Teil 1
Mit einem unangemessen profanen Platsch landete ich im Fluss, spürte sofort die unbarmherzige Kälte, die mich umschlang, das Wasser, welches augenblicklich Besitz von meiner Kleidung ergriff und sie wie ein zorniger Flussgott nach unten zu zerren begann.
Man hatte ja schon öfter gehört, was so ungefähr passierte, wenn man in eiskaltes Wasser sprang, dass nicht viel Zeit vergehen würde, bis der Kreislauf aussetzte und man in friedlicher Ruhe auf den Grund sank ... Das kam mir für einen Augenblick unheimlich erstrebenswert vor!
Doch auf einmal meldeten sich sämtliche Reflexe, vielleicht waren sie bei mir im Moment auch wegen meiner besonderen Situation besonders ausgeprägt und ich musste an meinen
Kleinen denken; jedenfalls fing ich plötzlich an zu zappeln und zu kämpfen, wahrscheinlich rief ich sogar um Hilfe!
Das wurde von einem weiteren 'Platsch' in meiner Nähe beantwortet und ich spürte mehr als dass ich sah, wie mich jemand an meiner Kleidung ergriff und zu sich zog.
Für eine kurzen Moment wollte ich mich wehren, „Nein!” rufen und meinen unerwünschten Retter am liebsten abschütteln. Waren doch die Ruhe und der Frieden, nach dem ich mich sehnte, so greifbar vor mir gewesen, so nah ...
Aber wieder meldete sich mein Überlebensinstinkt, ein Instinkt eben, gegen den ich nicht ankam, und plötzlich wollte ich leben! So ließ ich es zu, dass der Mann mich geschickt unters Kinn packte und Richtung Kai
zog.
Gemeinsam kämpften wir uns aus dem eiskalten Wasser, wobei ich merkte, dass die Kälte und die tonnenschwere Kleidung dabei immer mehr an meinen Kräften zehrten. Mit gewaltiger Kraftanstrengung zog mich der blonde Hüne zu sich auf die Kanalmauer, lehnte sich dann mit dem Rücken an einen der Poller, mich dabei noch immer im Arm und mit dem Rücken an sich gedrückt.
Unser Atem ging beinahe synchron und heftig, erst allmählich ließ das Keuchen nach. Das Erste, was er sagte, als er wieder Luft bekam, war: „Bist du eigentlich total bescheuert?“ Ich zappelte, um von ihm weg zu kommen, doch reflexartig hielt er mich noch immer fest. Dieses Festgehaltenwerden verursachte mir immer noch Panik, doch plötzlich wurde es überlappt von einem Gefühl der Geborgenheit, wie ich es
früher einmal gekannt hatte. Wahrscheinlich ging mein Körper davon aus, mein Retter würde keine weitere Gefahr darstellen.
Von weitem waren bereits Rufe und Gerenne zu hören und erschöpft ließ ich es mir gefallen, lehnte mich einfach wieder gegen meinen unbekannten Retter. Dafür dachte ich einen Moment ernsthaft über seine Frage nach. War ich wirklich durchgeknallt? War das eine spontane Kurzschlusshandlung, ein echter Suizidversuch gewesen?
Ich konnte mich nicht so recht an die letzten Minuten erinnern.
„Es tut mir leid“, sagte ich laut. „Ich bin ausgerutscht und plötzlich war ich im Wasser ... Sorry, dass du wegen mir ins kalte Wasser musstest! Danke auf jeden Fall!“, sprudelte ich hervor und hörte als Reaktion ein lautes Schnauben.
„Ausgerutscht, was? Ins Wasser gefallen! Tut mir leid, das sah von mir aus gesehen aber ganz anders aus!“
Langsam ging mir mein Retter ein wenig auf die Nerven, vor allem, weil er mich so gar nicht loslassen wollte, sondern so fest an sich gepresst hielt, dass ich durch die Kälte hindurch bereits seine Körperwärme spürte.
Doch jetzt übermannte mich endgültig eine totale Erschöpfung und ich ließ mich kraftlos gegen ihn sinken. „Was willst du denn? Ich habe mich bei dir bedankt, was soll ich denn noch tun?“, begehrte ich mit letzter Kraft auf.
„Mir zum Beispiel mal erklären, warum so ein hübsches Mädchen Schluss machen will!“
Ah, die Masche. ‚Du bist doch jung und hübsch, die Welt liegt dir zu Füssen, das Leben hat so viel zu biete ....’ Als ob all das jemanden,
der sich ernsthaft umbringen wollte, wirklich interessieren würde!
Als ob das nicht der Kern all meines Elends war!
Nur wusste ich im Moment echt nicht, ob ich tatsächlich eine Selbstmörderin war...
Seine Stimme holte mich wieder zurück. „Also?“, fragte er und presste seine Wange keuchend an meine, als ob wir uns schon ewig kennen würden. Vielleicht stimmt es ja, dass so eine Lebensrettung die Menschen auf eine seltsame Art verbindet.
Und durch die Kälte des Wassers, gepaart mit meinem kraftlosen Zustand, war ich ja wirklich vorhin in Lebensgefahr gewesen. Mein Körper schien in diesem Moment auch zu dieser Überzeugung zu kommen, denn plötzlich schüttelte mich ein heftiger Hustenkrampf, der
Wasser aus meiner Lunge torpedierte.
Da ließ er mich los und ich beugte mich nach vorne, spuckte alles aus, während er, immerhin trotz seiner Wut, mich dabei stützte. Endlich war der Anfall vorüber, gerade als die anderen Leute uns erreichten. Unter ihnen ein Arzt, der mich kurz abhorchte, während ich auf der Kaimauer saß. „Sie müssen erst mal ins Krankenhaus!“, sagte er dann, natürlich, was auch sonst.
Ich sprang entsetzt auf. „Nein, das kommt gar nicht in Frage, auf keinen Fall!”, protestierte ich, obwohl sich für einen Moment alles um mich herum drehte.
„Oh, ich denke, Sie sollten zu ihrem eigenen Wohl mit uns fahren. Eventuell haben Sie sich doch ernsthaft verletzt.” Der Doktor schien etwas irritiert, das kam sicher nicht oft vor, dass jemand in einer solchen Situation nicht mit
wollte! „Gibt es jemanden, der zu ihr gehört?“, fragte er in die Runde, erhoffte sich wohl auf diesem Weg Beistand.
„Ja ich, sozusagen. Ich hab sie jedenfalls rausgezogen.” Ich stöhnte leise, denn da stand plötzlich mein Retter wieder vor uns, außer dass er klatschnass war, hatte er nichts weiter abbekommen. Jetzt konnte ich ihn zum ersten Mal richtig ansehen, Junge, der Kerl war wirklich riesig!
„Aber Sie sind in Ordnung?”, fragte der Mediziner und gab sich mit einem einfachen Nicken zufrieden, typisch Männerwelt halt. Wie ich sie hasste! „Vielleicht können Sie sie dann dazu bringen, in den Krankenwagen”, tatsächlich hatte ein Sanka sich inzwischen durch die Menge gekämpft, „mit zu fahren.”
„Ich kann euch immer noch hören!”, fauchte ich
und maß meine Chancen ab, in der sich sammelnden Masse zu verschwinden. Überhaupt, die Menschen, warum waren hier auf einmal so viele? So viel Aufsehen konnte unser kleiner Unfall ja auch nicht erregt haben, doch dann fiel mir ein, dass schon vorher ungewöhnlich viele Menschen hier gewesen waren. Also schon bevor ich ins Wasser fiel – wovon ich selber nicht mehr wusste, warum und wie – Ich wusste nur, für einen Moment hatte es sich verdammt gut angefühlt, wie die Kälte des Wassers sich langsam von unten hinauf ausbreitete und ein totales Vergessen versprach.
Mein Kopf drehte sich immer noch leicht und plötzlich fühlte ich einen stechenden Schmerz im Bauch, krümmte mich leicht.
„Sehen Sie, wir müssen Sie untersuchen!”, rief der Arzt ängstlich und triumphierend zugleich.
Panisch entfuhr mir ein „Ach, halb so schlimm, das kommt nur von meiner Schwangerschaft.“
Upps! Sowas Blödes!!
„Na dann auf jeden Fall!“, rief der Mann entsetzt, genau das hatte ich in dem Moment befürchtet, in dem mir mein kleines Geheimnis entfleucht war. Jetzt waren alle furchtbar besorgt, sie hatten ja keine Ahnung, dass ich dieses Kind eigentlich eh nicht bekommen wollte ...
Plötzlich fiel mir meine größte Trumpfkarte ein: „Aber ich bin nicht krankenversichert!“
Das sollte reichen, um meine Einlieferung zu verhindern.
Täuschte ich mich, oder schien der Arzt wirklich für einen Moment zu
schwanken?
„Dann übernehme ich die Kosten“, kam es da plötzlich von der Seite und ich stöhnte.
Mein blonder Retter, jetzt machte er auch noch auf total großzügig! Er drehte sich nun um, offenbar zu seinen Freunden. Und wie ich die Drei da so zusammen sah, erkannte ich schlagartig, dass mein Retter niemand anderes als Rollen D. Rubel war, der da grade mit seinen Bandkollegen Pfanni K. Nödel und Vincente Zantana sprach!!
Jetzt erinnerte ich mich auch an das, was ich vor meiner Landung im Wasser gesehen hatte, es schien, als würden hier Dreharbeiten stattfinden, vermutlich für eine weitere Single nach der erfolgreichen letzten. Deswegen auch der Menschenauflauf. Jetzt fehlte nur noch jemand mit einer Kamera, dachte ich voller Panik, ich musste hier weg. Dann also doch der
Krankenwagen.
„Ist gut, Herr Doktor, ich fahre mit”, sagte ich leise zu dem Arzt und er nickte erleichtert.
„Ah gut, dann kommen Sie doch bitte mit.”
Er stützte mich und winkte den Sanitätern zu, sie sollen die Trage bringen und ich ließ ihn gewähren.
Rollen hatte es aber doch bemerkt, kam zu uns, während ich auf die Liege geschnallt wurde. Er hatte einen merkwürdigen Gesichtsausdruck, dennoch ergriff er meine Hand und sagte freundlich, beinahe liebevoll „Wir wollen doch nicht, dass dem kleinen Wutz in deinem Bauch etwas passiert, oder?“
°Doch°, hätte ich ihm am liebsten entgegen geschleudert, °genau das wollen wir! Weg damit, weg mit diesem ekligen Parasiten, der mir mein Leben endgültig versaut
hat!°
Aber natürlich blieb ich stumm. Was ging ihn mein Leben oder das, was davon übrig war, auch an?!
Er schien das aber noch nicht gemerkt zu haben, denn er verhandelte nun mit dem Notarzt. „Ich fahre auf jeden Fall mit“, sagte er bestimmt. „Ich habe sie schließlich rausgezogen.“ Der zuckte schließlich mit den Schultern und ließ ihn gewähren.
Rollen schwang sich auf den Notsitz neben meiner Liege, keiner kam auf die Idee, mich zu fragen. Ich protestierte, bekam aber nur ein Krächzen raus, also konnte ich ihn nur böse anfunkeln, während er sich nieder ließ. Er sollte sich bloß nicht zuviel einbilden!!
Dann drehte ich den Kopf in die andere Richtung, um diesen aufdringlichen Mann nicht
anschauen zu müssen, aber eigentlich war es auch egal. Bei der nächsten Gelegenheit würde ich eh verschwinden.