„
Ertappt
„Wann, sagst du, bist du heute Nacht nach Hause gekommen? Um halb zwölf? Das kann nicht stimmen. Ich bin um ein Uhr aufgewacht, da warst du noch nicht da. Wo warst du solange? Und gegessen hast du auch nichts, das Püree steht unberührt im Kühlschrank, Wofür mühe ich mich eigentlich ab?“ Marianne ist empört. Nervös trippelt sie im Zimmer auf und ab. Ihr Gesicht ist vor Zorn gerötet, die Augenbrauen hochgezogen, sie scheint tatsächlich wütend zu sein.
Der knallrote Hosenanzug spannt über Brust und Hüften. Hans muss unwillkürlich an eine überreife Tomate denken
„Sag überwachst du mich jetzt plötzlich? Du weißt ich bin Politiker, ich habe eben oft abends längere Termine. Du warst doch immer damit einverstanden“, versucht er sie zu beruhigen
„Trotzdem will ich wissen, wo du gestern warst“, bohrt Marianne weiter.
„Bei einer Sitzung des Kulturausschusses im Stadtsaal! Es ist eben ein bisschen später geworden. Hast du dir Sorgen um mich gemacht?“ Er greift zur Tageszeitung und versucht zu
lesen
„Also doch, du wagst es mir mitten in das Gesicht zu lügen. Du, der große Politiker, der Ehrlichkeit zu seinem Wahlspruch gemacht hat. Der Mann Ihres Vertrauens - steht auf all deinen Wahlplakaten. - Dem kann man nicht trauen würde besser passen. Ehrlichkeit und deine persönliche Ehrlichkeit, wo ist die geblieben? Die Sitzung des Kulturausschusses wurde kurzfristig abgesagt. Der Anruf kam gestern nachmittags. Ich konnte dich nirgends mehr erreichen, um es dir zu sagen. Wo warst du?“. Ihre Stimme beginnt zu beben.
„Nein Marianne, nicht in diesem Ton.
Auf dieses Niveau begebe ich mich nicht herab. Ich habe gestern einen anstrengenden Tag gehabt. Nachmittags war ich noch kurz angeln. Später, wenn du dich wieder beruhigt hast, können wir darüber sprechen. Denk an deine Schilddrüsenunterfunktion.“ Scheinbar gelangweilt blättert er weiter in seiner Zeitung, doch seine Finger beginnen zu zittern. Die Buchstaben verschwimmen vor seinen Augen. Beunruhigende Gedanken streifen durch seinen Kopf. Dieses plötzlich aufgetretene Misstrauen, diese gehäuften Eifersuchtsszenen der letzten Wochen, ihre meist überflüssigen Telefonanrufe tagsüber sie wird doch
nicht von seiner Beziehung zu Claudia erfahren haben? Claudia, der einzige Lichtblick in diesen stressigen Tagen, die Königin seines Universums, einfach eine hingebungsvolle Frau Sie waren doch immer so vorsichtig. Das hätte ihm gerade noch gefehlt, jetzt mitten im Wahlkampf. Einen Skandal kann er sich jetzt wirklich nicht leisten. Er, der Spitzenkandidat, der mit Bildern von Frau und Kindern die Familienpolitik in den Vordergrund stellt, nichts als ein kleinkarierter Ehebrecher.
„Gut, wenn du es mir nicht sagen willst, werde ich es dir sagen, denn deine Erklärungen waren schon immer
etwas rudimentär“, brüllt Marianne jetzt hysterisch. „Du warst mit einem blonden, langbeinigen Flittchen im Schmetterlingszimmer, einem Doppelzimmer, im Hotel „Schwarzer Adler“ in der Landeshauptstadt.“
Hans erschrickt. „Eine impertinente Lüge. Wie kommst du zu solchen Behauptungen? Wer erzählt so etwas? Den werde ich klagen!“ Seine Stimme klingt eisig. Die Situation ist wirklich gefährlicher, als er dachte.
„Du wirst niemanden klagen. Du betrügst mich schamlos. Ich habe Beweise in der Hand. Du kennst meine Schulkollegin Karin. Ihre Tochter Jasmin
besucht eine Hotelfachschule und absolviert derzeit ihr Praktikum im „Schwarzen Adler“. Sie hat euch gestern am Zimmer Sekt serviert“, presst Marianne jetzt unter Tränen hervor.
„Ach, die glorreiche Karin und ihr kluges Töchterlein. Diese freche Göre, was bildet die sich eigentlich ein?“, verliert Hans kurz seine Beherrschung, hat sich aber sofort wieder unter Kontrolle.
„Schatz, lass dir doch erklären: Claudia, so heißt die Dame, hat meinen gesamten Wahlkampf mit ihrer Arbeit als freie Journalistin unterstützt. Sie konnte die politische Entwicklung meiner Partei
schon lange antizipieren. Ohne ihre Mithilfe wäre ich kaum so populär geworden. Gestern wollten wir in ruhiger Atmosphäre die letzten Einzelheiten besprechen, davon darf natürlich der politische Gegner nichts erfahren. Was wäre da wohl besser geeignet, als ein Hotelzimmer? Du weißt doch, wie sehr ich dich liebe. Ich würde dich nie betrügen, nur wollte ich dich mit meiner politischen Arbeit nie belasten. Ich weiß doch: Für Politik interessierst du dich nicht besonders. Das Haus, der Garten, die Kinder, das ist deine Welt.“
Er steht auf und will sie in den Arm
nehmen, doch sein Tischtennisarmbeginnt plötzlich höllisch zu schmerzen.
Marianne stößt ihn weg und verlässt weinend das Zimmer. Sie war doch immer eine zarte Mimose gewesen und jetzt dieser plötzliche Wutausbruch. Er ist etwas verunsichert und kann sich diese Verwandlung nicht erklären.
Angst steigt in ihm hoch. Im Geist sieht er schon die Schlagzeilen der lokalen Tagespresse vor sich: - Spitzenkandidat Hans S. zieht aus persönlichen Gründen kurz vor der Wahl seine Kandidatur zurück - ist der Saubermann gar nicht so sauber - führt
Spitzenkandidat Hans S. ein Doppelleben?
Wie sollte er seinen Parteifreunden sein Verhalten erklären? Wie würde die Partei so etwas verkraften?
Vielleicht ließe sich die Sache auch mit Geld bereinigen? Diamanten haben Frauen ja schon immer besser überzeugen können als Worte.
Instinktiv fühlt er jetzt, diese Geschichte kann ihn noch teuer zu stehen kommen, so oder so.