Als Heiko starb
Als Heiko starb war er 38.
Als Heiko starb, schien die Sonne. Sie schien nicht, als er beerdigt wurde, nein, denn es war kein guter Tag. Ich konnte nicht weinen, also heulte der Himmel für mich.
Als Heiko starb war er nicht alleine, so erzählte man mir. Seine Mama war wohl bei ihm. Gibt es etwas tröstlicheres, als zu wissen, dass die Frau, die ihm das Leben gab, dabei war, als er es aushauchte? Ich glaube für seine Mama war es hart, für seine Töchter war es hart, für uns war es hart.
In dem Jahr als Heiko starb, verließ mich meine Frau. Sie nahm die Kinder mit und kehrte nicht mehr heim, ließ mich alleine. Sie nahm mir mein Leben, welches ich geglaubt hatte, zu verdienen und sie nahm mir die Möglichkeit um um einen meiner Freunde aus Kindertagen zu trauern. Sie tötete jedes Gefühl in mir, was ich je hatte und sie hätte es auch fast geschafft, dass ich noch früher über das Ziel geschritten wäre, als mein ältester Freund. Aber irgendwas und wenn es nur die Liebe zu meinen Kindern war, hielt mich davon ab, mich mit einer Hundeleine an den Zaun eines Kindergartens zuhängen. Sie hatte eine
Affäre und liebte mich nicht mehr. So was passiert, wenn zwei Menschen sich lieben. Die Liebe vergeht. Sie stirbt und unsere Liebe starb in dem Jahr, vor Heikos Tod.
In dem Jahr, in dem Heiko sein Leben aushauchte, betrog ich meine Frau, zwei Mal! Mit zwei Frauen. Ich liebte sie nicht mehr. Ich liebte mich nicht mehr, wollte das Leben, das ich hatte nicht mehr und tat alles um es zu verlieren. Ich wollte frei sein und ich trank viel zu viel! Das Unheil hielt Einzug in mein Leben.
Als Heiko starb, waren wir zehn Jahre schon keine Freunde mehr. Wir sahen uns hier und da auf der Straße,
aber unsere Leben hatten sich getrennt, wie ich mich und wie jeder andere von uns, sich von etwas trennt. Es passt nicht mehr zu dem was wir wollen. Wir ertragen es nicht mehr. Also trennen wir uns von dem was uns belästigt. Man soll nicht über Tote schlecht reden und daran werde ich mich auch halten. Unsere Freundschaft hauchte ihr Leben aus, als ich mit einem Mädchen ging. Die Beziehung hielt nicht einmal ein Jahr, aber sie beendete unsere Freundschaft die fast 20 Jahre hielt. Und sie war nicht einmal Schuld. So unschuldig wie das Wasser, das einen Stein zerbricht, wenn es in ihm gefriert. ((Fußnote)Übrigens, diese Anekdote ist
nicht von mir, sondern aus einem sehr kitschigen Film mit Brad Pitt.)
Wir sprachen Jahre nicht mehr miteinander. Erst als er mich mit meinen Kindern traf, sprach er mich an. Ich lief mit einer Vierjährigen, einem Zweijährigen und einer Neugeborenen in einem Doppelpack-Kinderwagen und meine damalige Frau lag noch mit Nachblutungen im Krankenhaus. ((Fußnote)Irgendwie hatte meine Ex immer Nachblutungen! (Fußnote zur Fußnote) Dieses Zitat können wir auf meinen Mist gedeihen lassen.) Er sprach mich an und er fragte mich, wie ich das fertig brächte, mit drei Kindern durch die Stadt zu latschen und Besorgungen zumachen.
Ich sagte nur, wer solle es denn sonst machen? In diesem Moment flammte der ganze Schmerz in seinen Augen auf, den er über Jahre versuchte zu begraben. Unter Alkohol und sonstigem Zeug, was einem beruhigt, wenn die Flammen zu hoch schlagen.
Als Heiko starb, hinterließ er zwei Mädchen. Er hatte sich nicht wirklich um sie gekümmert. Ließ alle Verantwortung bei den Müttern und vergrub sich in Selbstmitleid, das er niemanden zeigte. Selbst mir nicht. Doch ich wusste vor unserer Trennung, wie sehr er litt. Ich habe ihn nie verstanden, als ich selbst keine Kinder hatte, dass ein Vater kein Interesse an
seinen Kindern zeigt. Doch es war einfach nur Selbstschutz, das weiß ich heute, als Vater von drei Kindern. Damals, noch vor mehr als zehn Jahren, als er mich mitschleppte, als sei ich sein zu dumm geratener Bruder konnte ich ihm nicht verstehen. Ich konnte nicht verstehen, dass er nicht zu dem kleinen Mädchen ging, das gerade in der Schulaula saß, eine Aufführung absolvierte und zwischen ihrer Oma und der Mama saß und den Papa mit so großen Augen ansah, aber der Papa schaute nur vorbei. Ich muss an das andere kleine Mädchen denken, das vor unserem Haus im Kreis lief und brabbelte: „Mein Papa hat mich nicht
mehr lieb!“, und mir laufen Tränen übers ganze Gesicht während ich dies schreibe. Er schaute nur weg. Und ich konnte es damals nicht verstehen. Heute wie gesagt kann ich es verstehen. Es ist so verdammt schwer, auch als Vater, als blöder Schwanzträger, der ja sowieso keine Gefühle hat, sein Kind in den Armen zuhalten, es dann nach einer Zeit, Elternwochenende, Urlaub, oder einfach nur einem kurzen Besuch, wieder in die Obhut des anderen zugeben. Dein Herz zerreißt, weil du möchtest nachts am Türpfosten stehen und zusehen, wie sich die Decke hebt und senkt. Du möchtest kalte Wickel aus dem Bad holen und sie deinem vom
Fieber gepeinigtem Kind an die Waden legen. Du möchtest morgens der Erste sein, der dem Spatz zum Geburtstag gratuliert. Und genau das Selbe mochte die Andere auch! Die, die du nicht mehr magst. Die, die du nicht mehr ertragen kannst. Die, die dich nicht mehr ertragen kann. Und man wird garstig, man wird gemein, man kämpft um einen Menschen, als sei er ein Gegenstand und nichts was lebt und euch beide lieb hat und euch vor allem beide braucht. Es ist einfach nicht mehr zu dem Haus zugehen, in dem das Wertvollste lebt. Man kann es mit Schnaps, Gras und sonstigem einfach von dem Stadtplan löschen. Man kann es tief in sein Herz
verbannen und es ist nicht mehr da, aber es fehlt einem jeden Tag!
Schwerer ist es, wieder zu der Türe zugehen, der anderen zu verzeihen, sich damit abfinden, dass es kein UNS mehr gibt. Und es ist so unsagbar schwer, damit zu leben, dass man das Geschöpf seiner Liebe, auch der Anderen wieder zubringen. Es ist schwer sich hassen zulassen, nicht mit gleicher Münze zurückzahlen, damit der Verstand die Oberhand gewinnt. Und es ist so unsagbar schwer, einfach nur da zu sein, auch wenn es niemand will. Zu gehen und alles hinter sich zulassen, alles vergessen ist soviel einfacher
Als Heiko starb, gehörte er nicht
mehr zu meinem Universum. Und mein Universum war gerade explodiert. Ich hatte im Frühjahr gerade einen Literaturverein mit Freunden gegründet und genau in dem Zeitpunkt verließ mich meine Frau mit den Kindern. Wir hatten unser eigenes Literaturcafé und ich betrank mich seit Monaten und stritt mich mit einem unserer Mitglieder wegen nichts. Und dieser Streit war der Untergang für unseren Verein. Die WM in Südafrika lief gerade. Die Holländer waren gut dabei und ich dachte mir, wenn ich schon abtrete, dann aber wenigstens einmal Oranje als Weltmeister sehen. Ich trat aber nach der WM nicht ab und Holland wurde auch
nicht Weltmeister. Immer wieder Zweiter. Heiko sollte durchs Ziel schießen. Und die Nachricht erreichte mich durch seine Exfrau, die auch schon seit Jahren nichts mehr mit ihm zu schaffen hatte. Sie traf hier und da meine Mom, die meine Trennung nicht verursachte, aber doch kräftig mitmischte und ich wusste, dass meine Mutter, meine Ex, ihr Neuer und die Kinder in Polen Urlaub machten. Sie kam in unseren Club, wow jeder wusste jetzt, das WIR einen Club hatten und sagte zu mir: „Ich muss dir was ganz schlimmes erzählen!“
Ich wusste sie hatte Kontakt zu meiner Mutter. Ich hatte meine Kinder
seit Monaten, seit der Trennung nicht mehr gesehen. Und in meinem Kopf schrie alles nur: BITTE LIEBER GOTT, NICHT DIE KINDER!
„Heiko ist gestorben!“
Als Heiko starb, das war 2010, veröffentlichte mein Idol, der Schriftsteller Stephen King in Deutschland seine Kurzroman-Sammlung „Zwischen Nacht und Dunkel“ . In dieser Sammlung gibt es eine Geschichte, sie heißt „Faire Verlängerung“ und in ihr wird erzählt, wie ein Mann der schwer Krebskrank ist, sein Unglück auf seinen besten Freund verschiebt, weil er diesen immer gehasst hat. Aus Gründen wie
besser im Sport zu sein und besser im Leben klar zukommen. Ich habe Heiko nie gehasst, selbst nicht als unsere Freundschaft beendet war, aus Gründen, die niemanden was angehen, selbst da habe ich ihn nie gehasst!
Aber an diesem Abend in August, als ich betrunken in unserem Café stand, seine Exfrau in den Armen hielt, weil wir beide einen Menschen verloren hatten, für den wir mal viel empfunden hatten, da dankte ich Gott, dass es nicht meine Kinder waren. Mein Universum war zwar zerstört, aber dieser Meteorit kam aus einer anderen Galaxis und er war kalt und wertlos für mich. Ich war so durcheinander, durch
mein Leben, durch die, die ich liebte, dass ich keine Trauer fand. Ich habe versucht darüber zuschreiben. Habe eine Kurzgeschichte angefangen, sogar das erste Kapitel eines Romans begonnen. Aber ich konnte keine Trauer in mir finden. Denn Heiko gehörte nicht mehr zu meinem Leben …
Als Heiko starb, schien die Sonne, seine Mama war da und er starb, weil es in Deutschland keine Armut gab. Weil jeder sich die 10 Euro leisten konnte zum Arzt zugehen.
Ich habe gehört, dass Heiko einen Entzug bekommen sollte, eine Umschulung in der Altenpflege. Dann wurde er krank. Ging nicht zum Arzt,
aus Stolz vielleicht, wie ich es so oft getan hatte, weil ich diesen verdammten Zehner nicht hatte. Vielleicht aber auch nur, weil es ihm egal war. Aber er rief seine Mama an. Wenn wir nicht weiter wissen, dann rufen wir unsere Mama an! So ist das in unserem Leben. Am elften September 2001 rief ich meine Mama an und ich weiß, viele von uns riefen unsere Mamas an. So ist das im Leben. Keiner ist mehr da … Mama wo bist du? Ich brauche deine Hilfe!
Heikos Mama rief den Notarzt an. Sie schafften ihn ins Krankenhaus, wo er an Organversagen starb. Wo er vielleicht starb, weil er nicht zum Arzt ging, vielleicht weil er den Zehner nicht hatte.
Vielleicht aber auch nur, weil er seinen Körper über Jahre zu viel zugemutet hatte? Ich weiß es nicht. Ich habe keine Antworten. Er fehlt mir nicht. Weil wir keine Freunde mehr waren. Ich habe ihn abgelegt, als wir uns aus den Augen verloren. Ein Freund erzählte mir, er habe ihn beim Trinken an einem NORMA – Markt gesehen. Ein anderer meinte, Heiko habe in seinem Hauseingang gekackt. Fertig. Wir waren alle irgendwo fertig mit ihm. Er gehörte nicht mehr zu unserem Universum. Er war nur einer dessen Organe versagt haben, der zu früh starb, uns klar machte, dass auch wir sterblich waren. Und vielleicht hat er
nur zu viel gesoffen? Vielleicht können aber die Organe nicht weiter machen, wenn das wichtigste zerbrochen ist. Als ich alles Verlor sah ich keinen Sinn mehr in meinem Leben, als mein bester Freund seines verlor, bekam meines wieder einen.
Als Heiko starb schien die Sonne, als wir ihn beerdigten, regnete es. Wir trafen Freunde, die wir seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, aus Kindern waren Erwachsene geworden, jemand strich mir übers Haar und ich hörte ihr Schluchzen. Dagna setzte sich neben mich, hielt meine Hand, wir hatten überlebt. Yvonne, Nicole 1 und 2 hörte
ich reden. Thore, Thorsten saßen links neben mir, wir waren mal die Vier Musketiere ( (Fußnote)Und ich sage es immer noch wir waren auch die 4 Muskeltiere!), Conny ließ die Kinder daheim, irgendwer hatte auf seinem Handy das Thema: „Spiel mir das Lied vom Tod“ und Heikos Exschwiegermutter, schlug mich mit dem Schirm, der Pfarrer trat auf, als er seine Arme ausbreitete, sagte jemand, dass er gleich abheben würde, wieder bekam ich den Schirm in den Nacken. Wir wunderten uns, das der Sarg so klein war, hatten sie unseren Heiko zusammen gefaltet? Wie konnte er da drin liegen und wir, die nicht mehr mit
ihm gesprochen hatten, außer vielleicht hier und da mal ein HALLO! Wir konnte es nicht begreifen. Wir hatten unsere Leben, unsere Geschichten, aber irgendwie lächelten wir alle bis auf … die, die weinten.
Wir führten ihn hinaus, wir führten ihn zum Loch. Erdloch, Grab.
Wir warfen Rosen, so meine ich, oder Tannenzweige. Zuviel Todesfälle in den letzten Jahren lassen Trauerfeiern in einander laufen. Wir warfen was ins Grab. Charles Bronsons Mundharmonika erklang wieder und ich erhielt meinen dritten Schirmstoß. - Noch bevor das Lied des Todes dreimal erklingen wird, wirst du dreimal
geschlagen werden! - Es regnete, wir standen da. Brüder, Kinder, Geliebte. Es regnete und ich konnte nicht weinen. Wir trennten uns. Gingen davon in unser Universum. Wir lebten, es musste weiter gehen.
Als Heiko starb, zerbrach mein Leben. Nicht wegen ihm, nein, er hatte nicht die Macht, es zerbrach weil ich nicht mehr zur Familie gehörte. Meine Ex hatte die Macht mir das Trauern um einen Menschen zunehmen, den ich fast mein ganzes Leben kannte. Ich hatte solche Sehnsucht nach meinen Kindern. Und es ging. Irgendwann durfte ich sie wieder sehen. Noch in diesem Jahr, kurz nach der Trauerfeier.
Doch es sollte noch lange dauern bis ich lernte, was mir mein bester Freund hinterlassen hatte. Ich konnte noch nicht sofort ein neues Leben beginnen. Es gab Scharmützel, Grabenkämpfe und nach einem Jahr, dachte ich, Heiko wäre einsam und wolle mich holen.
Als Heiko schon ein Jahr tot war, krampfte meine Hand, mir wurde Schwindelig, ich bekam keine Luft mehr und legte mich einfach mitten auf dem Südwall hin. Falk war bei mir und ich glaube, er hatte eine Heidenangst. Und ich erst. Schlaganfall mit 40! Dröhnte es in meinem Kopf. Der Krankenwagen brachte mich ins Krankenhaus. Mein Herz raste, meine
Muskel waren verspannt, ich sah mich dahinscheiden. Heiko würde mich holen. Wie einst Marley dem guten Ebenezer erschien, so kam mein alter Freund zu mir und würde mich über den Charon führen. Entschuldigung, aber für irgendwas sollte ein Studium in Belletristik auch gut sein, aber ich schweife wohl ab. Ich dachte wirklich es sei um mich geschehen und meine ganze Liebe floss zu meinen Kindern. Ich hatte die blöde Idee, wenn ich nur ganz fest an meine Kinder denken würde, dann würden diese wissen, dass ihr Papa jetzt ins Jenseits fährt und ich wollte ihnen alle Liebe übersenden, die ich zu geben hatte. ( (Fußnote) Ich
sollte wirklich nicht so blöde Filme sehen und Bücher lesen!) Aber wie dem auch sei: Ich hörte den Alarm von den Maschinen, die sagten, dass meine Maschine jetzt den Geist aufgeben würde und ich mich bereit machen sollte zur Landung. Als ich in meinem Verstand rief: Geh weg Heiko! Ich will noch nicht!
Als Heiko schon ein Jahr tot war, hatte ich einen einfachen Anfall von Panik. Nicht mehr und nicht weniger. Doch er brachte mich dazu eine Therapie zumachen, er schaffte es, dass ich mit meiner Ex Frieden schloss ((Fußnote) Auch wenn ich nie weiß, wie lange er halten wird!) und er schaffte es,
dass ich damit Leben konnte, mein Leben zu akzeptieren. Ich sehe meine Kinder heute ((Fußnote) Es sind gerade Mal vier Jahre her!) sehr oft. Bringe sie immer wieder zu der Mutter zurück und versuche mich zu beherrschen sie nie wieder zugeben. Ich weiß heute wie sehr ich meine Kinder liebe, wie sehr Heiko seine Kinder geliebt haben muss und irgendwo bin ich meinem kleinen Freund zu Dank verpflichtet. Manchmal kommt uns der Tod sinnlos vor, aber ich habe fest den Glauben, dass er doch und wenn nur für mich, aber glaube für uns alle, der Tod uns etwas lehrt.
Als Heiko starb schien die Sonne. Jetzt wo ich dies schreibe Scheint sie in
mein Fenster, streichelt mich, als wäre sie mit den Worten einverstanden und tröstet mich.