ich gehe mal einkaufen
Schnell schlüpfte ich in meine Schuhe, die immer gebunden und griffbereit im Vorzimmer standen. Daneben hing meine Jacke an einem Haken, so verdreckt das man das Hellblau nur mehr als schmutziges Grau erkennen konnte. Jedes Mal wenn ich den weichen Stoff der Converse an meinen Füßen spürte, war ich heilfroh dass meine Füße sich vorletztes Jahr entschlossen hatten, bei Größe 38 zu bleiben. Klar, es gab in der Umgebung Einkaufszentren, falls ich irgendwann wieder ein neues Paar benötigen würde aber da ging keiner hin. Da blieb ich lieber bei meinen
löchrigen Schuhen mit den abgenutzten Sohlen. Außerdem war ja jedes Mal Mandy da, falls Reparaturen nötig waren. Ich schlüpfte in die Jacke, die eigentlich gar nicht nötig war, schließlich war Sommer. Aber seit einer Woche war der Himmel verhangen und der Wind kalt und schneidend. Ich fragte mich ob es in den kommenden Tagen regnen würde. Aus dem Wohnzimmer kamen Schritte und ich musste mich beherrschen nicht gleich zusammen zu zucken, mich in die Ecke zu verkriechen und meinen Baseballschläger dicht vor der Nase zu halten, bereit zuzuschlagen. Mandy lehnte im Türrahmen, mit einem Lächeln in den Mundwinkeln: „Wo geht’s
hin?“ Ich entspannte mich wieder, zupfte meine Jacke zurecht und antwortete: „Einkaufen.“
„Ich wusste gar nicht das uns was fehlt. Was holst du denn?“ fragte sie. „Ich schau ob ich etwas Dosenfleisch oder Hundefutter auftreiben kann. Außerdem brächten wir wieder Decken.“ Mandy trat ins Vorzimmer und ihre Augen glitzerten besorgt: „Kannst du vielleicht noch irgendwo Messer bekommen? Meine Letzten sind verloren gegangen, als Hope und ich um das Haus herum sauber gemacht haben.“ Ich nickte und drehte mich zu ihr um, ihre Augen waren feucht. „Hast du alles? Schlüssel, Taschenmesser, Murmeln, deinen
Schläger?“ sie nestelte besorgt an meinem Kragen herum und ich streichelte ihr beruhigend über den Handrücken: „Keine Sorge, mir passiert schon nichts.“ Mandy war immer viel zu fürsorglich. Obwohl sie im Grunde in mir ihre kleine Schwester sah, auf die sie achtgeben musste, da ihre Schwester Kate letztes Jahr durch einen Unfall gestorben war. Ich war dabei gewesen und oft wachte ich noch schweißgebadet in der Nacht auf. Schluchzend und nach Atem ringend von den Bildern von zerfetzter Haut, blutbeschmierten Händen, die sich in Fleisch gruben und von aufgerissenen Mündern, die zu stummen Schreien geformt waren oder
sich um Arme und Hälse schlossen. Oft fragte ich mich, ob Mandy mir immer noch vorwarf, dass ich zu feige war um Kate zu helfen. Ich warf es mir noch vor. Ich ging zur Wohnungstür, nahm meinen Schläger, der an der Tür lehnte, schaute durch den Spion und öffnete die Tür, als niemand am Flur war. Wie immer bekam ich leichtes Herzflattern, doch wenn ich genau hinhörte und nur Stille empfing, beruhigte ich mich schlagartig wieder. Bevor ich hinter mir die Tür schloss, lächelte Mandy mir zum Abschied zu. Dann fiel die Tür langsam und lautlos ins Schloss. Ich ging die Treppen runter, meinen Schläger in beiden Händen über den Kopf haltend,
damit ich immer bereit war ihn nieder sausen zu lassen, wenn es nötig war. Im Erdgeschoss angekommen, atmete ich noch mal tief durch, ehe ich die schwere Haustür aufstieß und in den grellen Himmel blickte. Sofort richtete ich meinen Blick auf die Straße. Sie war leer. Nur eine Plastiktüte fegte über den blassen Asphalt. Vorsichtig streckte ich den Kopf raus und schaute nach links und rechts. Menschenleer. Voll Zuversicht trat ich endgültig ins Freie und lief die Straße hinunter. Immer weiter und weiter. Rechts neben mir standen noch ein paar Autos. Entweder waren sie stehen und vergessen geblieben, weil ihre Besitzer es nicht
rechtzeitig geschafft hatten zu entkommen und mit ihrem Auto einfach weg zu fahren, oder weil keiner der Überlebenden sie aufbrechen konnte. Manche sahen sogar noch sehr neu aus. Vögel ab es zwar noch einige aber die schissen lieber wo anders hin. Eigentlich war es schade drum. Mandy wollte letztes Jahr auch ein Auto. Aber ich konnte sie davon überzeugen, dass wir hier in unserem Haus sicher genug waren und nicht weg fahren mussten um auf eine bessere Bleibe zu hoffen. Vor mir lag die große Kreuzung. Die Ampeln wechselten schon lange nicht mehr von Rot auf Grün. Manche waren auch umgekippt oder ein Auto war dagegen
gefahren. Ich wollte schon über die Straße laufen, als ich links von mir ein Geräusch wahrnahm. Das Geräusch von Ersticken. Von heiserem, trockenem Atem und dann konnte ich auch schon den Geruch von Verwesung riechen, ehe ich mich zur Seite drehte und zuschlug.
