Alle Jahre wieder, so sicher wie Weihnachten kommt auch die Urlaubszeit und vorher die leidige Frage nach dem Urlaubsziel. Und ich muss gestehen, da hatte ich heuer ganz schlechte Karten.
Ich war eben nicht gut genug vorbereitet und hatte keinen Joker im Ärmel.
„Kein Strand - denk an den Sonnenbrand vom Vorjahr,
keine Alm - mein Bedarf an Kühen ist gedeckt,
und auf keinen Fall der eigene Garten - ich muss hinaus.
Angeln ist auch langweilig, die Karpfen sind heuer viel zu fett geworden.
Wie wäre es mit einem Städtetrip, ein Hauch von Kultur würde uns nicht schaden und es wäre auch nicht so anstrengend, wie unsere Bergtouren. Du weißt doch, dein Knie.“
Meine bessere Hälfte säuselte plötzlich verdächtig mild und versuchte mir stundenlang die schönsten Städte Europas schmackhaft zu machen.
Paris und Florenz konnte ich gerade noch abwehren, obwohl Michelangelos David durchaus einen kurzen Gedanken wert war. „Doch denk an die Hitze und die vielen Touristen“, hob ich beschwörend die Hände. Auch Rom schien mir im Moment nicht allzu verlockend.
Wir einigten uns auf Warschau. Als sehr junges Mädchen war ich schon einmal dort gewesen. Erinnerungen stiegen hoch und ich freute mich wirklich, diese Stadt nach vielen Jahren wieder neu entdecken zu dürfen. Sicherlich würde es nicht allzu heiß werden und Unmengen von Touristen waren dort auch nicht zu erwarten, so dachte ich zumindest.
Keine Sterne in Athen, auch kein Schnaps in St.Kathrein, ich hab den Urlaub nicht gewollt, er hat gesagt, es müsse sein…. frei nach Stephan Remmler, machte ich mich mit der neuen Situation vertraut.
Schnell war eine Pauschalreise gebucht und
Stadtplan und Reiseführer studiert. Es würde ein wundervoller Urlaub werden, ich war mir bereits sicher. Zum Abschluss war noch ein kurzer Abstecher an die Ostsee geplant. Wir würden auch Danzig kennenlernen, wunderbar. Ich träumte bereits von einer Bernsteinkette.
Die Zeit verging schneller als gedacht und eines Tages fanden wir uns in einem gemütlichen Hotel im Zentrum Warschaus, inmitten einer bunt zusammengewürfelten Reisegruppe wieder. Das Abenteuer Städtereise konnte beginnen.
Da waren einige ältere Ehepaare, die ruhig und gelassen die Ausstattung des Hotels
begutachteten. Wie bei jeder Reise schien es auch hier einen Herrn Klug oder vielleicht sogar Überklug zu geben. Nach einigen Minuten kannten wir alle seine Urlaubsziele, die er schon einmal bereist hatte, eben ein Mann von Welt, oder einfach ein Angeber. Er schien aber an einem Tischtennisarm zu laborieren, denn mit den Koffern mühte sich seine Gattin ab. Etliche ältere Damen mit sehr vielen Taschen und Täschchen sortierten in der Halle ihr Gepäck. Als Blickfang flatterte noch ein bunter Schmetterling - Marke: Wie angle ich einen Millionär? - von Tisch zu Tisch, immer auf der Suche nach einem strategisch günstigen Sitzplatz. Die Tage versprachen abwechslungsreich zu werden. Den Damen,
sieben an der Zahl, hatte ich bereits im Geheimen den Namen: ‚Die glorreichen Sieben verpasst. Werde sie der Größe nach einfach durchnummerieren, um sie leichter unterscheiden zu können.
Kurz nachdem wir uns einigermaßen bekannt gemacht hatten, erschien auch schon Maximilian, unser Reiseleiter. Kariertes Hemd, sportliche Figur, braungebrannt, in perfektem Hochdeutsch stellte er uns das Programm der nächsten Tage vor. Warschau hätte einiges zu bieten und ich hatte sofort den Eindruck, er würde uns seine Stadt von der schönsten Seite präsentieren und garantiert keine Sehenswürdigkeit auslassen. Wir wurden mit
Kopfhörern ausgestattet und zur Sicherheit gab er auch für Notfälle seine Handynummer preis. Er antizipierte scheinbar bereits damals sämtliche Vorkommnisse der kommenden Woche. Abschließend teilte er blaue Schirmkappen aus. Ein Geschenk unseres Veranstalters, wie wir erfuhren.
Nein, das ging entschieden zu weit. Ich bin ja nicht im Kindergarten, rief ich mir in Erinnerung. Ich würde mich sicherlich nicht wie eine Durchschnittstouristin ausstatten lassen. Um Land und Leute kennen zu lernen bedarf es doch nicht solcher Maskerade. Mein Entschluss stand fest. Eine gepflegte Frisur und Schuhe mit einer Spur von Absatz, keine high heels, aber doch ein
einigermaßen gut aussehendes Modell. So würde ich Warschau die Ehre geben und so würde ich mich auch wohlfühlen. Ein leichtes Sommerkleidchen oder wenn es das Wetter erfordern sollte, ein schickes Kostümchen, keinesfalls eine dieser sackartigen Windjacken, die zwar jedes Pfund verschwinden lassen, aber wirklich nicht schick aussehen. Ich würde mich nicht gehen lassen, nahm ich mir fest vor.
Den nächsten Tag begrüßten wir vom 30.Stock des Kulturpalastes. Hier hoch über den Dächern der Stadt bekamen wir einen ersten unvergesslichen Eindruck von dieser modernen Metropole Polens.
Der Kulturpalast war mir noch von meinem
ersten Besuch in dieser Stadt in guter Erinnerung geblieben, denn er war für mich immer Orientierungspunkt gewesen. Dieses monumentale Bauwerk konnte man von jedem Punkt der Stadt aus gut erkennen. Inzwischen haben sich unzählige Hochhäuser dazu gesellt und verbreiten weltstädtisches Flair. Schlösser, Paläste und unzählige Kirchen runden das Bild ab. Noch ein kurzes Erinnerungsfoto auf den Stufen des Eingangs und dann ging es los. Ich hielt mich immer dezent im Hintergrund und vermied es tunlichst, mich in die endlose Schlange vor den öffentlichen Toiletten einzureihen, obwohl…
Schritt für Schritt eroberten wir die
Häuserzeilen. Wir kamen flott voran. Allerdings hatte ich bei der Wahl meines Schuhwerks nicht gerade das beste Händchen gehabt. Irgendwie schien es, als wenn die beiden nicht die selbe Größe hätten. Während unseres Rundganges blickte ich andauernd neidisch auf Mädchen in luftigen flip-flops. Ach, wie locker die nur dahin stiefelten, doch einen letzten Rest von Würde wollte ich mir doch noch erhalten.
Nachmittags kam es doch noch so, wie es muss. Ich war dankbar für meine geschlossenen Schuhe, denn ein wahrer Platzregen ereilte uns. Gegen Wetterkapriolen ist man machtlos und so marschierte ich hurtig weiter, in einer Hand
den Schirm, in der anderen meine schicke Tasche, die bald einen etwas ramponierten Eindruck machte, doch meine Füße blieben trocken.
Zu einem Kulturtrip gehört natürlich auch ein Konzertbesuch. Mein Mann hatte wirklich an alles gedacht und vorsorglich Karten bestellt. Ich hatte Mühe meine Augen offen zu halten, der Tag war sehr anstrengend gewesen und nur meine schmerzenden Füße hinderten mich am Einschlafen, doch das hätte ich nie zugegeben.
Maximilian unser Reiseleiter verstand es sehr gut meine etwas rudimentären Geschichtskenntnisse aufzufrischen und bald hielt ich Sobieski nicht mehr für ein türkisches
Cafe in Istanbul, sondern lauschte gerne den Berichten über diesen hervorragenden Feldherrn, der auch als Retter Wiens galt, da er sich einst mit seinem Heer mutig den angreifenden Türken entgegen stellte.
Am dritten Tag, nach einem anstrengenden Tag in der Altstadt, beschloss ich einen kleinen Einkaufsbummel zu wagen. Was sein muss, muss sein. Ich wollte mir einfache, bequeme Schuhe kaufen, schön oder weniger schön, es war nicht mehr so wichtig. Gesagt, getan, mit ein paar wüstentauglichen Latschen kam ich zurück. Der Spott meines Mannes war nicht zu überhören, doch meine glorreichen Sieben verstanden mich sofort. Mit zwei von ihnen hatte ich fast Freundschaft
geschlossen, da wir uns ja immer wieder in den Schlangen vor den besagten Örtchens trafen. Meine Individualität war bereits auf ein Minimum geschrumpft, denn ich hatte nebst den Schuhen auch eine rote Regenjacke und einen geräumigen Rucksack erstanden. Letzterer wurde sofort mit einigen Wasserflaschen und grünen flip-flops bestückt. Doch, oh Schreck, als ich den Laden verließ, war meine Orientierung dahin. Die Straße hatte sich total verändert und der Stadtplan lag im Hotel. Doch das Handy hatte ich dabei und auch Maximilians Nummer gespeichert. Lachend gab er mir Instruktionen und bald war ich wieder im Hotel.
Meine Metamorphose war scheinbar nicht mehr zu bremsen. Ich entwickelte mich rasant zu einem dieser billigen Massentouristen, die sich nur in Scharen von Gleichgesinnten wohlfühlen und in drei Tagen sieben Länder bereisen wollen. Doch ich hatte dabei kein schlechtes Gefühl und als wir abends noch durch einige Kneipen zogen, fand ich direkt Gefallen an meinem Touristendasein. Ich war in diese Gruppe hinein gewachsen und bei näherem Hinsehen entdeckt man doch viele Gemeinsamkeiten mit den anderen Reiseteilnehmern.
Unser Herr Klug erklärte uns genauestens seine Schilddrüsenunterfunktion, die ihm aber beim Trinken keinerlei Probleme zu
bereiten schien, eher später beim Bezahlen seiner Rechnung. Da er aber keinerlei Ähnlichkeiten mit einem ‚Mister Universum aufzuweisen hatte, fand sich leider kein Sponsor. Unser Schmetterling entpuppte sich als zarte Mimose, der angeblich das Kartoffelpüree vom Vortag schwer im Magen lag. Hingebungsvoll kümmerte sich Maximilian um das arme Wesen, das ihn dankbar anhimmelte. Er war eben ein guter Reiseleiter und fühlte sich für alle Gruppenmitglieder verantwortlich.
Als mir ein kleiner Junge tags darauf ein paar billige Ansichtskarten zum Kauf anbot, griff ich dankbar zu. Ich lächelte ihn an und legte noch ein ordentliches Trinkgeld dazu. Die
Erinnerung an diese Reise war mir das wert. Meine Mutation zur Touristin schien abgeschlossen und war sogar für diesen kleinen Jungen sofort erkennbar.