Kapitel 29 Doppelte Befreiungsaktion
„Hört zu, ich weiß, wo die Gefangenen sind.“, erklärte Ordt. Leif wusste noch nicht, ob er seinen neu gewonnenen… Freund wirklich trauen konnte. Der Wolf schwieg sich bisher darüber aus, warum er ihm unbedingt helfen wollte, aber für eine Falle… nein für eine Falle wäre das mehr als nur plump. Warum das Risiko eingehen? Er war schon so gut wie tot gewesen.
Er musterte den Gejarn. Das schwarze Fell ließ Ordt fast mit der Nacht verschmelzen, nur seine gelben Augen
stachen hervor. Gekleidet war er in ein dunkles Lederwams, das stellenweise mit Metallnieten verstärkt worden war. Eine krude, aber billige Panzerung, die sich, wie Leif wusste, bei Söldnern einiger Beliebtheit erfreute.
Neben sich hatte der Wolf einen großen Beutel abgestellt, in dem Metall klirrte. Leif tippte sofort auf Waffen. Und aus Ordt Gürtel ragten die Griffe zweier Pistolen, die dem Schmied nur zu bekannt vorkamen. Das waren Eriks Waffen.
„Die Flüchtlinge befinden sich momentan in einem kleinen Gebäude am Rand des Lagers. Es ist so ziemlich das einzige hier, das nicht aus Zeltleinwand
besteht. Momentan sind kaum Wachen dort, aber ich habe bisher nicht gewagt, sie zu befreien. Ich brauche jemanden, der mir den Rücken frei hält.“
„Ich bin nicht wirklich in der Verfassung groß zu kämpfen.“, erklärte Leif.
„Müsst Ihr auch nicht. Ich will nur, dass Ihr ein Auge auf das Lager habt. Also, was sagt Ihr ?“ Leif zögerte einen Moment. Die Frage ob er dem Wolf wirklich vertrauen konnte stand nach wie vor im Raum. Das Problem war nur, das ihm eigentlich keine Alternativen blieben. Alleine schaffte er das nicht.
„Gut.. ich vertraue Euch. Ich habe wohl auch kaum einen Wahl. Ihr geht
und befreit die Gefangenen, ich halte für Euch Wache.“
Ordt nickte.
„Folgt mir. Und seid vorsichtig. Wenn uns jemand sieht werde ich euch die Kehle durchschneiden und behaupten, ich hätte euch grade erst aufgegriffen. Versteht ihr mich?“
„Versprecht mir nur, dass Ihr dann trotzdem weitermacht.“, erklärte Leif ernst. „Ansonsten werdet Ihr meinen Geist nicht so schnell los. Eure Ahnen scheinen eine Schwäche für mich zu haben.“
Der Wolf musterte ihn nur einen Augenblick und Leif fiel es schwer einzuordnen, ob er verdutzt aussah oder
ihn lediglich für irre hielt.
Dann jedoch drehte er sich einfach um und bedeutete dem Schmied, ihm zu folgen. Ordt bewegte sich schneller durch die Finsternis, als Leif ihm folgen konnte und so fiel er rasch ein Stück zurück. Sie kamen den Zelten stellenweise gefährlich nahe und er konnte einige Gesprächsfetzten belauschen. Nichts, das ihm irgendeinen Hinweis gab, aber offenbar waren die Gardisten guter Laune. Das war gut. Sie würden sicher nicht zu schnell merken, dass zwei ihrer Leute fehlten. Ordt und er hatten die Toten zum Waldrand geschafft und unter einigen Zweigen versteckt. Im Vorbeigehen nahm der
Wolf noch etwas mit, das Leif im Dunkeln nicht erkennen konnte.
Der Gejarn hielt an, als sie die Zelte hinter sich gelassen hatten und deutete auf einen hölzernen Verschlag. Das Gebäude war in Finsternis gehüllt. Kein Licht war zu sehen und die einzige Wache, die der Schmied sah, stand direkt vor dem Eingang. Die Gardisten waren nachlässig….
„Da drin ?“
Ordt nickte.
„Ihr bleibt hier und haltet die Augen offen. Wenn sich irgendjemand nähert, gebt mir ein/ Zeichen oder tötet ihn. Je nach dem.“
„Was für ein Zeichen ?“
Der Wolf drückte ihm den Gegenstand in die Hand, den er aus dem Lager entwendet hatte. Es war eine kleine Öllaterne. Rasch hatte Ordt eine kleine Flamme entzündet.
„Wenn Ihr jemanden seht, dreht den Docht höher. Sobald ich sehe, das die Laterne heller wird, bin ich weg.“
Der Gejarn warf einen besorgten Blick zum Horizont, wo das samtene Schwarz, dem ersten Anflug von Blau zu weichen begann.
„Und wenn ich bis zur Morgendämmerung nicht zurück bin… seht zu das Ihr hier weg kommt.“
Mit diesen Worten verschwand Ordt in der Nacht. Leif selbst kauerte sich in
den Schatten einiger Büsche und hielt die Zelte im Auge. Die Laterne drehte er dabei so weit herunter, dass ihn das schwache Licht hoffentlich nicht verraten würde. Jetzt begann das Warten. Er konnte fürs erste nur hoffen, dass der Wolf soweit Wort hielt... was danach passierte… stand auf einem anderen Blatt, aber sobald er sicher war, das es Celani und den anderen gut ging, würde er Ordt sicher nicht einfach aus den Augen lassen.
Der Wolf näherte sich derweil langsam dem Verschlag. Er konnte nur hoffen, dass Leif an seinem Platz blieb, bis er alles in die Wege geleitet hatte. Dass er den Mann als einziger bemerkt
hatte, als dieser sich ins Lager schlich, konnte ihm noch von Nutzen sein.
Ordt rückte den Beutel mit den Waffen auf seiner Schulter zurück. Robert hatte das verdammte Armband und damit auch die Träne Falamirs. Und so einfach kam er da nicht heran. Aber es gab Wege….
Wenn er die Flüchtlinge befreite und bewaffnete, würde das hoffentlich für ordentliche Verwirrung unter den Gardisten sorgen. Eine Ablenkung, mehr brauchte er nicht. Das würde ihm dann hoffentlich eine Chance geben, den Stein zu entwenden und sich auf dem Weg zurück zu machen. Bevor jemand merkte, was er getan hatte.
Die Gardisten würden sogar ganz sicher darauf herein fallen. Die Männer waren gute Kämpfer, aber nicht so diszipliniert, wie die Prätorianer. Aber Robert… es gab nur eines, das den Hauptmann der Prätorianer mehr interessierte, als die Träne Falamirs. Und das war der Mann, den Ordt am Rand des Lagers zurück gelassen hatte.
Die Wache an der Tür des Verschlages sah auf, als sie den Wolf bemerkte. Der Gejarn beschleunigte seine Schritte etwas.
„Halt.“ Der Posten richtete die Spitze einer Hellebarde auf ihn.
„Was tut Ihr hier?“
Ordt wischte die Klinge mit der
flachen Hand bei Seite.
„Leif ist hier.“
„Wer ?“ Der Gardist lies zumindest die Waffe sinken, kratzte sich aber verwirrt am Kopf.
„Der Drache des Kaisers, er ist im Lager. Ich hab grade zwei tote Wachen gefunden. Im Wald. Einer von ihnen konnte mir noch verraten, wer ihn angegriffen hat.“
Die Augen des Mannes wurden weit.
„Und weiß….“
„Man will mich nicht zu ihm vor lassen, deshalb komme ich zu Euch. Sagt Robert Bescheid. Schnell. Beeilt euch.“
„Ja gut… sofort…“ der Mann war offenbar zu verdutzt um Ordts Worte
groß zu Hinterfragen. Stolpernd wollte er sich schon auf den Weg in Richtung Lager machen, als der Wolf ihn mit einer Hand zurück hielt. Er konnte nicht zulassen, dass der Mann Leif in die Arme lief.
„Geht durch den Wald.“, wies der Wolf ihn an. „Lasst Euch nicht sehen. Er ist hier… immer noch irgendwo.“
Der Gardist nickte nur, bevor er seine Hellebarde fallen ließ und losrannte. Trottel. Das lief ja wie am Schnürchen. Sobald Alarm gegeben wurde, musste er sich nur noch auf den Weg zu Roberts Zelt machen, den Stein an sich nehmen und verschwinden. Sollten Leif und der Prätorianer den Rest unter sich
ausmachen. Und auch wenn er die Chancen der Flüchtlinge nicht zu hoch einschätzte, ein paar würden schon durchkommen. Ihr einziger Zweck war, für ihn eine Ablenkung zu erschaffen. Ordt wandte sich der Tür zu, sobald der Mann im Dunkeln nicht mehr zu sehen war. Es gab nur einen simplen Riegel, der den Verschlag sicherte. Bevor er jedoch dazu kam, diesen beiseite zu ziehen, zog ein dumpfes Geräusch zu seiner Linken seine Aufmerksamkeit auf sich. Ordt verstand einen Augenblick lang nicht, was er sah. Ein Kopf, der plötzlich auf der Wiese auftauchte, keine drei Schritte vom Gebäude entfernt. Ein braunhaariger Mensch erhob sich
plötzlich und klopfte sich Erde und Dreck aus dem weiten Mantel, den er trug. In dem Moment, wo er den Fremden entdeckte, entdeckte dieser auch den Gejarn.
Eine zweite Gestalt erschien aus dem Erdloch. Eine Frau, deren rote Haare selbst im Dunkeln noch hervor stachen.
„Erik… was ist los?“
Es würde schon reichen, wenn sie nur die Außenfassade weit genug untergruben, um sich darunter hindurch zwängen zu können. Das Erdreich jedoch mit bloßen Händen bei Seite zu schaffen, erwies sich als schwerer, als gedacht.
Vor allem, weil ständig jemand an der Tür lauschen musste, ob der Wächter nicht aufwachte. Und Celani hatte bessere Ohren als die Menschen. Trotzdem konnte sie nur den Schatten des Mannes, durch einen Spalt im Holz erkennen, und mussten einfach hoffen, dass er alleine war. Es blieb ihnen also nichts anderes übrig, als so leise wie möglich zu arbeiten… und entsprechend langsam.
Kornelius saß derweil mit Erik im hintersten Winkel ihres Gefängnisses und half dem Arzt, sich um Lewyn zu kümmern.
„Wie geht es ihm?“
„Er ist nicht bei Bewusstsein und bei
der Kopfwunde… ein gutes Zeichen ist das nicht. Aber bei einem Zauberer weiß man sowas nie. Manche können in seltenen Fällen einfach in eine Art Heilschlaf fallen… oder sie sterben.“
„Seelenträger.“, stellte Kornelius fest.
„Genau, aber wenn Lewyn einer wäre, hätten wir das schon gemerkt. Und wir würden ganz sicher nicht mehr in dieser Hütte herumsitzen.“
„Aber irgendetwas müsst Ihr doch für ihn tun können , oder nennt ihr Euch nur zum Spaß einen Arzt?“
Erik stand auf.
„Wie denn bitte? Vielleicht ist es Euch nicht aufgefallen, aber ich habe
nichts hier. Nur was ich bei mir trage und das ist ein Haufen Stoff. Vielleicht wenn wir hier heraus kommen. Aber vorher… kann ich nur abwarten.“ Kornelius zog eine Augenbraue hoch.
„So ?“ Ihm war anzumerken, dass er Erik nicht ganz glaubte, trotzdem erhob sich der Alte.
„In dem Fall, werde ich graben helfen.“
Der Arzt sah dem Mann nach, bis er im Halbdunkel kaum noch zu erkennen war. Obwohl der Verschlag nicht besonders groß war, reichte das schwache Licht nicht aus, auch nur von einem Ende, bis zum anderen zu sehen. Lediglich Celani schien sich in der
Finsternis bestens zurechtzufinden.
Aber auch die Gejarn würde ihn wohl nicht sehen, überlegte er. Er sagte es niemanden, aber so wie es um Lewyn stand, hatte der Junge wohl Glück, überhaupt noch einmal aufzuwachen. Und wenn sie nicht bald hier heraus kamen….
Aber du könntest etwas unternehmen, nicht? Ja das könnte er, aber der Preis dafür, sich derart einzumischen… wenn ihn jemand bemerkte, hätte er mehr als ein Problem. Erik zögerte. Das oder der Tod, nicht ? Er musste das Risiko ganz einfach eingehen. Mit einem letzten Blick in die Finsternis vergewisserte er sich, dass ihn niemand klar erkennen
konnte, dann legte er dem verletzten Jungen die Hand auf die Stirn.
Celani verließ ihren Posten an der Tür. Sie konnte auch so darauf lauschen, ob sich der Wächter rührte. Sie setzte sich zu Kornelius, der sich an den Rand der kleinen, mittlerweile entstandenen Grube niederließ.
„Wie geht es Euch?“
„Was glaubt Ihr, wie es mir geht?“ , erwiderte der Alte nur.
„Der Zauberer ist immer noch bewusstlos. Und der Vogel da hinten will mir erklären, er könne nichts tun. Aber wenigstens kommen wir hier voran.“
Er hatte die Nachricht über Leifs Tod ziemlich locker aufgenommen, dachte Celani. Seine einzige Bemerkung war ein recht patziges:
„Pah, so schnell werdet ihr den nicht los.“
„Ich glaube wir schaffen es bis zum Morgengrauen, aber…“ Die Gejarn verstummte mitten im Satz.
Kornelius lächelte sanft.
„Verstehe.“
Es war einer der wenigen Augenblicke, in dem kein Spott in seiner Stimme lag, sondern simples Mitleid.
„Ich habe nicht nur die Träne sondern auch noch einen Freund verloren. Aber ich schwöre, wenn wir hier heraus
kommen, wird jemand dafür bezahlen.“
Kornelius schüttelte den Kopf.
„Das ist ein gefährlicher Weg. Hat Leif euch erzählt….“
„Das Meiste, glaube ich.“
„Dann wisst Ihr, wohin ihn die Rache geführt hat. Vielleicht solltet Ihr seine Fehler nicht/ wiederholen. Doch letztlich... ist es eure Entscheidung, meine Liebe.“
„Ich brauche das Armband zurück.“, erklärte Celani lediglich.
„Und ich werde euch dabei gern helfen.“, antwortete Kornelius „Danach suchen wir Leif.“
„Ihr glaubt wirklich, er hat überlebt?“
„Ihr nicht ?“
„Ich… würde es gerne.“
„Wenn ich eins weiß, dann das, das Leif ziemlich stur ist. Der Junge ist praktisch mein Sohn. Selbst wenn ich ohne jeden Zweifel sicher wäre, das er tot ist, würde ich ihn noch suchen. Und sei es nur, für ein vernünftiges Begräbnis. Und danach... kann dieser Robert sehen, wo er sich vor mir versteckt. Ich hab vielleicht nicht mehr zu lange zu leben aber… das kann einen Mann um einiges gefährlicher machen. Also, was sagt ihr, ist das ein Plan?“
Die Gejarn nickte. Das war etwas, mit dem sie leben konnte.
Im selben Moment gab es in der
Dunkelheit einen kleinen Tumult, als Erik sich an ein paar, auf dem Boden sitzenden Flüchtlingen, vorbei drängte. Der Arzt war jedoch nicht mehr alleine. Auf seine Schultern stützte sich, ein überraschend munter wirkender Lewyn. Zwar blutete seine Kopfwunde nach wie vor stark, aber er sah sich mit wachem Blick um. Ein Blick, der sofort von Trauer getrübt wurde, als er Ruben nirgendwo fand… Trauer und funkelnde Wut.
Kornelius würde bei seiner Jagd auf Robert nicht alleine sein, dachte Celani. Bevor der Zauberer jedoch etwas sagen konnte, tauchte Sandria am Rand der Grube auf.
„Wir haben es so gut wie geschafft.“, erklärte die Sängerin.
„Wer geht als erstes?“