Der Parallelweltenwanderer
EINE REAL-FANTASY-KURZGESCHICHTE
VON MILUNA TUANI
1.
Ich beeilte mich um nicht all zu spät zur Übernahme der Kursusgruppe zu kommen, ich hatte diese Dozentenstelle noch zusätzlich angenommen, da ich einfach Abwechslung brauchte, neue Anforderungen, und einfach neue Menschen um mich herum. Meine Kollegen und Vorgesetzten waren mir so vertraut und langweilig geworden, monotone und einfältige Tätigkeiten, Tag ein Tag aus, engten mich ein, ich
brauchte neue Herausforderungen, um mich profilieren zu können, und um mich von meinem unausgefüllten unzufrieden stellenden Privatleben abzulenken...
Ich erreichte die Cafeteria des Ausbildungszentrums, und fragte den Barmann, einen alten Freund von mir, wo ich die Managerkursgruppe finden könnte. Er zeigte mir mit dem Finger auf einen gegenüberliegenden Tisch, an dem eine Gruppe von mehreren Leuten saß, sich lautstark unterhielten, ihre Zigaretten rauchten und ihren Kaffee tranken.
„Hey Etienne, pass auf dich auf!“- rief er schmunzelnd und so laut das einige Anwesenden zu ihnen hinüberschauten.
„Soweit ich weiß, besteht deine Gruppe nur aus hübschen jungen und reifen Damen! Also hüte dich, dass sie nicht den Hahn im Korb aus dir machen!“ - Er klopfte mir ermutigend auf die Schulter und wandte sich dann einem Kunden zu. Ich zog die Augenbrauen hoch und beobachtete die Gruppe von jungen und älteren Frauen, die sich untereinander sehr angeregt unterhielten und ab und zu laut schallend auflachten; nur eine von ihnen saß ein wenig abseits und lass in einem Magazin; irgendwie stieg in mir Unwohlsein auf bei dem Gedanken, vor fast 12 Frauen zu dozieren. Nicht dass ich ein Frauenhasser, oder verklemmter Ängstling bin, ganz und gar nicht, aber
meine Exfrau hatte mir so zugesetzt, mich betrogen, hintergangen, grundlos angeklagt und das schlimmste, mir unsere Tochter seit ihrer Geburt von meinem Umgang unterzogen, erst nach sechs Jahren habe ich mein Töchterchen das erste Mal wirklich kennengelernt, und nach einigen kontroversen Prozessen war es mir gelungen das Besuchsrecht zu erhalten, aber ihre Mutter hielt nicht ein dagegen zu protestieren und die Prozesse, in denen sie weiter schmutzige Wäsche wusch um mit allen Mitteln zu versuchen mir das Besuchsrecht für mein Kind wieder zu entziehen...
Ich wurde in meinen Gedankengängen von schallendem Gelächter unterbrochen,
dass aus der Richtung der, „meiner“ Gruppe kam. Ich hörte einige Wortfetzen heraus, wie „schaut euch mal dieses attraktiven Typen dort an, der könnte aus einem dieser Kitschteleserien stammen, wie heißt sie denn noch, „les feux damours,“ und wieder schallendes Gelächter folgte und alle schauten sie zu mir herüber, nur die etwas Abseitssitzende sandte mir einen versteckten Blick hinter ihrer Zeitschrift hervor. Da ich nun in den Mittelpunkt ihrer Diskussionen geraten war, sah ich mich gezwungen, auf sie zuzugehen. Ein wenig fühlte ich mich wie der Spießrutenläufer, näherte ich mich dem geräuschvollen Tisch, versuchte ihr
Kichern und alberndes Gelächter zu überhören. Ich atmete tief durch und lief an ihnen vorbei direkt auf die Außenseiterin hin, die fast erschreckt von ihrem Magazin aufschaute. Die Augen am Nebentisch folgten mir. Ich erfasste ihren Blick und fragte sie höflich mit einem offenen Lächeln:
„Können mir sie sagen wo ich die Managerkursusgruppe finde?“- Sie schaute mit großen Augen zu mir auf und entgegnete mit leiser weicher Stimme:
“Wir sind die Managerkursusgruppe, und sie sind sicher unser neuer Ausbildungsleiter, nehme ich an?“ - Ich hatte ihren Blick eingefangen, ich schaute ihr fest in ihre scheinbar grünen
Augen, wie ein Wirbel zog es mich in eine undenkbare unendliche Tiefe, Bilder, Farben und Emotionen wirbelten vor meinem inneren Auge, ich spürte eine - einem Stromschlag gleich - stechende Beklemmung in der Herzgegend, nein keine Herzattacke, nicht hier und jetzt, doch auf einmal, stieg in mir ein so eigenartiges Gefühl auf, ich hatte den Eindruck diese junge Frau irgendwo her zu kennen, noch mehr, sie war mir vertrauter als irgendjemand dem ich je begegnet war, scheinbar starrte ich sie an, da sie ein wenig verlegen geworden, die Augenbrauen hochzog, und ihre Frage wiederholte, ich bemühte mich wieder Fassung zu finden und ihr zu
antworten, aber irgendwie blieb mir die Luft und die Stimme weg, am Nebentisch fing es gewaltig zu johlen an, und ich erwachte aus meiner Trance. Was war mit mir geschehen, ich fühlte mich so eigenartig, als ob Ameisen in meinem Blutkreislauf zirkulierten, mir war heiß und kalt gleichzeitig zu Mute und ich spürte, dass ich rot im Gesicht glühte, ich hatte das Gefühl mich setzten zu müssen, aber hielt stand; ich riss mich von ihrem Blick los, auch wenn das mir ein sehr unangenehmes Entzugsgefühl verursachte, und antwortete zu allen anderen Gruppenmitgliederinnen:
„Ja, ich bin ihr neuer Ausbildungsleiter, darf ich mich vorstellen, Etienne Alvarin,
tut mir leid dass ich zu spät komme, aber ich hatte noch einen wichtigen Termin, wie ich sehe, haben sie sich nicht gelangweilt!“-
„Keineswegs“, schallte es aus der Gruppe, und auf so einen charmanten Ausbildungsleiter warten wir doch gerne, und was für eine Chance wir doch haben, da haben sie uns ein männliches Topmodel gesandt usw. usw., na das fing ja gut an.
„Meine Damen, wenn sie mich in das obere Stockwerk begleiten möchten, unser Raum befindet sich in Flur 2 Nr. 215 ich werde nur schnell den Schlüssel vom Pförtner holen!“
„Ach, normalerweise ist das meine
Aufgabe!!!“- Eine Blondine, einen Kopf grösser als ich, näherte sich mir auf Kopfabstand und ihr aufdringliches Parfum kitzelte mir in der Nase. Sie sah mich direkt mit ihren unter Schminke schweren Liedern an, ihr weit ausgeschnittenes Dekolleté mit ihren weitauslaufenden Silikonbusen vor die Nase schiebend, und mir eindringlich zublinzelnd.
„Bitte sehr, Raum 215, 2.stock, wir warten auf sie oben!“ - Ich drehte mich um und stieg die Treppen hoch, mir den schweren zumessen unerträglichen Parfumgeruch von mir zu wedeln, ich dachte, „Folgt mir meine Hühner!“ und ich musste grinsen. Oben angekommen,
blieben die Gruppenmitgliedern untereinander in Dreier und Vierergruppen stehen, tuschelten und lachten, nur die Außenseiterin, wie ich sie nannte, hatte sich gegen die Mauer gelehnt und wartete unbeweglich. Hinter den anderen verdeckt, musterte ich sie, sie war anders, sie umgab eine Aura einer zeitlosen nicht aus dieser weltstammenden Schönheit, kastanienbraunrotes lockiges schulterlange Haar, ein herzförmiges Gesicht, eine dazu passende süße Stupsnase, sinnliche Lippen, zartrosa, hohe Wangenknochen, ihre Augen, sich wusste das sie grüne Augen hatte, obwohl ich sie bei der ersten Begegnung
nicht wirklich ausgemacht hatte, sie trug keinerlei Schminke, keinen Schmuck, ihre Kolleginnen dagegen glichen vollgeschmückten Weihnachtsbäumen, sie war in schwarze weite Kleidung gehüllt, anscheinend wollte sie ihre entzückenden vollweiblichen Rundungen verbergen, wie alt mochte sie sein, ich schätzte sie auf 29, 30 ein, mein Gott wie sie mir gefiel dieses Mädchen, was war mit mir geschehen? Ich habe nie an Liebe auf den ersten Blick geglaubt, ich muss dabei an ein Lied von Dennis de Young denken, „Love at the first sight“, its so exciting ohohoh, ich habe Lust es hier laut vor allen anzustimmen, bin ich völlig verrückt geworden? Ich habe
immer nach meiner zweiten Hälfte gesucht, ich war sicher, dass sie existierte, und nun auf einmal, ist es möglich dass ich ihr begegnet bin? Was für eine verwirrende Situation, ich möchte sie in die Arme nehmen, ihre meine so starke aufwallende Liebe in mir zu ihr gestehen, hier und jetzt vor allen und überall ins Universum schreien, endlich habe ich dich gefunden, aber das ist ja völlig unmöglich, sie würde mich für einen Verrückten halten, und hier in dieser Umgebung, und dann die Frage, ist sie frei? -
In meinem Kopf begann es zu rumoren, wie in meinem leeren Magen, hatte das Frühstück heute Morgen wegen
Zeitmangel verpasst und den schwarzen Café, den ich um 6 Uhr morgens zu mir genommen hatte, war schon längst verdaut, ich erwachte aus meinen Tagtraumen als sich unsere Schlüsselträgerin mit klackenden Stöckelpumps nahen hörte, sie erreichte mich schnell und reichte mir den Schlüssel, mir dabei wieder ihren volldekolletierten Busen vor die Nase schiebend, ich wandte mich ab, schloss die Tür auf und bat die Damen einzutreten, ich wartete auf sie, die noch immer jetzt mit geschlossenen Augen und ernstem Gesicht an der Mauer lehnte, als wäre sie von einer schweren Last erdrückt. Ich rief ihr aufmunternd zu.
„Kommen sie, der Kursus kann beginnen!“ Ich sandte ihr das sympathischste Lächeln der Welt entgegen, doch ich wurde schnell ernst, als ich bemerkte, dass sie wie aus von Tränen verschleierten Augen zu mir aufschaute und dann nickte; sie nahm ihre Tasche und rauschte ohne ein Wort zu sagen an mir vorbei in den Raum, wo die anderen sich schon niedergelassen hatten. Es blieb nur die erste Reihe genau vor mir frei, und sie ließ sich in dieser Reihe am Fenster nieder.
Ich schloss die Tür, hängte meine Kostümjacke über einen Stuhl und setzte mich auf das Dozentenpult und ließ die Beine baumeln, um ein wenig zu
entspannen. Dann begann ich: „Meine Damen, dürfte ich sie bitte um Ruhe bitten! Auf einmal fixierte mich ein Haufen weiblicher Augenpaare. Ich stellte mich ihnen noch einmal vor erzählte von meinen Tätigkeiten im Konzern und erläuterte ihnen dann das Programm unseres Kursus. Ich bat sie anschließend sich einzeln vorzustellen und ihre Motivationen und Belange zu schildern, weswegen sie an diesem Kursus teilnehmen wollten. Ohne gefragt worden zu sein begann die Blondine (die wie vorhersehbar „Barbara“ hieß und einige ihrer Kolleginnen natürlich gleich „Barbie“ nannten, und das ihr auch noch gefiel!) und einige ihrer Kolleginnen
folgten. Ich wechselte mehrmals meinen Platz und beobachtete sie aus den Augenwinkeln, sie saß da teilnahmslos, mit ernstem Gesicht, grübelnd, gar nicht bei der Sache, na ich kann schon verstehen, ihre Kolleginnen schienen sie zu langweilen wie auch mich, doch ich musste den Eindruck machen, das jede von ihnen ein wichtiger Bestandteil der zukünftigen Integration in den Konzerns darstellen könne, sofern sie ernsthaft der Ausbildung folgt und das Diplom bestände und nun war sie an der Reihe, sie wandte sich zu ihren Kolleginnen um und begann: Ich heiße Anaîs, bin 39 Jahre alt, bin Mutter von vier Kindern im Alter von 3,5,7 und 9, die ich allein
erziehe, ich suche vor allen Dingen ein feste Anstellung, um meine Kinder großzuziehen, ich lebe seit 10 Jahren in dieser Region, bin ursprünglich aus Norwegen und da ich eine ähnliche Ausbildung wie diese hier schon in meinem Hersprungsland absolviert habe und dieser Konzern gerade neue Verbindungen mit diesem Land aufgenommen hat, würde ich gerne im Außenhandel eine feste Anstellung finden, also deswegen bin ich hier, ich spreche zudem noch fünf Sprachen fließend...“-
Er hatte ihr Wort um Wort gefolgt, also sie hatte fast sein Alter, sehr erstaunlich, sie schien äußerlich 10 Jahre
jünger, innerlich nein, da wirkte sie noch viel älter reifer, er war verdutzt, vier kleine Kinder hatte sie, und sie war alleinerziehend, er lächelte innerlich, war so zufrieden, dass er am liebsten jauchzend in die Luft gesprungen wäre, sie beherrschte all die Sprachen die für den Außenhandel mit dem neuen Partnerland wichtig waren, scheinbar war sie die einzige die für den Konzern von Bedeutung war, die anderen waren eben nur die Spreu des Korns, aber sie mussten eben aus Präsentierungsgründen mitgezogen werden. Und scheinbar schien sie auch die einzige zu sein, die wirklich motiviert war, ihrer Kinder wegen, hatte sie gesagt, also ist sie nicht
der Typ von Frau, der nach Männern sucht, um sich von ihnen aus halten zu lassen, ein weiterer Stein fiel ihm vom Herzen...
Er verteilte noch einiges Informationsmaterial, dann beschloss er, den Kursus für heute zu beenden, und morgen früh offiziell anzufangen. Die Gruppenmitgliederinnen brachen geräuschvoll und lachend auf und verflüchtigen sich eine nach der andren. Anaïs war die letzte, und ich wollte ein sinnvolles Gespräch mit ihr anfangen, brachte aber nichts weiter heraus, als „Warum sondern sie sich so von der Gruppe ab?“-
„Das liegt daran, dass ich nicht von hier
bin, und ich deshalb von den Einheimischen gemieden werde!“ - Entgegnete sie leise fast ein wenig scheu. -
"Haben sie es denn schon bei diesen hier wirklich versucht?“ - fragte ich sie so freundlich wie möglich. Sie verneinte kopfschüttelnd, und erwiderte zu Boden schauend:
„Nicht bei diesen hier, aber bei so vielen anderen, habe keinen Mut mehr dazu auf andere zuzugehen, und bin es müde, abgelehnt zu werden..-
Ich sah Unwohlsein in ihren so tiefsinnigen einlullenden Augen, ich wollte ihr etwas liebes Nettes sagen, doch sie brach schnell auf rief ein „bis
morgen dann“ zu und war schon aus der Tür geeilt...ich blickte ihr mit einem verrückten sanften Sehnen im Herzen und in meiner Seele nach…"...
2.
In der Nacht liegt Etienne sinnend wach, schläft kurz ein und leidet unter wirren Träumen, die ihn wieder wecken, gerade als er erschöpft weg nickt, klingelt der Wecker…
„Heute steht ein persönlichen Gespräch mit den Kursusteilnehmerinnen an, das ist die letzte Möglichkeit vor dem Praktikum, mit ihr persönlich und allein zu sprechen, schaffe ich es heute nicht, dann schaffe ich es nie mehr…“
Ausgelaugt von der schlechten Nacht und nicht sehr motiviert, macht der sich auf um den Tag zu beginnen…Das persönliche Orientierungsgespräch findet im Hörsaal des Ausbildungszentrums des Konzerns statt. Die Teilnehmerinnen warten in der Cafeteria. Etienne wirft einen kurzen Blick auf die Runde, Anaîs ist von ihren Kolleginnen umringt. Er sieht, dass sie ein kleines süßes Mädchen auf ihrem Schoss festumschlungen hält, das ihr außer der Haarfarbe wie ein Ei dem anderen ähnelt…
“Das scheint ihr jüngstes Töchterchen zu sein!“-
Ihm wird warm ums Herz und er schaut selig lächelnd zu ihr hinüber. Sie scheint
ihn bemerkt zu haben und ruft ihm zu:
„Etienne, mein Kindermädchen hat sich das Bein gebrochen, deshalb war ich gezwungen, meine Kleine heute mitzubringen, ich hoffe, das stört nicht den heutigen Ablauf, während des Gesprächs passen meine Kolleginnen auf Annabella auf!“-
„Kein Problem, Anaîs, und übrigens ihr Töchterchen ist wirklich zu süß!“
„Danke sehr…“
Er bemerkte gleich, dass sich ihre Wangen röten, obwohl sie ihr Gesicht in den wilden Locken ihrer Kleinen versteckt…
“Also dann bis später beim Gespräch, die erste kann mir folgen, haben sie ihre
Plätze ausgelost?“
„Ja sicher!“ schallte es vom Tisch zurück. Fräulein Vollbusen springt auf, und stakelt ihm hinterher, ihren Gigaminirock zurechtrückend, der gerade mal die Pobacken verdeckt…
“Ich bin die erste!“-
„Na dann bitte sehr in die erste Etage!“
Nach dem 10. Gespräch machte ich eine kleine Zigarettenpause, dann ging es weiter; Anaîs war noch nicht passiert, routiniert stellte ich immer dieselben Fragen, und testete, ob die Auszubildende das notwendige Informationspotential besaß, um fürs Diplomen zugelassen werden zu können, oder ob sie noch ein Trimester anhängen
müsste…8 von den 10 schienen bereit zu sein, 2 wollten ganz aufhören, wegen angeblicher unbesiegbarer Prüfungsangst, 5 hatte ich noch vor mir; ich fragte die nähere Bekannte von Anaîs, wann sie an der Reihe war, und meine Nervosität legte sich überhaupt nicht, als ich erfuhr, als sie nun gleich vor mir sitzen würde; meine Gedanken wirbelten wild durcheinander, mein Herz klopfte auf Volltouren, mir war leicht schwindlig, und da klopfte sie schon an der Tür und trat ein, ich bemühte mich, ein neutrales freundliches Gesicht aufzusetzen, doch als sie sich nährte und sich mir gegenüber niederließ, in nur ca. einem Meter Abstand, spürte ich wie
mein Gesicht zu glühen anfing; ich stand schnell auf und ging zur Fensterleiste, um ein Fenster zu öffnen.
„Puh, es ist stickig hier, finden sie nicht auch?“-
Sie schaute mir nach.
„Ja ein wenig…“-
Ich ließ mich wieder auf dem Stuhl nieder und schaute auf meine Notizen.
„Also Anaîs, wo waren wir stehengeblieben?“- Sie musterte mich ausgiebig und entgegnete:
«Wir haben ja noch nicht einmal angefangen!“ Mir entwischte ein munteres Lachen und sie antwortete mir mit einen wenig scheues Lächeln, aber doch, sie lächelte mir zu, das erste Mal!
„Sympathische Einleitung und nun gehts an den ernsten Teil, ich werde ihnen einige Fragen stellen, und sie werden mir so professionell wie möglich antworten, einverstanden?“-
„Alles klar…“- erwiderte sie mit scheinbar übernatürlicher Ruhe, die mich noch nervöser machte. Ich begann meine Fragen zu stellen, sie antwortete kurz, direkt, aber mit überzeugendem Knowhow; ich machte die notwendigen Notizen, drehte meinen Kugelschreiber nervös hin und her, so fiel er mir auf den Boden, ich beugte mich vor, um ihn aufzuheben, und sie tat dieselbe Geste im gleichen Moment; wir kollidierten beinahe mit den Köpfen, und sie lachte
freudig auf und rief „Verzeihung“. So nah war ich ihr noch nie gekommen. Im sekundenlangen Wachtraumzustand nahm ich zärtlich ihr Gesicht in die Hände, küsste sie sanft auf die Stirn, liebevoll auf die Wangen und dann einen unendlichen leidenschaftlichen Kuss auf ihre Herzförmigen Lippen, süß, sanft, und voller Verlangen nach mehr…Ich schien im Äther zu schweben...Ich schüttelte den Kopf, um klare Gedanken zu fassen, stand hastig auf, riss den Stuhl dabei um und hetzte zum offenen Fenster; es regnete leicht und ich ließ mir die Tropfen ins Gesicht wehen…
“Wach auf, nimm dich zusammen oder sag ihr was du fühlst…“ - spornte ich
mich an…doch mein Mut lag tief unter dem Realisationslevel!
„Anaïs, ich muss ernsthaft mit ihnen sprechen!“ brachte ich leise, unsicher heraus. Sie starrte mich fast entsetzt an, und fragte besorgt:
«Sind meine Antworten so schlecht, dass sie so heftig reagieren? Werde ich etwa nicht zum Diplom zugelassen? Es ist so wichtig für mich, diese Stelle zu bekommen, um meinen Kindern eine beständige Zukunft zu sichern, mit dem Kindergeld, welches der Staat uns gibt, kommen wir nicht über die Runden; Werde ich nicht zugelassen, weil ich Ausländerin bin, das ist es, nicht wahr? Die wollen doch nur Einheimische
einstellen, weiß ich ja, aber ich dachte, ich hätte mich so weit qualifiziert, um vor allen Dingen, sie mit meinem Wissen und Können überzeugt, wenigstens zum Diplom zugelassen zu werden…“-
Sie senkte betrübt den Kopf und ich sah ihr standen Tränen in den Augen.
„Anaîs, nein, nein, das ist es nicht was ich ihnen sagen wollte, ich bestimme, ob sie am Diplomen teilnehmen oder nicht, na sicher, werden sie teilnehmen, sie sind mehr als qualifiziert, sie sind die Einzige von allen, die wirklich für diesen Job geschaffen ist, ich werde sie mit allen meinen Möglichkeiten unterstützen, dass sie diese Anstellung bekommen, sie haben es einfach verdient, es ist wirklich
erstaunenswert, wie es schaffen, ihre Kinder zu erziehen und gleichzeitig ihr Berufsleben zu managen, ich bewundere sie dafür…und gleichzeitig möchte ich meine ganz persönliche…“ gerade als ich das Wort „“Sympathie" aussprechen wollten, klopfte es stark an der Tür. Verärgert über diese unvorhergesehene Störung, rief ich „herein“. Die Sekretärin des Ausbildungszentrums, die mir schon seit einigen Jahren nachsetzte, trat ein und entschuldigte sich für die Störung.
„Es tut mir leid, aber man versucht sie dringstens zu erreichen, sie haben ihr Handy abgestellt, und da hat mich die Familie ihrer Exfrau gebeten, sie direkte
zu informieren, ihre Exfrau hatte einen schweren Autounfall, und ihre Eltern bitten sie, sich um ihre Tochter zu kümmern und sie für heute Abend zu sich zu holen…“-
Etienne stöhnte laut auf. „Auch das noch, ja danke sehr, ich werde gleich zurückrufen…“ -
Anaîs stand auf, und machte ein mitfühlendes Gesicht. Er stellte sein Iphone an und wählte eine Nummer. „Sie wissen ja, die Kinder stehen an erster Stelle! Sagen sie bitte ihren Kolleginnen, dass wir Montagmorgen die Gespräche fortsetzen, ok, ich muss los!“-
„Sicher, ich werde es den anderen sagen, und danke, dass sie mir ihre
Unterstützung angeboten haben…“ -
„Das ist das mindeste was ich für sie tun kann, Anaîs…“-
Sie spürte, dass er noch etwas auf dem Herzen hatte, aber sie wandte sich ab und sagte leise im Gehen, „bis Montag“, - „Anaîs, könnte ich sie am Wochenende anrufen, es gibt da noch etwas sehr wichtiges, was ich mit ihnen besprechen wollte…“-
„Na sicher, sie haben ja meine Nummer…“- Sie wandte sich ab und steuerte zur Tür hinaus…
“Ja Jackelyne, ja ich komme gleich ins Krankenhaus, um Irina abzuholen, kein Problem, nein wirklich nicht, bis gleich…“ Tief ausatmend, um sich von
einer Beklemmung zu befreien, machte er sich auf den Weg...
Er verbrachte das Wochenende mit seinem Töchterchen, sie gingen ins Kino, auf den Jahrmarkt, zum Shopping und in Restos…Irina war froh, intensive Zeit mit ihrem Papa zu verbringen, da sie ihn ja nur sehr selten sah. „Papa, was ist los mit dir im Moment, du machst so einen abwesenden Eindruck, viel Stress auf Arbeit?“-„Ja, Irina, sehr viel Stress…“ „…und dein privates Leben kommt daher zu kurz, hast du keine Freundin im Moment, die dich ein wenig auf andere Gedanken bringt?“-
„Irina, ich habe keine Zeit für Beziehungen, und…“-
"Sag nicht, ich bin noch zu klein, um mich mit solchen Dingen zu beschäftigen, ich bin keine Baby mehr...“ „Weiß ich doch, Töchterchen…“-
„Und ich dachte, du hättest Sorgen wegen einer Beziehungskiste!“-
„Wie kommst du denn darauf?“
„Weibliches Gespür!“-
„Ah?!“-
„Komm schon Papa, du kannst mir alles anvertrauen, ich vertraue dir ja auch alles an, mit dir kann ich über alles sprechen, mit Mutter nicht, sie ist kalt und abweisend mir gegenüber, und Oma ist zu alt und macht sich zu viele Sorgen, Opa ist nach seinem Schlaganfall
behindert, und die beiden Tanten sind so blöd wie ihre Schwester, und ihre Söhne, meine Cousins, sind bescheuerte Dummköpfe, reden nur von Wildschweinjagd und Pilze sammeln, usw., die kennen nicht mal die Namen der neustes Topgruppen, die leben wirklich hinter dem Mond…Papa, ich möchte bei dir leben, oder ich will ins Internat, ich möchte nicht mehr bei Mutter & co. bleiben, ich fühle mich unwohl, ständig bringt sie immer neue Freier ins Haus, die ich eklig und widerlich finde, einer hat versucht mich anzugrabschen, stellst du dir das vor, Papa,“-
„Irina, ist das wahr?“- Etienne war weiß
geworden…
“Sobald deine Mutter aus dem Krankenhaus raus ist, werde ich der Sache auf den Grund gehen, aber wie soll ich dich bei mir aufnehmen Töchterchen, ich komme spät Abend rein, und gehe morgens ganz früh raus, wir bräuchten da eine Person, die sich um dich kümmert, dich in die Schule bringt, usw., ist nicht leicht eine solche Vertrauensperson zu finden, glaube mir, ich fände es besser, an das Internat zu denken…“-
„Also dann willst du mich auch abschieben!“- rief Irina verärgert!“-
„Natürlich nicht, du hast es ja selber vorgeschlagen…“-
„Sicher um dich zu testen…“
Irina, im Moment bin ich nicht in der Lage eine klare Entscheidung zu treffen, bitte lass mir ein wenig Zeit, wenn du willst, kannst du in den Ferien zu meiner Familie in den Elsass, du verstehst dich doch gut mit Oma und Opa, und meine Schwestern magst du auch und deine Cousinen…“-
„…für die Ferien bin ich einverstanden, aber dann musst du eine Lösung finden…Papa…wenn du eine neue Freundin hättest, mit der ich mich gut verstehe, könnte ich bei dir bleiben, Papa, wär auch schön wenn sie schon Kinder hätte, ich wollte schon immer Geschwister haben..“ -
“…Ich werde mich bemühen eine Lösung zu finden, Töchterchen, und nun schlaf gut…“
3.
Der Moment ist gekommen, an dem ich eine wichtige Besprechung mit der Generaldirektorin des Konzerns abhalten muss, in dem meine Anaîs ihr Praktikum absolviert. Ich hoffe also auf ein Wiedersehen mit ihr... und auf eine Aussprache…diesmal ohne Störungen…Ich erreiche gerade noch rechtzeitig den Besprechungsraum, alle Beteiligten haben schon ihre Plätze eingenommen. Ich lasse mich gegenüber der
Generaldirektorin in den Sessel fallen, die schon mit ihrer Einleitung begonnen hat. Ich schaue von Beteiligten zu Beteiligen an dem großen ovalen Tisch herum, bemerke einige Praktikantinnen aus anderen Ausblildungsgruppen meines Konzerns, aber Anaîs ist nicht unter ihnen. Mir steigt das Blut in den Kopf, sie ist nicht da! Ich werde ihr ein Texto schreiben:
„Hallo Anaïs, ich bin wegen einer der Besprechung in ihrem Konzern, ich dachte, sie würden auch daran teilnehmen, hoffe sie später zu treffen!“
Nervös und mit zittrigen Händen legt er sein Handy beiseite, als er mit seinem Beitrag an der Reihe ist. Bemüht konzentriert hält er seinen Vortrag, muss sich aber oft unterbrechen und auf seine Notizen schauen, verliert einmal ganz den Faden und beginnt an einer anderen Stelle, gerade als sein Handy laut schallt und ein Texto anmeldet. Er unterbricht seinen Beitrag ohne sich bei seinen Zuhörern zu entschuldigen, um seine Nachricht zu lesen. Die Anwesenden schauen sich erstaunt untereinander an. Sie unterhalten sich leise, dann fährt die Generaldirektorin ungehalten auf und fragt ihn direkt:
„Mr Alvarin, wenn sie ihre wichtigen Nachrichten gelesen haben, können wir dann bitte fort fahren?“
Er antwortet nicht starrt nur starr auf den Bildschirm seines Handys. Er liest:
"Etienne, ich habe heute meinen freien Tag, da es Mittwoch ist und meine Kinder keine Schule haben, aber wenn es dringend ist, dass sie mich sprechen möchten, kann ich ja vorbeikommen, Ich kann den Vater meiner Kinder fragen, dass er auf sie aufpasst! Ich warte auf ihre Antwort! Anaïs.
“Herr Alvarin, ich bitte sie, können wir
jetzt fortfahren oder sollen wir die Besprechung unterbrechen? Einige Teilnehmer werden ungeduldig! Unsere drei Ehrenkunden warten auf die Erläuterung ihres Projektes!“
Die Generaldirektorin, die Etienne schon einige Jahre kennt, weiß, dass er zur Zeit nicht auf dem Posten ist, aber sie wollte ihm diese Chance geben, einen wichtigen Vertrag mit neuen potentiellen Kunden abzuschließen, dank dieser Produktvorstellung, doch scheinbar hat sie ihn überfordert, er schien keinerlei Anforderung mehr stand zu halten; sie muss handeln, sie nimmt seinen Platz ein, schiebt ihn beiseite und beendete die
Vorstellung des Projektes…
Etienne läßt sich schwer in den Ledersessel fallen, seufzt laut und stützt sein Gesicht in die Hände, sich die Haare raufend, als wäre er allein im Raum...
“Sie ist nicht da, es ist ihr freier Tag, sie ist noch in gutem Kontakt mit dem Kindesvater? Oh mein Gott, und wenn sie sich wiederzusammentun? Was soll ich tun, ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen, ich muss raus hier!“-
Ein Wirbelsturm kämpft in seinem Kopf, und ein Gewitter tobt in seinem Herzen und in seiner Seele. Er sprang auf und
stürzte aus dem Verhandlungssaal. Die Versammelten schauten ihm kopfschüttelnd nach…
Sein Vorgesetzter nimmt ihn am nächsten Tag zur Sprache, doch er antwortet ihm unverschämt und ausgefallen, was dazu führt, dass ein Gutachten die Konzernphsychologin beantragt, die bescheinigt, dass er an einer schweren Depression infolge von Überarbeitung leidet. Den wahren Grund seines Zustandes kennt jedoch keiner. So wird er aller seiner wichtigen Aufgaben enthoben und man überträgt ihm leichte Tätigkeiten, auch seine Dozentenarbeit
wird reduziert, er wird nur noch diesen Kursus zum Diplom vorbereiten, und weitere werden nicht mehr folgen. Seinem Aufstieg zum Generaldirektorensessel ist damit nun endgültig ein Ende gesetzt und seine Konkurrenten jubilieren und stürzen sich auf die freigewordenen Tätigkeiten.
Während er eine Kundengruppe auf eine Werbereise begleitet, besichtigen sie eine Grotte in der die sterblichen Überreste einer Heiligen, in Form einer Madonnenstatue angebetet werden, die angeblich Wünsche erfüllen kann, wenn man nur wirklich fest daran glaubt.
Nachdem fast alle Besucher die Grotte verlassen haben, betet Etienne leise und
innig vor der Madonnenstatue, wird aber von seinen Begleitpersonen aus der Trance gerissen, um ihnen zu folgen…
Etienne hatte seine Tochter zum Flughafen nach Poretta gebracht, seine Mutter nahm ihre Enkelin für die großen Ferien bei sich auf, da Irinas Mutter noch immer mit schwerer Gehbehinderung in einer Rehaklinik lag….
Er hatte sich es auf seinem Sofa bequem gemacht und wählte Anaîs Handynummer zum vierten Mal, jedes Mal stieß er auf ihren Beantworter…er hatte es ebenso versucht sie über E-Mail zu erreichen, doch sie antwortete ihm nicht…die wilden Gedankenfetzen tanzten den
Teufelsreigen in seinem Gehirn und marterten seinen Geist: sie will nicht antworten, sie kann nicht antworten, man lässt sie nicht antworten…
Etienne sann vor sich hin, dann sprang er plötzlich auf, suchte nach seinem Autoschlüssel und machte sich auf den Weg in das Dorf, in dem Anaïs wohnte…
Etienne fuhr wie immer zu schnell, beinahe hätte er einen LKW gerammt, der ein wenig zu weit auf der seiner Fahrbahnseite fuhr, bremsenquietschend schleuderte sein Wagen gegen die Felsenwand, und der LKW-Fahrer hupte unverschämt, obwohl er im Unrecht war.
Etienne fluchte, nahm seinen Weg wieder auf, bis er im Dorf, in dem Anaîs
wohnte, ankam, er hatte ihre Adresse in ihrer Personalakte gefunden, und sich dank eines Kartenprogramms im Internet informiert wo sie genau wohnte. Er parkte auf dem Dorfplatz vor der Kirche und orientierte sich, dann war er sicher, dass es das Haus genau gegenüber dem Parkplatz sein musste, ein altes Steinhaus, wie all die anderen im Dorf, mit drei Etagen, Keller und Garten herum. Einige Hunde bellten, als er seine Wagentür öffnete. In einem der Räume brannte ein kleines Licht. Etienne entdeckte Anaîs hinter dem Fenster, in dem flauen Licht der Straßenlaterne erkannte er ihre Silhouette. Sein Herz begann wild an zu schlagen, der Atem
blieb im fast weg, er beobachtete bewegungslos, wie sie das Fenster öffnete, um die hölzernen Fensterläden zu schließen. Er versteckte seinem Kopf hinter dem Lenkrad; gerade als er wieder auftauchte und entschloss, zu ihr hinaufzugehen, kam ein weiterer Wagen im Dorf an, und parkte genau vor Anaïs Haus, ein Mann stieg aus, rief dem Fahrer etwas zu, der Wagen fuhr wieder weg aus dem Dorf hinaus. Der Mann lief die Treppen zum Haus hinauf, klopfte laut an die Tür, bis Anaîs hinter dem Seitenfenster, das zur Tür hinausführte, erschien.
Sie öffnete und rief: «Du wolltest doch erst morgen kommen!“- Der Mann schrie
ihr wirsch zu: «Ich bin eben jetzt schon da, und nun mach auf!“- Sie öffnete die Tür, der Mann schob sich hinein, und nahm grob ihr Gesicht in die Hände und drückte ihr seine Lippen begehrend auf den Mund…
Etienne stieg das Blut ins den Kopf, und er spürte einen starken stechenden Schmerz in der Herzgegend…alles drehte sich vor ihm, Tränen schossen ihm in die Augen…In seiner Agonie sah er nicht, dass Anaîs den Mann unsacht von sich wegschob, und dann die Tür schloss…
Etienne startete wie in Panik seinen Wagen, dann raste er im Irrentempo hinunter an die Ebene…Bis spät nach Mitternacht hing er an der Bar seines
Quartiers und schüttete einen Anisschnaps nach dem anderen in sich hinein; der Wirt kannte ihn gut, und wusste, wann es seinem Kunden schlecht ging, aber diesmal schien es ihm mehr als schlecht zu gehen; er empfahl ihm, nach Hause zu gehen und sich auszuruhen, aber Etienne blieb bis zum Ladenschluss am Glas hängen, schon mehr als übervoll, torkelte er taumelnd bis zu seiner Wohnung, dann endlich in seinem Penthouse angekommen, suchte er im Bad, im Schrank nach einigen Objekten, und ließ sich dann mit noch einer Flasche Sekt auf dem Sofa völlig niedergebrannt fallen…
In einer Art Wachtrancezustand kamen
und gingen ihm die wirren Gedanken: sie hat einen Macker, oder ist es ihr Ex? Etienne erinnerte sich, dass er bei der letzten Trainingsversammlung vor dem vorstehenden Diplomen, einige Wortfetzen von einer ihrer vertrauten Kollegin aufgefangen hatte, die sich mit einer anderen in der Cafeteria am Nebentisch laut unterhielt.
„Anaîs ist mutig, aber sie kommt mit dem Geld nicht zurecht, Ausbildungsvergütung 500 E und das Kindergeld haben sie ihr auf 100 herabgesetzt, weil ihr Ex denunziert hat, dass sie gratis in seinem Haus wohnt, so ein Saukerl, stellst du dir das vor? Und er schaut auch oft bei ihr vorbei, nicht
ihretwegen, oder der Kinder wegen, sondern um sicher zu sein, dass sie seinen Blumengarten nicht beschädigen, das ist so ein Pflanzenfanatiker, wer bevorzugt eine Palme seinen Kindern? Wenn eine Pflanze zerknickt ist, schreit er sie lautstark an, und droht sie zu verprügeln, auf so eine Gratisbude verzichte ich gerne, aber sie findet ja nichts anderes, sie hat mir erzählt, dass sie schon jahrelang nach einer Wohnung sucht, um ihn zu verlassen, weil er gemein und gefährlich wird, wenn er sich über etwas aufregt, aber sie hat keine neue Bleibe gefunden, schon wegen der Kinder nicht, die privaten Vermieter wollen keine Kinder, und alleinstehende
Mütter ohne Arbeit schon gar nicht, und dazu hat sie noch Tiere, einen Hund, zwei Katzen und Meerschweinchen, Tiere wollen die Vermieter nun noch weniger, und die Sozialwohnungen werden ja nur an die Wahltreuen des jeweiligen Bürgermeisters und an die Schmiergeldzahler vergeben; ich hoffe sie wird das Examen bestehen, dann findet sie sicher eine neue Wohnung…“
„So oder so, ich werde es wohl nicht mehr herausfinden, habe keine Kraft mehr um es zu tun...“Mühevoll legte er eine CD mit dem Requiem von Brahms in seine HiFi-Anlage ein und regelte das „Denn alles Fleisch es ist wie Gras...“ auf Zimmerlautstärke, dann stellte er
sein Notebook an und nahm eine Videoaufzeichnung auf, die er danach mit zittrigen Händen zum Mailversand vorbereitete:
„…Anaïs, meine süße Anaïs, bin völlig am Ende, " - lallte der kaum verständlich - "du verdienst einen solchen Versager wie mich nicht, das ist die Wahrheit…ich liebe dich so sehr, süße Anaïs, verzeih mir, verzeih, mir Irina, Mama, Mama, ich möchte dass meine Schwester, Carina, Irina adoptiert, ihr Mann wird alles in die Wege leiten, verzeiht mir…ich habe alles alles versucht, oder auch nicht, war immer stark, doch nun bin ich zerbrochen, ohne Halt, ohne Kraft…verzeiht mir alle…ich liebe euch…“-
Er leerte zwei Tablettenrollen in seiner Hand und spülte sie mit dem Sekt herunter…Wenig später fiel sein Kopf mit einem lauten Krachen auf den gläsernen Couchtisch…
Etienne sieht oder spürt eher wild tanzende Farben in seinem Geist und er verfällt in ein wirres Delirium:
Da nimmt er eine Erscheinung wahr, die der Madonnenstatue in der Grotte ähnelt:
sie scheint zu ihm zu sprechen, auch wenn er ihre Worte nicht mit den Ohren hören kann, spürt er sie in seinem Geist; sie erklärt ihm, dass sie ihm die Wahl geben kann, in einer anderen Dimension zu seiner Liebsten zu finden und ewig mit ihr glücklich in Liebe und Frieden
leben zu können.
Nur muss er zwischen drei Parallelwelten wählen, in denen seine Angebetete eine erfolgreiche selbstbewusste Persönlichkeit sei, ohne die Komplexe und Widrigkeiten, die sie scheinbar hart und unnahbar erscheinen lassen, wie er sie in diesem Leben aus seiner Welt kennt:
In der ersten Parallelwelt ist sie eine vielbeschäftigte Tierärztin und aktiv engagiert im Tierschutz, in der zweiten, eine berühmte und umschwärmte Kunstmalerin und in der dritten eine geniale, aber von der Welt entfremdeten Forschungswissenschaftlerin, die nur für ihr Ziel lebt, ein Heilmittel gegen Krebs
zu finden...
Die Erscheinung erklärt ihm, dass diese drei Parallelwelten durch je einen ovalen Kristall vertreten sind, einem violetten, türkisen und einem grünen;
nimmt er einen dieser Kristalle in seine rechte Hand, so findet er sich augenblicklich in seiner dazugehörenden Welt wieder.
Er kann alle drei Dimensionen testen, aber er kann nichts an seiner jeweiligen Situation ändern, bevor er sich nicht endgültig für eine der Dimensionen entschieden hat...
Etienne stellt der Erscheinung eine Frage, die ihn schon so lange quält:
Er fragt sie ob sie weiß, ob seine Angebetete dasselbe für ihn empfindet, wie er für SIE...
Die Erscheinung entgegnet, dass sie ihm darauf keine Antwort geben kann, und erklärt ihm, dass er das selbst herausfinden müsste.
Etienne wird sich in diesem Moment bewusst, dass dies seine größte Angst ist, die ihn so blockiert, dass Anaîs keinerlei Gefühle für ihn hegt, und dass sie sich nur, wie alle anderen seiner ehemaligen Beziehungen, um seiner ruhmreichen Position, seiner finanziellen Sicherheit, seines Ansehens wegen mit ihm zusammentun würde, um sich selbst und ihre Kinder aus ihrer aussichtslosen
Lage zu befreien, und dann - gefestigt und gesichert - ihn liegen lassen würde...
Die Erscheinung unterbricht ihn in seinen Gedanken und erinnert ihn daran, dass er wohl kaum noch die Wahl hat, er muss eine Entscheidung treffen, hier in dieser Dimension zu handeln, um nicht völlig zu agonisieren, und so nie mehr zu erfahren, ob sie ihn auch so angebetet hat, wie er sie.
Oder nun zu handeln, und einfach den Schritt in die anderen Parallelwelten zu wagen, und in denen sein Glück zu versuchen....
Er sieht sich vor diese verwirrenden Möglichkeiten gestellt. Einen kurzen
Augenblick scheint er zu sinnen, doch dann greift er entschlossen nach einem der Kristalle, dem violetten. Er zweifelt nicht mehr daran, alle drei Parallelwelten testen zu wollen...
Augenblicklich fühlt er sich wie in einem Sog geraten, alles wirbelt um ihn herum...
In der ersten Parallelwelt findet er sich als ein Obdachloser wieder, der unter einer Brücke mit seinem Hund haust. Sein Hund wird krank, er bringt sie zu ihr, der Tierärztin, sie behandelt seinen Hund, kostenlos, bietet ihm sogar an bei ihr zu wohnen, doch er fühlt sich so schlecht, so heruntergekommen, so nutzlos und ehren los, dass er ablehnt
und flieht...
Am Ende seines Weges findet er den zweiten Dimensionswechselkristall, den grünen, er nimmt ihn in die rechte Hand, und er führt ihn in die zweite Parallelwelt, die der Kunstmalerin...Doch dort ist sie so von intellektuellen Verehrern, Anbetern und Freiern umringt, dass er sich als ein kleiner unbedeutender Kunstfanatiker fehl am Platze fühlt! Er hat nur sich, seine Liebe zu ihr und ihren Bildern, und all die Intellektuellen, die sie frequentiert, demoralisieren ihn und als sie ihn einlädt an einer Orgie mit einigen ihrer Lieblingfreiern und Freierinnen teilzunehmen, macht er sich schnellstens
aus dem Weg, und wieder findet er auf seiner Flucht, den dritten Kristall, den letzten, der ihn in die letzte Parallelwelt versetzt.
Er ist nicht sehr hoffnungsvoll, eine Situation anzufinden, die ihm zusagt, und in diesem Moment bereut er ernsthaft, seine Realität verlassen zu haben. Er findet sich in dieser Dimension wieder, bei der er ein Mitglied eines Kommandos einer Terroristengruppe ist, die das Laboratorium der Forscherin stürmen soll, um das Antikrebsmedikament, das sie gerade entwickelt hat, zu entwenden, um einem Pharmakonzern zu dienen, um so große kommerzielle Einnahmen zu versprechen.
Um sie zu bewahren, warnt er sie vorzeitig, doch noch ehe sie reagieren kann, schießen die anderen Mitglieder des Kommandos sie und ihn nieder...
Schwindel, Schwärze, Nichts erfasst ihn...
Die Erscheinung spricht:
“ Du hast dich also entschieden!“ -
„Ja, ich, ich bevorzuge in meiner Dimension zu bleiben, mit meinen Sorgen zu leben oder damit zu sterben...“
-„Oder eine Lösung zu finden, nichts könnte einfacher sein! Du musst nur an dich und deine Liebe zu deiner Angebeteten glauben!“ -
Die Erscheinung verflüchtigt sich und er
wird erneut von starkem Schwindel befallen...
Alles wirbelt um ihn herum, das leuchtende Strahlen, die Wärme, die Harmonie , welche ihn an sich zog, entfernen sich von seinem inneren Auge, er will sie erfassen, doch er ergreift eine Hand, eine weiche warme Hand, die seine eiskalte fest drückt, seine Augenlider zucken, er blinzelt in grelles Licht, dann in ein Gesicht, ein ihm so vertrautes liebevolles Gesicht, in so liebevolle, traurige Augen, die jetzt voller Freudentränen strahlen,
Anaîs beugt sich sie zu Etienne hinunter und küsst ihm zärtlich auf die Wange.
„Du bist aufgewacht, endlich aufgewacht, ich habe so darum gebeten, ich - liebe - dich - auch - von ganzem Herzen..." -
"Ich liebe dich auch von ganzem Herzen, mein Ein und Alles..." - dachte er zu ihr zu ihr hin, da er zu erschöpft war, um zu sprechen.
"Verzeih mir, dass ich es dir nicht vorher sagen konnte...als ich deinen Abschiedsvideo in meiner Mailbox fand, lagst du schon in tiefen Koma, Tag und Nacht habe ich an deiner Seite gewacht, habe gebeten und gefleht, dass du mich erhörst und aufwachst, nun wird alles gut, wenn du mir vergibst, dass ich dich so habe leiden lassen, ich wollte dich
nicht verletzen oder links liegen lassen, ich war einfach zu zerstört von den letzten vielen Jahre, die ich durchgemacht habe, verzeihst du mir?" -
Er nickte. Tränen standen ihn in den Augen. Er drückte sie fest an sich, sie erwiderte seine Umarmung und Stunden über Stunden blieben sie so reglos ineinander verschlungen liegen...
Miluna Tuani
Heidrun Die Geschichte beginnt mit einem sehr starken Gefühl. Der Seelenpartner wird ins Rampenlicht gehoben, die Hürden wirken wie Berge. Die Entscheidung am Ende ist, dass er nach einem Burn-out versucht, mehrere Möglichkeiten auszuprobieren.Er findet am Ende seine eigene Variante wieder und nimmt sie dankbar an. Deine Heidrun |
Heidrun Die Geschichte beginnt mit einem sehr starken Gefühl. Der Seelenpartner wird ins Rampenlicht gehoben, die Hürden wirken wie Berge. Die Entscheidung am Ende ist, dass er nach einem Burn-out versucht, mehrere Möglichkeiten auszuprobieren.Er findet am Ende seine eigene Variante wieder und nimmt sie dankbar an. Deine Heidrun |
MilunaTuani ps gefaellt dir die musik dazu, hoerst du sie beim lesen, oder solo? vlLGG |
MilunaTuani liebe heidi, danke fuer deine ausfuehrliche rezension, herzliche gruesse, miluna |
Gast liebe Freunde, ich habe einige Geschichten geschrieben, die zum Thema des Battles passen, doch ich habe diese ausgewählt, weil ich sie im Prinzip lange liegen gelassen hatte, so hat sie auch nun mal ihr Vorrecht ins Lampenlicht gehoben zu werden, einige Anmerkungen: der Ich und Er Formwechsel ist beabsichtigt, um Gedankengänge des Protagonisten hervorzuheben, und in Handlungspausen die Erzählersicht wirken zu lassen, die wohl meist erste Kritik, die Story ist lang, ist aber in ihrer Entwicklung so aufgebaut, kuerzen ist nicht mein Teil, da meine Geschichten wie kompositionen sind, streicht man eine Note fällt das Klangerüst, zusammen, soviel dazu, Rechtschreibfehlerchen, ok, nobody is perfect, am wenigsten die Rechtschreibprogramme, viel Spass am Lesen, viel Glück allen TeilnehmerInnen, herzlichst Eure Miluna |