Einblicke
"30 Tage - 30 Briefe"
Ist ein Projekt bei myStorys
ins Leben gerufen von Fia_Sophia.
Vielen Dank für die Anregung !
Liebe Leser,
ein Wort vorweg sei mir erlaubt.
Nicht alles, was geschrieben steht, entspringt meiner Wirklichkeit.
Ein jeder Brief ist gewürzt mit einer Prise Humor, Fantasie und "dichterischer" Freiheit.
... und der Empfänger ... ?
Mit etwas Glück bleiben diese Briefe unter uns ;-)
Liebe Grüße von A.B.
Brief an meine Männer
Hallo Männer,
wenn ihr diesen Brief lest, sofern ihr ihn lest, denn man kann bei euch nie wissen, wer wann was und überhaupt liest oder nur überfliegt. Na auf jeden Fall, wenn ihr den Brief lest, bin ich schon weg.
Ich habe mir eine Auszeit genommen.
Heute Morgen stand ich so unter Druck, dass ich gar nicht denken konnte. Es war wieder einer dieser Tage, wo alle zur gleichen Zeit aufstehen mussten oder vielleicht auch wollten. Der einzige Wecker, der in dieser Wohnung klingelt, steht auf meinem Nachtschränkchen.
Warum eigentlich? Ich bin nun wahrlich jene, die bis in die Puppen schlafen könnte. Aber nein. Jeder verlässt sich nur auf mich. Nun, da auch Bastian für ein paar Tage, gemessen am Jahr, sind ein Monat ein paar Tage, wieder bei uns wohnt, bin ich doppelt gefragt.
Ihr fragt euch wieso?
Also aufgepasst, auch wenn ihr das nicht so tragisch sehen werdet.
Mein Wecker klingelt, Bastian wecken, Bastian ins Bad, danach ich ins Bad, ich in die Küche, von Bastian nichts zu sehen, Gunther ins Bad, Gunther und Bastian an den Frühstückstisch, den ich mittlerweile gedeckt habe, einschließlich Kaffee gekocht, Toast
bereitet und die Brotbüchsen für die Herren mit Stullen, Sandwichs, was Süßem und Obst, welches in mundgerechte Stücke geschnippelt wurde, gefüllt habe.
Diese Meisterleistung in nur 45 Minuten und eure Aussage dazu?
Immer schön locker bleiben.
Damit ist jetzt Schluss. Wie gesagt, ich habe mir eine Auszeit genommen. Ihr braucht mich nicht zu suchen, das Handy habe ich zu Hause gelassen und auf E-Mails werde ich nicht antworten. Ich bin ja nicht für immer weg und ich habe euch detaillierte Anweisungen hinterlassen.
1. Beiliegender Zettel ist die Gebrauchsanweisung, wie ihr euch euer Frühstück und die Arbeitsbrote bereitet. Am Besten, einer liest vor und der andere arbeitet danach. Ihr könnt diese Rollen ja täglich wechseln.
2. Ich habe alles eingekauft, was ihr für die drei, vier Tage benötigt. Verschiedene Brotsorten sind im Brotfach, welches sich im hohen Schrank befindet. Wurst, Käse, Schmiere findet ihr im Kühlschrank, genau wie Eier, Joghurt und Pudding.
3. Im Gemüse- und Obstfach, zu entdecken im linken Kühlschrank liegen
Gurke, Salatherzen, Tomaten, Aprikosen, Nektarinen, Äpfel, Birnen und Bananen. Ihr könnt euch also jeden Tag eine abwechslungsreiche Obstdose mitnehmen.
4. Für abends findet ihr Kartoffeln, Nudeln und Reis im Schrank. Natürlich könnt ihr auch die Tiefkühltruhe plündern. Pizza, Pommes und Co, sind zur Genüge da.
Soweit zu eurem leiblichen Wohl. Ach ja, Getränke stehen auf dem Balkon.
Dann wären da noch Kleinigkeiten, die ihr zu wenigsten ein Mal in der Zeit meiner Abwesenheit erledigen solltet.
1. Solltet ihr kein sauberes Geschirr mehr im Küchenschrank finden, habt ihr zwei Möglichkeiten. Entweder ihr sammelt alles Geschirr aus den von euch benutzten Zimmern und übergebt es der Geschirrspülmaschine (So etwas besitzen wir und gute Obacht, ihr müsst sie dann natürlich auch an schmeißen. Wie, werdet ihr bestimmt herausfinden. Wenn nicht, die Anleitung liegt im Dokumentenschrank.) oder, im Schrank in Bastian Zimmer steht unser gutes Geschirr. Das dürfte ja dann wohl ausreichend sein.
2. Solltet ihr feststellen, dass die Badtüre nicht mehr aufgeht, geratet nicht
in Panik. Dann ist der Wäschebeutel voll. Das kommt in der Regel nach ca. einer Woche vor und ich sollte bis dahin wieder da sein. Es sei denn, es überkommt euch ein Putzfimmel und ihr sammelt eure dreckigen Plünnen schon mal außer der Zeit zusammen. Für den Fall, dass dies passieren sollte, das Gerät neben dem Waschbeutel nennt sich Waschmaschine. Sortiert dann am besten die dunklen, damit meine ich schwarze, dunkelblaue und dunkelbraune, Klamotten in die Maschine. Damit ihr keinen Unfug mit meinem guten Stück treibt und vielleicht auch der Wäsche Schaden zufügt, entbinde ich euch der Pflicht, diese zu waschen.
3. Ferner wäre es nett, wenn der Staubsauger auch in dieser Woche zu Einsatz käme. Ein einmaliger Kontakt mit der Wohnung ist völlig ausreichend, um nicht im Staub zu versinken.
Mehr fällt mir im Moment nicht ein. Ich denke ihr habt nun erst einmal genug um die Ohren. Lasst euch bitte nicht einfallen, eine Putzfrau zu ordern und täglich auswärts zu speisen.
Das merke ich.
Ihr wisst, ich bin die, die aus der Not heraus die Finanzen verwaltet.
Pech, dass ihr euch diese Fähigkeit nicht angeeignet habt. An dieser Stelle dürft ihr euch ein Grinsen meinerseits
vorstellen.
So meine lieben Männer. Dann gehabt euch mal wohl. Wir sehen uns spätestens in einer Woche wieder.
Also bis dann
A.B.
(Das ist mein Name, für den Fall, dass ihr ihn vergessen und mich nur als Frau und Mutter gesehen habt. )
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Brief an mein Schicksal
Schicksal,
ich weiß, du bist nicht nur für mich da, sondern für alle Menschen.
Ich könnte jetzt sagen, was gehen mich die andern Menschen an. Aber so bin ich eigentlich nicht. Trotzdem hatte ich mir ganz fest vorgenommen, dich zur Verantwortung zu ziehen, dich zur Rede zu stellen, dich anzuklagen.
Du hast zugelassen, dass ich von meinen Eltern ungewollt das Licht der Welt erblicken musste und diese beiden Menschen deshalb heiraten mussten.
Du hast zugelassen, dass ich noch weitere Geschwister bekommen sollte,
auf die ich gezwungen war, aufzupassen. Besonders schlimm war es mit dem Jüngsten, denn das musste ich auch täglich in den Kindergarten bringen und wieder abholen.
Du hast zugelassen, dass ich bereits als 10 Jährige für den Haushalt verantwortlich war, weil meine Eltern in der benachbarten Kreisstadt arbeiteten und damit kaum zu Hause waren. Das bedeutete für mich, neben Schule und meinen Geschwistern, einkaufen und die Wohnung sauber halten.
Du hast zugelassen, dass ich mit 15 aus meinem gewohnten Umfeld herausgerissen wurde. Ich musste mich mit Jugendlichen mehr oder weniger
abgeben, die mich aufgrund meiner Herkunft nicht mochten. Ich durfte nicht zur Tanzstunde, keine Moped- und Motorrad-Fahrschule mitmachen, nicht mit meinen Freundinnen zur Disco. Ich war ja nicht mehr da.
Du hast zugelassen, dass mir Riesentitten gewachsen sind. Entschuldige den Ausdruck, aber ich bin so wütend. Und meine übrigen weiblichen Runden hast du auch sehr üppig ausfallen lassen.
Kein Mensch mag so etwas.
Du hast zugelassen, dass meine Geschwister hochintelligent, ich jedoch nur Mittelmaß gewesen und noch immer bin.
Du hast zugelassen, dass es mir an jeglichem Selbstvertrauen mangelt. Woher sollte es auch kommen, wenn andere prinzipiell besser waren?
Du hast zugelassen, dass ich für das andere Geschlecht nicht liebenswert und attraktiv genug war und bin.
Du hast zugelassen, dass ich das bin, was ich jetzt bin.
Was ich jetzt bin? Eine unzufriedene alte Zicke, gefangen in einem fetten Körper, ungeliebt und ohne jede Perspektive.
Schicksal, du wirst es nicht glauben. Aber während ich mich hier in Rage geschrieben habe und dir all dieses zu
Last legen wollte, ist mir ein Licht aufgegangen.
Die meisten der aufgeführten Punkte liegen gar nicht in deiner Zuständigkeit. Sie sind schlicht und einfach menschliches Versagen, menschliche Fehltritte und menschliches Fehlverhalten. Nicht in jedem Fall meine, weil sie von anderen Menschen verursacht wurden und oftmals konnte ich auch keinen Einfluss nehmen, aber definitiv muss ich einige Anklagepunkte fallen lassen.
Doch das mit den Brüsten bleibt auf jeden Fall.
Da gibt es auch nichts zu diskutieren. Die weiblichen Rundungen, nun
zugegeben, damit kann ich leben.
Was den Rest angeht und die seelischen und psychischen Schäden, die daraus entstanden sind... daran werde ich arbeiten müssen.
Sie sind zu reparieren, nicht so tragisch, nicht so wichtig.
Ich habe gesehen, was wichtig ist. Ich habe gesehen wozu du fähig warst. Schicksal. Von derartig begangener Schuld kann und will ich dich nicht freisprechen. Das können nur die Betroffenen selbst. Nicht ich, denn es geht nicht um mich.
Ich habe sie gesehen. Menschen mit Behinderungen. Menschen im Rollstuhl.
Blinde Menschen. Menschen mit einer geistigen Behinderung. Taub-Stumme Menschen.
Ich habe all diese Menschen gesehen. Ich habe gesehen, wie sie 5 und 10km gelaufen sind, für einen guten Zweck. Sie sind gemeinsam mit Menschen ohne Behinderung dafür gelaufen, dass alle Menschen selbst bestimmend am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, dass sich Menschen mit Behinderung nicht mehr integrieren und an die Umwelt anpassen müssen, sondern diese von vornherein so gestaltet wurde, dass alle Menschen gleichberechtigt darin leben können.
Ich konnte nicht glauben, dass diese Menschen nicht mit dem Schicksal
hadern.
Ich konnte nicht glauben, dass diese Menschen erhobenen Hauptes für sich und andere kämpfen.
Ich konnte nicht glauben, dass auch diese Menschen, stolze Menschen sind.
Ich habe sie gesehen beim
1. Inklusionslauf in Berlin.
Ich schäme mich so.
Ich schäme mich meines Gezeters, meines Verzagens, meiner Mutlosigkeit, meiner inneren Kraftlosigkeit.
Schicksal. Ich wende mich von dir ab und
werde ab sofort mein Leben in meine eigenen Hände nehmen.
Lass mich einfach machen und halte dich raus.
A.B.
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Brief an meinen Psycho-therapeuten
Sehr geehrte Frau Dr. P.,
es fällt mir sehr schwer diesen Brief zu beginnen.
Auch weiß ich nicht so recht, ob ich dies will, was ich will, warum ich es will.
Ist es der richtige Zeitpunkt, sich an einen Therapeuten zu wenden?
Bin ich krank, dass ich einen Therapeuten nötig habe?
Ich habe darauf keine Antworten.
Meine Freundin Charlie ist der Auffassung, einen Therapeuten zu haben, ist in. Ergo hat sie darauf gedrängt, ich müsste mich an Sie wenden. ...und Sie kennen Charlie.
Wenn sich diese Frau etwas in den Kopf gesetzt hat, dann lässt sie auch nicht locker. Sie findet es so cool, bei Ihnen auf der Couch zu liegen und Sie mit ihren Sorgen und Problemen zu bombardieren, dass sie dies für meine „arme Seele“ auch für ratsam hält.
Ehrlich gesagt, ich habe für all meine Sorgen und Probleme einen Sorgenfresser. Sie wissen schon, so ein Stofftier mit einem großen Reißverschlussmaul, in das man seine Sorgen stopfen kann. Hin und wieder mache ich dann Bestandsaufnahme, ordne die Sorgen nach Priorität und Schwere und manchmal wird auch eine als erledigt im Papierkorb abgelegt.
Der Vorteil eines Sorgenfressers, er belästigt mich nicht mit Fragen und Denkanstößen, die einen nur im Kopf wirr machen.
Nun soll diese Selbsthilfe ein Ende haben und ich mich dem wirklichen Leben stellen, so die Ansicht meiner Freundin. Genau aus diesem Grund schreibe ich Ihnen heute.
Im Gegensatz zu Charlie bin ich jedoch keineswegs bereit, nur um mit der Mode zu gehen, meine Zeit und mein Geld für unnütze Sitzungen zu verplempern.
Fangen wir also an. Hm. Was soll ich über mich erzählen, was Sie nicht schon von Charlie erfahren haben.
Ich wurde 1958 als unerwünschtes Kind geboren. Unerwünscht, wenn ich es nicht als Kind schon gespürt hätte, dann doch zum Zeitpunkt der Scheidung meiner Eltern.
Meine Kindheit war so la-la.
Die Liebe meiner Mutter galt meinem Bruder, die meines Vaters meiner Schwester. Davon abgesehen, ich habe mich auch nicht geliebt oder sonst wer. Vielleicht noch meine Oma, aber die ist schon lange tot.
Richtige Freunde hatte ich weder als Kind noch heute. Damals durfte ich vieles, was Kinder und Jugendliche unternehmen, nicht mitmachen.
„Lernen, lernen, studieren, Geld
verdienen“ war der Leitspruch meiner Eltern.
Heute, ich habe gelernt, studiert, Geld verdient, geheiratet, Kinder bekommen.... Prioritäten gesetzt.
Die Scheidung meiner Eltern, ich war gerade 18, stellte mich vor die Entscheidung, entweder Mutter oder Vater und damit den dazugehörigen Verwandten. Ich habe mich für Heimlichkeit und ewiges Lügen und damit einem Schein von Harmonie entschieden.
Guter Rat auch für später, Harmonie.
Im selben Jahr bekam ich meinen ersten Kuss und drei Jahre später hatte ich meinen ersten Sex, der dann auch für die
nächsten Jahre der einzige blieb.
Mit 27 war es an der Zeit, an Kinder zu denken. Damals war dies für eine Frau schon recht spät. Also heiratete ich meinen Mann und ich bekam drei Kinder. Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen.
Heute sind die Kinder flügge und haben das Nest verlassen.
Ich widme mich meinen Hobbys.
Mein Mann macht Seins.
Ich habe keine Sorgen und Probleme mehr.
Das war und ist mein Leben. Ich hoffe, Frau Dr. P., Sie können sich nun ein Bild von mir machen.
Als Resümee kann ich abschließend
sagen, die wenigen Jahre, in denen ich richtig glücklich war, waren die drei Jahre meines Studiums. Aber die Zeit war zu kurz, um ewig davon zehren zu können.
Sicher gab es auch zwischendurch glückliche Momente. Es war nicht alles schlecht. Nun, gut vielleicht auch nicht, aber zweckmäßig. Ich war größtenteils zufrieden und kann sich ein Mensch mehr wünschen, als Harmonie und Zufriedenheit?
Sie mögen jetzt fragen, was ist mit Selbstverwirklichung, mit Glück, mit Liebe, mit körperlicher und geistiger Befriedigung? Welche Rolle spielten
diese Dinge in meinem Leben?
Ich weiß es nicht.
Gibt es so etwas? Oder sind dies nur Phrasen, die andere so gern benutzen, um zu zeigen, wie toll sie alle Probleme meistern und welches Leben sie anstreben?
Ich habe immer für meine Familie gelebt und das gern. Bisher.
Wenn Sie nach meinen Ausführungen die Meinung vertreten, ich benötigte dringend eine Therapie, dann melden Sie sich bitte bei mir.
Damit verbleibe ich
als Charlies Freundin A.B.