Romane & Erzählungen
Nanny

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"Nanny wurde ich nur durch Zufall"
Veröffentlicht am 16. Juni 2014, 76 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Nanny wurde ich nur durch Zufall

Nanny

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Einfach nur raus und weg. Ich konnte nicht mehr. Wem konnte ich noch vertrauen? Niemanden mehr. Von allen wurde ich verarscht und ausgenutzt. Ich kaufte mir ein Ticket, mit welchen ich durchs ganze Land fahren konnte. Ein direktes Ziel hatte ich nicht. Einfach nur raus und weg. An irgendeiner Station, die mir besonders gefiel, würde ich aussteigen. Und dann? So weit dachte ich nicht voraus. Ankommen und weitersehen. Der Zug fuhr Meter um Meter. Mit Absicht hatte ich mir langsame Züge ausgesucht. Ich wollte mir die Gegend

genauer ansehen und an einem kleinen Bahnhof aussteigen, nicht an einem Großen. Ein verschlafenes Nest war mein Traum. Nur wenige Menschen, dafür viel Ruhe und Natur. Und da war er. Da der Zug nicht anhielt, zog ich die Notbremse. Noch ehe jemand mich fassen konnte, war ich aus dem Zug gesprungen und davongerannt. Ab durch die Büsche. Als der Zug außer Sichtweite war, kroch ich wieder hervor und sah mich in dem Nest um. Eine richtige Einöde. Das gefiel mir. Hier fand ich die Ruhe, die ich brauchte. Doch so ruhig und einödig war es dann doch nicht, wie ich anfangs glaubte.

Schon bald sah ich Häuser und einen Spielplatz mit Kindern und einer einzelnen Frau. Da mir ein wenig die Füße wehtaten, gesellte ich mich dazu und zog meine Schuhe aus. Es war ziemlich heiß gewesen, an dem Tag. Nirgends ein schattiges Plätzchen. Mein Wasser war auch alle. Und nun? Notgedrungen fragte ich die Frau, ob es in der Nähe eine Möglichkeit gab, Wasser zu kaufen. Doch sie verneinte. Aber sie gab mir was von ihrem Vorrat ab. Und so kamen wir ins Gespräch. Sie erzählte mir von dem Verlust ihres Mannes, wenige Wochen zuvor, und das es für sie anstrengend ist, Haushalt und Kinder unter einen Hut zu bekommen.

Das sie gern wieder arbeiten gehen würde. Und ehe ich es mich versah, war ich die Nanny. Sie war verzweifelt gewesen. Hatte Angst davor, ihre Kinder zu verlieren. Deswegen bot ich ihr meine Hilfe an. Drängte sie ihr sacht auf. Ihre Verzweiflung war sehr groß. Das spürte ich. Deshalb auch mein sanfter Druck. Eine Unterkunft gab es nicht mehr in dem Nest. Die hatte vor Jahren geschlossen, da niemand dort übernachtete. Die meisten Einwohner waren in Großstädte gezogen, weil sie dort Arbeit hatten. Da der hiesige Bahnhof vor Jahren stillgelegt wurde, waren die Anwohner gezwungen

umzuziehen. Denn die Arbeitswege waren nicht gerade nah und nur die allerwenigstens hatten ein Auto. Ich startete sofort mit der Arbeit. Lernte die Namen ihrer Kinder auswendig. Ryan, Brayn, Stacy, Evelyn und Caty. Ziemlich außergewöhnlich Namen, hierzulande. Susanne, die Mutter der Kinder, wollte es so. Als wir in ihrer Wohnung ankamen, half ich den Kindern beim Ausziehen. Dann ließ ich mir die Wohnung zeigen. - Ich musste ja wissen, wo ich was fand. - Die Zimmer waren nicht besonders groß, abgesehen von der Küche. Aber ihnen genügte es. Jeder hatte sein eigenes

Zimmer. Es gab zwei Badezimmer. Eins für die Mädels und das andere für Herren. Ich bereitete das Abendessen zu. Es war ungewohnt für mich, weil so viele in der Küche waren. Normalerweise war ich allein. Keiner durfte die Küche betreten, bevor ich es erlaubte. Meine Exfrau hielt sich nicht daran, wenn sie nicht wusste, was ich vorhatte. Sie war neugierig gewesen. Irgendeinen Vorwand fand sie immer, um in die Küche zu müssen. Waren das noch Zeiten. Ab und an ließ sie es zu, das wir eine richtige Familie sind. Leider viel zu selten. Für mich war es eine große Umstellung.

Ständig sah ich irgendwelche kleine Händchen. Mal hier, mal dort. Einerseits machte es mich wahnsinnig, aber andererseits brachte es mich zum Lächeln. Es war für mich eine Freude, bei ihnen zu sein. Ich wurde gebraucht und gemocht. Dieses Gefühl ist für mich wunderbar. Genau das, was ich brauche und liebe. Auch wenn es für mich überraschend kam, so schnell in diese Familie integriert worden zu sein, sie überhaupt kennengelernt zu haben. Eigentlich wollte ich Urlaub haben. Mich erholen und entspannen. Auf andere Gedanken kommen. Letzteres klappte ganz wunderbar. Um ehrlich zu sein; ich merkte, das ich

schon eine Weile aus der Übung war. Das Essen schmeckte zwar, war aber nicht annähernd das, was ich früher gemacht hatte. Es fehlte Kreativität. Der Überraschungseffekt. Irgendwas hatte ich immer verändert, damit kein Standard herauskam, sondern etwas Eigenes. Das Abendessen verlief ziemlich ruhig. Ich wurde ausgefragt, wer ich bin und woher ich kam und so weiter. So weit ich konnte, beantwortete ich alle Fragen wahrheitsgetreu. Manchen Fragen wich ich gekonnt aus. Sie mussten nicht alles wissen. Noch nicht. Es war schön zu wissen, das sie mir vertrauten. Vor allem die Mutter.

Ihretwegen war ich ja hier. Wenn auch nur durch eine Zufallsbegegnung. Ich konnte es immer noch nicht glauben, wie schnell alles ging. Wie lange hatten wir uns unterhalten? Eine Stunde? Zwei? Ich hatte nicht auf die Uhr geschaut. Zumindest hatte sie sehr schnell Vertrauen zu mir gefunden. Daran war ich ja gewöhnt. Ein bis zwei Sätze und schon erfuhr ich die ganze leidliche Lebensgeschichte meines Gesprächspartners. Ich half ihr dabei, die Kinder ins Bett zu bringen. Der Stress hielt sich in Grenzen. Das übliche Theater halt. Die Eine will noch was trinken, der andere hatte vergessen Zähne zu putzen...Ich

regte mich nicht auf. Bewahrte die Ruhe. Schließlich hatte ich schlimmeres durch. Als sie endlich alle schliefen, wollte ich mich auch hinlegen. Doch die Mutter ließ es nicht zu. Hatte eine Flasche Rotwein geöffnet und uns beiden eingeschenkt. „Ich wollte mich bei ihnen bedanken, das sie mich unterstützen. Normalerweise lasse ich nicht jeden in meine Wohnung. Aber sie strahlen etwas aus...“ „Wollen wir nicht Du zueinander sagen?“, unterbrach ich sie. „Einverstanden.

Susanne.“ „Arschloch.“ Es kam ganz automatisch. Meine Exfrau und ihre Freunde hatten mich so oft Arschloch gerufen, da ich auf meinen Namen gar nicht mehr reagierte. - War eh nur ein Sammelbegriff. Zu viele heißen so, wie ich. „Arschloch?“ „Tut mir leid. Gewohnheit. Nenn´ mich einfach Nanny. Das wäre am besten. Ich bin hier, um dich zu unterstützen und dir zu helfen. Vor allem mit deinen Kindern. Dazu gehört, das ich mich um den Haushalt kümmere und das Essen mache. Deine Kinder sollen mich auch Nanny rufen. - Verstehe mich bitte nicht falsch.

Weder bin ich ein gesuchter Verbrecher, noch sonst ein Straftäter. Dennoch bin ich auf der Flucht und ich möchte nicht gefunden werden. Irgendwann werde ich dir alles erklären. Das wird dann sein, wenn ich das Gefühl habe, das du mich verstehst. Ich hoffe, du hast Geduld.“ „Du bist der erste Mann, zu dem ich auf Anhieb Vertrauen habe. Ich weiß auch nicht, woran es liegt. Selbst meine Kinder mögen dich, obwohl sie dich heute erst zum ersten mal gesehen haben.“ „Zu Kindern hatte ich schon immer einen guten Draht. Nur zu meinen...Dein Glas ist leer. Darf ich nachschenken?“ Susanne beobachtete mich, wie ich ihr

Glas vollmachte. Fast randvoll. Ich war mit meinen Gedanken woanders gewesen. Weit weg von diesem verlassenen Nest und der Gegenwart. Erinnerungen waren hochgekommen. Alles war nicht schlecht gewesen. Leider waren es aber nur wenige Momente, die wirklich schön waren. Vielleicht verdrängte ich auch viele schöne Momente. Wer weiß. Glauben, tu ich daran aber nicht. Wortkarg saßen wir auf dem Sofa und ich fragte mich, wann sie endlich ins Bett gehen würde. Ich war müde. Wollte aber nicht unhöflich sein. Schließlich war ich nur Gast und Angestellter. Dann fiel mir ein, das noch ein paar Punkte

ungeklärt waren. Wie, wann standen die Kinder auf? Wann mussten sie wohin in welche Richtung? Das musste spätestens am folgenden Tag geklärt werden. Sie musste mich auch hinführen, denn ich kannte mich in der Gegend überhaupt nicht aus. Welch ein Glück, das es Samstag war. So konnten wir am Sonntag alle wichtigen Wege abklappern und die letzten Details durchgehen. Während ich darüber nachdachte, nickte sie weg. Ihr Kopf sackte nach unten. Eingeschlafen. Na prima, dachte ich. Das Sofa war für mich allein schon zu schmal. Aber ich bin nun mal Gentleman. Vorsichtig legte ich sie hin und deckte sie zu. Dann gab ich ihr ein

sanftes Küsschen auf die Stirn und schlich mich in ihr Schlafzimmer. Kaum angekommen, hörte ich jemanden hinter mich schleichen. Ryan. Ich hob ihn hoch und brachte ihn in sein Bett zurück. Früher hatte ich gemeckert, wenn mein Kind mitten in der Nacht aufgewacht war. Irgendwann hatte ich begriffen, das es nichts brachte. Ruhe bewahren, das half dem Kind, wieder einzuschlafen. Das lernt an irgendwann, wenn man jede Nacht aufstehen darf, damit die Mutter weiterschlafen kann. Auch bei ihm half es. Sanft legte ich ihn wieder in sein Bett und blieb neben ihm, bis er eingeschlafen war, was, zu meinem Glück, nicht allzu lange dauerte.

Dennoch ging ich nicht gleich wieder aus seinem Zimmer, sondern blieb noch ein wenig. Die Erfahrung hatte mich gelehrt, das Kinder spüren, wenn man den Raum verlässt und gleich wieder putzmunter sind. Deswegen blieb ich neben ihm sitzen und schlief irgendwann ein. Der folgende Morgen war nicht so schön. Mir tat alles weh. Trotzdem jammerte ich nicht herum. War ich es doch von früher gewohnt. Meine Exfrau ließ mir kaum Platz im Bett. Mich umdrehen? Ging kein Weg rein, ohne brutal zu werden. Und das wollte ich nicht. Also fand ich mich mit dem Schicksal

ab. Ryan und ich waren die Ersten. Da es ja Sonntag war, ließ ich sie alle schlafen. Auch deren Mutter. Sie sollte merken, das sie nicht mehr alleine dastand, mit ihrem Haushalt und den vielen Kindern. Auch wenn ich selbst nur zwei Stück hatte, - würde ich die Kindesmutter dazu zählen, wären es drei Kinder - war es doch kein so großer Unterschied, zu damals. Ryan und ich verstanden uns wunderbar. Er war sehr anhänglich. Was einerseits mich freute, anderseits doch hinderlich war, am Ausführen meiner Aufgaben. Aber ich löste es geschickt, indem ich ihm einfache Aufgaben übertrug, wie

Tisch decken. Es funktionierte eins a. Seltsamerweise hörte er auf mich. Bei meinen Kindern... Da zwischenzeitlich noch kein weiteres Familienmitglied aufgestanden war, frühstückten Ryan und ich allein. Es war für mich sehr schwer, da ich es gewohnt war, nur Kaffee zu trinken und nichts dazu zu essen. Aber damit Ryan etwas aß und er sich nicht alleine fühlte, würgte ich mir eine Schnitte hinter. Ich brauchte sehr lange, bis ich die Schnitte endlich aufgegessen hatte. Ryan beobachtete mich dabei und ich musste mich sehr anstrengen, damit er mir nicht ansah, wie viel Überwindung es mich kostete.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, warum keiner aufstehen wollte. Kurz nach sieben. Und nun? Frühstück war beendet. Fernsehen, musste nicht sein. Den Fehler würde ich bei keinem weiteren Kind mehr wiederholen. Als ich Kind war, gab es nur wenig Kinderfernsehen. Wir spielten draußen Egal ob die Sonne schien, oder es regnete. Natürlich waren es noch andere Zeiten. Weder hatten wir Handys, noch Telefon und schon gar nicht einen Computer. Das Wort Internet gab es zu dem Zeitpunkt noch gar nicht. Man verließ einfach die Wohnung, lief zu einem Kumpel und ließ sich überraschen,

ob jener zu Hause war, oder nicht. Waren das noch Zeiten. Unvorstellbar heutzutage. Aber so war es wirklich einmal gewesen. Wie ich doch diese Zeit vermisse. Irgendwie war es damals unkomplizierter. Ich zog Ryan an und ging mit ihm spazieren. Auf eigene Faust wollte ich die Gegend inspizieren. Nachschauen, wo was war, wie Einkaufsmöglichkeiten. Wenn ich schon den Küchenchef markierte, musste ich auch alle notwendigen Zutaten selber besorgen. Aber weit und breit fand sich kein Geschäft. Die meisten Läden waren für immer geschlossen. Und das auch nicht erst seit heute. Wo ging Susanne

eigentlich einkaufen? Zwei Stunden später waren wir wieder zurück. Ryan strahlte übers ganze Gesicht. Ihm hatte der Spaziergang mit mir sichtlich Spaß gemacht. Kaum waren wir in der Wohnung, rannte er zu seiner Mutter und weckte sie. Erzählte ihr aufgeregt, wo wir überall gewesen waren. Was wir gemacht haben. Seine Mutter nickte nur und wrang sich ein Lächeln ab. „Komm, Ryan. Zieh dich aus. Deine Mama steht gleich auf. Dann kannst du ihr alles nochmal in Ruhe erzählen.“, sprach ich sanft. Der Kleine war der Einzige, der auf mich abgefahren war. Die anderen

Kinder...Wie soll ich es beschreiben? - Zurückhaltend? - Passt vielleicht am Besten. Denn komplett negativ auf mich eingestellt, waren sie nicht. Den Grund dafür, erfuhr ich schon bald. Leider. Musste mich dieses gottverdammte Nest an das Leben erinnern, vor dem ich weglief und welches ich vergessen wollte? Nicht so schnell. Bevor ich den Grund für ihre Einstellung zu mir erfuhr, geschahen noch ein paar andere Dinge. Keine Weltbewegende. Aber ich glaube schon, das sie wichtig sind und ich sie nicht einfach so übergehen kann. Ryan war der jüngste Spross. Etwa drei Jahre alt. Bryan, hingegen, der Älteste.

Siebzehn. Dann kam Stacy, sechzehn. Evelyn vierzehn und Caty elf. Teenager sind schwer zu handhaben. Auch wenn meine Teenagerzeit lange zurückliegt, erinnere ich mich manchmal noch daran und greife mir selbst an den Kopf. Frage mich selbst, wie ich nur so blöd sein konnte. Warum tat ich dieses und jenes, obwohl ich es schon damals besser wusste? Bryan distanzierte sich am Meisten von mir. Ich drängelte mich nicht auf. Hab ich schon früher nie getan – bis auf meine Ex, da sie mich wirklich brauchte, es aber nicht zugeben wollte. Ich gab ihm deutlich zu verstehen, das er zu jederzeit zu mir kommen konnte,

wenn er wollte. Das ich auch für ihn da war, wie für alle anderen auch. Susanne und ich teilten uns die Aufgaben. Sie fuhr die Kinder in die Schule und in den Kindergarten. Ich kümmerte mich um den Rest. Das heißt, das ich als erstes aufstand und das Frühstück für alle machte, ebenso die Pausenbrote. Natürlich jeden Tag anders, damit es den Kindern nicht irgendwann zum Halse rauskam. Danach weckte ich alle. Kümmerte mich in erster Linie um Ryan, weil er noch die meiste Aufmerksamkeit und Hilfe brauchte. Vergaß dabei aber nicht die anderen Kinder und auch nicht deren

Mutter. Im Prinzip hatte die Mutter nichts weiter zu tun, als die Kinder und mich durch die Gegend zu fahren. Sie hatte also viel Freizeit. Konnte sich richtig erholen. Mich störte es nicht, das ich alles andere machte. Selbst die Finanzen hatte ich übernommen. Man konnte fast sagen, das ich sie entmündigt hatte. Denn ich verwaltete das Geld und sie bekam wöchentlich Taschengeld für Sprit und Kleinigkeiten. Mir machte es Spaß, bei ihnen zu sein. Es lenkte mich voll von meinem anderen Leben ab. Eines nachts fiel mir ein, das ich ja noch eine Wohnung hatte. Das Arbeitsamt würde die Miete nicht zahlen,

wenn ich den Bewilligungsantrag nicht ausfüllen und abgeben würde. Aber wann trat ich meine Rückreise an? Das wusste ich nicht. Deshalb schrieb ich meiner Exfrau, die noch meinen Ersatzschlüssel hatte, das ich für immer fern bleibe und sie bitte für mich die Wohnung kündigen soll. Anbei schickte ich ihr noch meinen Wohnungsschlüssel. Was sie mit alldem, was noch in der Wohnung stand, tat, war mir egal. Ich hatte die Zeiten hinter mich gelassen. Wollte nicht mehr zurück. Was sein würde, wenn Susanne mich vor die Tür setzte, daran dachte ich nicht. Rechnete auch nicht damit, das es geschehen würde. Zumindest nicht in nächster Zeit.

Ihr ging es doch gut. Langsam wurden wir eine kleine Familie. Alles lief gut, bis Susanne eines Abends einen Mann anbrachte, den sie schon seit Wochen sah und in den sie sich verliebt hatte. Mich störte es nicht. Ich wollte nichts von ihr. Klar, sie sah gut aus. War auch ganz nett. Dennoch hatte ich kein sexuelles Interesse an ihr. Für mich war sie meine Chefin. Auch wenn es den Anschein hatte, das es umgedreht war. Furchtbar war die Nacht. Kein Auge konnte ich zumachen. Ihre Kinder waren alle bei mir im Wohnzimmer und wir schauten gemeinsam fern. Dünne Wände sind ein Fluch. Und so, wie sie schrie,

hätte man sie sogar durch meterdicke Betonwände noch schreien gehört. Wir sagten nichts. Schwiegen. Wollten vergessen, was wir gehört hatten. Die armen Kinder. Lustlos und müde saßen sie am Frühstückstisch. Kauten auf ihrem Frühstück herum, als wäre es aus zähem Gummi. Susanne strahlte hingegen übers ganze Gesicht. Ihre Libido musste für Wochen, wenn nicht gar für Monate, gestillt sein. Susannes Fröhlichkeit ging uns alle auf den Sack. Wir waren angefressen. „Susanne! Dein Koitus ließ uns alle nicht schlafen. Es freut mich, das du bei bester Laune bist. Wir hingegen...“, fing ich

an. „Koitus?“, fragte sie mich. „Sex, Mutter.“, murrte Bryan. „War ich so laut?“ „Man konnte dich im Nachbardorf stöhnen hören. Ich habe nichts dagegen, wenn du deiner Libido nachgehst. Aber bitte nicht mehr hier, wenn die Kinder da sind. Und jetzt ruf ich in euren Schulen und im Kindergarten an, das ihr nicht erscheinen werdet. Es hat keinen Sinn, das ihr euch daraus quält. Ihr bekommt heute eh nichts mit.“ Damit hatte ich mir, bei den Kindern, einen weiteren Pluspunkt eingeholt. Susanne war es anscheinend egal. Sie reagierte nicht darauf. Grinste einfach

nur vor sich hin. Immer noch schien sie die vergangene Nacht in sich zu spüren und dort zu sein. Vorsichtig brachte ich sie in ihr Schlafzimmer und legte sie auf ihr Bett. Es war besser für uns alle, wenn sie außer Sichtweite war. Gegen Mittag legte ich Ryan hin. Als er eingeschlafen war, saß ich mit den anderen Kindern im Wohnzimmer. Das große Schweigen. Gefolgt vom großen Schnarchen. Irgendwann weckte uns Ryan. Von Susanne war weder was zu hören,noch zu sehen. Ich schaute in ihrem Schlafzimmer nach. Nichts. Sie war nicht da. Verschwunden. Weg. Den Kindern war es egal. Zumindest schien es

mir so. Wir vesperten gemütlich im Wohnzimmer. Es kam gerade ein schöner Familienfilm. Deshalb machte ich eine Ausnahme. Den Kindern gefiel es. Ich hatte den Eindruck, als würden wir uns langsam näher kommen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie mich vollkommen akzeptieren würden. Ihren Respekt hatte ich schon teilweise. Nach dem Film schmissen wir gemeinsam den Haushalt. Es waren die Kinder gewesen, die den Vorschlag gemacht hatten, mir zu helfen. Mich hatte es gewundert und gleichzeitig gerührt. Standen wir uns schon näher, als ich

dachte? Innerhalb kurzer Zeit war alles erledigt. Hinterher zogen wir uns an und gingen ein wenig spazieren. Wir hatten gehofft, das wir Susanne sehen würden. Aber nichts. Wer weiß, wo sie sich herumtrieb. Ich hoffte aber, das sie bald nach Hause kommen würde. Weder hatte ich Auto, noch genug Geld für ein Taxi. Die Schulen und der Kindergarten waren aber nicht gerade um die Ecke. Wenn wir laufen würden, bräuchten wir mindestens eine Stunde. Und das auch nur, wenn wir einen scharfen Schritt hinlegen würden. Unmöglich für Ryan. Seine kurzen Beine könnten das nicht mitmachen. Und ihn die ganze Zeit

tragen, könnte ich nicht. Noch einen freien Tag? - Nur wenn mir nichts besseres einfiel. Zwei Stunden später stand ich mit den Kindern in der Küche. Zwar hatte ich mich zwischenzeitlich daran gewöhnt, das sie in der Küche waren, wenn ich dort hantierte. Aber es war Neuland für mich, das ich mit anderen zusammen koche. Spaß machte es auf jeden Fall. Vor allem Ryan hatte seine Freude dabei. Der hatte dann auch ein Bad bitter nötig. Und seine Klamotten sahen aus, als würden sie nie wieder richtig sauber werden. Ich war dann froh, als Ryan frisch gebadet im Bett lag und schlief. Die

anderen Kinder verzogen sich auch in ihre Betten. Ich machte es mir auf meiner Schlafgelegenheit gemütlich und schaute ein wenig fern. Meine Augenlider wurden dabei immer schwerer. Und als ich gerade ganz wegnicken wollte, hörte ich einen Schlüssel im Schloss. Susanne. Endlich. Ich sprang auf und lief ihr leise entgegen. „Su...“, fing ich. Dann sah ich den Typ vom Vorabend hinter ihr reinkommen. Ich sah Susanne ernsthaft an. Sie verstand aber nicht, was ich von ihr wollte. Also musste ich deutlicher werden. „Solltet ihr wieder so ein Krach machen,

das er keiner hier schlafen kann, kommen wir gemeinsam zu euch ins Zimmer. Haben wir uns verstanden? - Denk dran, das morgen Schule ist und du die Kinder fahren musst. Fünf Uhr wecke ich dich, damit du genug Zeit hast wach zu werden.“ Ich blieb ruhig, aber bestimmend. Mit einer kaum merkbaren Kopfbewegung, wies ich sie in ihr Schlafzimmer. Eingeschüchtert, folgte sie meinem Befehl. Wer war ich? Was war ich? Eigentlich dachte ich, das ich die Nanny für ihre Kinder sei. Aber ihr musste ich auch sagen, wie es läuft. Was sie zu tun und zu lassen hatte. Ich war gespannt auf die Nacht und den morgigen

Tag. Obwohl ich müde war, konnte ich nicht einschlafen. Die ganze Zeit hatte ich Bilder im Kopf. Auch wenn ich nichts hörte, war ich mir sicher, das sie es gemeinsam taten. Bei mir war es schon so lange her. Am Ende, meiner letzten Beziehung, lief ja auch nichts mehr, weil sie nicht wollte. Und sie dazu zwingen wollte ich sie auch nicht. Irgendwie fühlte ich mich beschissen. Dachte an das verlogene Miststück. Sehnte mich nach ihrer Haut. Was hätte ich alles gegeben, um sie in jenem Moment in meinen Armen fassen zu können. In der Nacht hatte ich kaum geschlafen.

Dementsprechend fühlte ich mich, als ich am Morgen aufstand. Eine halbe Stunde vorm Weckerklingeln stand ich in der Küche und machte mir einen starken Kaffee. Der half zwar nicht, um wirklich wach zu werden, aber ich hatte eine relativ sinnvolle Beschäftigung und Ablenkung. Ich musste die Nacht vergessen und den Wunsch, wieder eine Frau zu haben. Zu oft wurde ich von denen belogen. Außerdem brauchten mich die Kinder. Die waren wichtig. Nichts anderes. Nur die Kinder. - Warum ich dann plötzlich weinen musste, weiß ich auch nicht. Ich machte das Frühstück für alle. Fragte mich, ob ich für den männlichen

Gast mitdecken sollte oder nicht. Aus Höflichkeit sollte ich es tun. Aber gezwungen, war ich nicht dazu. Es gehörte nicht zu meinen Pflichten. Mein Wille war auch zu schwach dazu. Er gehörte nicht zu uns. Das ich laut mit mir selbst diskutierte, bemerkte ich, als Bryan in die Küche kam und mich fragte, mit wem ich sprach. „Alter, du hast echt einen Schaden.“, sagte er kopfschüttelnd. Wo er Recht hatte. War ja nicht das erste mal, das ich mit mir selber sprach. Mit mir selber stritt ich auch mal. Aber deswegen zum Arzt gehen, hatte ich keine Lust. Kannte Personen, die

brauchten wirklich einen Doc und gingen nicht. Und keiner zwang sie dazu, obwohl es besser gewesen wäre. Aber naja. Ist Vergangenheit, für mich. Wenn ich nicht mehr bei meiner jetzigen Familie sein konnte, wollte ich weiterziehen. Auf keinen Fall zurückziehen. Es sollte Vergangenheit und hinter mir bleiben. Für immer. „Um was ging es bei dir? Hat Mama wieder einen Typen angeschleppt?“ „Wenn er nicht gegangen ist, schläft er noch bei ihr. Hab überlegt, ob ich für ihn auch ein Gedeck hinlege. - So aus Höflichkeit. - Lass es aber bleiben. Was hat er schon großartig gemacht, um es sich zu

verdienen?“ Bryan konnte sich sein Grinsen nicht unterdrücken. Das verging ihm aber, als seine Schwester Caty in die Küche kam. Ihr Nachthemd hatte Blutflecke. Entweder hatte sie sich ordentlich wehgetan, oder sie wurde zur Frau. Seit ein paar Tagen war sie schon zwölf Jahre. Ihren Geburtstag hatten wir nicht gefeiert, hatten auch gar nichts außergewöhnliches gemacht. Caty wollte nicht feiern. Kleine Geschenke hatte sie dennoch erhalten. Nützliches, wie Füllfederhalter und so. „Hast du dir wehgetan, Caty?“, fragte ich vorsichtig. „Ich sollte lieber mit meiner Mutter

darüber reden.“, gab sie zur Antwort. „Geh ins Bad. Ganz unten im Regal findest du, was du brauchst. Dein Nachtzeug tust am besten gleich in die Maschine. Ich wollte heute eh waschen. Was möchtest du heute mit in die Schule nehmen? Einen Salat vielleicht?“ Ich musste das Thema wechseln. Caty war schon puderrot im Gesicht. Und mit ihrer Mutter musste ich unbedingt reden. Mir war schon aufgefallen, das sie langsam weibliche Konturen annahm. Sie brauchte ihren ersten BH. Natürlich hätte ich mit ihr gehen können. Aber Caty war ein Mädchen, der es schon peinlich war, mit mir über die weibliche Menstruation zu sprechen. Was ich sehr

gut verstand - Außerdem hatte ich keine Ahnung, was sie brauchte. Weder Größe, noch Art. - Bei einer erwachsenen Frau war es was anderes. Da wuchs nichts mehr, wenn sie nicht gerade schwanger war und sie wusste, in was sie sich wohl fühlte. Bis auf Susanne und ihren Stecher, waren wir komplett. Wir saßen am Frühstückstisch und genossen die Ruhe. Ich fühlte mich, wie das Familienoberhaupt. Wie ein alleinerziehender Vater. Das Susanne die Mutter der Kinder war, merkte ich in letzter Zeit nicht mehr, da ich alles tat. Außer uns fahren, in die Schule und zum Einkaufen, tat sie rein gar nichts.

Irgendwie kam mir das bekannt vor. - Abgesehen vom Auto. Das hatten wir nicht gehabt. Es war ein schönes Gefühl, mit ihnen am Tisch zu sitzen und zu wissen, das sie langsam näher kamen. Aber es drängte sich auch der Gedanke auf, das dies nicht ewig dauern wird. Eines Tages würde alles vorbei sein. Bryan war der Älteste. Ihn würde es als erstes in die ferne ziehen. Sein Abitur hatte er so gut wie in der Tasche. Es war das letzte Halbjahr. Evelyn machte nur Realschule. Schon bald würde sie in die Lehre gehen. Von da an war es nicht mehr weit, bis zum Auszug. Danach folgte Caty. Am Ende blieben nur noch Ryan

und ich übrig. Welch trauriger Gedanke. Ob sie mich wenigstens ab und an besuchen kommen? Auch wenn ich nicht ihr Vater war, so fühlte ich mich, als wäre ich es. Sie waren meine Kinder geworden. Mein ein und alles. Das Wichtigste auf der Welt.

„Ich werde mal eure Mutter wecken gehen, damit sie euch in die Schule fährt.“ Die Freude hielt sich in Grenzen. Aber mir blieb nichts anderes übrig. Schule war Pflicht und wichtig. Gerade für Bryan. Die Prüfungen standen bevor. Er war ein ziemlich guter Schüler. Ich bewunderte ihn dafür. Wenn man bedachte, unter welchen Verhältnissen er

aufwuchs. Die vielen Geschwister, seine Mutter,... In den letzten Wochen und Monaten war mir einiges an ihr aufgefallen. Zum Beispiel, war sie nicht immer sie. Als Hobbypsychologe würde ich behaupten, das sie Schlimmes erlebt hatte. Entweder schon in der Kindheit, oder später. Möglich war, das es mit dem Tot ihres Mannes zu tun hatte. Zumindest fand ich es sehr naheliegend. Wie und an was ihr Mann gestorben war, habe ich bisher nicht erfahren. Danach fragen, kam für mich nicht in Frage. Zu Privat. Zuerst klopfte ich leise an ihre Tür. Keine Reaktion. Dann etwas lauter. Wieder nichts. Deshalb öffnete ich die

Tür und schaute hinein. Sie lagen beide in ihrem Bett. Es war ein schönes Bild. Aber ich musste es zerstören. In spätestens zwanzig Minuten mussten die Kinder alle im Wagen sitzen und zur Schule gefahren werden. „Susanne.“, flüsterte ich in ihr Ohr. „Mh.“ „Es Zeit zum Aufstehen. Die Kinder sind alle gesättigt und Abmarsch bereit.“ „Nur noch fünf Minuten.“, murmelte sie. Da wurde ich ein wenig lauter und strenger. „In spätestens fünf Minuten will ich dich angezogen in der Küche sehen. Haben wir uns verstanden, Fräulein? Und sie auch, junger Mann. Hopp hopp.

Raus aus den Federn.“ Ich behandelte sie, wie ein Kind. Für mich hatte es den Anschein, das es bei ihr nicht anders ging. So, wie sie sich benahm. Ob sie schon immer so war?

Keine zehn Minuten später standen beide in der Küche. Mir schien, das zwischen den beiden mehr war, als reiner Sex. So, wie er sie ansah und sie ihn. Wenn er ein netter Typ war und sie glücklich mit ihm, würde ich ihnen nicht im Wege stehen. „Entschuldigen sie bitte. Susanne meinte, sie seien die Nanny. Mir scheint aber, das sie...“ Sie stupste ihren Ellenbogen in seine Seite. Was wollte er wohl sagen, das ihm

schien, das ich ein Herrscher bin? „Ich wollte nur sagen, das mir zu Ohren kam, das sie keine Fahrerlaubnis haben und sie daher stets auf Susanne angewiesen sind. Wenn sie möchten, kann ich ihnen dabei helfen. Es wäre für sie bestimmt auch leichter, wenn sie selber fahren könnten.“ „Tut mir leid, aber dafür fehlt mir Geld und Zeit. Aber danke für das Angebot.“ Ich rückte einen Stuhl für ihn zurecht, stellte Teller, Tasse und Besteck vor ihm hin. Warum? Das weiß ich selber nicht. „Vielen Dank. Mit Zeit kann ich ihnen nicht dienen, aber über die Finanzierung brauchen sie sich keine Gedanken zu machen. Susanne erzählte mir, das sie

kostenlos für sie arbeiten. Es wäre nur fair, wenn sie zumindest etwas für ihre Mühe bekommen würden. Sie ist sehr froh, das sie ihr die Arbeit abnehmen. Damit möchte ich auch zu dem Punkt kommen, weswegen ich die Fahrerlaubnis angesprochen habe. In meiner Firma wird kommenden Monat eine Stelle frei. Meinem Chef habe ich Susanne empfohlen. Zuerst wird sie nur auf Probe arbeiten. - Ich bin nur ein kleiner Angestellter und habe nichts zu melden. Ansonsten hätte sie gleich einen unbefristeten Arbeitsvertrag bekommen. Aber ich bin ein Arschkriecher, so, wie mein Vater. Deshalb hat Susanne die Chance bekommen. Und wenn sie

Vollzeit arbeitet, kann sie sie nicht mehr fahren. Meine Firma bildet Fahrer aus. Alle Klassen.“ „Einverstanden. Wenn ich nichts zahlen brauche, bin ich bereit, die Fahrerlaubnis zu machen.“ Ich glaubte nicht daran, das es einmal so weit kommen täte. Viel zu oft wurde mir was versprochen.

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2

Wunder gibt es immer wieder. Tatsächlich durfte ich den Führerschein machen. Trotz... Nicht so voreilig. Zuvor geschah folgendes: Susanne bekam die versprochene Stelle. Zwei Monate später zogen wir um. In die Nähe ihrer neuen Arbeitsstelle. Die Wohnung war bombastisch. Größere Zimmer. Schalldichter. Und sogar an mich wurde gedacht. Endlich hatte auch ich ein eigenes Zimmer. Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Das Bett war wunderbar. Ich schlief herrlich darin. Nicht nur Susanne hatte es nah zu ihrer

Arbeit. Auch die Kinder hatten einen erheblich kürzeren Schulweg. Öffentliche Verkehrsmittel waren in greifbarer Nähe. Eigentlich brauchte ich keinen Führerschein mehr. Monatskarte langte vollkommen. Und wir waren mit Bus und Bahn schneller, als mit dem Auto. Vor allem in den Hauptverkehrszeiten. Typisch Großstadt. Es schien, als würde alles gut laufen. Susanne hatte einen Job und einen Mann. Ich hatte einen Job und bald einen Führerschein. In der Theorie war ich gut. Nur in der Praxis hatte ich Probleme. Kein Wunder. Beim Radfahren passierte es mir auch immer wieder. Plötzlich bin ich weg. In einer

anderen Welt. Hupende Autos wecken mich dann und holen mich in die Realität zurück. Wir mussten einsehen, das es keinen Sinn hatte. Den Führerschein würde ich nie bekommen. Es war nur verschenkte Zeit. Wenn ich aufhören würde zu träumen, konnte ich wieder versuchen, die Fahrerlaubnis zu machen. Vorher hatte es keinen Sinn. Schließlich wollte ich Kinder fahren. Denen konnte ich nicht dieser Gefahr aussetzen. Das wäre unverantwortlich von mir gewesen. Mich störte es nicht, das ich keine Fahrerlaubnis bekam. Wie schon erwähnt, kam man mit öffentlichen Verkehrsmitteln oft schneller voran, als

mit dem PKW. Die Kinder hatten sich in der Zwischenzeit eh daran gewöhnt, das wir mit Bus und Bahn unterwegs sind. Ja, alles lief gut. Doch dann... Die Kinder waren alle im Bett und schliefen. Susanne und ich tranken Rotwein im Wohnzimmer. Der Fernseher lief nur nebenbei. Keiner achtete darauf, was lief. Denn es gab Wichtigeres. Ihr Geständnis. Es war Erschütternd und schockierend zugleich. Susanne erzählte mir vom Tod ihres Mannes. Er war keines natürlichen Todes gestorben. Auch nicht an einer Krankheit. Es war kein wirklicher Unfall gewesen. Sie hatte nachgeholfen. Verstehen konnte sie es selber nicht, das

sie viele glückliche Jahre umgebracht hatte. Nachweisen konnte man es ihr nie. Es gab kein Motiv. Man sah ihr an, wie nah ihr der Tot ihres Mannes ging; und es hatte eindeutig nach einem Unfall ausgesehen. Ich sagte nichts dazu. Hörte ihr weiter zu, wie sie von einem zweiten Mord sprach. Ihr letzter Lover. Der nette Mann der ihr den Job vermittelt hatte, die Wohnung... Ein sympathischer Herr. Ich hatte wirklich geglaubt, das sie glücklich mit ihm ist und diese Beziehung hält. Aber... „...ich wollte es wirklich nicht. Plötzlich stach ich mit dem Messer auf ihn ein und ich konnte nichts dagegen

tun. Als würde eine fremde Hand mich führen. Es war so schrecklich, zusehen zu müssen, wie ich ihn umbringe. - Sein Blick...Nie werde ich vergessen, wie er mich dabei ansah...“ Sie brach in Tränen aus. Ich hielt sie fest. Drückte sie an mich. Unterdrückte meine Tränen. Denn obwohl sie mir gerade eben zwei Morde gestanden hatte, glaubte ich ihr, das es beide male keine Absicht gewesen war. Das sie es nicht gewollt hatte. - Tränen lügen nicht. Wenige Tage später wurde sie abgeholt und ich war mit den Kindern alleine. Wir waren alle down. Keiner hatte Appetit. Deshalb machte ich auch nichts zu Essen. Der Fernseher lief auch nur,

um uns irgendwie wenigstens ein bisschen abzulenken. Bis auf Bryan und mir, wusste niemand, weswegen Susanne von abgeholt wurde. Das mussten sie auch nicht wissen. Ich hatte ihnen erzählt, das sie sich nicht wohlfühle und ein paar Tage Ruhe brauche. Was besseres fiel mir nicht ein. Ryan schluckte es. Die Mädchen nicht. Sagten aber nichts dazu. Bryan hatte ich auch nur eingeweiht, weil er es geahnt hatte. Er hatte nie geglaubt, das sein Vater einen Unfall hatte. Seine Mutter hatte sich hier und da auch manchmal ein wenig verplappert, hatte er mir verraten. Das sie wieder jemanden ermorden würde,

war selbst für ihn unglaublich. Wobei er mir gestand, das er innerlich damit gerechnet hatte, das irgendwas passieren würde. Dafür kannte er seine Mutter zu gut. Zu schnell fasste sie Vertrauen und wurde dann enttäuscht. Sofort geschah nichts. Sie fraß es erst in sich rein und ließ es dann an einem Unschuldigen aus. So war es bei seinem Vater und nun auch bei dem anderen. Ich war froh, das wir uns verstanden. Das wir eine Art Familie geworden waren. Natürlich stand auch das Jugendamt vor der Tür und wollte mir die Kinder wegnehmen, da die Kindesmutter für unabsehbarer Zeit im Krankenhaus war. Aber wir hielten

zusammen. Zeigten denen, das wir eine Familie waren, das ich alles im Griff hatte und für die Kinder sorgen konnte. Sie nannten mich sogar Papa, um den Damen und Herren vom Amt für Familie und Jugend zu beweisen, das ich zu ihnen gehöre und sie bei mir bleiben wollten. Das sie mich als ihr Oberhaut ansahen. Susanne schrieb den einen Brief, mit dem ausdrücklichen Wunsch, das ihre Kinder nicht aus der elterlichen Wohnung gerissen werden. Das sie sich für mich verbürge und ich schon seit fast zwei Jahren zur Familie gehöre, sie nur positives über ich berichten könne. Es war ein langer Kampf gewesen, der sich über Monate hinzog. Sie wollten mir

unbedingt die Kinder wegnehmen. Suchten nach jeder Möglichkeit, mir etwas anzuhängen. Kramten in uralten Akten. Ich war nervlich am Ende. Dachte auch schon an Mord, weil sie uns nicht in Ruhe ließen. Ja, ich hatte früher Fehler gemacht. Und ja, ich habe meine Kinder in Stich gelassen. Aber nicht, weil ich mit denen nichts zu tun haben wollte. Mir wurden sie vorenthalten. Schon zu der Zeit, als ich mit deren Mutter noch zusammen war. Aber das will ja keiner hören. Und warum nicht? Weil es die Wahrheit ist und es gegen eine Frau geht. Eine Mutter. Ich habe damals einen vierseitigen Brief geschrieben, der ignoriert wurde. Gut,

der damals zuständigen Dame interessierte es auch nicht, das in einer Familie Kinder missbraucht wurden. Als ich das angab, sah ich keine Regung. Beim letzten Besuch war die Wohnung in Ordnung, das reichte ihr. Warum mehr unternehmen und die Kinder davor bewahren, das sie nochmals missbraucht werden. Ich war ja auch nicht der Erste, der diese Familie angezeigt hatte. Aber mir auf den Sack gehen. Dies war auch ein Grund, warum ich abgehauen war. Bei uns pingelig sein und da, wo es wirklich und ernsthaft um das Wohl von Kindern geht, wird nichts unternommen. Die durften ihre Kinder behalten. Muss ich das verstehen? Und

warum durften die meine Ex, gegen ihren Willen, ins Krankenhaus einliefern lassen, unter falscher Voraussetzung und mir haben sie es stets und ständig verboten? Ich weiß, was ihr widerfahren war und warum sie ist, wie sie ist. Mir wollte keiner zuhören und noch weniger glauben. Jeder und alle wollte meine Ex besser kennen, als ich. Irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich konnte mich nicht weiter jeden Tag zulaufen lassen und hoffen, das ich vergesse. Die Erinnerungen taten weh. Schmerzten höllisch. Ich schloss mich im Bad ein und versuchte, nicht mehr daran zu denken. Doch immer mehr Details kamen zum Vorschein. Und trotz der Zeit

und der Entfernung, spürte ich, das ich immer noch nicht über sie hinweg war. Das ich noch immer starke Gefühle für sie hatte. Sie vermisste. Die Tränen flossen unaufhaltsam. Warum ich, fragte ich mich immer wieder. Wieso sah ich es nur alleine, wenn sie fiel? Waren alle anderen blind? Die Anzeichen waren eindeutig gewesen. Man las es in ihrem Gesicht. Zumindest ich tat es. Und mir wurde verboten... Wie oft die Erinnerungen kamen und ich mich tränenreich im Bad einschloss, weiß ich nicht mehr. Es war sehr oft. Wären die Kinder nicht gewesen, hätte ich mir sehr wahrscheinlich das Leben

genommen, weil ich die Erinnerungen nicht ertrug. Sie schmerzten zu sehr. Die Kinder und der Haushalt waren das Einzige, was mich ablenkte und mich davon abhielt, mir das Leben zu nehmen. Vor allem Nachts, wenn ich alleine im Bett lag, fragte ich mich, wie es ihr wohl ging und ob sie noch am Leben war. Denn sie hatte Borderline. Schreckte nicht davor zurück, sich zu ritzen und zu würgen, während sie allein mit den Kindern war. Dachte nicht über die folgen nach. Die Kinder waren nicht in der Lage, irgendwen zu rufen. Viel zu jung dazu. Außerdem hatte es ihnen keiner beigebracht, wie man es macht.

Sie würden elendig verhungern, wenn meine Ex es nicht schafft, rechtzeitig mit dem Ritzen aufzuhören und die Hände von ihrem Hals löst. Es war an einem Sonntagmorgen. Draußen war es noch dunkel. Ich saß in der Küche und trank heimlich Bier, als Bryan nach Hause kam. Weit nach seiner Zeit. Erschrocken stand er vor mir. Die Hand noch am Lichtschalter. „Warum sitzt du hier im Dunkeln? Hast du auf mich gewartet?“, fragte er. „Du kommst spät. Ich weiß, du bist seit geraumer Zeit achtzehn. Aber du hattest was versprochen.“ „Tut mir leid. Da war ein Mädchen...“ „Alles klar. Setz dich...Ich habe mir

überlegt, da du schon volljährig bist, das du mich im Haushalt und mit deinen Geschwistern unterstützen könntest, als eine Art Vorbereitung auf dein zukünftiges Leben. Du musst nicht zusagen. Es wäre für mich aber eine große Erleichterung. Sobald wird eure Mutter nicht wiederkommen. Ryan spricht jeden Tag von ihr, fragt mich, wann sie wieder nach Hause kommt. Will sie besuchen gehen. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ihm seinen Wunsch erfüllen, eure Mutter zu sehen? - Ich wollte mich auch bei euch bedanken, das ihr zu mir standet. Mich Papa nanntet, als die Tanten da waren, um sich ein Bild von uns zu machen. Wir waren eine

richtige Familie. Genau das, was ich wollte. Mit meiner Frau und meinen Kindern.“ „Du hast uns oft genug gezeigt, das wir dir nicht egal sind. Nach unserem Vater, bist du der Einzige, dem was an uns liegt. Du hast jederzeit ein offenes Ohr für uns. Kümmerst dich um uns. Achtest auf uns. Steckst stets zurück.Wir kriegen mit, was du alles für uns tust und sind dir sehr dankbar dafür. Auch wenn wir es nicht immer so zeigen. Als du zu uns kamst, dachten wir, du wärst nur eine kurze Affäre von unserer Mutter. In der Zwischenzeit haben wir erkannt, wer du wirklich bist. Wir sind froh, das wir dich haben. Wenn du nicht

wärst, würden wir jetzt alle im Kinderheim sein. Wir alle schätzen, wie du dich für uns einsetzt. Ich meine, wer ging alleine zu den Elternabenden? Nicht unsere Mutter. Die war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt.“ „Ich mache nur das, was ich damals nicht durfte. Außerdem sehe ich euch als meine eigenen Kinder. Als hätte ich euch selbst gezeugt. - Eines kann ich dir schwören: Ich habe nie und wollte nie mit eurer Mutter schlafen. Das einzige, was ich wollte, war und ist, eine Familie. Eine Familie, die zusammen hält. Die für einander da ist. Höhen und Tiefen gemeinsam übersteht. Mir war es damals nicht vergönnt. Als mir eure

Mutter gestand, das sie Hilfe braucht, sah ich es als Chance, mich zu beweisen. Es allen zu zeigen, das ich ein guter Vater sein kann, wenn man mich nur lässt. Außerdem brauchte ich eine Bleibe. Eigentlich wollte ich nur ein paar Tage verreisen und dann zurück in mein tristes Leben kehren. Das ich dann so lange fern bleibe, damit hatte ich nicht gerechnet. Aber ich bin ganz froh darüber. Ihr bringt mich auf andere Gedanken. Durch euch habe ich einen Sinn in meinem Leben gefunden. Von meinen Kindern hatte ich nie viel gehabt, da ihre Mutter stets mit ihnen zu ihrer Mutter gegangen war. Tag für Tag. Bis in die späten Abendstunden. Mich ist

das Jugendamt angegangen. Immer nur mich. Die durfte machen was sie wollte. Jetzt habe ich überhaupt nichts von ihnen, weil mir das Sorgerecht entzogen wurde. Verständlich. Schließlich war ich abgehauen und hatte mich nirgends gemeldet. Keiner konnte mich finden. Wenn das jetzt hier nicht gewesen wäre und meine Anmeldung zum Führerschein, wäre ich immer noch verschollen. Andererseits kann ich so komplett mit meiner Vergangenheit abschließen. Meine Kinder sind bei Pflegeeltern und die Kindesmutter...Keine Ahnung wo die ist. Interessiert mich auch nicht. Hauptsache meinen Kindern geht es gut. Hoffentlich

haben sie es bei den Pflegeeltern bessern.“ „Du hast einiges durch.“ „Jepp. - Was ist eigentlich mit dem Mädchen, wegen der du so spät kommst?“, fragte ich neugierig. „Wir haben uns nett unterhalten. Ich spendierte ihr ein paar Drinks, dann ließ sie mich stehen. Nun bin ich pleite und wandle immer noch auf dem Junggesellenpfad.“ „Willkommen in der Wirklichkeit. Ich werde mal anfangen das Frühstück zu machen. Ist nicht mehr lang, bis der Erste aufsteht.“ Bryan half mir dabei. Er war ein netter Junge, wenn man ihn erst mal richtig

kannte, war sehr gut mit ihm umzugehen. Und er hielt, was er versprach. Ich konnte mich nicht über ihn beschweren. Unterstützung bekam ich wirklich reichlich. Von ihm und seinen Geschwistern. Wir waren eine richtige Familie. Fehlte nur noch die Mutter. Aber die war ja im Krankenhaus. Einmal im Monat gingen wir sie besuchen. An den Wochenenden telefonierten wir mit ihr. So weit ich es mitbekommen hatte, lautete die Diagnose Multiple Persönlichkeitsstörung. Den Verdacht hatte ich auch gehabt. An ihren Augen hatte ich es gesehen. Beschreiben kann ich es nicht. Ihre Augen hatten mir

verraten, das sie nicht immer sie selbst war.

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