Sie lebt - nicht ganz freiwillig - auf der Straße, hat ein immer weiter wachsendes Problem und nur noch ihren Stolz … Doch der wird auf eine harte Probe gestellt, als ihr der große Blonde, der sie nach einem Unfall aus dem Wasser zieht, immer wieder ungefragt seine Hilfe aufdrängt!
Wir betraten das Haus durch die Vordertür und stiegen, zum Glück weitgehend unbemerkt vom Partyvolk, eine Treppe hinauf. Oben erwartete uns Tinkerbell, die mich freundlich begrüßte. „Sie mag dich”, freute sich ihr Herrchen. „Den Lärm unten mag sie allerdings nicht so sonderlich gern”, erklärte er dann. „Ich hoffe, dir macht der Krach heute Abend nichts aus?” Ich schaute von unten zu ihm hoch, da ich gerade den Hund kraulte, und zog sarkastisch die Braue nach oben. Er verdrehte die Augen. „Oh, na klar. Ich vergaß … Da draußen musstest du ja auch mit allem klar kommen. Hier, das ist dein Zimmer, wenn du möchtest.” Rollen stieß eine Tür auf und ließ mich hinein
gehen. Ich fühlte mich auf Anhieb wie zuhause. Aber nicht weil es mich an meine Kindheit erinnerte, sondern weil es auf eine geschickte Art und Weise schlicht aber doch gemütlich und einladend gestaltet war. War der Mann auch noch Innenarchitekt? Das ließ so langsam nur noch einen Schluss zu, so blöd das auch klingt! Mein Gastgeber schien mein Schweigen allerdings anders zu deuten. „Gefällt es dir nicht?” Mit einem Plumps ließ ich mein Bündel auf den Boden fallen. „Machst du Witze? Im Waldorf-Astoria könnte man sich nicht wohler fühlen!” Er verzog das Gesicht. „Da war ich schon, glaub mir, so toll ist es da nicht.” „Na um so besser!”, jubelte ich und drehte mich spontan im Kreis. Fast wäre ich ihm noch um den Hals gefallen, stoppte aber im letzten Moment. „Ähm, das ist wirklich toll hier, vielen
Dank! Jetzt solltest du dich aber wieder um deine Gäste kümmern, ja? Ich komm schon klar.” „Okay. Äh, stört's dich, wenn der Hund hier bleibt?” Rollen deutete auf Tinkerbell, die bereits auf meinem Bett thronte. „Nein, natürlich nicht. Sie kann bleiben, solange sie will.” „Danke. Bitte komm aber nachher noch runter, damit du was zu essen bekommst, ja? Bis später.” „Bis später.” Die Tür schloss sich hinter ihm und ich drehte mich noch einmal ungläubig um. Konnte das wirklich wahr sein? Ich war für die nächste Zeit in Sicherheit, im Trockenen, Warmen, würde das Kind unter geordneten Umständen zur Welt bringen können … Konnte vielleicht doch noch alles gut werden …? Viel zu verstauen hatte ich ja nicht, aber dafür
inspizierte ich das Zimmer genau. Es standen sogar einige Bücher im Regal, die auf jeden Fall gelesen und damit nicht unantastbar aussahen und ich freute mich, denn zum Lesen war ich auf der Straße selten gekommen. Dann stieß ich eine Tür im hinteren Bereich sachte auf und prompt verschlug es mir schon wieder den Atem. Ein eigenes Badezimmer! Keine Reihendusche, kein unbequemes Waschen auf der Toilette eines Lokals … Was für ein Luxus für mich in meiner jetzigen Situation! Aber bald, bald würde ich in der Lage sein, wieder selber über mein Leben zu bestimmen. Eine Ausbildung vielleicht, eine eigene Wohnung, ein neues Leben in einer anderen Stadt … Warum wurde ich bei dem Gedanken an eine andere Stadt nur plötzlich so
schwermütig? Dann knurrte mein Magen und gleichzeitig kickte plötzlich das Baby, wie um mich daran zu erinnern, dass ich im Moment seine Sklavin war. Da aber unten noch immer deutlicher Partylärm zu hören war, traute ich mich nicht runter, wartete im Zimmer, bis die Geräusche schwächer wurden. Irgendwann wurde es dann ruhig, die Haustür klappte ein letztes Mal und man hatte den Eindruck, dass die Party jetzt vorbei war. Häuser strahlen das einfach manchmal aus. Viel länger hätte ich es auch nicht mehr ausgehalten, im Krankenhaus war ich leider auch an regelmäßiges Essen gewöhnt worden. So schlich ich mich vorsichtig runter und versuchte auszuloten, wo denn wohl die Küche war und wurde dann fündig, hinter einer
lockeren Pendeltür blitzte mir das Weiß einer perfekt eingerichteten Küche entgegen. Ich hatte die Tür erst langsam ein paar Zentimeter aufgedrückt, da schlugen mir laute Stimmen entgegen; upps, war das Fest doch noch nicht vorbei?! Sollte ich mich rein trauen oder noch warten? Dann merkte ich, dass es nur Rollen und seine zwei Bandkollegen waren, die sich allerdings gerade in einer hitzigen Diskussion befanden. „Jens, du hast doch echt einen an der Klatsche, diese wildfremde Frau hier bei dir aufzunehmen!“ „Mickey, das lass mal mein Problem sein!“, antwortete der streng. „Nee, kommt nicht in Frage! Hinterher haut sie mit deinen goldenen Schallplatten ab und wir müssen wieder dein Gejammer ertragen!“
Also, das ging mir dann doch etwas zu weit, ich machte ein paar Schritte in den Raum und versuchte, mit einem Räuspern auf mich aufmerksam zu machen. Doch der Dunkelhaarige redete sich trotzdem weiter in Rage. „Mann, du weißt nichts über sie! Wer weiß denn, woher sie kommt und was sie vorhat? Du kennst ja nicht mal ihren vollständigen Namen! Oder weißt, ob das mit der Schwangerschaft überhaupt stimmt?!“ Empört patschte ich auf meinen Bauch. „Also wirklich, Mr. Knödel, dieser Bauch spricht ja wohl für sich, oder?“ Der Drummer streifte mich nur kurz mit einem Blick und schnaufte verächtlich, statt seiner redete nun Vincente: „Stimmt, um so dick zu sein, ist sie insgesamt zu hübsch. Ist es das, Rollen, bist du in sie verschossen?!“
Nanu? Wussten seine Bandkollegen nicht über ihn Bescheid?! Denn ich war inzwischen felsenfest davon überzeugt, dass Rollen homosexuell veranlagt war. Rollen schüttelte energisch den Kopf, was auch ich erleichtert zur Kenntnis nahm. „Ihr versteht das nicht.“ „Aber was ist es dann? Erklär uns, warum du alle Bedenken über Bord wirfst! Was, wenn sie dich nur ausnutzen will, dich und deine Gutmütigkeit.“ Jetzt schob ich mich endgültig zwischen die Männer, um endlich ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. „Hallohoo! Ich kann euch hören, ist euch das klar?!?“, zischte ich wütend. „DU! Was mischst du dich hier ein, häh?“, kam es ebenso sauer von Pfanni zurück und er machte einen Schritt auf mich zu.
Aber ich hatte genügend Adrenalin im Blut, um nicht zurück zu weichen. „Weil es hier ja schließlich um mich geht, oder? Und um eure Sorge um euren Freund, was ich gut verstehen kann.“ Das sorgte erst mal für genügend Irritation, um ihre Beachtung geschenkt zu bekommen. Trotzdem immer noch sauer verschränkte der Drummer die Arme vor der Brust. „Ach ja?“ „Ja. Und wisst ihr was? Ihr habt ja Recht!!“ Es folgte erst recht ein perplexes Schweigen. Rollen hinter mir holte tief Luft. „Kitty“, begann er und legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich wagte es, sie beruhigend zu berühren. „Rein faktisch IST es doch so: Ich nutze dich aus. Du hast im Grunde nichts mit mir zu tun, schuldest mir nichts und ich nehme
ständig nur von dir, ohne etwas zurück zu geben.“ „Nein!“, protestierte er, aber ich drehte den Kopf kurz zu ihm um. „Doch, ich denke schon.“ Wieder zu seinen Freunden gewandt stellte ich dann die alles entscheidende Frage. „Aber was würdet ihr an meiner Stelle tun? Vielleicht könnt ihr euch mal in meine Lage versetzen: Ich habe hier in der Stadt niemanden, an den ich mich sonst wenden kann. Ich habe weder meinen Ausweis noch mein Geburtsurkunde und kann den Behörden auch nicht komplett trauen, obwohl ich nichts verbrochen habe. In allen Unterkünften kann man nur zwei oder drei Tage am Stück bleiben, okay, ich kam bisher ganz gut klar damit, sonst wo zu schlafen.“ Rollen unterbrach meinen Monolog mit einem heftigen Schnauben. „Ja klar, auf Parkbänken
und unter Brücken, wo dir sonst was hätte passieren können!“, knurrte er und ich fuhr zu ihm herum. °Was könnte mir denn NOCH schlimmeres passieren, als schon geschehen?!°, zuckte mir eine spontane Antwort durch den Kopf, doch ich biss mir rasch auf die Lippen. Dennoch musste der Satz in meinen Augen lesbar gewesen sein, denn sein Blick war plötzlich so voller Schmerz, dass es mich bis ins Innerste traf. „Ich, äh“, stammelte ich und drehte mich wieder zu Pfanni und Vince. „Du wohnst echt auf der Straße?!”, entfuhr es Vince. „Also, ich meine, du bist-” „-obdachlos, eine Pennerin, eine Streunerin, wie immer du es nennen willst, ja. Und na ja, also, wie schon gesagt, normal komme ich klar, aber ich-“ - wie es mich ankotzte, das wieder sagen zu
müssen! -, „ich bin nun mal schwanger und da geht das nicht mehr so locker. Denkt von mir aus von mir, was ihr wollt, aber ich nehme Rollens Angebot nur zu gerne an, weil es mir davor graut, bei Minustemperaturen mit dieser Pocke in irgendeinem Hauseingang zu schlafen ...“ Betretenes Schweigen folgte, bis sich einer der Männer räusperte. „Tja, so gesehen ...” „Ja Mickey, so gesehen bin ich doch nicht so verrückt, was?” Pfanni stöhnte. „Maaaannnn, ich hab das ja alles nicht so recht gewusst. Dass sie anscheinend auf der Straße leben muss.” Er schien immer noch ein Problem zu haben, mich direkt anzusprechen, wie ich innerlich belustigt feststellte. Doch jetzt runzelte er die Stirn und sah mich direkt
an. „Hör mal, 'Kitty', wenn das dein richtiger Name ist, das ist ja alles schön und gut, also, ähm, natürlich eigentlich nicht, aber du begreifst doch, was uns bewegt, oder? Wir waren ja sogar damals dabei und nicht einmal ich glaube, dass du im Wasser warst, um einen von uns kennen zu lernen. Obwohl unsere Fans manchmal sehr verrückte Dinge anstellen, um … Aber egal, in der Folgezeit war Jens hier ganz schön seltsam drauf und das macht uns Sorgen, okay? Er ist schon mal furchtbar auf die Schnauze gefallen-” „Mike, das gehört jetzt nicht hierher, ja? Vielleicht beruhigt es dich ja zu hören, dass Kitty so ziemlich alles getan hat, um mich zu Teufel zu jagen und meine Hilfe gar nicht wollte. Eigentlich ist sie viel zu stolz, um sich helfen zu lassen und sie hasst mich. Sie muss wirklich sehr verzweifelt sein, dass sie jetzt
bleiben will ...” „Also wirklich”, murmelte ich zu dieser Darstellung meines Psychogramms genervt. „Hassen ist wahrscheinlich zuviel gesagt, aber du weißt, dass du eine totale Nervbacke und ein Besserwisser sein kannst, oder?” Als Antwort lachten Vince und Pfanni plötzlich schallend. Pfanni wischte sich eine Lachträne aus den Augen und meinte „Hm, ich sehe, sie hat dich durchschaut, dann besteht wohl keine Gefahr.” Friedfertig streckte er mir die Hand entgegen und ich ergriff sie. „Nichts für ungut, okay? Ich wünsch dir alles Gute!” Dankbar lächelte ich ihn an. „Danke. Und keine Sorge, ich bin schneller wieder weg, als du dich einzählen
kannst.” Auch Vincente schien beruhigt zu sein, in seiner impulsiven Art zog er mich zum Abschied sogar kurz in seine Arme, bevor er mit Pfanni die Küche verließ. Erschrocken starrte Rollen mich an. „Alles in Ordnung?!” „Schon okay. Er hat es ja nett gemeint.” „Dieser Glückskeks”, meinte ich Rollen darauf brummen zu hören und machte „Was?” Er rieb sich über die Wange. „Na, er darf dich ungestraft umarmen und ich weiß ja wirklich nicht mal deinen richtigen Namen ...”, sagte er und es klang tatsächlich etwas frustriert. Ich trat etwas näher und legte ihm von selbst die Hand auf den Arm. „Rollen, dein Kollege hat
vorhin Unrecht gehabt, mit meinem Namen. Kitty ist tatsächlich mein alter Rufname, es kommt von-” „Catherine!”, sagte er da plötzlich und mir klappte die Kinnlade runter. Nicht nur, dass er aus meinem Brief den richtigen Schluss gezogen hatte, er sprach ihn auch noch richtig mit englischer Färbung aus – und in einer Art, die tief in mir etwas zum Klingen brachte. Verdammt, ich wollte doch keine Gefühle für ihn entwickeln! Möglichst nüchtern streckte ich nun die Hand aus und sagte „Catherine Glammer, hallo.” Er ergriff sie und sagte seinerseits „Jens Kosim. Angenehm, Catherine!” Wieder sprach er es so aus, wie der andere Vincent in der Serie „Die Schöne und das Biest”. So voller Gefühl. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und beschloss, zur Normalität zurück zu
kehren. „Ebenfalls. Ich, ähm, ich werd dann mal ins Bett gehen ...” „Moment, ich schätze mal, du hast Hunger, oder?” Scheiße ja, das hatte ich über den Disput mit den Männern fast vergessen, aber jetzt meldete er sich wieder mit aller Macht und ich nickte. „Was ein Glück, dass ich heute hier Party hatte”, brummte der Blonde und schob mich zur Küchentheke, wo jede Menge Essen stand. „Bedien dich! Und wenn du ansonsten in den nächsten Tagen etwas brauchst, zöger nicht, es dir zu nehmen, ja?” Wieder nickte ich ergeben. Rollen war wirklich sehr großzügig. Er brühte sich einen Tee auf und leistete mir bei meiner späten Mahlzeit Gesellschaft. Nun, da
alle Gäste gegangen waren, kam auch Tinkerbell wieder runter und rollte sich zu seinen Füßen zusammen. „Wie machst du das mit ihr?”, fragte ich zwischen zwei Bissen und wies mit dem Kinn auf die kleine Pudeldame. „Ich meine, wenn du länger weg bist und so.” „Dann nimmt sie netterweise meine Schwester Julia. Das ist auch der Grund dafür, dass es bei einem Pudel geblieben ist. Ich meine, ich liebe die Kleine über alles, aber selber hätte ich sie mir nicht zugelegt. Sie ist quasi ein Erbstück aus einer früheren Beziehung. Ich hätte ja was Größeres gewollt, aber im Nachhinein bin ich froh.” „Und dein Partner hat sich nicht nur von dir, sondern auch von dem Hund getrennt?” Rollen zog eine Grimasse. „Passte noch viel weniger in ihr Leben als in
meins.” 'Ihr' Leben? Also doch nicht schwul? Mir lief ein Schauer über den Rücken, den mein Gastgeber allerdings anders interpretierte. „Ist dir kalt?” „Bin wohl eher müde …”, wich ich aus. „Dann geh doch ins Bett.” „Na gut.” Ich war fast zur Tür raus, da fügte er noch an „Und ich würde mich sehr freuen, wenn du morgen noch da wärst!” Mit einer Mischung aus Traurigkeit und Lachen schüttelte ich den Kopf. „Sei dir da mal nicht so sicher. Aber ja, ich denke nicht, dass ich so schnell wieder abhauen werde.” Oben musste ich mich erst noch einmal neu orientieren und trampelte dabei prompt ins falsche Zimmer. Sein Zimmer, vermutete ich
stark, denn es sah zum einen bewohnt aus, zum anderen war es gefüllt mit Büchern, CDs und einem Hundekörbchen und genau so gemütlich eingerichtet wie das Gästezimmer. Das fand ich dann beim nächsten Versuch und sank dankbar in die weiche Bettwäsche.