Fantasy & Horror
Acheldo - Mondkrieg

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"Auszug aus meinem Roman"
Veröffentlicht am 20. Juni 2014, 72 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Auszug aus meinem Roman

Acheldo - Mondkrieg

Kapitel 1

Wie ein weißes Leichentuch, lag der Schnee an diesem kalten Oktobertag über unserer Stadt. Ich saß am Fenster und beobachtete die große Eiche vor unserem Haus, wie ihre schweren Äste vom Wind hin und her gepeitscht wurden. Pfeifend bahnte er sich unaufhaltsam seinen Weg durch jede noch so kleine Ritze des Hauses und brachte eine eisige Kälte mit sich. Nur ein kleiner Kamin am anderen Ende des Raumes spendete Wärme und verhinderte, dass wir dem Kältetod zum Opfer fallen würden. Dieser Winter war besonders hart und obwohl er früh den

Herbst ablöste, schlug er mit so einer gewaltigen Wucht ein, dass viele Menschen die in unserer Stadt lebten, sich nicht frühzeitig auf ihn einstellen konnten. Sie starben in den kalten Fängen der Natur. Hunger plagte uns, den die letzte Ernte viel nur spärlich aus und wir mussten mit wenig Nahrung über die Runden kommen. Jeder neue Tag war ein Kampf gegen den Tod. Krankheiten breiteten sich rasant aus und gaben den Menschen, die sowieso schon vor Hunger geschwächt waren, den Rest. Der gefrorene Boden machte es unmöglich die Leichen zu bestatten und so wurden sie aus der Stadt gekarrt und dort in die Felder geworfen. Von

Woche zu Woche wurden es mehr und bald musste man mit Mühe und Not, die leblosen Körper übereinanderstapeln. Zu allem Übel wurden umher streunende Räuber gesichtet. Auf der Suche nach essbaren und anderen Materialien die sie gebrauchen konnten, zogen sie übers Land und überfielen jede hilflose Seele. Sie plünderten die armen geschwächten Menschen aus und brachten sie auf grausame weise um. So konnten wir die toten nicht verbrennen, denn jedes größere Feuer, hätte den Abschaum auf uns aufmerksam gemacht. Unsere Hütten standen hinter einen Hügel, dort wo der dunkle Wald anfing, in dem sich kein Mensch verirren wollte.

Nur die Waghalsigsten trauten sich an diesen finsteren Ort, wo selbst die kräftigsten Sonnenstrahlen durch das dichte Baumgeäst, ihre Intensität verloren und zu einen matten und schaurigen Licht wurden. Selten kam jemals einer von ihnen zurück. Aber dieser Wald gewährte uns auch Schutz. Schutz vor jene, die unserer Heimat hätten irgendwie schaden wollen. Vor vielen Jahren hatte eine Gruppe von Händlern beschlossen, an diesen Platz ein paar Tage zu rasten und zu neuen Kräften zu kommen. Doch dieser Platz gefiel ihnen und aus Tagen wurden Wochen, die schließlich in Jahre

übergingen. Jahrzehnte Später entstand eine kleine ansehnliche Stadt. Durchreisende blieben gerne eine längere zeit und brachten dort einen Großteil ihrer Waren und Güter an den Mann. Ich wohnte zusammen mit meinem Vater auf sehr engen Raum. Mit nur wenigen Schritten konnte man unsere hölzerne Hütte durchqueren. Zwei Zimmer konnten wir unser eigen nennen. Mein Vater baute einst diese Hütte, lange bevor ich geboren wurde. Hier bin ich groß geworden und nichts anderes kannte ich. Wir gehörten zu den armen Familien, denn mein Vater war einst Zimmermann und jedes Essen musste er

sich hart arbeitend verdienen. Er war immer ein gut gebauter Mann gewesen, aber mit den Jahren konnte ich beobachten, wie sich die Arbeit auf seinen Körper auswirkte. Mit der Zeit wurde sein Rücken krummer und jede Bewegung schmerzte in seinen Knochen, bis er eines Tages zusammen brach. Dieser Tag sollte sein letzter als Zimmermann gewesen sein. Harte Zeiten brachen für uns ein, denn ohne Arbeit verdienten wir nichts und die Beschaffung nach Lebensmitteln wurde immer schwieriger. Ich kam gerade erst einmal in die Pubertät und ich versuchte zu helfen, wo ich nur konnte. Da aber mein Körper noch nicht ausgereift war,

konnte ich keine schweren Arbeiten ausführen. Ich wand mich vom Fenster ab und beschloss nach neuem Brennholz zu suchen, den das Feuer im Kamin drohte zu erlöschen. Wenig bekleidet verließ ich die sichere Wärme. Meine dünnen Stoffschuhe baten mir keinen sonderlichen Schutz vor der Nässe und so drang nach nur wenigen Schritten der kalte Schnee durch sie. Die vereisten Straßen entlang gehend, viel mir in der Ferne eine alte Dame auf. Mühsam kam sie mir entgegen, denn nicht nur das zentimeterdicke Eis schien ihren Gang zu beeinträchtigen. Auf ihren

gekrümmten Schultern trug sie einen Krug. Sie schien mich ebenfalls von weiten gesehen zu haben, denn nur wenige Schritte vor mir hielt sie inne. Schwer atmend musterte sie mich von oben bis unten. „Hast du Hunger mein Junge?“ Ihre Worte klangen warm und herzlich. Mitleid verlieh ihren Gesicht Ausdruck. Mein Körper glich einem dürren Ast. Ich war jung, hatte aber mein Stolz und so antwortete ich ihr mit einen knappen nein. Natürlich war dies gelogen, denn ich hatte seit Tagen nichts Anständiges mehr gegessen und nur mit mühen konnte ich mich irgendwie auf den Beinen halten. Sie schien meinen Trotz

bemerkt zu haben. Lächelnd griff sie in ihre Fransentasche, holte ein Stück Brot hervor und bat es mir an. Einen Moment zögerte ich, doch dann griff ich wie ein hungriges Tier zu und verschlang es mit einem Mal. Ich aß es so gierig, dass ich beinahe an den Krümeln erstickte. „Armer Junge, du musst halb verhungert sein.“ Erneut holte sie eine zweite Hälfte hervor. Ich nickte, nahm es und schob es mir komplett in den Mund. Schluckend und hustend versuchte ich das trockene Gebäck meinen Hals runter zu zwängen. Behutsam klopfte sie mir auf den Rücken und erkundigte sich nach meinen Namen. „Ich heiße

Acheldo.“ „Wohnst du hier in der Nähe?“ „Mein Vater und ich, wir haben eine kleine Hütte.“ Erwiderte ich und wies ihr mit meinem Finger in die Richtung, in der unsere Bleibe stand. Sie folgte meiner Geste, blickte einen Moment in die Richtung, die ich ihr gezeigt hatte und wand sich wieder an mich. „Kannst du meinen Krug tragen? Ich bin nicht mehr die Jüngste und er ist eine Last auf meinen alten Schultern.“ Lange überlegte ich nicht und nahm das Gefäß auf die meinen. Ich war zwar sehr schwach, doch ich wollte der Frau, die mir, einen fremden Jungen etwas zu essen gab, unbedingt helfen. Das war ich

ihr schuldig. Sie ging voraus und ich folgte ihr auf schwankendem Fuße, ohne zu wissen wo es hin ging. Der Wasserkrug war schwer und forderte mir einiges ab. Ohne einen weiteren Wortwechsel gingen wir einen steinernen Weg entlang, vorbei an den Hütten der Stadtbewohner, über den Marktplatz und hinauf auf einen Hügel, etwas außerhalb. Hier stand ein aus Stein erbautes Haus. Ich folgte der Frau bis wir im Vorgarten des Grundstücks ankamen und blieb stehen. Sie drehte sich zu mir um und sah mich erwartungsvoll an. „Möchtest du den nicht hineinkommen?“ Hastig folgte ich

ihr die letzten Meter ins Haus. Ich roch brennendes Holz. An den Wänden flackerten Kerzen und erleuchteten den Eingangsbereich nur spärlich. Ich musste mich anstrengen, um irgendetwas erkennen zu können. Wir durchquerten den Raum, bis wir augenscheinlich in der Küche ankamen. Hier sah ich einen alten Mann am Kamin sitzend und in der Glut stochern. „Dieses Feuer, es will einfach nicht brennen.“ Grummelte er. Mit dem Rücken zu uns gewandt, schien er nicht bemerkt zu haben, dass ein Fremder sein Haus betreten hatte. „Das Holz ist zu feucht, es brennt einfach nicht richtig.“ Er warf das Eisen, mit dem er zuvor in

der Glut gestochert hatte beiseite und lehnte sich auf seinen Stuhl zurück. „Ich bin zurück Bartrox und sieh wer mich begleitet hat.“ „Ist dir wieder dieser räudige Köter gefolgt?“ Fragte er mit geballter Faust, stand ruckartig auf und drehte sich dabei um. „Diesmal erschlage ich ihn.“ Er sah mich zitternd vor Anstrengung, da ich immer noch den vollen Behälter auf meiner Schulter trug. Erleichternd nahm ihn mir die Frau ab. Noch ein paar Minuten länger und meine Arme hätten der Last nachgegeben. Unsicher stand ich in einem fremden Haus. Oft half ich den Bauen auf dem Markt ihre Wahren zu verkaufen, doch

diese beiden Personen hatte ich in meinen Leben noch nie gesehen. Der alte Mann war klein gewachsen und sein gekrümmter Körper, seine faltige Greisenhaut und sein lang gewachsener weißer Bart, ließen mich sein Alter erahnen. Auch die Frau war von der Zeit gezeichnet. Ihre tiefen Lachfalten machten sie sympathisch und vertrauenswürdig. Der Alte erhob sich, machte ein paar Schritte auf mich zu und schob mir ein Stuhl hinüber. „Wie ist dein Name mein Junge.“ „Ich heiße Acheldo.“ „Meine Frau wollte gerade eine Suppe

machen, möchtest du zum Essen bleiben?“ Ich konnte nicht glauben, was ich da gerade hörte. Nach langen sollte ich wieder etwas Warmes zu Essen bekommen? Wer waren diese Menschen, dass sie ihre Lebensmittel mit mir teilten? Ich nickte ihm zu. „Gut, den du siehst dürr aus. - Fang an zu kochen Martha!“ Ohne Worte machte sich die Frau in Richtung Feuerstelle, holte aus einer Ecke einen großen schweren Gusstopf und füllte ihn mit dem Wasserkrug. Ich fühlte mich plötzlich sehr unwohl. Alleine saß ich bei wildfremden Menschen und mein

Vater wusste nicht wo ich war. Was wäre, wenn diese zwei alten Menschen etwas Schlimmes mit mir vorhatten. Vielleicht wollten sie mich umbringen und kochen? Wozu sonst brauchten sie so einen großen Topf? Doch dann viel mir wieder ein, das ich dünn wie ein Stock war. Lange hätten sie an mir also nicht zu kauen. Unauffällig beobachtete ich, wie die Frau diverse Zutaten mit einem langen Messer tranchierte und den Mann, der wippend auf seinem Stuhl saß. Konnte man den beiden trauen? Wir lebten in schwierigen Zeiten. Der Winter veränderte uns alle. Er machte Menschen wahnsinnig und zu Bestien.

Man hörte immer wieder aus anderen Regionen des Landes, das Menschen entführt und versklavt wurden. Ich wurde unsicher. Vielleicht wollten sie mir aber wirklich nur eine Freude machen und mich für meine Mühen entlohnen. Ich beschloss ruhig zu bleiben und nicht aus Panik davon zu laufen. Aber alleine der Geruch der Suppe machte mich bewegungsunfähig. Wie lange war es her, als ich so einen wundervollen Geruch roch? Er erinnerte mich plötzlich an Zeiten, als wir noch unbeschwert lebten. Als wir noch genug zum Essen hatten und wir uns keine Sorgen machen mussten, ob wir morgen noch leben würden.

Saftige Sträucher und Bäume zeigten sich vor meinem inneren Auge und ich erinnerte mich an diese wunderbare Wärme, die der Frühling bringen würde. Wann wird diese unerträgliche Kälte ihr ende finden? Der alte Mann wand sich an mich. Er schien mich beobachtet zu haben, als ich in Gedanken vertieft war, denn er erkundigte sich nach meinem Wohlergehen. Ich konnte noch nie meine Gefühle verbergen. Meine Körpersprache zeigte deutlich, dass ich angespannt und nervös war. Fast nuschelnd antwortete ich ihm, dass es mir gut gehen würde. „Hast du noch

Eltern?“ Fragte er mich. Diese Frage fand ich nicht ungewöhnlich, denn es gab viele Waisen, die in unserer Stadt lebten. Viele verloren ihre Familie an die Kälte. Doch bevor ich antworten konnte, nahm mir die Frau meine Worte. „Er wohnt mit seinem Vater zusammen, hinten bei der großen Eiche.“ „Da wohnt doch der Nagel!“ Wand der Alte ein und erhob seinen Zeigefinger. Ich war verblüfft. Nagel war der Spitzname meines Vaters. So nannten sie ihn alle, als er noch Zimmermann war. „Sie kennen meinen Vater?“ „Natürlich, wer kennt ihn nicht? Antwortete er knapp. „Dein Vater war bekannt wie ein bunter Hund. In der

halben Stadt stecken seine Nägel. Sprach nun die Frau zu mir. Aber ihr Unterton machte mich stutzig. Ihre Ton war nicht derselbe, mit dem sie zuvor zu mir sprach. Einen Moment herrschte Stille. Dann lächelte sie mich an und wand sich wieder ihrer Tätigkeit zu. Meine Skepsis verschwand ein wenig und mein Vertrauen wuchs. Die beiden kannten meinen Vater. Dieses Wissen ließ mich aufatmen und ich fühlte ich mich sicherer. Trotzdem dachte ich darüber nach, warum sie in diesen merkwürdigen Ton über ihn sprach. Ich konnte es mir aber nicht erklären und ich traute mich auch nicht nachzuhaken. Auch der Alte schien

das Gespräch nicht weiter fortführen zu wollen, denn er stand auf und verließ die Küche. Ich fühlte mich nun unbeobachtet und so ließ ich meinen Blick schweifen. Es gab nichts Ungewöhnliches zu erblicken. Rechts an der Wand hingen Töpfe und Pfannen. Links von mir stand ein massiver Schrank mit wundervollen Verzierungen. Mein Vater wies mich schon früh in die Künste der Holzverarbeitung ein und so half ich des Öfteren, bei der Herstellung von Möbeln. Ich erkannte, dass dieser Schrank, seinen Schöpfer viel Zeit und Arbeit gekostet haben muss. Sonst schien dieser Raum nichts Besonderes zu beherbergen. Aber was

versuchte ich überhaupt zu entdecken? Der Mann namens Bartrox betrat nun wieder die Küche und so konnte ich nicht weiter darüber nachdenken, denn er wand sich erneut an mich. „Junge hilf mir das Geschirr zu holen.“ Er wies auf den Schrank, der mir zuvor ins Auge stach. Ich stand auf und folgte ihm. Mit einen leisen quietschen öffnete er die Schranktür. Ein modriger Geruch kam mir entgegen und ich musste niesen, da ich eine Menge Staub einatmete. Irgendetwas lies mich stutzig werden. Lag es vielleicht daran das mir auffiel, dass er seit längeren nicht mehr geöffnet worden war? Dieser Geruch, von vermodertem Holz und der Staub, der

Zentimeter dick auf dem Geschirr lag, deutete jedenfalls darauf hin. Der Alte streckte seinen Arm nach den Tellern aus, hielt aber für einen kurzen Moment inne und strich mit seiner Hand langsam über diese. Dadurch wirbelte er Staub auf und ich musste erneut niesen. Er schien kurzzeitig in Trance gewesen zu sein, den er erschrak bei dem Geräusch und sein Arm schnellte zurück. Räuspernd und ein wenig verwirrt wirkend griff er erneut nach den Tellern und drückte sie mir in die Hand. „Sei so lieb und stell sie auf den Tisch.“ Ich machte kehrt und tat wie geheißen. Mit langsamen Schritten kam er rüber,

stellte einige abgezählte Tassen ab und ließ sich wie ein nasser Sack auf seinen Stuhl nieder. Dabei stöhnte und schnaufte er, als wäre er meterweit gesprintet. Mittlerweile schien die Frau die Zubereitung der Suppe beendet zu haben, denn sie schloss den Topf und kam nun zu uns an den Tisch. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Die beiden waren mir fremd und dazu verhielten sie sich ein wenig merkwürdig. Aber ich war jung und besaß keine ausgeprägte Menschenkenntnis. Auch wusste ich nicht, über was ich mich mit den beiden unterhalten sollte. Trotzdem wollte ich dass diese unangenehme und peinliche

Stille ein Ende fand. Doch bevor ich irgendetwas sagen konnte, um die Stille zu unterbrechen, sprach der Greis. „Wie alt bist du mein Junge?“ Fragte er mich. Ich antwortete ihm knapp und umgebunden. „Vierzehn.“ „Für vierzehn siehst du sehr jung aus.“ Bemerkte die alte Dame. Sie schienen schon wieder vergessen zu haben, wie abgemagert und unmuskulös ich war. So schnell, wie der kurze Wortwechsel entstand, so schnell verstummte er. Und wieder überkam mich dieses unwohle Gefühl, entstanden durch die Stille und die Anwesenheit der beiden alten Menschen. Ich war wirklich dankbar, dass sie mir etwas Warmes zu essen

machten, doch meine scheu vor fremden Menschen überwog jegliche Gefühle. Im Herbst half ich oft auf dem Markt, die Ware der Bauern zu verkaufen und ich musste mich immer wieder aufs Neue dazu überwinden. Der Umgang mit anderen Personen lag mir noch nie. Das peinliche Schweigen wurde durch ein blubberndes Geräusch unterbrochen. Der Deckel des Topfes fing an zu hüpfen und die Suppe bahnte sich ihren Weg nach draußen. Sie floss am Topfrand nach unten, wo die Tropfen in der Glut mit einem leisen Zischen verdunsteten. Schnell sprang die alte Frau auf und hob dem Deckel, um die Suppe im Zaum zu halten. Der Geruch wurde intensiver und

mein Hunger wuchs zunehmend. Die zwei Brothälften waren heute meine erste Nahrungszufuhr. Schon seit Tagen war der Hunger mein ständiger Begleiter und ich konnte ihn nur durch bestehlen anderer stillen. Die Straßen waren von bettelarmen Waisen überfüllt und ich war im Glauben, das niemand herausfinden würde, dass der Sohn des ehemaligen Zimmermanns, ein Dieb sein könnte. Minuten vergingen und das Essen schien fertig zu sein, denn die Frau namens Martha holte aus einer Schublade einen Löffel und tauchte ihn die Suppe, um sie abzuschmecken. Schlürfend sog sie die köstlich riechende Flüssigkeit in ihren Mund. Ich

dachte ich könnte an ihrer Mimik erkennen ob sie schon fertig sei, doch ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Für einen Moment harrte sie in ihrer Position, dann wies sie mir mit einer Handbewegung, dass ich zu ihr kommen soll. Als hätte mich der Geruch gefesselt, folgte ich seiner unsichtbaren Spur. Umso näher ich ihr kam, desto intensiver wurde ihr Geruch, bis ich sie fast schmecken konnte. Das Wasser lief mir im Munde zusammen und setzte alle meine Sinne aus. Ich wollte einfach nur essen. So vergaß ich auch, dass der Teller noch mit Staub bedeckt war. Vor ihr stehend hielt ich inne, atmete tief ein und streckte meinen Arm aus. Nun

sah ich sie, blubbernd und göttlich riechend. Es war so weit, mein Hunger konnte endlich gestillt werden. Die alte Dame füllte meinen Teller randvoll. Sie schien ebenfalls nicht bemerkt zu haben, dass der Staub zuvor nicht weggeputzt wurde. Lächelnd legte sie ihre Hand auf meine Schulter und sprach zu mir. „Lass es dir Schmecken.“ Alles schien irgendwie unwirklich. Ihre Worte nahm ich nur leise und abgehackt wahr. Geistesabwesend erwiderte ich ihr lächeln und ging zurück auf meinen Platz. Vorsichtig stellte ich den Teller ab, um bloß keinen Tropfen der Köstlichkeit zu verlieren. Mit zittrigen Händen hob ich den Löffel, tauchte ihn

ein und aß. Mir war es egal, dass ich meinen Mund verbrannte, den ich machte mir nicht die Mühen zu pusten. Wie weggetreten und in Trance, füllte ich meinen Magen. Jeden neuen Schluck genoss ich und fühlte die wohltuende warme Flüssigkeit, die meinen Rachen runter floss. Ich vergaß alles um mich herum. Auch meine Sorgen und Ängste waren wie weggeblasen. Der Klang des Löffels, der auf den Boden des Tellers kratzte, ließ mich wieder aus meiner Trance erwachen. Mit einem ernüchternden Gefühl sah ich den Tellerboden und aß den letzten Rest nur sehr

langsam. Ich hob meinen Kopf, um zu sehen, ob die beiden auch schon fertig seien. Voller Hoffnung noch etwas zu bekommen, den ich wollte das wohltuende Gefühl so schnell nicht wieder verlieren. Sie schienen gierig die Suppe verschlungen zu haben, denn ihre Teller waren wie leer geputzt. Besser gesagt mussten die Teller buchstäblich sauber geleckt worden sein, denn ich sah keinerlei Reste. Dabei machten sie auf mich keinen ausgehungerten Eindruck. Die alte Dame sah mich an und sprach die Worte aus, die ich mir erhoffte zu

hören. Sie stand auf, nahm meinen Teller und ging rüber zum Topf. Mit Freude beobachtete ich, wie sie ihn erneut füllte. Der Klang des Kesselinneren ließ mich erahnen, dass er noch sehr viel Suppe beherbergen musste. Ungeduldig wartete ich, bis sie zu mir zurückkam. Meine Augen hafteten auf dem Essen und ließen mich nur dieses sehen. Gleich würde es in meinen Mund verschwinden. Mein Magen musste durch den ständigen Hunger kleiner geworden sein, denn ich verspürte schnell ein sättigendes Gefühl. Ich konnte aber nicht aufhören und wollte es auch nicht. Der Hunger ließ mich zuvor grausam leiden und mir kam

es so vor, als wolle uns die Natur mit ihm foltern und uns für unsere Sünden bestrafen. Denn wir alle hatten mit Sicherheit mehr oder weniger unser Päckchen zu tragen. Und die, die durch die Kälte ihr Leben ließen, wurden von den Geistern der Natur zu sich geholt, auf dass sie ewig ihre Sklaven sein würden. Oft machte ich mir Gedanken über den Tod, den niemand von uns wusste, wann es wieder wärmer werden würde und die Gewissheit zu überleben, konnte uns niemand geben. Gerade darum wollte ich nicht, dass dieser Moment schnell endete. Ich fühlte mich gut.

Immer mehr wollte ich essen, doch auch dieser Teller sollte leer werden. Die Suppe schien meine Sinne zu benebeln und mich in eine Art Fressrausch zu versetzen. Wieder erhob ich meinen Kopf und schaute erwartungsvoll in Richtung der Frau, auf dass sie meine bettelnden Augen bemerken sollte. Seit über einer Stunde war ich nun bei den Alten und trotzdem konnte ich mich nicht dazu überwinden nach etwas Nachschlag zu fragen. Ich war zu schüchtern. Sie wusste aber was ich wollte und nahm mir meinen Teller ab. Ich kann gar nicht sagen, wie oft sie aufstand und meinen Teller neu befüllte,

denn in meinem weggetretenen Zustand bekam ich fast nichts mit. Was ich aber mitbekam, ließ mich nach dem auch das Letzte bisschen Suppe von mir verschlungen wurde, nachdenklich werden. Die beiden Alten schienen nichts gegessen zu haben. Ich glaubte sogar, dass sie mich die ganze Zeit beobachtet hatten. Mein ungutes Gefühl überkam mich erneut. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ihre Teller hatten keine Essensreste, nein nun sah ich sogar noch den Staub auf ihnen liegen. Sicher wurde ich gemästet und ich habe mich wie ein Tier in die Falle locken lassen! Von meiner Zufriedenheit war nichts mehr zu spüren. Unruhe überkam

mich und ich bemerkte, wie mir heißer wurde. Mein Kopf musste inzwischen knallrot angelaufen sein und Schweißtropfen vielen mir von der Stirn. Meine Unruhe blieb nicht lange unbemerkt, denn die alte Dame sprach zu mir. „Hasst du was mein Junge? Du siehst ziemlich fertig aus, oder was meinst du Bartrox?“ „Gib ihm doch was zu trinken, vielleicht hat er ja Durst. - Trinken?“ Er sah mich durchdringend an. Wenn es das nur wäre, dachte ich mir. Ich nickte ihm zu. „Hol den Krug Martha. Nach einem so leckeren Essen braucht man was zu trinken.“ Grummelte er und zwinkerte mir dabei mit einem Auge zu. Wie

geheißen und ohne Worte stand sie auf, um den Krug zu holen. Reflexartig wollte ich ihr helfen und ihn für sie zum Tisch tragen, den sie hatte mühe sich zu bücken. Außerdem brauchte ich ein wenig Bewegung und wenn es nur ein paar Schritte seien. Doch Bartrox hielt mein Arm fest. „Bleib sitzen, sie hat keine Hilfe nötig.“ Ich blieb sitzen, doch verstehen konnte ich es nicht. Er ließ mein Arm los und lehnte sich wieder auf seinem Stuhl zurück. So musste ich mit ansehen, wie sich die alte Dame mit dem schweren Krug zum Tisch quälte und meine Tasse mit Wasser füllte. Einen Schluck konnte ich wirklich vertragen. Mein Mund war

Staub trocken. Martha setzte sich wieder zurück an den Tisch und beide sahen mir dabei zu, wie ich meine Tasse mit einem mal leerte. Die Abenddämmerung brach ein und mich drängte es nach Hause. Immer noch wusste ich nicht, was ich von den beiden alten halten sollte und warum sie mir etwas zu essen gaben. Wir alle hatten Probleme. Die Essensvorräte waren knapp, die Speisekammer so gut wie leer und jeden Tag starben Menschen. Gerade mich sollte das Glück ausgewählt haben? Und das alles nur, weil ich geholfen hatte, ihren Krug zu tragen? Wirklich glauben konnte ich es immer noch nicht und unschlüssig war es

allemal. Doch ich war satt und habe das bekommen, was ich heute Morgen beim erwachen nie geglaubt hätte. Ich konnte froh sein den heutigen Tag zu überleben, wenn ich ihn den überleben würde. In meinem Hinterkopf musste ich immer noch daran denken, dass ich vielleicht gemästet wurde, denn ein mit Suppe gefüllter Junge, macht einen bestimmt satter als jegliche Gemüsekost. Bei diesen Gedanken wurde mir schlecht und am liebsten hätte ich mich gleich hier und jetzt übergeben. Es wurde zeit die vermeidliche Falle zu verlassen, bis sie vollkommen zu geschlagen hätte. Niemals hätte ich mich gegen sie wären können, dazu war ich einfach zu

schwach. Ich wusste nur nicht, wie ich den beiden sagen sollte, dass ich nun nach Hause gehen möchte. Selbst wenn sie keine bösen Absichten hegten, so wäre es doch sehr unhöflich gewesen, ihnen sofort nach den Essen den Rücken zu kehren. Ich befand mich in einem Dielämmer und wusste nicht, mit welchen Worten ich mich aus der Situation raus drehen konnte. Zappelig saß ich auf meinem Stuhl und sah nachdenklich in die leere Tasse. Ein Auge immer unbeobachtet auf die beiden gerichtet. Wie die Beute und ihre Jäger dachte ich mir. „Du siehst müde aus, du solltest besser nach Hause gehen.“ Sprach Martha zu mir. Damit hatte ich

nun wirklich nicht gerechnet. Die Raubtiere lassen ihre Beute gehen? Verwirrung machte sich in meinem Kopf breit. „Bartrox, begleitest du den jungen zur Tür?“ Genervt brummte er in seinem Bart. „Meine Knochen, ich kann nicht.“ In seiner Stimme hörte man seine Lustlosigkeit. Er machte es sich nun noch gemütlicher auf seinen Stuhl und zeigte damit deutlich, dass er nicht vorhatte, mich zur Tür zu begleiten. Martha warf ihn einem flüchtigen Blick zu und in ihren Augen konnte ich einen Funken Wut aufblitzen sehen. Sie stand auf und wies mir mit einer Geste, dass ich ihr folgen sollte. Ich erhob mich von meinem Stuhl. Mir war leicht

schwindelig und ich stand wackelig auf meinen Beinen. Zu lang saß ich, ohne meine Beine vertreten zu können. Mit ausgestreckter Hand sah ich zu Bartrox, um mich bedankend zu verabschieden. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn dafür danken sollte, dass er mich nicht gekocht und verspeist hatte, oder für die Suppe. Seine alte faltige Hand um schloss die meine und mit einem Zwinkern verabschiedete er sich von mir. Martha ging voraus und ich hinterher. Groß war das Haus der beiden nicht, doch größer als die Hütte, in der wir lebten. Vom Eingangsbereich konnte man vermutlich noch in einen weiteren

Raum, der verborgen hinter einer verschlossenen Tür lag. Draußen angekommen stand ich ihr zum Abschied gegenüber. „Es war mir eine Freude, dir eine zu machen.“ Sie legte ihre Hand auf meine Schulter, doch ihr Lächeln fehlte. „Und danke, dass du einer alten Frau geholfen hast.“ „Ich habe mich zu bedanken.“ Erwiderte ich. Sie nahm ihre Hand von meiner Schulter, machte kehrt und verschwand wieder im Haus. Mittlerweile herrschte ein dichtes Schneetreiben und die Abenddämmerung erschien mir somit noch dunkler. Auf den

Straßen hörte man keinen Laut und die Stadt lag wie ausgestorben vor mir. Meine dünne Kleidung gab mir keinen sonderlichen Schutz vor der Kälte und ich zitterte am ganzen Körper. Vorsichtig ging ich den Hügel hinab. Es war rutschig und ich musste aufpassen nicht das Gleichgewicht zu verliere. Sollte ich mir hier meine Beine brechen, würde mich so schnell niemand finden und der Tod lauerte nur auf diese Gelegenheit. Lautlos fielen die dicken weißen Flocken vom grauschwarzen Himmel, auf meine Kleidung. Wäre ich kalt wie ein lebloser Körper, würden sie auf mir liegen bleiben und mich einhüllen. Es war so ruhig. Ich hörte nur

das knirschen bei jedem neuen Schritt, den ich auf den frisch gefallenen Schnee machte und in ihm Knöchel tief versank. Ich dachte über den heutigen Tag nach. Er begann eigentlich wie immer, mit Hunger. Wer ich der alten Dame nicht begegnet, so hätte ich mit Sicherheit wieder Essen stehlen müssen. Doch hier gehe ich, satt und wohlauf. Gefüttert von fremden Menschen, die mir obendrein merkwürdig erschienen. Vielleicht aber war ich der Merkwürdige und die beiden hatten mehr Angst vor mir als ich vor ihnen. Warum speisten sie nicht mit mir? Vielleicht war die Suppe vergiftet und sie wollten mich umbringen? Sicher

würde ich gleich tot umfallen. Es muss ein langsam wirkendes Gift sein. Paranoid sah ich mich um, im Glauben verfolgt zu werden. Meinen Leichnam wollen sie. Sie wollen ihn hier auflesen, gut gekühlt im Schnee. Ich erhöhte mein Tempo. So schnell, wie es nur ging, wollte ich den Marktplatz erreichen. Von da aus war es nicht mehr weit, bis zu den kleinen Wäldchen, zu dem ich ursprünglich Holz holen wollte. Blitzartig wurden meine wirren Gedanken von einem viel Wichtigeren verdrängt. Mein Vater, er musste die ganze zeit hungern und frieren. Wie egoistisch ich doch war. Während er vermutlich auf dem Stroh lag und vor

schwäche schlief, ließ ich es mir mit einer warmen Suppe gut gehen. Ich hätte ihn etwas übrig lassen können. Den ganzen Kessel aß ich auf. Mein Magen grummelte, als würde er auf meine Gedanken antworten. Ich bog in eine kleine Gasse ein, von hier aus waren es nur noch ein paar Hundert Meter bis zum Marktplatz. Es führte kein Weg dran vorbei, ich musste meinen Vater etwas zu essen besorgen. Ich stahl nicht gerne, doch hätte ich es nicht getan, so wären wir wahrscheinlich schon lange Geschichte und die Würmer würden im Frühling über unsere Körper herfallen. Meine neu eingeschlagene Route führte mich geradewegs in das Herz der Stadt.

Die Speisekammer, der Ort an den die letzten Reserven gelagert wurden. Über Wochen hielt man die Ausgaben der Lebensmittel so gering wie nur irgendwie möglich. Lieber sparsam in der Not, als verhungern bis zum tot, galt das Motto. Nur ich hielt mich nicht daran. Des Öfteren verschaffte ich mir Zutritt zu diesem Gebäude, was nicht gerade einfach war, da es bewacht wurde. Aber die Soldaten waren meist übermüdet, ausgehungert und unterkühlt. Auch sie wurden nicht verschont. Es gab für mich nur einen einzigen Weg ins Innere der Gemäuer. Dieser war beschwerlich und beängstigend zugleich, denn er führte

mich runter in die Abwasserkanäle. Nur von dort aus war es mir möglich die Speisekammer zu betreten, ohne bemerkt zu werden. So ging ich weiter durch die dunklen Straßen, bis ich dort angelangte, wo es hinab in die tiefe ging. Ein dicker Metalldeckel trennte den oberen teil der Stadt, vom unteren. Mit Muskelkraft allein konnte ich ihn nicht anheben. Schon Wochen zuvor hatte ich ganz in der nähe ein altes Eisen gefunden, das mir nun als Hebelwerkzeug diente. Meine Hände gefroren bei der Suche nach dem Versteck. Begraben unterm Schnee wurde ich fündig, klemmte es zwischen eine Ritze und zog mit voller Kraft. Das

Metall verbog sich, doch der Deckel wollte seinem Platz nicht weichen. Wie irre geworden versuchte ich es weiter, bis meine Hände vom Griff abrutschten und das Eisen zurück schnellte. Ich schrie kurz auf, denn es prallte mit meinen kalten gefrorenen Fingern zusammen und verursachte einen fast unerträglichen Schmerz. Gebeugt hielt ich meine Hände fest und rieb sie an meine Hose, um die Durchblutung anzuregen. Ich versuchte es erneut, doch nichts. Keinen Zentimeter ließ er sich bewegen. Der Deckel musste am Schachtrand angefroren sein. In eile hauchte ich die Rillen mit meinem Atem an, den es war bitterkalt und selbst wenn

ich es schaffen würde, das gefrorene Wasser zwischen den Ritzen zu schmelzen, so würde es wieder Sekunden schnell gefrieren. Mein Gewissen plagte mich, den ich hätte meinen Vater etwas Suppe mitbringen können. Stattdessen hatte ich nur an mich gedacht. Wieder aufrecht stoß ich es voller Hoffnung in die Ritze. So tief wie möglich, um die volle Kraft der Hebelwirkung entfalten zu können. Drehend, stemmend und ziehend, hörte ich wie der Deckel sich langsam vom Schachtrand abhob. Einige Zentimeter ragte er in die Luft, gestützt vom Eisen. Sollte ich nun abrutschen, so würde er mit einem lauten Geräusch auf den Rand

knallen und zudem müsste ich ihn wieder anheben. Meine Kraft verließ mich jetzt schon, noch einmal hätte ich es nicht geschafft. Reflexartig schnellten meine Hände unter den Deckel. Angestrengt hob ich ihn Stück für Stück höher und ließ ihn langsam zur anderen Seite kippen. Ich hatte es geschafft, der Weg war frei. Nun musste ich vorsichtig nach unten. Mich graute es schon jetzt bei den Gedanken, durch die finsteren und nassen Kanäle zu waten. Ich war von Natur aus ein sehr ängstlicher Mensch und dieser Ort war mit Sicherheit der Letzte, an dem ich mich wohlfühlte. Stufe für Stufe ging es abwärts und ein widerlicher Geruch stieg

von unten empor, in meine Nase. Schauerliche Geräusche ließen mir meine Nackenhaare zu berge stehen. Umso tiefer ich kam, desto stickiger wurde es. Mit einem Leisen plätschern sprang ich die letzte Stufe ins kalte Schwarze nass. Es war stockdunkel. So dunkel, dass ich noch nicht einmal meine Hand vor Augen sah. Wäre ich unwissend über die tiefe des Wassers, so hätte ich mich niemals dazu überwinden können hinein zu springen. Als Kind spielte mein Vater oft in den Kanälen und von seinen Geschichten wusste ich einiges über sie. Dieses unterirdische Labyrinth von Gängen, wurde vor Jahren zur Entwässerung gebaut. An diesen

schauerlichen Ort verschlug es normalerweise keine Seele. Ab und zu hörte man von Erzählungen anderer, das wieder ein Kind in den Kanälen verschwand. Man wollte den Geruch durch die dort unten verwesten Körper nicht verstärken. Aus diesem Grund wurden die Zugänge versperrt. Vorsichtig bahnte ich mir meinen Weg voran. Knietief versank ich im Wasser. Immer weiter gerade aus, tastete ich mich an der Wand entlang. Sollte ich einmal falsch abbiegen, so würde ich vermutlich nie wieder hinausfinden und hier unten kümmerlich verhungern, oder Schlimmeres. Deshalb versuchte ich mich zu

konzentrieren, was nicht gerade einfach war, denn mein Herz schlug vor Angst so laut, das es fast unmöglich war, einen klaren Gedanken zu fassen. Außerdem waren da noch diese Geräusche, die ich in unregelmäßigen Abständen war nahm. Waren es die Seelen der hier verstorbenen Menschen? Meine Angst wurde stärker und ich wollte so schnell wie möglich den Eingang zur Speisekammer erreichen. Kurz war der Weg nicht, doch ich kannte ihn auswendig. Ein paar Mal links und rechts abbiegen, wenige Hundert Meter geradeaus und schon würde man am ende des Ganges, das Licht der Kammer sehen. Das

Geräusch aus der Ferne schien näher zu kommen. Meine Beine trugen mich immer schneller. Wie ein Stöhnen aus vielen Mündern, kam es immer näher. Es schien die Gänge in einem beängstigend schnellen Tempo entlang zu gleiten. Ich blieb stehen, um in die Dunkelheit zu horchen. Schritte hörte ich keine. Nur ein Stöhnen und Pfeifen. Einige Male war ich schon hier unten, doch diese Geräusche waren mir fremd. Ich versuchte mich zu beruhigen. Was sollte ich tun? Sollte ich wieder zurück laufen oder weiter gehen? Die Laute wurden intensiver und sie schienen nun aus der Richtung zu kommen, aus der ich kam. Jetzt war mein Weg klar. Auf keinem Fall

wollte ich zurückgehen, denn ich war nicht erpicht darauf, herauszufinden von wem oder was diese Geräusche kamen. Fast laufend versuchte ich die Tür zu erreichen. Noch konnte ich sie nicht sehen, aber lange würde es nicht mehr dauern. Mein Herz blieb fast stehen, als ich ein Hecheln nicht weit von mir hörte. Die Geister, sie kommen mich holen, weil ich ihre Ruhestätte betreten habe. Es kam auf mich zu. Wegrennen würde mir wohl nichts bringen. Vor Toten kann man nicht davon laufen! Aus Reflex ließ ich mich fallen. Irgendetwas musste ich tun. Sollte ich nur da stehen und auf meinen tot warten? Ich hielt meinen Atem an und tauchte vollständig

in das kalte Wasser. Am liebsten hätte ich sofort nach Luft geschnappt, denn die Kälte zwang mich regelrecht dazu. Mehrere Sekunden verweilte ich so, bis ich voller Schreck nach oben gezogen wurde. Ich sah nichts. Zu dunkel war es, um etwas erkennen zu können. Da war es wieder, dieses Atmen. Nun hörte ich es nicht nur, nein ich spürte den regelmäßigen Windzug in meinem nassen Gesicht. Mehrere Hände schienen mich zu umklammern. Voller Panik versuchte ich mich aus den Griffen der Unbekannten zu lösen. Ich schrie. Jemand packte meine Beine und ich merkte, wie ich davon getragen wurde. Jeder Muskel in meinem Körper war

angespannt. Erfolglos krümmte und streckte ich mich. Alle mühen umsonst. Ich wurde gefangen und vermutlich würde ich gleich auf Grausame weise umgebracht werden. Doch wieso nicht sofort? Warum nicht gleich hier und jetzt? Ich beschloss meine Kräfte zu sparen und fürs Erste nach zu geben. Eine ganze Weile wurde ich durch die finsteren Schächte getragen. Meine Arme und Beine wurden langsam taub. Plötzlich nahm ich etwas war. Licht, ja ich sah Licht! In der Ferne schien eine Fackel zu leuchten. Ich glaubte zu sehen, wie das Feuer Schatten von Personen an die Wand warf. Mein Nacken schmerzte, den ich versuchte

mehr erkennen zu können. Mit verrenkter Kopfhaltung spähte ich nach vorne. Wo brachte man mich hin? Was würde gleich mit mir geschehen? Jetzt hörte ich sogar Stimmen. Irgendetwas ließ mich paradoxerweise sicherer fühlen. Vielleicht war es der Gedanke daran, dass Geister keine Fackeln entzündeten und sich gegenseitig unterhielten. Minute für Minute kamen wir den mysteriösen Gestalten näher. Gleich würde ich sie sehen, die unheimlichen Personen. Es wurde heller und die Stimmen lauter. Das Licht verbannte allmählich die Dunkelheit und gab nun Farben zu erkennen. Ohne Zweifel wurde ich von Menschen

getragen. Ich erkannte ihre Haare und ihre schmutzige Kleidung. Wer waren diese Personen? Ich wurde einige Stufen hinauf getragen und das Wasser schienen wir hinter uns gelassen zu haben. Es plätscherte nicht mehr, wir waren auf Trockenen. Jetzt sah ich alles klar und deutlich. Die steinernen feuchten Wände, Fackeln und sogar Stroh in einer Ecke. In einem Kreis sitzend, kauerten einige Menschen. Es waren keine Ausgewachsenen. Ein Dutzend musste es von ihnen sein. Was taten sie hier? Zwei von ihnen bemerkten uns und kamen auf uns zu. Ihre Gesichter waren von Schmutz übersät und ihre Kleidung schien so feucht wie die Luft hier unten

zu sein. Ein paar Meter vor uns blieben sie stehen. „Bringt ihn hier rüber.“ Unsanft wurde ich fallen gelassen. Ein wenig benebelt vom Sturz, versuchte ich mich zu sammeln. Ehe ich es mir versah, wurde meine Kehle von einem Fuß zugedrückt. Nach Luft ringend versuchte ich mich zu wehren. „Wer bist du und was hast du hier zu suchen?“ Sprach nun energisch ein anderer. Ich bekam kein Wort aus meinem Mund. Mit erhöhter Stimme wiederholte er seine Worte. Der Druck auf meine Kehle wurde intensiver. Ich versuchte zu antworten, doch mir fehlte die Luft zum Sprechen. „Wie soll er antworten, wenn du ihn nicht lässt?“ Er nahm den Fuß von mir.

„Sprich, aber wage es nicht aufzustehen.“ Luft schnappend sprach ich. Meine Worte waren unverständlich und kamen durch meine schnelle Atmung nur abgehackt aus mir heraus. „Wir können dich nicht verstehen!“ Einer der hinter mir Stehenden, zog meinen Oberkörper nach oben und half mir somit senkrecht zu sitzen. Ich spürte, wie sich meine Lunge bei jedem neuen Atemzug mit Luft füllte. Erneut sprach ich. Diesmal deutlicher. „Die Speisekammer, dort wollte ich hin, aber bitte verschont mich. Ich verspreche nie wieder zu kommen.“ Stille. Sekunden des Schweigens vergingen. Der schroffe Junge übernahm das Wort und sprach zu

mir. Denkst du wir lassen dich gehen, jetzt wo du unser Versteck kennst? Ich sag dir was, du wirst sterben, gleich hier. Er kam auf mich zu, zog ein Messer und wollte es mir in meinen Leib stoßen. In seinen Augen erkannte ich den Mut zu töten. Jetzt sollte es so weit sein, ich würde mein leben lassen. Und das ausgerechnet in diesen widerlichen Kanälen. Sein Arm schnellte mir entgegen, bereit mich auszulöschen. Doch seine Handlung wurde abrupt gestoppt. „Er wird nicht sterben!“ Der andere Junge packte seinen Arm und hielt ihn fest. „Was tust du den da Elbur? Lass mich los, nur tot kann er uns nicht mehr verraten.“

„ER WIRD NICHT STERBEN!“ Wiederholte mein Verteidiger nun fast brüllend und versuchte das Messer aus seinem Griff zu befreien. „Die Wachen, sie werden uns finden und hinrichten lassen.“ Er ließ das Messer los und sackte zu Boden, die Hände über den Kopf verschränkt. Dabei wiederholte er immer wieder dieselben Worte. „Die Wachen werden uns alle töten. - Die Wachen werden uns alle töten.“ Für einen Augenblick dachte ich, mein Ende sei gekommen. „Bist du Waise?“ Sprach nun der Junge namens Elbur zu mir. Ich verneinte. Deine Eltern wissen wo du bist?“ Wieder

verneinte ich. Der Schreck steckte noch tief in meinen Knochen und es viel mir schwer zu sprechen. „Gut, du kannst aufstehen.“ Er streckte seine Hand aus, um mir zu helfen. Ich ergriff sie, wurde hochgezogen und stand mühsam auf meinen Beinen. Mein ganzer Körper zitterte. „Folge mir.“ Wir gingen zu den im Kreis sitzenden, gefolgt von den vier die mich nach hier verschleppten. Zwölf Jungen und Mädchen verschiedensten Alters saßen beieinander. Alle so schmutzig wie ihr Umfeld. Elbur ließ sich bei ihnen nieder und sah zu mir auf. „Du darfst uns ruhig Gesellschaft leisten, dir wird nichts passieren.“ Ängstlich und misstrauisch

begab ich mich mit den anderen auf Augenhöhe. Blicke durchbohrten mich und ich bemerkte, wie untereinander geflüstert wurde. „Wie heißt du?“ Fragte mich ein Junge, nicht weit von mir entfernt. „Acheldo.“ „Moldo, freut mich dich kennenzulernen.“ „Danke.“ Auf keinen Fall verspürte ich Freude oder der gleichen. Lediglich wollte ich etwas zu essen stehlen und nach Hause zu meinem Vater. Der Schreck ließ langsam nach und Neugierde packte mich. Was verschlug so junge Menschen nach hier unten? Hielten sie sich hier dauerhaft auf? Diese Fragen stellte ich nun auch

Elbur. „Wir sind Waisenkinder, die Kälte verbannte uns an diesen Ort. Dies ist unser Platz. Hier schlafen wir und versuchen zu überleben.“ Alle schienen bei diesen Worten nachdenklich und traurig ihre Köpfe zu senken. „Wir werden hingerichtet, bestraft für unsere Taten.“ „Halt deine Klappe Arex! - Es tut mir leid, was dir eben beinahe widerfahren wäre. Auch ihm hat das Schicksal schwer getroffen. Er wird damit einfach nicht fertig.“ Mein Blick wanderte zu den Jungen, der eben noch voller Elan mein Leben beenden wollte. Jetzt leuchtete es mir ein. Sie wählten

diesen Platz wegen der Vorräte. Von hier aus hatten sie es nicht schwer an sie heran zu kommen. „Du wolltest Essen stehlen?“ Sprach nun ein Mädchen zu mir. Augenscheinlich war sie in meinem alter, doch mein Blick haftete auf ihren Bauch. Sie war zerbrechlich dünn, aber ihr Bauch, er war der einer Schwangeren. Sichtlich unangenehm, bemerkte sie meine Blicke und verschränkte ihre knochigen Arme vor ihren Körper. Ich nickte ihr zu. „Du bist der erste Nichtweise, den es nach hier verschlagen hat.“ Sie ließ von mir ab, senkte ihren Kopf und kauerte in ihrer Position. Vielleicht kränkte ich die hier lebenden mit meiner Anwesenheit. Im

Gegensatz zu ihnen, sah ich einigermaßen gepflegt und lebendiger aus. Obwohl mir die Angst immer noch tief in den Knochen steckte und mein Misstrauen nur langsam wich, verspürte ich zunehmend Mitleid. Doch ich war nicht freiwillig in ihr Territorium eingedrungen. Zu meinem verwundern schien ich für die anderen nicht sonderlich interessant zu sein, den nach meinem letzten Wortwechsel schien sich niemand mehr an mich wenden zu wollen. Auch Elbur unterhielt sich nun mit seinen Sitznachbarn. Mein Interesse galt aber nicht ihrer Unterhaltung, sondern dieser großen Halle, in der wir uns befanden.

Strohhaufen, Dreck und noch mehr Dreck. Mehr gab es hier unten nicht. Knochen von undefinierbaren Tieren, lagen über den schmutzigen Boden verteilt. Menschenkot stapelte sich in einer Ecke und es schien als würde ich dem fast unerträglichen Geruch erst jetzt wahrnehmen. Das Zeugnis ihrer Gebundenheit an diesen Ort.

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zimny1

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Angelina01 Sehr spannend und kraftvoll geschrieben :)

*Liebe Grüße Angelina01*
Vor langer Zeit - Antworten
zimny1 Dankeschön
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