Beschreibung
Für das vollständige Lesevergnügen empfehle ich dringend, VOR diesem Kapitel, den gesamten Text (Teile eins bis elf) zu lesen. Viel Spaß !
Kapitel sieben: Intelligence
Der Mann aus Prag kam pünktlich.
Er fuhr einen weißen Kombi mit Kühlaufbau, der in jedem Detail einem Auslieferungsfahrzeug einer Kette von Berliner Dönerläden glich. Der Koreaner hatte ihn schon bemerkt, als der Wagen von der Hauptstraße abbog. Sofort kletterte er mit einem Fernglas auf den Dachboden, um nach anderen Fahrzeugen Ausschau zu halten. Durch die Staubwolke, die auf dem Feldweg zum Haus aufwirbelte, wurde auch sein Partner auf den Kombi aufmerksam. Der Kanadier ging ins Haus und holte ein kleines Gerät aus seiner Reisetasche. Der Mann aus Prag hielt direkt vor der Scheune. Der Kanadier begrüßte ihn kurz und suchte dann mit dem Detektor das Fahrzeug nach Peilsendern ab, was der Mann aus Prag schulterzuckend zur Kenntnis nahm. Anschließend öffnete der Kanadier die Scheune, schaltete die Bewegungsmelder aus und winkte den Kombi rückwärts ein. Die beiden Fahrzeuge standen nun direkt nebeneinander mit den Hecktüren zur fensterlosen Rückwand der Scheune. Zusammen mit dem Mann aus Prag holte der Kanadier einen Flaschenzug aus dem Kombi, den sie an einem stabilen Querbalken befestigten. Der Kanadier schloss den Kleinlaster auf. Mit vereinten Kräften zogen sie eine der drei Holzkisten aus dem Laster und schoben sie in den Kombi. Dann bauten sie den Flaschenzug wieder ab und legten ihn in den Laster, den der Kanadier wieder verschloss. Anschließend gab er dem Mann aus Prag die Autoschlüssel und bezog seinen Posten vor der Scheune.
Die Minsterin war sehr ungehalten.
Vier Monate lang hatte sie daran gearbeitet, die heutige Konferenz vorzubereiten. Es ging um ihr Herzensprojekt, den Ausbau des Ruhrstadt-Stadions zu einer internationalen Standards genügenden Wettkampfstätte.
Alle wichtigen Entscheider und vor allem die Bedenkenträger zu diesem Termin zusammen zu bringen war dabei nur ein Problem gewesen, aber nicht das geringste. Und jetzt, wo endlich alle Beteiligten in einem Raum beisammen waren und sämtliche Dokumente vorlagen, ausgerechnet jetzt wurde sie von einem Stabsmitarbeiter diskret aber nachdrücklich in einen Nebenraum gebeten. Dort wartete der Verbindungsmann zum Kanzleramt.
"Was immer sie wollen," blaffte sie, "fassen Sie sich kurz !"
"Frau Ministerin, Sie müssen sofort an einer Dringlichkeitssitzung teilnehmen. Ich warte unten auf Sie. ", sagte der Mann, überreichte ihr einen versiegelten Umschlag und verließ den Raum.
Sie fetzte das Siegel auf und entnahm dem Umschlag ein einzelnes Blatt. Sie las die Nachricht, schüttelte ungläubig den Kopf, las sie nochmals, dachte einen kurzen Moment nach und steckte das Blatt in den Umschlag zurück.
Vor der Tür wartete Steiner auf sie.
"Herr Steiner, sie müssen das hier für mich übernehmen, ich muss weg.", sagte sie, winkte ihren Personenschützern und begab sich zur Tiefgarage, wo ein Wagen mit verdunkelten Scheiben auf sie wartete. Knapp sieben Minuten später kamen sie im Kanzleramt an. Der Lift brachte sie in die vierte Etage, wo sie von zwei Mitarbeitern der Haussicherheit zum Konferenzraum gebracht wurde. Außer ihr waren der Geheimdienstkoordinator, der Kanzleramtsminister, zwei Staatssekretäre und vier hochrangige Vertreter der Nachrichtendienste anwesend. Kurz nach ihr erscheinen noch der Stellvertreter des Verteidigungsminsters,ein Ministerialrat vom Auswärtigen Amt und ein Beamter einer nachgeordneten Behörde.
Der Kanzleramtsminister übernahm den Vorsitz,dankte den Anwesenden für ihr schnelles Kommen und übergab dann das Wort an den Beamten, der sofort vortrug.
"Am 11.April 1970 sank in der Biscaya das sowjetische Atom-U-Boot K-8 nach einer Havarie mit 52 Menschen an Bord. Das U-Boot war unter anderem mit bis zu 24 nuklear bestückten Torpedos bewaffnet, von denen nur vier geborgen wurden. Dieser Vorfall wurde bis 1991 von den Russen geheim gehalten. Am 18.März 2005 behauptete ein gewisser Mario Scaramella gegenüber der englischen Zeitung "The Independant", K-8 hätte am 10. Januar 1970 zwanzig der Torpedos als Minen im Golf von Neapel verlegt."
"Ist das der Scaramella aus der Litwinenko-Affäre ?", fragte der Kanzlersamtsminister.
"Genau der.", fuhr der Beamte fort." Wir haben die Geschichte mit den Atomminen seinerzeit als wenig glaubwürdig eingestuft. Heute morgen erhielten wir aus einer unserer Quellen ein komplettes Dossier aus dem der tatsächliche Verbleib der Torpedos hervor geht. Dieses Dossier wurde der russischen Regierung bereits im Januar 2005 vorgelegt."
Der Beamte unterbrach seinen Vortrag und verteilte eine Zusammenfassung des Dossiers an die Anwesenden.
Einen Moment lang war es sehr still im Konferenzraum, während sie das Papier lasen.
Mit einem Akkuschrauber hatte der Mann aus Prag die zwei Dutzend Kreuzschlitzschrauben entfernt und hob jetzt den Deckel der Holzkiste an. Dann öffnete er einen kleinen schwarzen Koffer, der sein Spezialwerkzeug enthielt. Er tauschte den Aufsatz des Akkuschraubers gegen einen wesentlich kleineren, den er im Koffer hatte. Dann begann er vorsichtig damit, die kleineren Imbusschrauben auf dem mit kyrillischen Buchstaben beschrifteten Metalldeckel zu lösen.
Die Minsterin ergriff als erste das Wort. "Soll das etwas heißen, die Russen haben fünfunddreißig Jahre lang zwanzig thermonukleare Gefechtsköpfe gelagert, von denen sie selber nicht mehr wussten, dass sie sie hatten ?", fragte sie den Beamten.
"Es hat den Anschein," sagte der Beamte vorsichtig," daß bereits ein halbes Jahr nach der Havarie die Torpedos geborgen wurden. Diese Aktion wurde offensichtlich nicht von der Marine, sondern vom KGB durchgeführt und war streng geheim."
"Und wo sind die Dinger dann hingekommen ?", fragte der Kanzleramtsminister.
"Wir vermuten, daß sie im Februar 2005 in einem Bunker in der Nähe von Archangelsk eingelagert wurden. Offiziell dient diese Anlage zur Demontage von Interkontinentalraketen vom Typ SS-18 Satan.", antwortete der Beamte.
"Wieso ", fragte der MAD-Mann ,"kommen die gerade jetzt mit dieser Sache raus ?"
"Da kann ich weiterhelfen.", warf der BND-Vertreter ein. "Allerdings muss ich darauf hinweisen, dass diese Information besonders vertraulich behandelt werden muß. Die Amerikaner haben mitgeteilt, die russische Militärpolizei würde in einem Mordfall ermitteln. Der Kommandant der Bunkeranlage und zwei seiner Offiziere wurden tot in einem Waldstück eine Autostunde entfernt gefunden. Im Zuge der Ermittlungen wurden die Lagerbestände überprüft und dabei ein Fehlbestand entdeckt."
"Wie viele fehlten denn ?", fragte der Mann vom AA.
"Insgesamt vermutlich drei. Taktische Gefechtsköpfe für Torpedos. Gebaut, um einen Flugzeugträger oder einen Flottenverband zu zerstören. Thermonuklear."
Der Mann aus Prag legte den Metalldeckel neben die Kiste. Der Sprengkopf lag jetzt frei. Er nahm ein Messgerät aus dem Koffer und begann mit der Überprüfung der Anschlüsse.
"Und wo, " fragte die Innenminsterin, "sind die Bomben jetzt ?"
"Die Amerikaner haben mit ihren Satelliten offensichtlich einige Spuren entdeckt. Sie vermuten, die drei Köpfe wurden auf dem Landweg transportiert. Vor einer Stunde erhielten wir von den Finnen eine Meldung über eine Isotopenspur, die sie bereits von ihrer russischen Grenze durch das ganze Land verfolgen."
"Gibt es schon einen Verdacht, wer dahinter stecken könnte ?", fragte der Kanzerlamtschef.
"Die Russen suchen nach einer Gruppe Afghanen."
"Afghanen ? ", fragte der Verfassungsschützer, "Wieso fahren die dann nach Finnland ?"
"Hauptsache, " sagte die Ministerin, "sie kommen nicht hierher."
Zufrieden mit den Messergebnissen, schloss der Mann aus Prag ein kleines silbernes Steuergerät an den Sprengkopf an. Er verband das Gerät mit zwei großen Batterien und mit dem Kabel, das vorne zum Armaturenbrett führte. Anschließend schloss er den Deckel und schraubte alles ordentlich zu. Dann tauschte er wieder den Aufsatz des Akkuschraubers und befestigte auch den Holzdeckel an seinem Platz. Die ganze Arbeit hatte eine knappe Stunde gedauert.
Die Konferenzteilnehmer besprachen noch einige Einzelheiten der zu ergreifenden Maßnahmen. Allgemein war man zwar besorgt, aber doch ein wenig erleichtert. Schließlich war Deutschland nicht direkt betroffen und konnte sich auf die Unterstützung der skandinavischen Dienststellen konzentrieren. Pro Forma wurde beschlossen, den Bundesgrenzschutz mit Geigerzählern auszustatten. Zur Tarnung sollte behördenintern eine Übung des Innenministeriums durchgeführt werden, bei der schwach radioaktives Material gesucht würde.
Der Mann aus Prag schloss den Kombi ab und prüfte ein letztes Mal die Abschirmung des Fahrzeuges. Es war seine Idee gewesen, einen Kühlaufsatz zu verwenden, so fielen die dicken, jetzt bleigefütterten Wände nicht auf. Natürlich hatten sie Motor und Fahrwerk verstärken und einige weitere Extras einbauen müssen. Er trat aus der Scheune und gab dem Kanadier die Schlüssel für den Kombi. Der Koreaner hatte bereits seine Sachen aus dem Haus geholt und wartete. Gemeinsam mit dem Mann aus Prag fuhr er mit dem Kleinlaster ab. Der Kanadier sicherte die Scheune und ging zurück ins Haus.
Ab jetzt musste er nur noch auf sein Einsatzsignal warten.