Im Leben wie im Sterben
„Wer sucht der findet“
„Ein dämliches Sprichwort.“
„Ich weiss.“
„Weshalb bist du dann auf der Suche?“
„Weil ich nicht in der Lage bin, zu finden.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Ich weiss.“
„Wieso suchst du etwas, obwohl du nicht finden kannst?‘“
„Weil ich etwas finden muss.“
„Du hast gesagt du kannst nicht finden…?“
„Sie verstehen es nicht.“
„Erklär es
mir.“
„Wieso?“
„Weil ich es verstehen will.“
„Wieso?“
„Ich will wissen was dich dazu bewegt hat.“
„Wieso?“
„Sag du es mir.“
„Weil sie suchen.“
„Was suche ich?“
„Die Antwort.“
„Wirst du sie mir geben?“
„Nein.“
„Weil ich nicht in der Lage bin zu verstehen?“
„Nein, weil sie nicht finden können.“
„Jetzt verstehe ich erst recht nichts
mehr.“
„Ich weiss.“
„Wenn du mir die Antwort geben würdest, hätte ich sie auch gefunden.“
„Nein. Sie hätten sie erhalten.“
„Wo ist der Unterschied?“
„Wie wollen sie etwas verstehen, das nicht von ihnen kommt? Wie wollen sie es auf die selbe Weise begreifen, wie ich es begreife?“
„Vielleicht könnte ich es ja verstehen.“
„Nein. Sie würden denken, dass sie es verstehen. Sie würden nicken und Ja sagen, aber verstehen tuen sie nur das, was sie begreifen, nicht das, was ich verstehe.“
„Also denkst du meine Art des
Verstehens ist anders als deine?“
„Natürlich.“
„Sag mir wieso.“
„Endlich.“
„Was endlich?“
„Sie fangen an ihre Fragen richtig zu stellen.“
„Ich habe nicht gefragt.“
„Eben deshalb.“
„Erklär mir wieso.“
„Fragen sind eine Farce. Egal was sie Fragen, sie werden niemals genau verstehen, was ihr gegenüber antwortet. Wie könnten sie auch. Jeder Mensch ist anders. Jeder Mensch denkt anders. Eine Frage ist ein Weg ohne Ziel, eine Suche ohne
Erkenntnis.“
„Deshalb hast du gesagt, das du nicht in der Lage bist zu finden“
„Nein.“
„Aber in deiner Art zu denken schon.“
„Ja.“
„Sag mir wieso du es getan hast.“
„Sie werden es nicht verstehen.“
„Ich will es nicht verstehen.“
„Dann ist gut.“
„Ja.“
„Es hat geregnet. Ich mag es wenn es regnet. Der Regen ist überall gleich. Und er fühlt nichts.“
„Du wolltest auch nichts fühlen.“
„Nein. Ich fühle gerne. Fühlen ist wie ein Geschmack auf der Zunge, wie eine
Kaskade von Farben in unserem innern. Ohne Gefühle gäbe es keinen Grund mehr, das zu tun.“
„Sag mir wieso du es getan hast.“
„Weil ich nicht mehr suche. Ich habe aufgegeben zu suchen.“
„Und das ist schlecht.“
„Welchen Sinn hat das Leben ohne eine Suche? Es ist statisch, kein Teil der Veränderung mehr, kein Leben, wie sie es kennen.“
„Aber du lebst gerne.“
„Sie haben nicht zugehört. Ich habe bereits aufgehört zu leben.“
„Du hast aufgehört zu leben, weil du nicht mehr suchst.“
„Weil ich wieder finden kann. Nicht jede
Antwort, aber die eine, die mich interessiert schon.“
„Erzähl sie mir.“
„Wir leben, um am leben zu erhalten. Wir fühlen um Gefühle zu verstehen. Wie hintergehen, um hintergangen zu werde. Wir atmen, um die Atemzüge anderer zu zählen. Aber wir sterben um zu überleben.“
„Also bist du jetzt tot, aber tot wärst du lebend.“
„Nein.“
„Doch.“
„Sie haben recht.“
„Weil das meine Art ist dich zu verstehen.“
„Sie haben begriffen ohne zu verstehen.
Sehr gut.“
„Du wolltest – willst – sterben um zu leben.“
„Am ende leben wir alle so. Durch Erinnerungen. Durch Gedanken. Ein Hirngespinst, ein Konstrukt, das realer ist als der Körper, in dem wir gehen, als die Dinge, die wir denken. Wir sind alleine, alleine gegen den Rest der Welt. Und je mehr von der Welt an uns denkt, desto mehr ist der Rest der Welt ein Teil von uns. Im sterben sind wir bei weitem nicht so einsam, wie im Leben.“
„Du hast nicht vor, länger einsam zu bleiben.“
„Ich werde nie mehr einsam sein, sobald ich
lebe.“
„Es tut mir leid.“
„Mir auch.“
„Aber danke. Danke dass du mir erlaubt hast, zu begreifen.“
„Danke, dass sie verstehen.“
Ich erhob mich und verliess den Raum, den ruhigen Jungen mit den seltsamen Gedanken, dessen dunkle Augen mir noch nicht einmal bis zur Tür folgten. Vor der Tür empfingen mich die anderen. Sahen mich an und erwarteten meinen Order. Meine Lippen wollte sie schon Formen, die Worte die den Jungen zu ewiger Einsamkeit und ewigen Tot hinter den Mauern einer psychiatrie
Verdammen würden, aber mein Herz zögerte. Ich sterben sind wir bei weitem nicht so einsam wie im Leben. Wie kann ich ihm helfen? Soll er leben oder sterben?