Marktplatz
Ich gebe zu, ich gehöre zu den Menschen, die der mit „Auto“ überschriebenen Wochenendbeilage ihrer Tageszeitung nicht dieselbe Aufmerksamkeit entgegenbringen wie dem Rest der Gazette. Anders gesagt: Ich überfliege lediglich das Fettgedruckte, und das auch erst, nachdem ich mich, weitaus intensiver, dem politischen, dann dem wirtschaftlichen Teil und letztlich den lokalen und kulturellen Seiten gewidmet habe. Im Allgemeinen fühle ich mich durch das selektive Lesen auf diesem Gebiet ausreichend informiert, eine Annahme, in der ich durch den gelegentlichen tieferen Einstieg in den einen oder anderen Artikel
durchaus bestärkt werde.
Aus Gründen, deren Erörterung den Rahmen sprengen würde, stand mir an diesem Morgen als Frühstückslektüre aber ausschließlich jener weniger von mir geliebte Teil der Zeitung zur Verfügung, so dass ich tatsächlich die Artikel von der ersten bis zur letzten Zeile las. Ich glaube, ab sofort gehört diese Beilage zu meinem bevorzugten Lesestoff, wobei es weniger die technischen Neuerungen für fahrbare Untersätze waren, die mich daran faszinierten. Interessant wurde es nämlich erst, als ich zur letzten, mit „Marktplatz“ überschriebenen Seite vorgedrungen war, die mit Autos nicht mehr auch nur das Geringste zu tun hatte. Gut,
dass über die sattsam bekannten digitalen Verkaufsplattformen im Internet allerlei Schnickschnack angeboten wird, ist bekannt. Dort sucht man aber für gewöhnlich gezielt nach den Dingen, für die man sich interessiert. Der Blick auf eine gedruckte Anzeigenseite offenbart einem hingegen auf Anhieb eine solche Vielfalt an skurrilen Angeboten und Gesuchen, dass es einen glatt erschlägt. Hochinteressant fand ich zum Beispiel, wie viele Menschen es anscheinend gibt, die sich erst ein altes Bauernhaus zulegen und dann „zwecks Einrichtung desselben“ per Inserat nach den dazu passenden Möbeln suchen, möglichst antik und gern auch renovierungsbedürftig, vor allen Dingen aber günstig. Es gibt Offerten
„für Ofensammler“ (Wer, zum Teufel, sammelt ÖFEN?), Kaufgesuche für alte Familienportraits („Und DAS ist Freiherr von Klitzebüx, ein DIREKTER Vorfahr meiner Gattin ...“) sowie „private Sammler“ auf der Jagd nach Pelzmänteln, Nähmaschinen, Porzellanfiguren und Militaria jeder Art. Wobei die so gesuchten Gegenstände unter ein und derselben Telefonnummer angeboten werden dürfen. Erstaunlich ist dabei allerdings, dass es offenbar unterschiedliche Sammler mit haargenau denselben Interessengebieten gibt … Diese „privaten“ Sammlungen möchte ich gerne einmal in Augenschein nehmen, habe ich doch den Verdacht, dass nicht etwa besonders wertvolle Exponate in Vitrinen
ausgestellt das Auge des Betrachters erfreuen, sondern dass sie samt und sonders in Pappkartons mit der Aufschrift „Flohmarkt“ landen. Dann fand ich noch ein Angebot über einen „befristeten, bereits angezahlten Fitnessvertrag für Frauen“. Genialer Werbeschachzug eines Sportcenters, oder die Hoffnung einer Dame, sich auf elegante und Gewinn bringende Weise eines unliebsamen Geschenkes zu entledigen? Unter „Verschiedenes“ bot ein „Schmalfilmretter“ seine Dienste ebenso an wie der „devote Er“, der gerne nackt für mich putzen würde. Wäre glatt eine Überlegung wert, wenn ich mich in der Wohnung so umschaue.
Die Entdeckung des Tages schlechthin waren aber diese Zeilen: „Mein Herz, deine Träume sind auch meine Träume“ und „Wenn du da bist, werden solche Zeilen hier zur Kunst“ oder „Ich liebe dich, nur dich kann ich lieben“. Jeweils der erste Teil der Bekenntnisse fettgedruckt, aber - und das brachte mich ins Grübeln - ohne dass die dazugehörige Telefonnummer des Inserenten oder gar der Name des oder der Angebeteten genannt wurde. Das ließ mir natürlich keine Ruhe. Wer, zum Teufel, gibt das Geld für fünf (!) dieser ein- bis dreizeiligen Inserate aus, statt einfach zum Telefon zu greifen oder - wesentlich Erfolg versprechender - das persönliche Gespräch mit dem Du zu suchen? Dubios, dubios.
Geheime Verständigungszeichen zwischen Erpresser und Erpresstem? Der kleine Kriminalist in mir schüttelte den Kopf. Zu aufwändig. Da hätte eine schlichte Zeile gereicht: „Katharina kotzt Kröten“ beispielsweise. Oder „Ankomme abends, Aktiva anbei.“ Also doch Liebesschwüre. Aber WER IST „mein Herz“? Vorsichtig schiele ich über den Zeitungsrand, ob mich mein Gegenüber eventuell gespannt bei meiner Lektüre beobachtet. Nicht? Schade eigentlich, aber einerseits hätte mich das auch mehr als verwundert, andererseits hätte ich wohl ohnehin dezent darauf hingewiesen, dass ich das für derlei Offenbarungen ausgegebene Geld besser zu investieren gewusst hätte. Meine Küchenfliesen,
beispielsweise, schreien geradezu nach einer devoten Reinigung ...