Kapitel 18 EriK
Sieben der kaiserlichen Soldaten hielten sich eher im Hintergrund. Offenbar waren sie nicht mehr wie ein einfacher Trupp, den man ausschickte um Nachrichten zu überbringen oder Steuern einzutreiben. Leif hatte jedoch das ungute Gefühl, das es hier um keines von Beiden ging. Der Achte jedoch hatte sich vor dem einzelnen Mann aufgebaut. Ein kurzer Schulterumhang in roter Farbe, zeichnete ihn als Höherrangigen Gardisten aus. Vielleicht ein einfacher Hauptmann. Schwer bewaffnet waren sie nicht. Der Hauptmann trug nur einen
leichten Rapier, während seine Begleiter zum Teil mit Arkebusen, die anderen mit Schwertern und kleinen Stahlschilden ausgerüstet waren. Ihre Panzer zeigten das vertraute Drachenemblem entweder in Silber oder Weiß.
Den Mann, den sie in einem Halbkreis praktisch umstellt hatten, beeindruckte das jedoch kaum, denn der polterte munter weiter. Leif schätzte, dass er nicht viel älter als Lewyn sein konnte, dem sie vorhin begegnet waren. Möglicherweise war er sogar jünger, aber das schien nach Rubens Behauptung kaum Sinn zu machen.
Eine Mähne aus braunem Haar umgab denn Kopf des Fremden und in seinen
Augen blitzte etwas. Schalk mit einer Spur Wahnsinn… der Moment, in dem der Mann ihm kurz den Kopf zudrehte, um sich dann wieder den Gardisten zuwendete, war einer der wenigen, bei dem es Leif eiskalt den Rücken hinab lief.
Der Fremde trug einen blauen Gehrock, der ihm bis über die Knie fiel und war mit zwei Radschlosspistolen bewaffnet. Die Feuerwaffen hingen in einem offenbar selbstgemachten Halfter an seiner linken Körperseite. Und eine Hand hatte der Mann auf einen der Griffe abgestützt, offenbar durchaus bereit, sie zu benutzen.
„Ein letztes Mal.“, setzte der
Hauptmann an.„Geht zurück nach Norden. Es ist sicher.“
„Sicher ? Seit die Erdwacht gefallen ist, ist gar nichts mehr sicher, egal was Euer aufgeblasener Kaiser sagt.“, erwiderte der in blau gekleidete Fremde.
„Ich fordere Euch auf, diese Leute, sofort, zurück nach Norden zu bringen. Ihr ignoriert einen offiziellen kaiserlichen Beschluss. Niemand verlässt mehr seine Heimat. Wir brauchen alles hier intakt.“
„Ach ? Wenn Euer Kaiser meint, es sei ach so sicher hier, warum kommt er dann nicht selber her und sagt mir das? Soll er erst mal aufhören sich in der fliegenden Stadt zu verstecken.“
„Ihr…“ der Hauptmann griff zum Schwert, während die zweite Hand des anderen Mannes nun ebenfalls zu den Pistolen wanderte.
„Ich.“, knurrte er zurück.
Leif konnte die Spannung in der Luft geradezu schmecken. Er spürte, wie Celani an seinem Arm zog. Das war nicht ihr Kampf. Das war nicht ihr Problem. Sie sollten einfach weitergehen….
Der Schmied zwang sich dazu, ruhig zu bleiben. Die Situation war kurz davor zu eskalieren, und wenn Leifs Gefühl Recht hatte, würde das in einem Massaker an den Flüchtlingen enden.
Er spürte Wut in sich hochkochen.
Nicht noch mehr Tote. Das endete hier.
Der Hauptmann zog das Schwert. Im selben Augenblick war Leif auch schon heran. Der völlig überraschte Soldat kam grade noch dazu, den Kopf in seine Richtung zu drehen, bevor er ihm die Klinge aus der Hand prellte.
Der Fremde mit dem blauen Mantel hatte die Pistolen gezogen, aber Leif packte seine Hände und riss diese damit zu Boden. Zwei Schüsse lösten sich, die harmlos im Erdreich verschwanden.
Einen Herzschlag später nahm der Schmied eine Bewegung hinter sich wahr. Einen Herzschlag zu spät, für den zweiten Kämpfer, der sich grade erst in Bewegung setzte.
Leif war müde. Er war aus der Übung. Er war eigentlich am Ende. Und doch packte ihn ein allzu vertrautes Gefühl, das er hasste und gleichzeitig herbeisehnte. Der einsetzende Adrenalinstoß ließ ihn alles um sich plötzlich viel klares Wahrnehmen. Und schneller wie ein Rekrut in voller Panzerung war er allemal.
Er sprang beiseite und ließ den Angriff ins Leere laufen. Als der vorstürmende Kämpfer auf gleicher Höhe mit ihm war, rammte er ihm den Ellenbogen ins Gesicht. Dem Mann glitt das Schwert aus der Hand und er stolperte zurück, während Leif auf den entwaffneten Hauptmann zutrat.
Er hatte den Gardisten gepackt, bevor dieser reagieren konnte… und wirbelte ihn herum, so dass er mit dem Rücken zu seinen Leuten stand. Das würde diese hoffentlich davon abhalten, weitere Dummheiten zu versuchen. Dann ließ Leif den Hauptmann los.
„Seid Ihr völlig verrückt geworden?“, fragte er den Mann, der ihn nur verdutzt ansah, offenbar überrascht, dass er nicht einfach ein Messer zwischen die Rippen bekam.
Leif stieß den Soldaten zurück, trat aber gleichzeitig sein Schwert außer Reichweite.
„Wer bei allen Göttern seid Ihr?“ Der Anführer der Truppe schien ungehalten,
aber wenigstens war er nicht dumm genug, noch etwas zu versuchen.
„Ich habe zuerst gefragt. Wenn Ihr sie zurück schickt, wie viele werden sterben? Und wenn sie nicht auf Euch hören, wie viele werdet Ihr töten? Soll das Blut all dieser Leute wirklich an Euren Händen kleben?“ Stille senkte sich über die kleine Gruppe, bestehend aus dem Schmied, Celani, dem blaugewandeten Fremden und den acht Soldaten. Leif fürchtete kurz, seine Worte würden keine Wirkung zeigen. Das der Hauptmann wider besseren Wissens auf seinen Befehlen beharren würde. Einen Moment verhärtete sich die Mine seines Gegenübers… dann sah er zu Boden.
„Nein.“ Er drehte den Kopf und bedeutete seinen Leuten die Waffen zu senken. „Aber ich habe meine Befehle.“
Leif flüsterte seine nächsten Worte, so dass sie niemand, außer den beiden, hörte. Und vielleicht Celani, aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen.
„Es geht hier aber nicht um Eure Befehle. Es geht hier um Eure alleinige Entscheidung. Eure Leute werden erzählen, was ihr Ihnen sagt, wenn Ihr euren Posten auch nur halb verdient. Aber wenn Ihr Euch entscheidet, weiter Euren Befehlen zu folgen, dann seid Euch sicher, dass Ihr der erste seid, der heute stirbt. Und wenn Ihr jetzt wegrennt, ebenfalls.“
Der Gardist nickte, eine Spur von Angst in seinem Gesicht. Dann drehte er sich zu seinen Leuten um.
„Wir ziehen ab.“
„Aber…“, setzte der Mann an, dem Leif die Nase gebrochen hatte.
„Ich sagte wir ziehen ab.“, schrie der Gardist den Mann an.
Leif sah ihnen erleichtert nach, als die acht Soldaten endlich gingen. Einer nach den anderen, verschwanden die Gestalten zu ihren Pferden, die sie am Straßenrand angebunden hatten, stiegen auf… und verschwanden in einer Staubfontäne, das Pflaster hinab. Nach Süden.
„Das war… mutig.“, meinte Celani unsicher.
Leif wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Danke. Ehrlich gesagt hatte ich nicht damit gerechnet, dass das funktioniert.“
„Und unglaublich dämlich.“, fügte die Gejarn vorwurfsvoll hinzu.
Leif lachte lauthals. „Ja, das auch.“
Das sich jemand hinter ihm lautstark räusperte, brachte ihm erst wieder zu Bewusstsein, weshalb sie hier waren.
Der Mann, der sich zuvor mit den Gardisten gestritten hatte, stand scheinbar entspannt da, und wartete, bis sich die beiden zu ihm umgedreht hatten.
„Ich schätze, ich bin Euch zu Dank verpflichtet.“, meinte er und streckte
ihnen die Hand hin. „Darf ich erfahren, wem ich danken kann.“
„Das war nichts.“, antwortete Leif. „Und mein Name ist Leif. Das ist Celani.“
Der blaugewandete Fremde nickte nur, als Leif sich vorstellte, aber seine Augen verengten sich einen Moment misstrauisch, als sein Blick bei Celani hängen blieb. Und einen Moment zu lange bei dem Silberband an ihrem Arm verweilte.
„Nicht von hier, oder ?“
„Warum weiß das immer jeder gleich?“
„Es fällt nur jemanden auf, der die Clans in der Gegend kennt. Hier gibt’s
keine Luchse. Der letzte Clan wurde schon vor Jahrzehnten ausgelöscht.“
„Und Ihr seid?“
„Flemming. Erik. Genau wie der leider, oder glücklicherweise, verstorbene Gefährte Simon Belfares. Das kommt darauf an, wen man fragt. Keine Sorge, viel habe ich mit dem nicht zu tun. Wandernder Arzt, Gelehrter der Bibliothek Varas und in der Freizeit Abenteurer. Und seit neuestem: Kriegsflüchtling.“
„Ihr führt diese Leute an?“ , wollte Celani wissen.
„Mehr oder weniger.“, erwiderte Erik und öffnete eine kleine Ledertasche, die er an seinem Gürtel trug. Mit wenigen
Handgriffen hatte er eine Pfeife zu Tage gefördert, gestopft und angezündet.
„Nachdem es so aussah, als würde unser aller, bester Freund aus dem Norden, sich Vara schnappen, habe ich mir meinen Wagen genommen und bin los.“
Er deutete mit der brennenden Pfeife über seine Schulter zur ersten Kutsche in der Schlange.
„Leider hatten die Idee auch andere. Eine ganze Menge anderer, wie Ihr seht. Und eh` ich mich versehe, hab ich `ne ganze Bande verlauster Flüchtlinge am Hals.“ Erik lachte. „Aber was soll man machen? Ich mag Menschen zu sehr, als das ich die alle wegschicken könnte.
Einer muss sich ja um sie kümmern.“
„Zufälligerweise… seid Ihr ein Mensch.“, bemerkte Celani. Leif kamen die Worte des Mannes ebenfalls recht seltsam vor, auch wenn seine Geschichte wohl stimmen dürfte.
„Manche meinen, davon hab ich mich schon lange entfernt. Ich meine, es wäre nicht schlimm, wenn sie Recht haben. Seht Euch den ganzen Irrsinn doch nur einmal an, meine Dame und erklärt mir, ich könnte darauf stolz sein zur selben Art wie diese Idioten zu gehören.“
„Wohin führt Euch Eure Reise?“ , wollte Leif wissen.
„Die ungefähre Richtung ? Das ist ziemlich simpel. Wenn Simon aus dem
Norden vorrückt, gehen wir schön nach Süden.“
„Ihr habt nicht zufällig noch Platz für einen Schmied samt Begleitung, oder?“
Erik lachte erneut.
„Nach dem was Ihr hier eben abgeliefert habt, wäre ich dumm, Euch nicht einzuladen. Ich habe noch nicht gesehen, dass jemand die kaiserliche Garde mit Worten zum Rückzug zwingt.“Er sah wieder zu Celani . „Die hat aber keine Flöhe?“
„Was ?“ Die Gejarn schien beinahe einen Satz in die Luft zu machen.
Der junge Arzt lachte erneut.
„Verzeiht.“ Er wurde wieder ernst.
„Hört zu, die Gejarn, die bei mir aufgelaufen sind, sind alle ziemlich ramponiert. Verständlich, sie können nur zu ihren Clans, nicht wie wir. Wir kommen überall irgendwo unter. Der Punkt ist, auch die Menschen hier sind nicht grade alle bei bester Gesundheit, aber denen kann ich wenigstens helfen. Versteht Ihr mein Dilemma? Bei den Gejarn sind mir die Hände gebunden. Die meisten lassen mich nicht mal in ihre Nähe.“
„Ich kann sie mir mal ansehen.“, antwortete Celani. „Allerdings, bin ich alles andere, als eine Heilerin.“
„Ich wäre Euch auf jeden Fall sehr verbunden, meine Liebe.“ Der Arzt fügte
noch etwas in einer Sprache , die Leif nicht verstand hinzu , Celani aber offensichtlich. Sie zögerte kurz, nickte dann aber.
Leif sah nur verwirrt hin und her. Er sollte sich wirklich zumindest die Grundlagen der Clansprache beibringen lassen, entschied er. Er würde Celani später fragen.
„Was hat er gesagt?“
„Er hat sich bedankt.“, erwiderte die Gejarn etwas zu hastig. Sicher… bedankt. Er war sich ziemlich sicher Ale'nyo herausgehört zu haben. Lichtbringer. Leif beschloss, die Sache erst mal auf sich beruhen zu lassen.
Erik wandte sich derweil wieder dem
Schmied zu. „Und Eure Hand, Herr Leif ? Was habt Ihr damit gemacht, auf ein Stachelschwein eingeschlagen?“
„Nein auf ein Holz… was ist ein Stachelschwein?“
„Ein Stachelschwein ist…. Ach ist auch egal. Also, Ihr seid mir willkommen. Wenn Eure Freundin da mit den Gejarn hilft und ihr den Hammer da nicht nur als schmückendes Beiwerk tragt, kommen wir ins Geschäft.“
Damit war es beschlossen und der Zug aus Flüchtlingen konnte, nun mit Celani und Leif unter ihnen, seinen Weg fortsetzen. Auf den gepflasterten Händlerstraßen kamen die Wagen überraschend gut voran. Leif stellte
erleichtert fest, dass sie, Dank der Karawane, nicht einmal viel Zeit verlieren würde. Offenbar hatte Erik, mit Ruben und einer Handvoll anderer Flüchtlinge, die für die übrigen Sprachen, ein recht ausgeklügeltes System entworfen. Wer nicht mehr laufen konnte, kam solange auf die Karren. Nachts wechselten sich die Leute in Schichten ab. Manche liefen weiter und hielten dabei gleichzeitig Wache, während andere die Gelegenheit nutzen um auf den Karren zu schlafen. So kam der Zug nie ins Stocken. Und offenbar hatte der junge Arzt, sogar ein paar Karren abgestellt, die das wenige was die Leute hergeben konnten, zu den
näheren Städten brachten und in Münze umsetzten. Geld, dass sie dringend brauchte um Vorräte zu bekommen.
Der Tag neigte sich bereits dem Ende zu, als Leif und Celani sich auf einen der Zugwagen niederließen. Der Schmied sah über das graue Band der Straße hinweg, in die Ferne. Die Händlerpfade verliefen. wo es ging. nicht durch die dichten Wälder, sondern durch offenes, flaches Gelände. Leif war es, als könnte er unendlich weit sehen. Und doch wusste er, das alles was vor ihm lag nur etwa ein Tagesmarsch war.
„Vor uns liegt noch ein langer Weg.“
„Sicher.“ Die Gejarn lehnte Kopf leicht an seine Schulter.
„Aber ich glaube, das Schlimmste haben wir hinter uns.“
„Meinst du?“ Der Schmied lächelte. „Nenn mich einen Pessimisten, aber ich habe das Gefühl, das Schlimmste kommt erst noch.“