Loyalität und Timing
Beide Bewohner des Zimmers werden heute entlassen und warten nur noch auf Abschlußbefund und Transport. Auf dem Gang liegt bereits ein Neuer. Die blutjunge Schwester mit dem schicken Bürstenschnitt und dem glücklichen Strahlen im Gesicht hat alle Hände voll mit dem Roomservice zu tun. Während sie die Spuren der letzten Visite von den Nachttischen und Fensterbrettern räumt, fragt ein Patient: „Die schwarzhaarige Schwester mit der Brille ist doch die Stationsschwester?“ Sie blockt: „Ich weiß nicht, ob sie im Dienst Brille trägt.“ Ein schärferes Attribut muß her: „Die immer nicht ganz so lebensfroh guckt.“ Aufgeblasene
Schwesternwangen, starrer Blick. Der Patient kommt zur Sache: „Als ich vor zwei Wochen nach 20 Uhr eingeliefert wurde, fragte sie mich, ob ich etwas essen möchte. Ich sagte danke, nein, nur dauernd Durst. Da versprach sie mir eine ganze Kanne Tee.“ Der armen Schwester schwant was, immer schneller hantiert sie höchst konzentriert mit Nachttischen und Gehwagen. Als er in sachlichem Ton abschließt „Na ja, nun warte ich nicht mehr“, klappert sie gerade hektisch mit den Infusionsständern aus der Tür, läßt diese zuschlagen und steht mit angezogenem Knie draußen an der Wand.
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