|| zwei || 2|2
Meine Gedanken drehten sich. Immer wieder dachte ich daran, dass Jelia bildhübsch geworden war. Ihre langen braunen Haare, dazu ihre kindlichen großen rehbraunen Augen. Ich stellte sie mir im Dreck auf den Feldern vor. Wie sie ihr Gesicht schmutzig machte, Kartoffeln ausgrub und Tomatenpflanzen setzte. Das war nicht richtig. Sie war zu hübsch dazu. Zu intelligent. Zu sehr meine Schwester.
Ich musste dringend diese Gedanken von mir verbannen. Ich musste mich dringend ablenken. Allerdings kam mir die Mauer an der ich lehnte so gemütlich vor, als ob sie wollte, dass ich da
blieb.
Vor mir waren Gebüsche, die höher waren als ich, die dicht zusammen wuchsen und ihre Zweige kreuzten. Sofern ich es erkennen konnte, war ich in den hinteren Teil eines Gartens gehüpft und die Sträucher trennten das Grundstück von der Mauer.
Plötzlich kam mir das Gefühl, dass ich nicht alleine war und auch im selben Moment hörte ich eine ganz bekannte Stimme.
„Gut, dass wir uns treffen können“, erkannte ich Gahoffs Stimme.
„Bist du dir sicher, dass wir hier außer Gefahr sind?“, fragte eine andere männliche Stimme darauf.
Sie war kraftvoll und mutig. Ich verstand nicht, wie er so ruhig bleiben konnte, wenn er einem
Valdir gegenüber stand, der ihn sofort töten konnte. Von meinen Instinkten getrieben, blieb ich in Deckung und belauschte weiter das Gespräch.
„Das Haus ist seit Jahren verlassen und die Aufmerksamkeit gilt jetzt dem Markttag. Uns wird niemand Beachtung schenken“, antwortete Gahoff.
Ich hatte mich auf den Boden gesetzt, meine Hände auf die Erde gelegt, um den Standort der beiden zu bestimmen. Dafür mussten sie sich jedoch bewegen. Die Blätter der Sträucher waren leider zu verwachsen, um hindurch zu sehen.
Überraschend konnte ich dann doch eine Vibration spüren. Sie war leicht und geschmeidig. Die Person hatte nur ein paar
Schritte gemacht, allerdings sehr vorsichtig. Soweit mich meine Sinne nicht täuschten, standen sie keine 10 Meter von mir entfernt. Ich wusste wie Gahoffs Bewegungen vibrierten und diese kamen eindeutig vom anderen Mann.
„Das ist auch gut so. Es gibt viele Entwicklungen in dieser Sache und langsam wird es Zeit sie zu verschärfen“, berichtete die fremde Person.
„Denkst du, dass ihr schon soweit seid?“, in der Stimme meines Freundes war noch Unglaubwürdigkeit zu hören.
„Gahoff, du kennst mich. Wir sind zusammen aufgewachsen. Wir sind Freunde.“
„Das ist keine Antwort auf meine Frage.“
„Das ist die
Antwort.“
Gahoff lachte. Wieso lachte er? Ich verstand es nicht. Wieder konnte ich spüren, dass sich jemand bewegte. Jetzt definitiv Gahoff. Er hatte sich zu alle Seiten umgedreht. Warum das? Sofort bekam ich meine Antwort.
„Du glaubst noch immer, dass wir hier nicht sicher sind oder?“
„Das ist Karrori. Hier laufen Dinge, die für niemanden sicher sind.“
Ich kapierte es einfach nicht. Wieso traf sich mein Freund mit diesem Mann? Was waren seine Beweggründe? Und um was soll es bei diesem Treffen überhaupt gehen? Warum sollte Karrori nicht sicher sein? Alle Valdir lebten hier.
„Da hast du wahrscheinlich recht!“, bestätigte
jetzt mein blondhaariger Freund die Vermutung seines Gegenübers, „Wir sollten uns ziemlich kurz halten.“
„Glorreiche Idee, mein Freund!“, sagte der Fremde eher sarkastisch, „Und ich bin mir sicher, dass du nicht nach unseren Fortschritten fragen wolltest.“
„Da hast du vollkommen Recht. Hast du in letzter Zeit von Mamori gehört?“, wollte Gahoff von seinem Freund wissen.
Mamori, der Name kam mir sehr bekannt vor. In meinem Gehirn ratterte ich die Personen ab, die ich jemals zu Gesicht bekommen hatte.
Mamori. Groß. Schwarzhaarig. Sessel. Abschaum. Tod.
Sie redeten über die Person, die ich vor ein
paar Tagen umgebracht hatte. Jedoch, woher wusste Gahoff von dieser Person. Alle Aufträge waren doch immer geheim. Außerdem war mir die Verbindung von dieser Person und meinem Freund überhaupt nicht klar. Gahoff war ein gebürtiger Sawarejo und Mamori ein Lipafme. Die beiden konnten sich gar nicht kennen. Oder etwa doch?
„Schon länger nicht mehr, dabei war er dabei noch ein paar Mitglieder zu mobilisieren“, antwortete der Fremde.
Er klang etwas in gedankenversunken. Natürlich hatte er nicht mehr von ihm hören können. Er war mausetot. Vergraben in seinem Garten.
Offensichtlich hatte ihm Gahoff einen viel versprechenden Blick oder eine Geste
zugeworfen, denn hastig trat die Person von einem Fuß auf den anderen.
„Du willst mir damit sagen, dass er die Karotten von unten sieht?“, fragte der Mann geschockt.
Wie Recht er mit seiner Aussage hatte, dachte ich mir und musste ein Grinsen unterdrücken.
„Ja.“
„Oh nein! Das heißt, er weiß alles!“
„Nicht so voreilig“, beruhigte Gahoff seinen Freund, „Der Valdir, der ihn ausquetschen hätte sollen, hat zu voreilig gehandelt und ihn ohne jegliche Information umgebracht.“
„Ich sollte ihm oder ihr meinen Dank aussprechen.“
Mich überraschte, dass er so überhaupt nicht
traurig war, dass einer von ihnen ermordet worden war. Sofort kam es mir in den Sinn, dass er sicher nur eine kleine Rolle in dieser Verschwörung gespielt hatte. Natürlich ging es hier um eine Verschwörung. Wenn ich mich daran erinnerte, welche Aufgabe ich bei diesem Auftrag hatte, dann wurde mir immer mehr klar, dass auch unser Anführer wusste, dass etwas im Dunklen lauern musste.
Jemand hatte Mamori bei den Karroris angeschwärzt. Dieses nach Mitgliedern suchen, wurde zwar anders formuliert, allerdings war es für unseren Chef klar, dass er beseitigt werden musste, egal nach was er suchte.
„Die Sache ist noch nicht geplatzt, aber wir müssen so vorsichtig, wie noch nie sein“,
machte Gahoff seinem Freund klar, „Der Anführer hat eine Spur und dem Valdir wird es nicht noch einmal passieren, dass er einen Auftrag nicht vollständig ausführt.“
„Du hast Recht, Gahoff. Darum freue ich mich dir mitzuteilen, dass unsere Reihen gefüllt sind und das wir dabei sind, unseren Plan zu perfektionieren. Hierbei darf nichts schief gehen“, erzählte der Mann.
Wieder mit festem Stand blieb er auf der Stelle stehen.
Alarmglocken durchzuckten meinen Kopf.
Mitglieder suchen. Plan schmieden. Verschwörung.
Wenn ich den Mann nur sehen könnte, wenn Gahoff nur einmal seinen Namen nennen würde.
Gahoff. Wie kam es nur einem Valdir in den Sinn, bei soetwas mit zu machen. Wir halfen nicht. Wir töteten. Wir schmiedeten keine Pläne, außer den Plan jemanden umzubringen.
Ich kannte Gahoff. Er war ein Musterbeispiel eines Valdir. Immer bereit jemanden zur Strecke zu bringen. Immer bereit, ohne freiem Willen zu handeln.
Freier Wille? Er war mit freien Willen zu diesem Treffen gekommen, doch hatte er nicht vor einigen Tagen noch selbst gesagt, dass ein Valdir keinen freien Willen hat? Was war hier zum Teufel noch mal los? Wieso übte Gahoff mutwillig Verrat aus?
Dann kam mir auf einmal in den Sinn, dass
auch ich aus freien Willen hier hergekommen war, um meine Familie zu sehen und ihnen Geld zu geben. Jedoch hatte ich nicht vor einen Aufstand anzustacheln.
Ich vereinbarte mit meinem Gewissen, dass ich nur meiner Familie half und dass das kein Verrat gegenüber unserem Anführer war. Auf keinen Fall.
Doch Gahoff tat das. Ich musste etwas tun. Allerdings wenn ich mich einfach so aus dem Gebüsch stürzen würde, würde ich ohne Auftrag handeln, ich würde die zwei Personen, wovon eine ein Valdir war, töten und mich dafür rechtfertigen müssen. Und niemand würde es verstehen, weil ich keine Zeugen hatte, die dieses Gespräch gehört hatten.
Ganz zu schweigen davon, dass es noch nie einen Auftrag gegeben hatte einen Valdir zu töten.
„Du solltest bei unserem nächsten Treffen dabei sein“, forderte der Fremde Gahoff auf.
„Vielleicht solltest du deine Geheimwaffe erst später präsentieren“, ich hörte die Nervosität in Gahoffs Stimme.
Diesmal lachte der andere Mann. Schon wieder verstand ich es nicht, was ihn so amüsierte.
„Sollen wir wieder, wie in unserer Kindheit, darum kämpfen wer stärker ist?“, fragte Gahoffs Freund belustigend.
„Besser nicht.“
Ich schüttelte den Kopf. Wie konnte diese
Tatsache Gahoff Freude bereiten?
Er verriet den Anführer, die Valdirs und sich selbst.
Wer war dieser Mensch?
Ich hatte immer geglaubt ich würde ihn kennen und irgendwie hatte ich auch immer zu ihm hochgesehen. Doch jetzt, jetzt war es wie weggeblasen. Er versuchte einen Aufstand anzuzetteln und ich musste ihn davon abhalten.
Die beiden Männer hatten sich inzwischen voneinander verabschiedet, ich konnte ihre Schritte von sich entfernen spüren. Gahoff ging in Richtung Stadt und der andere Richtung Mauer. Ich war Gott sei Dank in meinem Gebüsch geschützt vor ihren Blicken.
Die Tatsache verstörte mich zutiefst und ich
musste es sofort unserem Anführer berichten. Als ich vollkommen überzeugt war, dass die beiden über alle Berge waren, richtete ich mich auf und lief schnurstracks in Richtung des Hauses meines Gebieters.