Kurzgeschichte
MORD ODER TOTSCHLAG

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"Ob ein Gewissen je schweigen kann?"
Veröffentlicht am 21. Juli 2014, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ich wurde in einem kleinen Dorf bei Nürnberg geboren. Studium und Beruf brachten mich nach Baden Württemberg. Die etwa 35 Jahre im Dreiländereck waren genug. 1999 zog es mich in meine alte Heimat zurück und seither lebe ich in Fürth.
Ob ein Gewissen je schweigen kann?

MORD ODER TOTSCHLAG

mord oder totschlag

Enrico saß auf der Terrasse seiner gepflegten Villa. Er genoss seit Jahren den Respekt, den ihm die Bewohner des kleinen Gebirgsdorfes entgegenbrachten. Gerade ließ er noch einmal in Gedanken die Vergangenheit an sich vorüber ziehen.


Er stammte aus ärmsten Verhältnissen. Seine Mutter starb zu früh und so zog ihn der Vater zusammen mit seinen Geschwistern allein groß. Jeder musste zum Lebensunterhalt auf seine Weise beitragen. Da Enrico der kleinste war, entschloss er sich, durch Einbrüche seine Familie zu unterstützen. Doch er wurde immer wieder erwischt und

dann jämmerlich verprügelt. Auch zu Hause gab es dann Schläge. Da beschloss Enrico als Vierzehnjähriger, das Elternhaus, das nie eines gewesen war, zu verlassen. Um eine neue Familie zu haben, schloss er sich der Mafia an. Diese nahm ihn wegen seiner Geschicklichkeit gerne auf. Also führte er sein kriminelles Leben weiter.


Um bei Auseinandersetzungen feindlicher Gruppen bessere Verteidigungsmittel zu haben, hatte sich Enrico einen schönen Schlagring besorgen lassen. Den aber sollte er teuer bezahlen. So kehrte er noch einmal in sein Elternhaus zurück und bat seinen Vater um den Ehering seiner Mutter. Doch der Vater gab ihn nicht heraus und Enrico

stahl ihn bei nächstbester Gelegenheit. Damit konnte er endlich den gewünschten Schlagring bezahlen und hatte gleichzeitig seine Rache dafür, dass ihn seine Mutter als Kind allein gelassen hatte.


Das Leben als Mitglied der Ehrenwerten war hart und häufig von Streitereien begleitet. Trotzdem schaffte es Enrico, sich hoch zu arbeiten. Er hatte sich durch seine Korruptheit, sein aalglattes Wesen und seinen knallharten Gerechtigkeitssinn gegenüber den Ärmsten einen Namen gemacht. An ein Ereignis mochte er aber nicht erinnert werden.


Wieder einmal war es zu erbitterten

Auseinandersetzungen verfeindeter Clans gekommen und Enrico hatte alle Mühe, sich zu verteidigen. So zog er seinen Schlagring und hieb auf seinen Gegner ein, der sofort tot zusammenbrach. Als man die Toten beiseite schaffte, musste er erkennen, dass er seinen Vater erschlagen hatte. Alles hatte er gewusst, nur das nicht. Nun wusste er auch, dass seine Mutter nicht gestorben war, sondern wegen seines Vaters die Familie verlassen hatte. Der Schmerz darüber ging tief. Für Enrico ein böses Erwachen und er schwor, sich nie wieder an Kämpfen zu beteiligen. Um diesen Schwur einhalten zu können, ließ sich Enrico seinen Schlagring vergolden.


Gestern Abend nun hatte ihn sein Boss besucht. Wieder einmal ging es darum, die Ärmsten der Armen im Dorf vor den feindlichen Clans zu schützen. Doch diesmal wollte sein Chef nicht mehr dazu beitragen, die Schutzgelder für die Armen zu bezahlen. Der Streit eskalierte, nachdem sie vorher gemeinsam eine Flasche Grappa getrunken hatten. Als sein Chef auf ihn losging, griff er instinktiv nach dem nächstbesten Gegenstand und schlug zu. Lautlos sackte der Getroffene zusammen. In diesem Augenblick erschrak Enrico zu Tode. Er hielt den vergoldeten Schlagring in der Hand.


Nachdem er ihn sorgfältig abgewischt hatte, rief er seine Freunde. Gemeinsam beseitigten

sie den Leichnam.


Nun also saß er hier und wartete … Wieder und wieder wischte sich Enrico den Schweiß von der Stirn, der ihm in winzigen Tropfen aus den Poren trat. Er befürchtete so viel … Nichts von all dem geschah.


Nach einer sehr unruhigen Nacht machte sich Enrico auf den Weg. Er hatte sich entschieden und verließ noch im Morgengrauen sein Heimatdorf. Er hatte außer einigen Lebensmitteln kein Gepäck bei sich. Nur den Schlagring führte er mit sich, besah ihn immer wieder auf seinem Weg in die Berge. Kein Mensch außer ihm kannte sich so gut in dem Gewirr der Felsen und auf

den Steigen der Ziegen aus, die hier ihre karge Nahrung suchten. Nach stundenlangem Aufstieg erreichte er die Höhle, welche er als Hütebub einmal entdeckt hatte. Schon damals hatte er sich hier ein gemütliches Nest geschaffen. Die Höhle war sauber und trocken, in der Luft der Höhe hatte sich alles gut erhalten. Er ließ sich auf das Lager aus trockenem Gras und Laub sinken. Tränen rannen ihm über die Wangen. Niemals vorher war er so von seinen Gefühlen übermannt worden.


Als er erwachte, war es bereits dunkel. Der Mann entfachte ein kleines Feuer, briet sich ein Stückchen Fleisch, aß etwas Brot dazu und gönnte sich einen Schluck von dem

mitgebrachten Wein. Seine Gedanken kreisten stets um das Gleiche: er hatte zwei Menschen umgebracht. Beide hatten ihm – jeder auf seine Weise – viel bedeutet. Hatte es wirklich so weit kommen müssen, dass er zum Mörder geworden war? Wie würde er mit dieser Schuld weiter leben können? Hin und her drehte und wendete der Mann die Tatsachen. Immer wieder wurde ihm bewusst, dass er in Notwehr gehandelt hatte und nicht aus Vorsatz. Vor Gericht würde er in beiden Fällen ohne Strafe davon kommen. Und im Himmel? Wenn es Vergebung gab, war ihm solche auch zugedacht? Enrico konnte sich kaum aus dem Wirrwarr seiner Gedanken befreien. Schließlich schlief er doch über seinen Grübeleien ein.

Früh am Morgen des folgenden Tages strich Enrico, in Gedanken versunken, durch das Gelände, welches ihm so vertraut war. Er sah nicht den wunderschönen Sonnenaufgang, bemerkte weder die Bergziegen, die um ihn herum grasten, noch konnte er den Anblick des herrlichen Bergpanoramas genießen. Wie eine dunkle Wolke schwebten seine Schuldgefühle über ihm. Mehrere Tage dauerte dieser Zustand an. Endlich war es soweit. Enrico hatte sich zu einer Entscheidung durchgerungen.


Festen Schrittes strebte er dem Tale zu. Sein erster Weg führte ihn in das abgelegene Dorf, welches nur von hier aus erreichbar war.

Er betrat die kleine Kirche des Ortes. Man hatte sie der Muttergottes geweiht. Er kniete nieder und wieder rannen ihm die Tränen über die Wangen. Lange verharrte er in seiner Gebetshaltung. Als er sich endlich erhob, zeigte sein Gesicht ein inneres Leuchten, welches niemals jemand erwartet hätte.


Noch einmal betrachtete Enrico nachdenklich den vergoldeten Schlagring. Dann machte er sich erneut auf den Weg, diesmal in das nahe gelegene Kloster. Hier wollte er seinen gesamten Reichtum den Ordensbrüdern übergeben und selbst eine kleine Zelle beziehen. Im Frieden mit Gott – so hoffte er – würde er im Kloster den Rest

seines Lebens verbringen.


© HeiO 02-11-2013 Nachtrag Die Idee zu dieser Geschichte geht zurück auf die Ausstellung ORTUNG 2011 in Schwabach. Im Zeichen des Goldes beteiligten sich Künstler an einem Kunstparcour. Eines dieser Werke stammte von Andreas Feist: Der vergoldete Schlagring.

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Hörbuch

Über den Autor

NORIS
Ich wurde in einem kleinen Dorf bei Nürnberg geboren. Studium und Beruf brachten mich nach Baden Württemberg. Die etwa 35 Jahre im Dreiländereck waren genug. 1999 zog es mich in meine alte Heimat zurück und seither lebe ich in Fürth.

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AngiePfeiffer Boh, ein vergoldeter Schlagring .... das ist allein schon eine Idee.
Eine tolle Geschichte ist das
meint
Angie
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS ♥lichen Dank für Deinen Besuch hier und das mitgebrachte Geschenk.
Liebe Grüße
Heidemarie
Vor langer Zeit - Antworten
Dakota 
ich wünsche deinem Enrico,
dass er nicht rückfällig wird :-))

deine spannende Geschichte, liebe Heidemarie,
habe ich gern gelesen
Lieber Gruß und einen schönen Sonntag!
Dakota
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS Ganz ♥lichen Dank für Deinen Besuch hier. Ich freue mich, dass das Buch einen Platz in Deinem Bücherregal gefunden hat.
LG Heidemarie
Vor langer Zeit - Antworten
szirra Manchmal sind Gewissensbisse heilbar. Gerne gelesen.
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS Da ist was dran ... und DANKE für Deinen FAVO.

LG Heidemarie
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Herbsttag Eine nachdenklich stimmende, gut erzählte Geschichte. Ira
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS Vielen Dank, liebe Ira. Ich freue mich sehr, dass Du dieses Buch von mir gelesen hast.

Ein schönes Wochenende
Heidemarie
Vor langer Zeit - Antworten
GertraudW 
Erst einmal, es war sehr interessant und spannend zu lesen.
Hat mir gut gefallen. Ob aber Enrico im Kloster durchgehalten
hat, das wage ich zu bezweifeln. Aber vielleicht doch - man soll
nie NIE sagen ...
Liebe Grüße und ein erholsames Wochenende
Gertraud
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS Für ehrliche Reue und Buße ist es nie zu spät. ♥lichen Dank für Deinen Kommentar und die Münzen. FREU!

Ein schönes Wochenende Euch beiden
Heidemarie
Vor langer Zeit - Antworten
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