Romane & Erzählungen
Horizonte... - Geliebtes Bruderherz

Horizonte

Mbagathi, 1.Juli 1918

Geliebtes Bruderherz,

die Sonne ist gerade hinter dem weiten Horizont versunken und nun verliert sich die Hitze des Tages an die Stunden der Nacht. So wie ich mich verliere, immer noch - nach all der Zeit, in der majestätischen Schönheit der Ngong- Berge und dem Zauber dieses Landes. Der Dschungel um mich herum flüstert mir seine geheimnisvollen Geschichten und ich höre die Rufe der Tiere.

Die Elefanten sind unruhig heute Nacht - so unruhig, wie auch mein Herz, das sich in dieser stillen Stunde zu dir nach Dänemark wünscht.

Sind nicht alle vielen geheimen und kostbaren Zustände, die unser tiefstes Innerstes trägt, in seltsamster Weise in unseren Erinnerungen verflochten?

Eine Landschaft, die wechselnden Farben einer Jahreszeit, der warme feuchte Hauch der Luft, nach einem Regenguss? Wie oft denke ich an die schwüle sternlose Sommernacht, in der wir gemeinsam im Garten unserer Kindheit saßen. Meine Sehnsucht kennt den Geruch der feuchten Steine genau

und weiß um das wonnige Gefühl eisigen Wassers, das sich aus dem kleinen Brunnen über meine Hände ergoß. So sind es wohl tausende solcher Wunderdinge, aus dem unser ganzer innerer Besitz besteht, der alle beflügelten Momente, alle Sehnsüchte und Trunkenheiten in sich trägt.

Und irgendwann sind auch die Wurzeln unseres Lebens festgeknüpft daran.

Hach, wie schwer macht es sich doch der Mensch in seinem Wollen.

Warum gleiten wir so herzlich gern in die Vergangenheit zurück, als wollten wir sie immer noch festhalten.

Es mag daran liegen, dass die Zeit zu schnell vorübereilt, was uns törichter Weise dazu verleitet, der Zukunft schon den gedanklichen Augenblick zu entreißen, als käme sie zu langsam.

Ist es nicht unklug, in den Zeiten herum zu wandeln, anstatt zufrieden mit dem Hier und Jetzt anzubandeln? Ja, die Gegenwart tut manchmal weh, lieber Bruder. Nicht, weil mein Herz hier unglücklich ist, sondern weil Du nicht bei mir bist. Und so sehne ich still die Weihnachtszeit herbei und wünschte, der Sommer wäre doch bald vorbei. Du siehst, mein Herz philosophiert nur aus Glück und zartem Schmerz mit Dir.

Lasse mich bitte ausreichend vor der Zeit wissen, wann Du zu reisen gedenkst. Mir ist es ein Bedürfnis, dass alles zu Deiner Zufriedenheit hergerichtet ist und Du Dich bei mir wie zuhause fühlst. Ich werde die Zeit der Vorfreude ausgiebig genießen und der Gedanke an die gemeinsamen Stunden machen mich schon jetzt überglücklich.

Auf ein gesundes Wiedersehen,

mein geliebter Bruder und lasse es Dir bis dahin gut ergehen. K.

©roxanneworks 2014 / 07