Einblicke
"30 Tage - 30 Briefe"
Ist ein Projekt bei myStorys
ins Leben gerufen von Fia_Sophia.
Vielen Dank für die Anregung !
Liebe Leser,
ein Wort vorweg sei mir erlaubt.
Nicht alles, was geschrieben steht, entspringt meiner Wirklichkeit.
Ein jeder Brief ist gewürzt mit einer Prise Humor, Fantasie und "dichterischer" Freiheit.
... und der Empfänger ... ?
Mit etwas Glück bleiben diese Briefe unter uns ;-)
Liebe Grüße von A.B.
Brief an meinen Sohn
Die allerbesten Glückwünsche zum Geburtstag.
Sechsundzwanzig.
Nun gehst du aber wirklich straff auf die dreißig zu.
Man sieht es dir aber auch an. Geheimratsecken, Sorgenfalten und sehe ich da einen Ansatz von Bauch?
Natürlich nicht.
Okay, die Haare werden weniger, aber das liegt bei uns in der Familie, mütter – mütterlicherseits. Schau dir deinen Onkel an oder meinen Onkel. Die haben auch alle frühzeitig Haare gelassen.
Aber nur die Geheimratsecken. Zeugt von Intelligenz. Also Nase hoch und bilde dir was drauf ein.
Sorgenfalten sind natürlich nicht.
Wovon auch?
Dein Motto: „Kommste heute nicht, kommste morgen“ kann gar keine Sorgen verursachen. Hauptsache, du kommst damit durch's Leben.
Bauch? Auf keinen Fall hast du einen Bauch. Bauch schon, doch der sieht fantastisch aus.
Sixpack. Dein Sport und dein Job zahlen sich halt aus. Ich kann dir jedoch sagen, pass auf. Jenseits der Dreißig sind auch die Schlanken in unserer Sippe fett geworden.
Im Großen und Ganzen, mein Sohn, siehst du natürlich toll aus und das weißt du auch. Klar die Mädchen auch. Kommste nach deinem Großvater.
Sechsundzwanzig.
Boah wie die Zeit vergeht.
He, was war ich stolz auf meinen dicken Bauch. Beinahe hätte es dich nicht gegeben. Laut Planung bist du ein halbes Jahr zu spät und länger hätte ich es nicht versucht. Das musst du gespürt haben. Husch husch, auf den letzten Drücker. Wie schon gesagt: „Kommste heute nicht, kommste morgen“.
Oh ja. Ich bin wahrscheinlich eine von
den wenigen, die sehr gern schwanger waren. Wenn's auch nicht leicht war. Schwangerschaftszucker, Wasser in den Beinen und ständig der Appetit nach Windbeuteln. So was von untypisch. Ha und die Klamotten, die man damals als Schwangere an hatte. Sah aus wie 'ne Kittelschürze. Vorn zum Knöpfen und große Taschen, wofür auch immer.
Dich hat das nicht gestört. Du warst absolut zufrieden in mir. Das hast du mich auch oft spüren lassen.
Und wie das so ist, auch du musstest schließlich nach 40 Wochen des Nichtstuns, wachsen und Mama ärgern zählen nicht, raus in die Welt. Sommer, Hitze, Wärmegewitter.
Du hast es gut abgepasst.
Schon gut, du wolltest nicht, konntest dich nicht für eine Position entscheiden, Hintern oder Kopf.
„Lass mal die anderen machen, nur nicht anstrengen. Ach und was die große Schwester kann, kann ich auch.“
So hast du dich durchgesetzt und ich musste wieder einmal einen Kaiserschnitt über mich ergehen lassen.
Dann warst du da, zweiundfünfzig Zentimeter und sage und schreibe viertausendzweihundertvierzig Gramm. Damit hätte ich mich auch nicht durch den engen Geburtskanal abmühen wollen. Mein kleiner Fettsack mit den rotblonden Haaren. Oh nein rotblond.
Hoffentlich gehen die noch aus. Ist geschehen.
Gott sei dank.
Sechsundzwanzig.
Viele Jahre der Arbeit, der Sorgen, der Angst ….aber vor allem der Liebe.
Da war mein kleines Faultier, mein kleiner Lustmolch, mein … es passen noch so viele Namen aus der Tierwelt auf dich, mein „Schnuckelchen“ hi hi hi
Was? Bei den tierischen Kosenamen schüttelst du den Kopf?
Faultier, das trifft sogar noch heute zu. Damals: Nur nicht zu viel bewegen, ich komme schon ans Ziel, irgendwie.
Heute: Nur keine Hetzerei. Wird schon werden, irgendwie.
Da ist es wieder: „Kommste heute nicht, kommste morgen“.
Lustmolch, du hast schon als Zweijähriger den Frauen in die Blusen und Shirts geschaut, nur um zu erkunden, was das für runde Dinger sind, die sie da versteckten. Ein Blick unter die Röcke konnte auch nicht schaden. Da muss was Anderes sein, sonst hätten sie Hosen an. Was für eine Logik. Heute musst du auch jedem Rock hinterher schauen. Ts, ts, ts!
Ja und stur wie ein Esel. Was du nicht willst, das willst du eben nicht.
Chemie ist Scheiße, also ist die
Chemielehrerin eine dumme Kuh. Ich hätte dich damals ….
Wie oft wurde ich deinetwegen in die Schule zitiert? Ich hab's nicht gezählt. Sturer Bock, eben. Schreiben, Lesen, Englisch … nur wenn's genehm war. Diskussionsrunden, Kommunikation... auf gar keinen Fall. Wenn's was zu sagen gab, okay. Aber doch nicht auf Kommando.
Sechsundzwanzig.
Ein Leben voller Entscheidungen.
Du konntest dich für keinen Beruf so richtig erwärmen. Koch, Profi-Volleyballer, Physiotherapeut.
Letztendlich ist es ja dann der med. Bademeister/Masseur geworden. Teure Ausbildung. Was haben wir das Geld zusammengekratzt. Für dich bedeutete das, die Ausbildung wird durchgezogen, auch wenn deine Luftschlösser nach und nach zerplatzten. Du hattest damals schon viel zu viel Rosinen im Kopf.
Ich glaube, das ändert sich auch nicht mehr. Immer so ein bisschen Größenwahnsinn. Muss auch genetisch bedingt sein. Fragt sich nur...
Bundeswehr, arbeitslos und Minijob und doch wieder Bundeswehr.
Immer nach deinem Motto:“ Kommste heute nicht, kommste morgen“.
So mein Schätzchen.
Heute bist du sechsundzwanzig Jahre alt.
Wann ziehst du aus?
Okay, ich weiß: „Kommste.....
Hm ..., ach übrigens, nochmals:
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.
Geschenke?
„KOMMSTE HEUTE NICHT, KOMMSTE MORGEN!“
deine dich liebende Mama
Brief an meine Jüngste
Hallo meine Süße,
ich hab' schon gehört, dass Bastian von seinem Geburtstagsbrief erzählt und damit wie 'ne Lore Affen angegeben hat.
Nun bist du traurig, weil ich dir schon seit deinem Auszug von zu Hause vor langer langer Zeit einen Brief schreiben wollte. Aber irgendwie habe ich das nie auf die Reihe bekommen.
Obwohl wir uns fast jeden Tag sehen oder doch zu mindestens miteinander chaten, telefonieren oder im Netz spielen, sollst du heute die so lang ersehnten Zeilen bekommen.
Süße, ich bin so stolz auf dich.
Ich bin stolz darauf, wie du dich trotz anfänglichem Widerstand in deiner Wohnung eingelebt hast. Du hast sie nach deinen Wünschen eingerichtet und dekoriert. Ich muss sagen, ich hätte es nicht besser gekonnt. Alles passt wunderbar zusammen. Und dein Balkon, den du mit viel Liebe pflegst ist eine Augenweite. Da könnte ich den ganzen Tag in der Sonne sitzen.
Ich bin so stolz darauf, wie du die alltäglichen „Kleinigkeiten“ meisterst, Waschen, Bügeln, Einkaufen, Ordnung halten. Ich dachte immer, das schafft sie
nie. Hast du doch bei mir zu Hause keinen Finger gerührt. Wie oft sah dein Zimmer aus, wie bei Hempels unterm Bett? All mein Reden und Drohen fanden keinen fruchtbaren Boden. Du warst eben du und hast gemacht, was du wolltest. Wem dein Zimmer nicht gefiel, der brauchte ja nicht rein zu kommen.
Ich bin so stolz auf dich, hast du doch endlich neben Internetspielen, Chaten und Lesen noch andere Hobbys entdeckt. Ich kann noch gar nicht fassen, dass du unter die Bäcker gegangen bist. Die Kuchen, mit denen du uns zu jedweder Gelegenheit eindeckst, schmecken prima. Auch wenn ihr Aussehen nicht
immer dem der Beschreibung entspricht. Wie sagst du immer so schön: „Ich essen nicht so gern Kuchen, aber ihn backen, das macht Spaß. Und ihr seid meine Versuchskaninchen.“ Wie du siehst, so schlecht können sie nicht sein, denn wir leben noch. :))
Ich bin so stolz auf dich, denn du nabelst dich auch in Sachen Kochen langsam von uns ab. Zu Anfang musste ich noch immer für dich mitkochen und einfrosten, damit du es nur in der Mikrowelle warm machen brauchtest. Heute schaffst du kleine Gerichte schon alleine. Obwohl du mir regelmäßig die Ohren voll jammerst, dass dies und jenes
wieder nichts geworden ist, bleibst du am Ball und verlierst nie die Lust.
Schätzchen, es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Was glaubst du, wie es mir ergangen ist, als ich meinen ersten eigenen Haushalt hatte?
Papa musste so oft rosa oder hellblaue Unterhemden tragen, weil mal wieder irgend etwas Buntes in die Kochwäsche geraten ist, Wollpullover sind mir regelmäßig eingelaufen und beim Kochen erst. Ich kann dir da Geschichten erzählen. Ich hatte nicht so viele Sachen auf dem Speiseplan, die dein Papa gern gegessen hätte. Also musste ich es lernen. Ich erinnere mich
noch an meine „fliegenden Eisbeine“. Fliegende Eisbeine? Ich sehe dich jetzt schon lachen.
Ich habe also das erste Mal in meinem Leben Eisbeine gekocht. Wasser, Gewürze, Eisbeine ab in den Topf und auf den Herd. Küchentüre zu, soll ja nicht die ganze Wohnung nach Essen riechen und dann im Wohnzimmer vorm Fernseher gemütlich gemacht. Die Dinger sollten ja ein zwei Stunden kochen.
Später, sehr viel später fielen mir die Beine wieder ein. Ich bin in die Küche, das heißt ich wollte in die Küche. Mache die Tür auf und gleich wieder zu.
Feuer. Qualm. Keine Ahnung.
Ich konnte die Hand nicht vor Augen sehen. Das war eine Sache für Papa. Der untersucht das schon.
Papa rein in die Küche und alle Fenster aufgerissen.
Kein Feuer. Nur Qualm.
Alle Türen auf, alle Fenster auf. Hoffentlich holt keiner die Feuerwehr. Zum Glück hatte nicht jeder ein Telefon.
Hm. Qualm überall in der ganzen Wohnung. Und dann die Ursache.
Die Eisbeine waren weg. Der Topf kohlrabenschwarz, aber keine Eisbeine. Als dann endlich wieder klare Sicht herrschte, haben wir sie gefunden.
Sie hatte sich in der ganzen Küche, auf
Tisch, Stühlen, Schränken, Herd, Kühlschrank, ja sogar an den Wänden in Form eines ca. fünf Millimeter dicken Fettfilm verteilt. Der Rest war mit dem eben entwichenen Rauch aus der Wohnung verschwunden.
Seitdem hab ich nie wieder versucht, Eisbein zu kochen.
Einfach vom Speiseplan gestrichen und durch Grillhaxe ersetzt.
So mein Schneckchen, du siehst, auch bei deiner Mama ist nicht alles glatt gegangen. Man muss sich letztlich nur zu helfen wissen. Außerdem weißt du ja, wo ich zu finden bin.
Bleib so wie du bist und glaube an dich. Immer Kopf hoch!
Küsschen deine Mama :-*
Brief an meine Große
Hallo Mausi,
sicherlich wunderst du dich, einen Brief von mir zu bekommen. Von mir, die eh nie etwas zu erzählen hat, die dir am Telefon, nur zu hört und die, die selbst selten zum Hörer greift. Auch mit dem Chaten und Appsworten haben wir es nicht so.
Ich für meinen Teil habe immer das Gefühl, je weiter man von einander räumlich getrennt lebt, um so weiter entfernt man sich auch in der Beziehung zueinander. Jeder führt sein Leben und ist derartig in den Alltag eingebunden, dass man gar nicht mehr bemerkt, den
Anderen am Leben nicht teilhaben zu lassen.
Du hast dir anfangs sichtlich Mühe gegeben und ich gebe zu, es lag an mir, dass unsere Mutter-Tochter- Beziehung einen Riss bekam. Ich kann dir nicht einmal sagen, woran es gelegen hat.
Sei es nun, dass in meinem Leben in der Tat nichts aufregendes geschieht oder dass ich zum Teil mit der Art und Weise,wie du heute, als erwachsene Frau, manche Dinge betrachtest und in Angriff nimmst, nicht konform gehen kann.
Daraus kann ich dir natürlich keinen Vorwurf machen.
Du hast jetzt deine Beziehung, deinen Job, deine Freunde, ... dein Leben.
Das ist auch alles in Ordnung so.
Ich habe es auch nicht anders gemacht und Millionen andere Frauen vor uns. Das ist der Lauf der Zeit.
Sicher, manchmal möchte ich die Zeit einfach zudrehen und dir all die Worte sagen, die ich nie gesagt habe. So nutze ich nun heute die Gelegenheit, dir dies alles in diesem Brief zu sagen.
Du weißt, wir hatten immer eine ganz dolle Beziehung zu einander. Ich war immer für dich da und du konntest mir alles anvertrauen. Was du, so hoffe ich, doch auch getan hast?
Zu mindestens hatte ich immer das Gefühl, dass es so sei. Ich war immer stolz auf unser Mutter - Tochter - Verhältnis.
So hatte ich es mir immer vorgestellt. Zwischen mir und deiner Oma gab es nie so eine herzliche Verbindung.
Also muss ich doch in all den Jahren deiner Erziehung etwas richtig gemacht haben.
Du warst mein kleiner blondlockiger Sonnenschein, immer lustig, aufgeschlossen, meist „gehorsam“ und schon immer ein wenig zu selbstbewusst für dein Alter. Von wem du das nur hattest?
Wahrscheinlich ein Generationssprung. Streitigkeiten mit deinen Geschwistern hast du des lieben Friedens Willen freiwillig beigelegt. Du warst immer so „vernünftig“.
Für Eltern mag das wohl anstrebenswert und angenehm sein, aber so im Nachhinein völlig untypisch für ein Kind.
Tja mein Mäuschen, bis auf einige kleine Machtkämpfe, wie sie wohl alle Kinder dann und wann austragen, warst du ein total „pflegeleichtes“ Kind. Keine Probleme und ein kleiner Streber in der Schule, wenn wir von Geometrie mal absehen, wo du dich permanent geweigert hast, Geodreieck und Lineal zu
benutzen. Okay, du bist auch so durchs Abi gekommen.
Aber trotzdem. Als Mutter muss ich auf meinem Recht bestehen. :-)
Auch später hast du alles mit Bravour gemeistert. Hast dich allein um dein Studienplatz gekümmert, hast dich, als es in Greifswald nicht geklappt hatte, kurzfristig in Jena eingeschrieben, hast dir dort sofort eine Wohnung gesucht, weil im Wohnheim kein Platz mehr war. Du hast die Fahrerlaubnis gemacht und dir auf Pump ein Auto gekauft und während des Studiums nebenbei geackert,damit du deine Schulden zurückzahlen konntest.
„Denn keine Schulden, sind die besten Schulden!“ hast du immer gesagt.
Du hast dir einen neuen Freundeskreis aufgebaut, mit dem du heute noch intensiven Kontakt pflegst.
Du warst in Sportgemeinschaften aktiv, hast die Tanzschule besucht und sogar den Kurs für Fortgeschrittene absolviert.
Nach den Studium bist du nach Niedersachsen gezogen, hast dein Referendariat in voller Erfolg durchgezogen und ich … ich war super stolz auf mein Mädchen.
Du hast all das verkörpert, was ich gern gewesen wäre. Du hast all meine Träume,
die ich nur geträumt hatte, zu deinem Leben gemacht. Irgendwo in meinem Inneren habe ich dich immer ein bisschen beneidet. Aber weißt du was?
Ich bin so stolz auf dich.
Dann hast du deinen Freund kennengelernt und warst nicht mehr mein „kleines“ Mädchen.
Du hast deine Entscheidungen jetzt mit ihm abgesprochen, hast dir mit ihm ein neues zu Hause geschaffen, in dem deine Mama eigentlich keinen Platz mehr hat. Auch wenn du das anders sehen möchtest.
Du gehst jetzt in deinem neuen Job und
deiner „Mini-Familie“ auf, steckst deine ganze Liebe und Energie hinein, dass für deine Mama eigentlich nichts mehr übrig bleibt.
Auch wenn du das anders sehen möchtest.
Du bist in all dem Stress sehr dünnhäutig geworden, kannst unsere gut gemeinten Ratschläge nicht annehmen, findest konstruktive Kritik fehl am Platz, hast nahe am Wasser gebaut und verstehst unsere Scherze nicht mehr, die dir früher immer so willkommen waren. Auch wenn du das anders sehen möchtest.
Schatzi - Mausi, nicht die Welt um dich
herum hat sich verändert.
Nein, du bist es.
Ich möchte dich gern so wieder haben, wie du einst gewesen bist.
Denn ich liebe dich.
Deine Mama :-))