vorwort
Es gibt nichts Schöneres, als um ein knisterndes Feuer zu sitzen - vor einem offenen Kamin, an einem Lagerfeuer oder in einem Tipi - und sich von der Stimmung einfangen zu lassen.
Dabei steigen unwillkürlich Erinnerungen auf an Reiseerlebnisse und bald kann jeder in der Gruppe eine Geschichte aus seinem Reiseleben zum Besten geben.
Ich habe hier meine Erlebnisse bei einem Kurzurlaub in Dänemark versammelt.
Dänemark 1989
DAS DÄNISCHE CAFÉ
Erinnerst du dich noch …
So beginnen viele Reise-Eindrücke zu Geschichten zu werden, wenn wir nach einer Reise beisammen sitzen und mit unseren Urlaubspartnern an Hand von Fotos besonders schöne Erlebnisse wieder aufleben lassen.
Ja, ich erinnere mich noch genau an jenen Augenblick, als wir durch die schmale, mit unebenen Steinen gepflasterte Straße schlenderten und durch die winzigen Fenster in das Innere der Häuser lugen konnten. Es war Sommer, die Luft warm. Manche Fenster standen weit offen. Nach außen öffneten sich
hier die Fensterflügel. Gardinenlos glänzten die Scheiben im Sonnenlicht.
„Wie ausgebreitete Arme, die jeden willkommen heißen.“, dachte ich.
Links und rechts neben den winzigen Haustüren standen kleine Rosenstöcke, die schon üppig blühten und den Eindruck eines Spielzeuglandes verstärkten.
Die Häuschen waren klein wie damals die Menschen, die in ihnen lebten und arbeiteten.
Die Männer waren meist Fischer, die Frauen sorgten für die Familie und hatten reichlich Arbeit mit Stricken, Nähen, Weben und anderen Handarbeiten. Wenn es ihre Zeit zuließ, kamen sie in der Frühe zu den vom Fischfang heimkehrenden Männern, um ihnen
zu helfen. Sie trieben häufig auch die kleine Landwirtschaft um und kümmerten sich um die Verarbeitung der Milch. Abends saßen sie auf den kleinen Bänken vor den Häusern, um von der schweren Arbeit auszuruhen und den Kontakt zu den Nachbarn zu pflegen.
„Wie gerne hätte ich in dieser Zeit gelebt, geruhsam und ohne Stress.“
Immer wieder ertappte ich mich bei diesen Gedanken, obwohl ich wusste, dass die Zeit sicherlich nicht so romantisch und schön gewesen war.
Wieder und wieder grüßten wir freundlich die Menschen, die uns begegneten. Und sie grüßten ebenso freundlich zurück. Oder auch umgekehrt. Keine Spur von nördlichen Berührungsängsten.
Dann zwischen den Häuserreihen gelegentlich schmale Durchgänge, die zu üppig wuchernden Gärten führten. Manchmal gaben sie auch den Blick frei auf Kanäle oder Seeufer. Alles in allem wunderschön!
Wir bogen in eine breitere Straße ein, die von kugelig geschnittenen Alleebäumen gesäumt wurde. Und dann entdeckten wir das kleine Kaffeehaus, das durch zwei winzige Tischchen vor der Tür auf sich aufmerksam machte.
„Jetzt eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen!“ Das war keine schlechte Idee.
So fanden wir uns im winzigen Gastraum wieder. Kaum eine Hand voll schmaler Tische. Weiß gescheuerte Tischplatten mit
Häkeldeckchen geschmückt. Darauf eine altmodische Vase mit einem Strauß Bauernrosen.
Um den ganzen Raum eine schmale Eckbank, die in Holzpaneele eingearbeitet worden war. Bis zur niedrigen Decke reichten diese hinauf. Vom Alter geschwärzt, waren die schönen Bemalungen kaum mehr erkennbar.
Die Außenwände zeigten sich auf der Raumseite mit den berühmten, blau bemalten Delfter Kacheln belegt, welche vom Reichtum des ehemaligen Besitzers zeugten. Er war wohl Handelsherr mit weit reichenden Geschäftsbeziehungen gewesen.
An jedem Tisch standen zusätzlich Holzstühle mit unterschiedlicher Gestaltung und mit
bequemen Häkelkissen belegt. Tief hängende Petroleumlampen mussten sogar an diesem Sommertag den nur spärlich vom Tageslicht erhellten Raum gemütlich beleuchten. Die Fenster waren einfach viel zu winzig!
Dann stand eine kleine, rundliche Frau in einer weißen, steif gestärkten Schürze vor uns und fragte nicht ganz frei von Akzent nach unserem Begehr.
„Kaffee. Und welchen Kuchen gibt es denn?“
Es gab Erdbeer- und Rhabarberkuchen mit oder ohne Sahne, auch Butterkuchen war im Angebot. Dazu Kaffee, Tee mit braunem Zucker und süßer Sahne und heiße Schokolade.
Wir bestellten Kaffee und Erdbeerkuchen mit
Sahne.
Danach brachte ein junges Mädchen eine riesige Familienkanne mit herrlich aromatisch duftendem Kaffee und stellte diese vor uns auf den Tisch. Aber wir waren doch nur vier Personen!
Gleich anschließend trug sie ein großes Tablett mit Unmengen von Kuchen und eine riesige Schüssel mit geschlagener Sahne herein. Auch das landete auf unserem Tisch. Und das war wirklich kein Irrtum?
„Natürlich nicht, sie haben doch Kaffee und Kuchen bestellt.“, lachte die kleine, rundliche Frau, als sie mit der Zuckerdose und der großen Milchkanne wieder an unseren Tisch trat. „Bei uns ist eben alles ein bisschen
anders.“
Und so war es auch mit der im Verhältnis recht kleinen Rechnung, die wir hinterher zu begleichen hatten.
MUSCHELGEDANKEN
Fast schwarz, so groß wie eine Handfläche. Auf der leicht nach oben gewölbten Seite ziehen sich zarte Rippen, immer mit dem gleichen Abstand, um ein kaum wahrnehmbares Zentrum. Ein kleines Wunderwerk. Der äußerste Rand ist teilweise leicht ausgebrochen und erzählt von einem langen, ereignisreichen Leben.
Umgedreht liegt eine sehr flache Schale auf meiner Hand. Zart schimmernd wie das Mondlicht. Glatt und kühl ist diese Fläche. An
einer der langen Seiten gibt es etwas zu sehen, das wie ein Teil von einem Scharnier aussieht. So gehört wohl doch eine zweite Hälfte dazu.
Das gesamte Ufer des Sees ist mit einer dicken Schicht von Muschelschalen in allen Größen bedeckt. Wie viele hunderte oder gar Tausende von diesen geheimnisvollen Tieren haben diesen See bewohnt oder bewohnen ihn noch? Es ist ein Wunder, welches niemanden interessiert. Niemanden?
Mich interessiert es sehr und so mache ich mich auf, das Gegenstück zu der Muschelschale in meiner Hand zu suchen.
Dafür brauche ich nicht lange zu schauen. Gleich nebenan liegt sie. Ebenso schön geformt, so vollendet poliert von ihrem
ehemaligen Bewohner. Und welch ein Wunder, die beiden Teile des Scharniers passen so gut zusammen wie Zwillinge.
Für mich das formvollendete Wunder, denn eigentlich gibt es nichts in der Natur, das wirklich genau gleich ist und folglich zufällig exakt zu einem anderen Teil passt. Ich bin überzeugt, dass es doch das Gegenstück zu der Muschel in meiner Hand ist.
Wie wunderbar!
Werde ich jemals verstehen, welche Kraft diesem Tier seine Fähigkeit schenkte, seine schützende Schale zu bauen? Welche Energie diesem Lebewesen seine Kenntnis darüber vermittelte, wie diese Schale geformt sein muss, damit sie das zarte Tier perfekt schützt? Damit auch grobe Gewalt kaum in
der Lage ist, das Wunder der Schale zu zerstören? Werde ich jemals verstehen, wie eine Muschel so alt werden kann, dass ihre Schale so groß wird wie meine Handfläche? Und was hat dazu beigetragen, dass so viele ihrer Familie untergegangen sind und nun ihre Überreste am Seeufer zuhauf herum liegen?
Geheimnisse, die sich mir nicht erschließen wollen, obwohl ich weiß, dass dieser See ein hervorragendes Fischwasser ist.
Lange sitze ich noch am Seeufer inmitten der unendlich vielen Muschelschalen, die mit aller Kraft ihres Wesens das ihnen eigene Geheimnis um Entstehung, Leben und Untergang ihrer Bewohner
bewahren.
Und dann verstehe ich plötzlich, wie viel wir mit ihnen gemeinsam haben. Es ist nicht nur das Geheimnis unseres Lebens, sondern auch die Tatsache, dass wir stets bemüht sind, unser tiefstes Inneres nicht nach außen zu zeigen. Nur selten, oft nur in großer Not oder auch in überschwänglicher Freude, öffnen wir uns ein wenig gegenüber unseren nächsten Familienange-hörigen oder ganz engen Freunden.
Nach außen zeigen auch wir eine unscheinbare Schale, während unser Inneres leuchtet wie der milde Mondschein.
Sollten wir nicht viel öfter dieses milde Licht nach außen scheinen lassen, um unser Leben und das der anderen ein wenig
menschlicher zu machen?
BUTTERFAHRT UND RÄUCHERFISCH
Dänemarkurlaub und Butterfahrt, das gehört zusammen wie Winterurlaub und Skifahren. Der eine tut es, der andere lässt es. Aber es bringt wunderbare Eindrücke und unwiederbringliche Erinnerungen. Vor allem aber schenkt es Erkenntnisse über das Verhältnis vieler Dänen zum Bier.
Für eine solche Butterfahrt meldet man sich an. Entweder am Hafen direkt oder beim Tourismusbüro des Urlaubsortes. Termine sind täglich verfügbar und deshalb braucht niemand auf diesen Spaß zu verzichten.
Schon etwas vor der angegebenen Zeit geht man an Bord und darf dann an einem mit
Tellern und Bierflaschen reich gedeckten Tisch Platz nehmen. Unsere dänischen Nachbarn tun sich keinen Zwang an und so fließt der Gerstensaft bald in Strömen und muss gleich Kisten weise nachgeliefert werden. So groß ist bei ihnen der Durst.
„Na, vielleicht haben sie ja mit reichlich Räucherfisch eine besonders gute Grundlage geschaffen.“
Unser Tischnachbar stammt auch aus Deutschland und fährt schon zum x-ten Mal mit. Aber trotzdem findet er es immer wieder spannend, weil er in Deutschland startet und auch wieder dorthin zurück fährt. Für ihn als Rentner ist es einfach ein wunderschöner Zeitvertreib, weil er auf diese Weise nicht allein zu Hause sitzen muss sondern auch
Unterhaltung hat.
Nach einem deftigen Fischgericht führt er uns durch das ganze Schiff.
„Ich bin früher selbst zur See gefahren. Aber das hier ist ein echter Seelenverkäufer. So sollte ein Schiff nie aussehen, wenn man Passagiere an Bord nimmt.“, erklärt er uns beim Rundgang.
„Sehen sie hier die Roststellen und dort wurde schon länger nichts mehr repariert. Außerdem fährt dieser Kahn unter einer ausländischen Flagge. Sehen sie hier. Da steht Venezuela. Und von der Besatzung versteht keiner Dänisch oder Deutsch geschweige Englisch. Das sollte nicht erlaubt sein. Und wenn ich ihnen noch einen guten Rat geben darf: Nie im Duty-Free-Shop
einkaufen. Das ist am Ende teurer als in Deutschland.“
Mit unserem gesprächigen Führer sind wir im eben genannten Zoll-Frei-Laden angekommen. Der Preisvergleich zeigt, dass er wirklich Recht hat. So bummeln wir einfach weiter, genießen das schöne Wetter und die Aussicht auf das Meer einerseits oder die Küste andererseits.
Zurück an unserem Tisch, sitzen gleich daneben die Dänen mit geröteten Gesichtern und Nasen und das Bier fließt immer noch in Strömen. Unser Seebär erklärt uns, dass in Dänemark das Bier sehr teuer ist und nur in lizensierten Läden verkauft werden darf. Hier auf dem Schiff kostet es für dänische Verhältnisse einen Spottpreis. Daher wird das
Angebot so gut genutzt. Und die deutschen Verkäufer freuen sich.
„Und warum heißen diese Fahrten Butterfahrten?“
„Nun, wenn man von Deutschland aus nach Dänemark fährt, dann nutzt man die Gelegenheit, um Butter, Eier und Käse einzukaufen. Das ist gewöhnlich in Dänemark billiger als in Deutschland. Und dann fährt man mit dem Bus wieder zurück. Ach ja, damit ich es nicht vergesse: Wenn sie mit dem Bus zurück kommen nach Dänemark, dann gehen sie nicht weit vom Hafen entfernt in die Fischräucherei. In die mit dem großen Fisch draußen. Dort gibt es den allerbesten Räucherfisch, den ich mir vorstellen kann. Sie sollten ihn unbedingt probieren. Am
besten, wenn er noch warm ist.“
„Den Räucherfisch werden wir uns nicht entgehen lassen. Versprochen!“
Endlich laufen wir kurz hinter der Grenze in unseren deutschen Zielhafen ein. Eine kurze Verabschiedung von dem Seefahrer, der uns so kundig geführt hat, und ein herzliches Dankeschön.
Und schon tauschen wir das Schiff mit dem Omnibus, der uns nach Dänemark zurück bringt.
Fortsetzung folgt!