Hollerbeck, der Superbulle
Die Leiche lag bäuchlings mitten im Raum in einer riesigen Blutlache. Der gelbe Schaft des Messers ragte senkrecht zwischen den Schulterblättern nach oben.
„Das war sicher Mord, Chef!“
„Nicht so vorlaut, Hollerbeck! Die Spusi hat gerade erst angefangen und der Gerichtsmediziner ist noch unterwegs.“ antwortete Ewald zurechtweisend.
„Wie kommen sie eigentlich darauf, Hollerbeck?“ flüsterte er ihm, neugierig werdend, ins Ohr.
„Das Weinglas auf dem Tisch ist umgeworfen.“ gab Hollerbeck zurück. „ Mein Gott, das muss ein Psychopath gewesen sein.“ sagte er fast lautlos.
„Mensch, Hollerbeck! Seien sie bloß vorsichtig mit solchen Bemerkungen! Wenn das jemand hört, haben wir hier in nullkommanix das LKA an der Backe!“
Ja, ja, das LKA… Der Dezernatsleiter hatte ihm das schon so oft gesagt. „Mensch, Hollerbeck! Wenn das mit ihrer Schlauheit so weiter geht, wird sie mir hier in nullkommanix das LKA wegschnappen. Oder Interpol. Wenn nicht sogar das amerikanische FBI oder KFC…“
Hollerbeck ist immer fast rot geworden.
Oder, als es wieder Zeit für die turnusmäßigen Beförderungen war. Wiebenkötter, der Dezernatsleiter, kam aus seinem Glaskasten, baute sich an der Stirnseite des Großraumbüros vor allen auf und räusperte sich lautstark.
„Kollegen, es ist morgen wieder Zeit für die turnusmäßigen Beförderungen. Seht zu, dass ihr um zwölf alle hier seid! Und Bratzke, sehen sie zu, dass sie dieses mal mit der Pause fertig werden! Ich will durch ihr geschmatze nicht wieder übertönt werden!“
Auf dem Weg zurück zu seinem Glaskasten, blieb er neben Hollerbeck stehen.
„Mensch, Hollerbeck, das tut mir aber leid. Diese Beförderungen kamen wieder so überraschend… Ich hab sie schon vor Monaten für einen Sondereinsatz eingeplant.“
Wiebenkötter zog bedauernd die Mundwinkel nach unten und die Brauen nach oben.
„Aber Chef, die Beförderungen…“ versuchte Hollerbeck entgegenzugehen,
„Mensch Hollerbeck, wen soll ich denn sonst schicken. Sie müssen im Kinder-Verkehrsgarten eine Schulung abhalten. Wer soll den Kleinen denn Verantwortung beibringen, wenn nicht mein bester Mann? Da kann ich doch keinen X-beliebigen schicken!“
Da hatte er natürlich Recht, dachte Hollerbeck stolz und spürte, wie seine Wangen heiß wurden.
„Und das mit der Beförderung kriegen wir beim nächsten mal bestimmt hin.“ ergänzte er in beruhigendem Ton.
Das hatte er beim letzten Mal allerdings auch gesagt, als er Hollerbeck undercover zur ILA schickte. Hollerbeck sollte sich mal unauffällig umsehen, was an Luftunterstützungstechnik für unser Dezernat so in Frage kommt.
„Mensch Hollerbeck, wen soll ich denn sonst schicken, wenn nicht meinen besten Mann. Bei so `ner Verantwortung!“ hatte er noch energisch
nachgedrückt.
Hollerbeck sah das natürlich ein. Technik ist teuer und teuer ist Verantwortung!
Ja, wenn es um Spezialeinsätze mit enormer Verantwortung ging, ja, dann war an Hollerbeck kein Vorbeikommen!
„Kollegen, am 22. ist in der Kantine Weihnachtsfeier. Alle bringen was zu futtern fürs Buffet mit, Getränke kommen aus der Kaffeekasse.“ verkündete Wiebenkötter letztes Jahr. Und auf dem Weg zurück in seinen Glaskasten machte er natürlich neben Hollerbeck halt.
„ Mensch Hollerbeck! Mir kam da kurzfristig ein Sondereinsatz rein. Wie
sieht`s denn bei ihnen am 22. aus?“
„Aber Chef, haben sie nicht eben die Weihnachtsfeier ausgerufen?“
„Mensch Hollerbeck! So `ne dämliche Weihnachtsfeier ist doch nun wirklich unter ihrem Niveau! Hamse nicht Lust, unseren betagten Mitmenschen den sicheren und gefahrlosen Umgang mit dem Rollator beizubringen? Bisschen Verkehrserziehung ist auch mit drin!“
Hollerbeck hört auf.
„Seh`n se sich doch mal in dem Affenstall hier um! Wen soll ich denn sonst schicken?“
Hollerbeck nickt zustimmend. Also Sondereinsatz im Altenheim, während die anderen feiern müssen!
„Die Polizei, dein Freund und Helfer!“ nach diesem Motto, gepaart mit Scharf- und Spürsinn, lebt Hollerbeck!
Als er letztens am Ku`damm entlang lief, kam ein schwerbeladener Mann aus einem Juweliergeschäft herausgestolpert. Na, mit so einer schweren Tasche auch! Da hat er ihm gleich die Wagentür aufgemacht. Der Mann zog höflichst seine Mütze aus dem Gesicht und bedankte sich artig.
Einige Tage später wurde er zur Internen gerufen.
„Bin ich wegen einer Ermittlung hier?“ fragte Hollerbeck verwundert.
„Nein, wegen einem Vorstellungsgespräch, sie Scherzkeks!“
antwortete der Beamte flapsig, abwinkend.
Hollerbeck dachte schon, er hätte dem Kollegen die Überraschung verdorben, aber es ging wohl doch um irgendeinen Raubüberfall am Ku`damm.
Nicht mal ein Hollerbeck kann seine Augen überall haben, obwohl er zur gleichen Zeit da irgendwie in der Nähe war.
„Mensch Hollerbeck!“ Ewald stupste ihn aus seinen Gedanken.
„Was…was… ist denn? LKA…, FBI…, KFC…?“ stammelt Hollerbeck überrascht und noch etwas benommen.
„Der Gerichtsmediziner har die Leiche
gerade eingesackt und mitgenommen. Und die Kollegen hatten unseren Spitzbuben schon am Wickel, als wir vorhin hier angekommen sind.“
Hollerbeck reißt so ziemlich erschrocken die Augen auf.
„Täter, Spuren, Geständnis, alles im Sack, Fall abgeschlossen und abheften!“ sagte Ewald zufrieden und fast gelangweilt.
„Wie, jetzt…? Wie `Geständnis`?“ Hollerbeck ist immer noch erschrocken und fühlt sich ein wenig überrumpelt.
„Na, die Streife hat unseren Täter an der nächsten Hausecke erwischt, blutüberströmt und verwirrt. Da hat der denen gleich alles gestanden und die
haben uns angerufen.“ fährt Ewald fort.
„Die übliche Geschichte. Hausherr kam unplanmäßig nach hause, hat Einbrecher überrascht, will die Polizei rufen, der will das verhindern, greift sich Messer, sticht im Affekt zu, ist geschockt von seiner Tat, taumelt aus dem Haus und bumms, Streife und klick-klick.“ fasst Ewald zusammen.
Mann-o-mann, denkt Hollerbeck. Dringt Ewald jetzt langsam in seine intellektuellen Sphären vor?
HHH