Titel
„Ich freue mich, das du doch gekommen bist. Willst was ham? Hungrig, durstig? Wir können auch gleich mit dem Haare färben anfangen. Ich richte mich voll nach dir.“
Wochenlang hatte ich Gespräche mit ihr geführt. Meine Geduld zahlte sich aus. Sie hatte all ihren Mut zusammengenommen, ihre Komplexe zur Seite geschoben und war aus sich heraus gekommen. Wie viele Jahre heilt sie sich schon versteckt? Zu viele. Es war ja nicht ihre Schuld, das ihr Körper in die breite ging. Hätte sie damals diese Medikamente nicht bekommen, wäre sie
nicht aufgeschwemmt, sondern immer noch gertenschlank. Dennoch ist dies kein Grund sich zurück zu ziehen. Sie war doch deswegen kein anderer Mensch, sondern immer noch die selbe Person, wie zuvor. Nur, das jetzt mehr an ihr dran war. Der Vorteil war, man wurde nicht so schnell übersehen. Nachteil war aber, die Intoleranz vieler Menschen. Verächtlich wurde sie angesehen und beleidigt. Leise, aber dennoch unüberhörbar. Deswegen war es ein ganz schöner Kraftakt, sie dazu zu bewegen zu mir zu kommen. In ihre Wohnung durfte ich ja nicht. Männerverbot. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als sich aufzuraffen und
zu mir zu kommen.
Mein Kollege hatte mir nicht sonderlich Mut gemacht, das ich es schaffe, das sie unter Menschen geht. Ganz im Gegenteil. Er dachte eh, das ich was von ihr wollte. Wollte ich auch. Aber nicht das, was er dachte. Ich hatte einige private Gespräche mit ihr gehabt. Offene Gespräche. Dabei fanden wir heraus, das sie ähnlich war, wie ich. Dies wird der Grund gewesen sein, warum ich es am Ende geschafft hatte, das sie zu mir kommt und ich ihr Strähnchen verpasse. Ich hatte ihr gesagt, das ich es bei meiner Ex oft gemacht habe. Aber so ganz stimmte es nicht. Meiner Ex hatte ich komplett die
Haare gefärbt. In einer Haarfarbe. Ich war mir aber sicher, das ich das mit den Strähnchen hinbekommen würde. So blöd war ich ja nun auch wieder nicht. Pinsel, Haare, Farbe und ein bisschen Geschick. Und das hatte ich.
Wir unterhielten uns über unsere Probleme, die wir beide zu Hauf hatten, während ich ihr eine Strähne nach der anderen machte. Es war eine Art Selbsttherapie. Da wir ähnliche Probleme hatten, konnten wir uns sehr gut in den anderen hineinversetzen. Besser, als irgendjemand anderes. Viel besser, als irgendein Psychodoc.
Wir brachten uns gegenseitig zum Lächeln. Lachten über uns selber. Hatten
gemeinsam Spaß. Ihr tat es gut und mir ebenso. Es war eine gute Idee gewesen, sie dazu zu bringen, zu mir zu kommen. Die blonden und schwarzen Strähnchen waren mir sehr gut gelungen. Besser, als ich gedacht hatte. Sie war äußerst zufrieden und bedankte sich mit einem kleinen Küsschen auf meine Wange.
Der Abend war noch jung gewesen. Deswegen nahm ich sie an die Hand und wir machten einen kleinen Spaziergang. Ein paar Leuten schauten uns schief an, aber daran war ich gewöhnt. Oft genug hab ich das gesehen, wenn ich mit meiner Ex unterwegs war. Anstatt ihren Blick auf die Straße zu werfen, wo sie hingehörten, sahen diverse Autofahrer
lieber uns an. Mich wundert es, das sie keinen Unfall gebaut hatten. Irgendwie hätte ich mich sogar gefreut, wenn sie auf ihren Vordermann gefahren wären. Hätte freiwillig Zeugenaussage gemacht und den Fahrer gefragt, in Anwesenheit eines Polizisten, gefragt, warum er uns angestarrt hat, anstatt auf den Straßenverkehr zu achten. Interessieren täte es mich, denn ich wüsste nicht, das wir was ungewöhnliches an oder bei uns hatten.
Als wir uns verabschiedeten, bedankte sie sich noch einmal bei mir. Fürs Haare färben und die Unterhaltung. Beides hatte ihr gut getan und ihr Selbstbewusstsein steigern lassen. Das
sah man ihr auch an. Auf Arbeit war sie ausgelassener. Machte auch Scherze. War einfach ein fröhlicher Mensch.