Sommernacht in Regensburg
Nachts
wenn es still wird
kann man Steine sprechen hören
nicht immer
aber manchmal
wenn erster Südwind
durch die engen Gassen streicht
dringt merkwürdiges Geflüster
aus den Poren alter Mauern
meist stehen sie schweigend an ihren Plätzen
und sind sich selbst genug
in manchen Nächten aber
erwachen sie aus ihren steinernen Träumen
und plappern wild durcheinander
manchmal in weichem
bayerisch gefärbten Deutsch
manchmal in vergessenen
fremden Sprachen
und fangen an zu streiten
wer wichtiger ist
wer älter
aber egal
ob römische Legionäre sie erbauten
oder reiche Kaufleute es waren
alle haben sie unendlich viel erlebt
es wurde in ihnen geliebt und gehasst
unter Schmerzen geboren
und ungetröstet gestorben
Menschen haben in ihnen geweint und gelacht
gehofft und gezweifelt
in guten Zeiten
haben Musiker und Poeten
sie bewohnt
in schlechten
Nazis mit rohen Stiefeln sie geschändet
Päpsten und Henkern haben sie gelauscht
Heiligen und Huren
Feiglingen und Helden
und glaubt mir
Steine haben ein verdammt gutes Gedächtnis
die vergessen nichts
und ab und zu
wenn Luft vom Mittelmeer über die Alpen schwappt
und es so ein bisschen nach Italien in den Altstadtgassen riecht
dann fangen die Steine echt an zu summen
mit kratzigen Stimmen singen sie Melodien
die voll Wehmut sind
und Lebensfreude
die Donau fließt in solchen Nächten nur ganz langsam
so als hätte sie Angst was zu verpassen
irgendwann dreht sie sich dann auf den Rücken
bis sich auf ihrem blank gescheuerten Bauch
tausend und noch mehr Sterne spiegeln
und es so ausschaut
als hätte sie einen Glühwürmchenschwarm verschluckt
ich stehe dann ganz still und regungslos an ihrem Ufer
und weiß
jetzt ist es endlich Sommer