich bereit, eigentlich wollte sie dieses Spiel nicht einmal wirklich ausprobieren, aber jetzt war es auch schon zu spät. Judy nickte, bevor sie sagte: „Schlaf jetzt am Besten ein bisschen. Wenn du aufwachst, wirst du dich im Spiel befinden. Mach dir keine Sorgen, Mary. Du wirst alle Informationen vor Ort erfahren. Außerdem wirst du vor Ort auch
auf deine Mitspieler treffen.“
„Wer…“
Judy schüttelte ihren Kopf.
„Du wirst alles noch erfahren, Mary. Aber jetzt schlaf.“
Mary seufzte leise, bevor sie die Augen schloss. Sie hörte noch wie Judy hinter ihr irgendeinen Knopf drückte, bevor alles um sie herum dunkel wurde.