Kurzgeschichte
Abseits

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"Abseits"
Veröffentlicht am 19. Juli 2014, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Alles Infos unter artemzolotarov.com Ich schreibe seit 2010 Gedichte, Kurzgeschichten, Theaterstücke und Songs. Ich habe bis jetzt drei Gedichtbände und zwei Poetry Slam Textsammlungen mit Hörbuchfassungen veröffentlicht. Eine Übersicht gibts auf meiner Homepage. Auf meiner Facebookseite gibt es täglich aktuelle Infos, Gedichte, Geschichten, Videos, Musik und und und. Ich würde mich sehr über euren like ...
Abseits

Abseits

Mit einem letzten, lauten Knall entlud sich die Spannung seiner verlorenen Existenz und ebbte in eine unendliche Stille – minutenlang. Dann hörte man hinter der Tür ein aufkommendes Rascheln, Stimmen und Hektik, Schritte, die von schwerbewaffneten Männer zeugten. Sie wollten die Lage entschärfen, retten, was noch zu retten war oder wenigstens den Schaden in Grenzen halten. Doch sie kamen zu spät; ihn würden sie nicht mehr stören oder belehren können. Sein Plan war vollbracht, sein selbstbestimmtes Ableben setzte den Schlusspunkt hinter einen denkwürdigen Tag, der 23 Leben, 45 Verletzte, 332 Patronen und unzählige

Tränen forderte. Bald würden Nachrichtensprechr mit ernster Miene davon berichten, Zeitungen würden in großen Lettern Angst und Mitgefühl verbreiten, in Talkshows würden Experten schlau reden und nichts sagen, Eltern und Familien würden interviewt werden, Nachbarn würden sagen: „Er war so ein ruhiger Junge, ist nie aufgefallen, hat immer freundlich gegrüßt. Schrecklich so was, ne?“ Jeder wird seine Pflicht erfüllen, betroffen gucken, seine Augen schließen und wieder aufmachen, um weiterzuleben, weil er weiterleben muss, und hoffen, dass ihm so etwas nicht

widerfährt. Niemand wird sich nach den wahren Gründen für dieses Massaker fragen, niemand wird den nächsten Jungen sehen, der um 6 Uhr morgens mit einem schwarzen Rucksack und einer schwarzen Sporttasche in den Bus steigt, in die er vorher 3 Pistolen und ein Maschinengewehr verstaut hatte. Niemand wird ihn im Bus ansehen und die Kälte in seinen Augen bemerken, die starr aus dem Fenster schauen, Regentropfen sehen und anfangen, diese zu zählen, um das Zittern der Hände zu unterdrücken, die genau wissen, was sie heute noch tun werden. Wieso sie es tun werden, weiß niemand. Und so wird er

alleine in Bus sitzen, alleine, wie letzte Nacht, die er schlaflos verbrachte, am Laptop saß und youtube-Videos schaute, mit seiner besten Freundin chattete, die nicht schlafen konnte. Sie erzählte ihm von ihrem Ex, der sie wie ein Stück Dreck behandelte, sie betrog und an der kurzen Leine ihrer Gefühle durch Wochen und Tage voller Schmerz und Enttäuschung schleppte. Sie liebte ihn, was sollte sie denn tun? Er würde sich ändern, sagte sie immer, er würde sie lieben lernen, irgendwann und bis dahin heulte sie sich bei ihrem besten Freund aus. Vielleicht war er auch nicht ihr bester Freund, vielleicht war er nur der einzige, der sich ihre Geschichten

anhörte und geduldig schwieg, tröstete und hoffte, sie würde sich ändern, irgendwann, und ihn lieben lernen. Doch dann war es zu spät. Er hatte jede Hoffnung verloren, wollte nicht mehr hoffen, nur noch entscheiden, handeln, einen Schlussstrich unter die Rechnung seines Lebens setzen, dessen Unbekannten schon lange mehr der Rahmen seines Verständnisses sprengten, in dem er immer wieder zu Lösungen kam, die falsch waren, die nicht aufgehen konnten, weil er die Rechenregeln nie gelernt hatte, weil er nicht rechnete, sondern riet, weil er auf Glück hoffte, von dem er mal gehört hatte, auf Schicksal setzte, das ihm

schon die richtige Lösung verriete oder ihn wenigstens von der Aufgabe erlöste. Doch irgendwann wurde ihm klar, dass er der Herr seines Schicksals ist, dass nur er über sein Leben bestimmt. Übermannt von dieser Einsicht, trunken von Frust und dürstend nach Rache fasste er den Kurzschluss, allem ein Ende zu setzen. Aber nicht einfach so, nein, die ganze Stadt sollte davon erfahren, das ganze Land sollte seinen Abgang bewundern. Mit etwas Glück würden sogar internationale Medien davon berichten. Er musste es nur groß und laut genug machen. Je mehr starben, umso mehr würde sein Leben wert sein. Es würde genauso wie bei all den

anderen Amokläufen sein, nur besser, monumentaler, epischer. Jedes Mal pochte sein Herz lauter, wenn er in den Nachrichten einen Bericht darüber hörte. Er notierte alle Einzelheiten, sammelte Fotos und Zahlen über das Unglück, informierte sich so weit es ging über die Täter, suchte Parallelen zwischen ihnen und sich, als ob er eine Bestätigung, eine Begründung für sein Vorhaben finden wollte. Sie waren seine Helden, sie waren mutig und stark genug, den Zwängen dieses Lebens zu entkommen, sie kümmerte es nicht, was all die anderen über sie sagten und meinten, ihnen war alles egal. Keine Hänseleien trafen sie, keine Beleidigungen, niemand

sagte ihnen, wie wenig wert sie waren, wie abscheulich und anders ihr Dasein von der Norm abfiel, die der Herde angst machte, die sie an der Richtigkeit ihres Lebens zweifeln ließ und deshalb abgedrängt und vernichtet werden musste. Zum letzten Mal stand er in der Pause auf dem Schulhof und sah den Regenwolken beim Vorbeiziehen zu. Der Regen setzte ein und alle strömten ins Gebäude. Er blieb allein draußen stehen und zählte die Regentropfen, die den Asphalt langsam schwärzten. Es war so schön ruhig, keine Stimmen prügelten auf sein Trommelfell ein, keine Finger deuteten in seine Richtung, kein

Gelächter traf mehr seine brüchige Psyche. Da war nur er und der Regen fernab des Lebens, im Abseits.   „Hey, pennst du noch, oder wieso starrst du so aus dem Fenster?“ Er drehte seine Augen vom Regen weg und sah auf zum Mädchen, das gesprochen hatte. Es war seine beste Freundin, die sich schwungvoll den Rucksack von den Schulter nahm, um sich auf den leeren Platz neben ihm zu setzen. Sie sah trotz der frühen Stunde sehr munter aus, von der Verzweiflung der letzten Nacht war nichts mehr zu sehen. Er brachte ein stimmloses Hi zustande

und wusste kein zweites Wort, das nun angebracht wäre. „Was hast du da in der Tasche?“, fragte das Mädchen. Er schaute die Tasche an, hielt ein paar Sekunden inne: „Drei Pistolen, ein Maschinengewehr und 500 Patronen.“ Dann richtete er seinen Blick auf und schaute dem Mädchen in die Augen. Ihre Gesichtszüge verfinsterten sich, der Mund stand offen, man sah ihr förmlich an, dass sie mit dieser Information nicht umzugehen wusste. Dann brach sie in ein lautes Gelächter aus. „Ja, natürlich, und damit willst du zur Schule und alle abknallen“, sagte sie mit einem ironischen

Unterton. „Ja“, erwiderte er trocken und ohne mit der Wimper zu zucken. „Jetzt hör aber auf, so was könntest du doch gar nicht. Wie willst du denn an die Waffen rankommen? Aber ohne Spaß, ich bin gerade auch von jedem und allem angepisst. Wenn du so was mal wirklich planst, mach ich mit, ohne Scheiß.“ Ihre weiteren Worte hörte er nicht mehr, er drehte sich wieder zum Fenster um und schob die Tasche mit seinem Fuß unter den Sitz.

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Hörbuch

Über den Autor

koollook
Alles Infos unter artemzolotarov.com

Ich schreibe seit 2010 Gedichte, Kurzgeschichten, Theaterstücke und Songs.
Ich habe bis jetzt drei Gedichtbände und zwei Poetry Slam Textsammlungen mit Hörbuchfassungen veröffentlicht. Eine Übersicht gibts auf meiner Homepage.

Auf meiner Facebookseite gibt es täglich aktuelle Infos, Gedichte, Geschichten, Videos, Musik und und und. Ich würde mich sehr über euren like freuen:

https://www.facebook.com/artem.poetry

http://www.bookrix.de/_ebook-artem-zolotarov-fuer-c/

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Ich vertone meine Gedichte und Geschichten auch seit ein paar Monaten.
Auf soundcloud könnt ihr meinen letzten Band komplett vorgelesen hören (alle Gedichte sind auch downloadbar):

https://soundcloud.com/koollook_poesie

Seit Januar 2013 führe ich ein Projekt das "Ich schreibe über DICH!" heißt. Dabei kann mir jeder ein Bild von sich schicken und ich schreibe ein Gedicht dazu. Mit dem Projekt versuche ich Lyrik näher an den Leser zu bringen, um zu zeigen, dass sie nicht immer unverständlich und kompliziert sein muss ohne dabei in den Kitsch von Teetassenpoesie zu verfallen.
Wer mitmachen möchte, kann mir seine Bild an koollook_poesie@gmx.de schicken.
Hier könnt ihr die bisherigen 167 Bilder und Gedichte sehen:

http://ichschreibueberdich.tumblr.com/

Seit 2014 nehme ich auch an Poetry Slams teil. 2015 wurde ich Rheinland-Pfalz Meister in dieser Disziplin.
Videos von Auftritten gibt es bei youtube.

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erato 
Eine plastisch erschreckende Vision,
die leider zu realen Ereignissen passt.....

Klasse verbalisiert.....
GghG Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
Zentaur Es ist wirklich schwer, sich in die Psyche dieser fast noch Kinder hinein zuversetzen. Und ich finde es auch erschreckend, wie leicht man auch in unserem Land an Waffen kommt.
LG Helga
Vor langer Zeit - Antworten
Rehkitz Eine gute, spannend geschriebene Kurzgeschicht. Doch ein Thema, erschreckend und zum Nachdenken anregend.
Liebe Grüße Theresia
Vor langer Zeit - Antworten
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