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„Rion“. Sanft, wie ein lauer Windhauch, strich ihr die engelsgleiche Stimme über die Lippen. Sein Atem schmeckte nach Honig, so süß, so verboten süß. Er strich ihr über das silberne Haar, ließ jede Strähne durch seine langen Finger gleiten. Er lächelte, das Schwarz seiner Augen wurde heller. Für einen winzigen, kostbaren Moment, der ihr Herz vor Sehnsucht verglühen ließ. Er lächelte und die Erde erzitterte unter diesem Anblick. Er lächelte und sie zerschmolz zu einer Masse, so weich wie Marmelade. „Rion“. Wieder sprach er
ihren Namen, ließ sie glücklich lächeln. Ihr Gesicht lag in seinen Händen, sie gehörte ihm, war sein Besitz. Ihre rosigen Lippenverzehrten sich nach seinen, wollten sich mit ihnen verschmelzen und sich ihm hingeben. Ihre Augen, grau und glänzend wie Juwelen, spiegelten sich in seiner Seele und waren so voller Liebe, zersprangen vor Liebe. Zärtlich glitten seine Hände über ihre Brust, über ihren Bauch. Er kratzte an ihrer stählernen Rüstung, genauso silbern wie ihr Haar. Er verging an seiner Lust, verging an dem Wissen, das er das Mädchen niemals ganz besitzen würde. Er konnte sie an sich binden, für die längste Ewigkeit, sie
würde niemals ewig genug sein. Nicht für ihn, nicht für sein Verlangen. Für sein bohrendes, ungestilltes Verlangen nach ihr. Seine Fingernägel bohrten sich in das Schloss, das ihre verheißungsvollste Stelle vor seinen gierigen Händen schützte. Ihr Blick lag lüstern auf ihm, ihr heißer Atem spielte in seinem Haar. Er spürte ihr Herz, das wild in ihrer Brust umher sprang. Sie Beide, sie zerbrachen an der kalten Sehnsucht und dem qualvollen Verlangen zueinander. Sie, so unschuldig und unwissend, so warm und naiv. Und er, der kalte König, der jede Antwort auf ihre ungestellten Fragen kannte. Sie beide, so liebend, wie sie waren. Sie
würden nicht existieren. Nicht länger, nicht zusammen. „Rion…“  Klagender klang seine raue Stimme, verzerrt und röchelnd, einem Abschied gleich. Ihre Mimik war besorgt, sein Blick war trauernd. Seine roten Haare, lang und leuchtend, umspielten seine Wangen, flogen über seine puppenartigen Lippen. Hart und fordernd krallten sich ihre kleinen, zarten Hände in seine Brust und hinderten ihn daran, sich abzuwenden. Sie war so fragend und so schrecklich traurig, wartete auf eine Reaktion seinerseits. Doch er würde sie nicht küssen. Es würde ihm am diesen Abend nicht reichen. Er würde ihre Zärtlichkeit missbrauchen, er würde das schützende
Schloss brechen und sie verletzen, sollte er dies nicht schaffen. Und er könnte es nicht schaffen, niemals. Es würde nie unter seiner Hand zerspringen, nie sein liebendes Herz als den Schlüssel akzeptieren. Das Schloss verhöhnte ihn, es verhöhnte den König. Sie stupste ihn an, ärgerlich. Wollte seine Aufmerksamkeit und ihre Mühen blieben ignoriert. Es versetzte ihr tausend Stiche, einem Messer gleich, das ihr blutendes Herz massakrierte. Doch sie würde geduldig warten, auf einen Kuss und auf eine Antwort, die er ihr schon so lange verschwieg. Die er hinter einer Fassade versteckte, die ihrer dicken Rüstung glich. Niemand würde sie jemals mit
Gewalt zerbrechen können. Und man hatte es versucht. Seine Hände lösten sich von ihr, lösten widerwillige Seufzer aus. Er deutete auf den Sonnenuntergang der, rot und blutig, den Himmel in ein loderndes Feuer stürzte. Geflügelte Wesen, riesig und mit brennenden Flügeln, umkreisten die zarten, weißen Wolken und tauchten sie in ein bedrohliches Licht. „Ich werde mit ihnen fliegen“. Seine Worte, waren sie noch so zart gesprochen, zerstörten die liebliche Atmosphäre mit der gewaltigen Kraft eines Blitzes. Und sein Lächeln war so schön, das die Erde und alle darauf Lebenden erzitterten. Ihre Hände fielen von ihm ab, zogen die angenehme Wärme
aus seinem Körper mit sich in die Leere und hinterließen kalte Abdrücke. Ihre Augen waren verschlossen, sie wollten nicht in sein schönes Gesicht blicken. Und sein Blick folgte den brennenden Wesen, erfüllte ihn mit purer Glückseligkeit. So standen sie da, für lange Zeit, fern von allem Leben und nur sich selbst nahe. Die verschwindende Sonne entzog ihnen das Leuchten ihrer Haare, nahm ihnen das Brennen ihrer Herzen. Er wandte sich zu ihr, dem Mädchen, dass er liebte und strich ihr im selben Atemzug über die Wange, in dem er sein rubinrotes Schwert zum Himmel hob. Das Entsetzen in ihren aufgerissenen Augen brachte in
sekundenschnelle das schmerzhafte Brennen zurück und verkohlte sein Inneres. Sie wich zurück, voller Angst. Zu oft hatte man sie verletzt, als das sie Vertrauen in sein Handeln haben könnte. Doch ihr würde nichts passieren, nicht durch ihn. Er würde sie beschützen, bis die Gezeiten nicht mehr ihres Amtes walten würden. Zumindest wollte er sie beschützen. Doch seine Kraft war auf dieser Erde versiegt, es war von vorneherein ein Ablaufdatum in seinem Dasein inbegriffen. Er war geboren um zu sterben. Doch bevor ihn die schwarze Masse töten würde, bevor sie seinen Verstand ausschalten würde und ihn zum Monster machte, würde er es selbst
erledigen. Er würde dem Fluch zuvorkommen, er musste es beenden, bevor ihr etwas geschah. Er wollte sie beschützen und die zeit war gekommen, um dieses Versprechen einzulösen. Um sie vor sich selber zu schützen. Sie kam näher, hatte erkannt, dass sie vor diesem Schwert keine Furcht erleiden musste. Hatte die Entschlossenheit in seinem Ausdruck erkannt, wusste dass man sie ihm nicht mehr nehmen konnte. Zu gern hätte sie etwas gesagt und ihre Verzweiflung in die Dunkelheit geschrien. Zu gern hätte er ihre Stimme vor seinem Ableben gehört, hätte ihre wütenden Schreie gehört und sie würden wie Musik in seinen Ohren klingen. Doch
genau wie seine Existenz, war ihre Stimme zu schwach um zu ertönen. Kein Flüstern schlich aus ihrer Kehle, kein Schrei würde jemals über ihre Lippen kommen. Es war ihre Schwäche, dass sie nichts erwidern konnte, die er ausnutzte, um sang-und klanglos zu verschwinden. Hätte sie etwas zu ihm gesagt, hätte sie versucht ihn mit Worten auf zuhalten, wären ihm die Tränen gekommen. Und er wollte nicht weinen, niemals. Er wollte keine Schwäche zeigen, nicht vor ihr. Sie sollte ihn als starken Helden in Erinnerung behalten, so wie er sich immer vor ihr gezeigt hatte. Doch sie war stumm, selbst wenn sie versuchen würde zu reden, es würde nicht mehr als
ein Glucksen aus ihrem schönen Mund kommen. Und so konnte er gehen. Konnte sie allein lassen, konnte vor ihren traurigen Blicken fliehen. Es war feige und er zerbrach innerlich daran. Von außen mochte er stark sein und nicht einmal der nahende Tod konnte diese überwältigende Ausstrahlung zerstören. Doch innerlich war er der Schwache unter ihnen, wenn nicht sogar der Schwächste in dieser Welt. Ihre Hände legten sich auf seinen starken Arm. Denselben, den er noch vor wenigen Momenten schützend um sie gelegt hatte. Doch Momente vergingen und nun stand sie da, vor ihm und so schrecklich hilflos. Sie wollte eine Erklärung hören
und er wand sich aus ihren hingebungsvollen Versuchen feige davon. Er hätte ihr es erzählt, doch sie hätte es nicht verstanden. Hätte nicht verstanden, das er sie irgendwann getötet hätte. Und so brauchte er nicht einmal klagende Worte von ihr zu vernehmen. Die Tränen, die sie vergoss, fielen auf die siedende Erde, verbrannten wie ihr Herz. „Weine nicht um mich, versprich es“. Ein Versprechen, das niemals zu halten sein würde. „Liebe jemanden! Jemanden, der dein Lächeln zum Vorschein bringt und der es nie wieder verschwinden lässt“. Ein Befehl, der niemals befolgt werden konnte. Er, der Einzige in diesem Land, der ihren Namen
kannte, er wollte gehen. Der Einzige, der aus ihren Gedanken lesen konnte, der sie nicht verurteilte, dass sie nicht sprach. Er würde verschwinden. Verschwinden, ohne jemals zurückzukehren. „Rion“. Und würde niemals wieder ihren Namen, so süß wie Honig, erklingen lassen. Seine Finger strichen über ihre zitternden Lippen, sein Atem befeuchtete ihre samtige Haut. Und die Schwärze seiner Augen so dunkel, wie nie zuvor. Ein plötzlicher, schmerzlicher Schrei zerfetzte die Stille, zerriss die Dunkelheit und ließ den Himmel erneut in Flammen aufgehen. Das Schwert steckte in seiner Brust, spiegelte sein verzerrtes Gesicht wider, das die
grässlichen Auswirkungen des Schmerzes in sich trug. Sein Blut, das rot aus seiner Brust quoll, zersprang mit der Berührung der warmen Luft in tausend grelle Funken und verbrannte seine Haut. Er sackte zu Boden, färbte die Erde in der Farbe des Blutes. Die Welt, die er so glorreich regierte, verbrannte in dem Feuer seiner Augen.  Ein letztes Mal mit letzter Kraft deutete er auf die riesigen Vögel, die panisch versuchten, zu ihm zu gelangen: „Folge ihnen! Sie…sie zeigen dir den Weg…RION!“  Und sein Schrei versiegte mit seinem Atem, wurde vom Blut verschluckt. Langsam verbrannte er, qualvoll unter den Augen des Mädchens. Ihre stummen Tränen löschten das Feuer,
doch es blieb nur Asche zurück, rot wie Rubine. Sie stieg auf, durch den Wind, flog in einer seltsamen Formation über ihre ausgestreckten Hände, die sich flehend zum Himmel richteten. Als würde sie zögern, um das Mädchen nicht allein zurück zu lassen. Doch der Wind verwehte diese unbarmherzig und sie war unfähig, den König aufzuhalten. Nur ein einziges rotes Staubkorn fand den Weg in ihre Handfläche und mit der Berührung ihrer Haut verwandelte es sich in feine Perlen, die zu einer Kette gefädelt wurden. Und führ einen süßen Moment lang, konnte sie seine schwarzen Augen in den gläsernen Perlen sehen, bevor sie nur ihr eigenes Spiegelbild
darin erkannte. Sie legte die Kette um ihren Hals, strich andächtig darüber, es würde die einzige Erinnerung an ihn sein die spürbar war. Das Echo ihres Namens, das letzte Wort, das er geschrien hatte, lag in der Luft, hallte noch immer in den Bergen, wie eine Botschaft für seine unwissenden Untertanen. Es würde in ihrem Gedächtnis bleiben, für alle Zeiten, so ewig sie auch sein mochten. Die Vögel, groß wie Hochhäuser, stürzten hinab, versengten das goldene Gras mit ihren brennenden Körpern. Sie sammelten sich um seine Blutlache und ihre runden, leeren Augen vergossen Tränen, so riesig und klar wie Bäche. Sie erloschen das Feuer auf ihrem Gefieder,
ließen sie auf einmal schwarz und bedrohlich erscheinen. Sie saßen dort, in den Bergen, in einem Kreis um des Königs Blutes, wie unbewegliche Felsen. Nur ihr gehetztes Atmen deutete auf ein Leben in den riesigen Körpern hin. Ihre langen, scharfen Schnäbel zeigten gen Himmel, der noch immer lichterloh brannte. Und sie stand da, neben den Vögeln und trauerte mit ihnen. Ihr silbernes Haar wehte im Wind, verdeckte immer wieder ihr Gesicht, das voller Kummer war. Sie hatte verloren. Den Kampf gegen den König, der sie am Leben gehalten hatte. Der Kampf, den sie Tag für Tag, jede Stunde und Minute, gekämpft hatten. Es ging um Macht, um
süßliche Küsse, um banale Dinge. Doch sie hatten immer gekämpft. Zusammen. Miteinander. Und nun?  Er war weg und hatte ihr jede Chance auf einen Sieg genommen. Einfach weg, bevor er ihr antworten konnte und bevor sie sich verabschieden konnte. Wollte sich mit schönen Gedanken verabschieden, doch hatte er ihr nicht die Zeit dazu gegeben. Sie hatte verloren und ließ seinen letzten Wunsch unerfüllt, in dem sie weinte und die Schwäche die Oberhand gewinnen ließ. Schwäche, die sie sich vor dem König nie eingestehen wollte. Die sie niemals gezeigt hatte und er doch wusste, dass es sie gab. Die Vögel schrien in die dunklen Täler,
verkündeten in bitterem Gejammer die schreckliche Neuigkeit. Der König war tot und ihm, ein Teil ihrer selbst. Und die Welt drehte sich weiter, unerbittlich und ohne ihr Einverständnis. Die grausamen Götter ließen es regnen, verwandelten den Himmel in eine unendlich schwarze Hölle. Sie war gefangen in der Dunkelheit. In der der Nacht und in der ihres Herzens. Ihre Verzweiflung war beklemmend und sie konnte ihr keinen Ausdruck verleihen, weder in dem sie schrie noch leise flüsterte. Hätte sie es gekonnt, hätte sie nicht gewusst, was zu sagen war. Zu fremd wäre das Gefühl gewesen, eine Stimme zu spüren. Aber es war ihr nur
ein stummes Weinen vergönnt. Es reichte nicht, bei weitem nicht. Ihr Herz zersprang und sie konnte es niemanden mitteilen. Nicht, das sie jemand erhört hätte. Der Regen fiel auf ihre Haut, fühlte sich an wie kalte Hände, die nach ihr griffen, um sie in die Leere der Nacht zu ziehen. Er vermischte sich mit ihren Tränen, mit denen der Vögel und ließ die Bäche zu Meeren der Trauer werden. Meeren, in denen sie liebend gern ertrunken wäre, nur um nicht die salzige Traurigkeit in ihrem Rachen zu verspüren. Um dem König zu folgen und ihn zu suchen, in den Weiten des Himmels. Und ihn zu finden, in seinen weichem Bett in den Wolken und sich
wieder mit ihm zu vereinen, eins zu werden. Doch war es nicht möglich, in die Fluten zu springen und ihrer Freiheit nachzukommen. Wie ein zäher Fluch lag es auf ihr, das sie leben musste. Denn der König war tot und sie hielt es nicht für nötig, noch zu atmen. Sie wollte nicht länger in die ausdruckslosen Augen der Vögel starren, wollte nicht länger in ihren Tränen baden, wenn sie sie nicht in den Tod rissen. Aber war kein Entkommen in Sicht, man würde sie nicht gehen lassen. Sie fiel zu Boden, tat es dem König gleich. Jedoch ohne den süßen Tod vor Augen. Nur um zu schlafen, nur um sich zu verstecken. Und die Vögel lagen neben ihr, bedeckten sie
mit ihren schwarzen Federn. Das Land war in Trauer.
Denn der König war tot.