wie fern der Himmel hinter lila Wolken...Teil 6
©roxanneworks 2014 / 06
Es musste schon weit nach zehn Uhr abends sein, als Martinè endlich an die Tür des kleinen Stadthauses klopfte. Ihre Zukunft lag in den Händen jenes Mannes, dem sie ihre Dienste anbieten wollte und der, so hoffts sie, diese ohne Zögern annahm.
Ein livierter Herr öffnete und schaute sie mit einer Mischung aus Neugier und Verwunderung an.
" Madame, wie kann ich ihnen zu Diensten sein?" fragte Francis und blickte dabei an ihr vorbei auf die immer noch wartende Kutsche.
" Ich komme auf Empfehlung des Comte de Marville und hätte sehr gerne Monsieur Armonde gesprochen. Mir ist
bewußt, dass es zu dieser vorgerückten Stunde fast unschicklich erscheint, gleichwohl war es dem Comte ein großes Anliegen, dem ich gerne Folge leistete. Ich komme auf direktem Weg mit einer Botschaft aus seinem Haus," erklärte sie und überreichte Francis die Nachricht.
" Verzeihen sie mir, Madame. Bitte treten sie ein, ich werde sofort Monsieur informieren. Darf ich sie einladen, für einen Moment hier im Foyer Platz zu nehmen."
Er eilte in einen Seitenflügel des Hauses und Martinè setzte sich, innerlich nun seltsam angespannt und wartete. Es dauerte nicht lange, bis der Diener
wieder erschien und ihr mitteilte, dass Monsieur sehr erfreut sei, dass sie den Weg zu ihm gefunden habe, und er am morgigen Tag mit ihr zu sprechen gedenke. Für den Moment hielte er es für wünschenswert, wenn sie vorerst ihre Zimmer bezog und sich ausruhte. Martinè war von der Haltung ihres neuen Herrn überrascht, doch konnte sie nicht verhehlen, dass ihr Verstand mehr nach einem weichen Bett, als nach einem Gespräch verlangte. Francis begleitete sie in den linken Seitenflügel des Hauses, wo sich die Gästezimmer befanden. Anschließend kümmerte er sich um das Gepäck und die Entlohnung des Kutschers.
" Ich hoffe, Madame gefallen ihre Zimmer? Das Hausmädchen wird gleich zu ihnen kommen, um ihnen behilflich zu sein. Kann ich sonst noch etwas für sie arrangieren?"
" Danke sehr, es ist alles wunderbar. Bitte, ich benötige das Mädchen heute abend nicht mehr. Ich komme wirklich gut alleine zurecht, " entgegnete Martinè mit einem müden Lächeln.
" Dann werde ich mich jetzt zurück ziehen und wünsche ihnen eine gute Nacht, Madame Bourchamp." Francis war im Begriff das Zimmer zu verlassen.
" Vielen herzlichen Dank, auch für sie eine gute Nacht, " antwortete Martinè, verwundert darüber, dass er sie beim
Namen nannte.
Wie darf ich sie nennen?" erkundigte sie sich.
" Francis heiße ich, Madame. Stets zu ihren Diensten." Er lächelte. Sie lächelte und irgendwie hatten beide das Gefühl, einen besonderen Moment erlebt zu haben.
Der Morgen graute viel zu schnell. Martinè hatte wie ein Stein geschlafen und wurde von einem Klopfen an der Tür geweckt. Für einen kurzen Moment wußte sie nicht, wo sie sich befand. Die Erinnerung an den gestrigen Tag brachte nun auch die Realität zurück.
Erneutes Klopfen.
" Madame, darf ich eintreten," fragte eine junge Frauenstimme.
" Ja bitte...."
Ein hübsches rothaariges Hausmädchen, nicht älter als achzehn Jahre, steckte den Kopf zur Tür herein und schaute schüchtern in Richtung Bett. Martinè fand sie auf den ersten Blick sympatisch und winkte ihr freundlich zu, sie möge näher kommen.
" Guten Morgen, Madame. Francis hat mir aufgetragen, ihnen zur Hand zu gehen," erklärte sie etwas befangen.
" Nun, dann will ich einmal überlegen, wie du mir behilflich sein könntest, aber zuvor sagst du mir bitte deinen Namen."
" Man ruft mich Julie, Madame."
" Ich würde sehr gerne ein Bad nehmen. Könntest du das für mich arrangieren, Julie?"
" Das Wasser ist schon heiß, Madame. Francis hat gesagt, dass sie sicher diesen Wunsch äußern würden. Ich werde mich sofort darum kümmern."
" Sage Francis meinen herzlichen Dank. Er ist sehr umsichtig!"
" Ja, das ist er Madame, " meinte Julie und war auch schon aus dem Zimmer geschlüpft.
Martine hatte das heiße Sitzbad sehr genossen. Anschließend hatte sie viel Sorgfalt darauf verwendet, sich passend anzukleiden und zu frisieren. Ein letzter
Blick in den Spiegel bestätigte, dass über Nacht die Blässe aus ihrem Gesicht gewichen war. Ihr Spiegelbild zeigte eine junge, hübsche Frau mit rosigen Wangen und kastanienfarbenem Haar, dessen dicke Locken sich in gewollter Unordnung auf ihrem Kopf türmten. Einzelne Strähnen kringelten sich wie kleine Korkenzieher an ihren Schläfen hinab und gaben dem schönen, frischen Erscheinungsbild etwas Verspieltes. Nur der Blick dieser blaugrünen Augen, in dem ein rätselhaftes Funkeln lag, passte so gar nicht dazu. Ihr war bewusst, dass ihre Augen die Unsicherheit und innere Angespannung widerspiegelten, die sie empfand.
Philip stand an einem der hohen Fenster des kleinen Salons, und blickte über die weiten Rasenflächen, die von blühenden Teerosenrabatten gesäumt wurden, zum Horizont. Vergeblich versuchte er sich zu beruhigen und sein aufgewühltes Gefühlsleben irgendwie in den Griff zu bekommen.
Seit der Ankunft von Martinè befand er sich in diesem quälenden Zustand, was ihn obendrein seine Nachruhe gekostet hatte, wohl wissend, dass der folgende Morgen ihm ein unerträgliches Mass an Selbstbeherrschung abverlangen würde. Er verzehrte sich nach seiner Frau. Sehnte sich danach, sie endlich in seine Arme zu schließen und ihre Lippen mit
seiner ganzen aufgestauten Leidenschaft in Besitz nehmen zu dürfen.
Der Tag würde kommen, sagte er sich beschwörend, und bis dahin hieß es für ihn, sich allen Versuchungen strikt zu entziehen.
Es klopfte.
Philip wußte, dass es Francis war, der sie zu ihm brachte. Er fühlte sich noch nicht bereit, ihr in die Augen zu sehen, doch es gab jetzt kein zurück. Noch ein stummes Stoßgebet, ein tiefer Atemzug, dann öffnete sich auch schon Tür.
" Monsieur Armonde, sie wünschten Madame Bourchamp zu begrüßen, " erklärte Francis förmlich.
Der Hausherr nickend nur zustimmend,
drehte sich allerdings nicht um, sondern richtete seine ganze Aufmerksamkeit krampfhaft auf das Grün des Gartens.
" Monsieur lässt bitten," hörte er den Diener sagen. Dann die leichten Schritte einer Frau. Seiner Frau. Stille.
Langsam wendete sich Philip zu ihr um. Ihr Anblick war erschütternd schön.
Sie stand in der Mitte des Raumes, ihre Hände in den Falten des schlichten Hauskleides verborgen und wirkte völlig ruhig, wenn nicht dieses Flackern im Blick sie verraten hätte. Er kannte den Ausdruck ihrer Augen genau und konnte ermessen, wie verheerend der Sturm war, der jetzt in ihr tobte.
Martinè war sichtlich irritiert.
Der Herr des Hauses war fast bis zur Unkenntlichkeit verhüllt, nur einen Schlitz für die Augenpartie ließ das seltsame anmutende Gewand frei. Wie er so dastand, war seine Wirkung finster und unnahbar, was sein Schweigen noch eindrucksvoll unterstrich.
Wortlos trat er etwas näher, suchte ihren Blick und nickte zur Begrüßung.
" Ich freue mich, sie kennenzulernen, Monsieur Armonde. Es ist wirklich sehr freundlich von ihnen, mich in ihrem Hause aufzunehmen. Ich hoffe sehr, ich kann mich ihnen ausreichend erkenntlich zeigen, " erwiderte Martinè seine Begrüßung. Er hob seine lederbekleidete
Hand und gebot ihr dankend nicht weiter zu reden.
" Monsieur Armonde, bitte - es ist mir ein großes Anliegen, mich bei ihnen zu bedanken, denn ich... " Er unterbrach sie abermals und überreichte ihr ein Blatt Papier mit handschriftlichen Notizen.
Francis, der die ganze Szene dezent aus dem Hintergrund beobachtet hatte, mischte sich jetzt, wie vorab mit seinem Herrn besprochen, in das Geschehen ein.
" Madame Bourchamp, auf diesen Blatt hat Monseur seine Wünsche an sie notiert und darüber hinaus die ihren übertragenen Aufgaben genaustens
beschrieben. Weiterhin darf ich sagen, ist es der ausdrückliche Wunsch meines Herrn, dass sie sich in diesem Hause wohl behütet fühlen. Er hofft inständig, ihnen die Zeit, bis zur Rückkehr ihres Gatten, so angenehm wie möglich gestalten zu dürfen, " erklärte Francis.
Martiné schaute nachdenklich auf das Blatt in ihrer Hand. Einem inneren Impuls folgend suchte sie in dem verhüllten Gesicht die Augen dieses sonderbaren Mannes.
Ihre Blicke trafen sich und verfingen sich für einen Wimpernschlag lang ineinander. Eine warme Welle lief durch ihren Körper und ließ die winzigkleinen
Härchen im Nacken auferstehen. Diese Reaktion verwirrte Martiné zutiefst.
Eine seltsame Kraft von diesem Mann aus, der ihr so fremdartig erschien und dennoch einen Zugang zu ihren Gefühlen fand. Sie lächelte. Unerklärbar...
Ein warmes, wunderschönes Lächeln formten ihre Lippen nur für ihn und unwillkürlich erhob sich eine seiner Augenbrauen.....
Ende Teil 6