Beschreibung
Nachdem Die Flinke Ratte und das Arme Reiche Mädchen sowie der Rätselhafte Weise aus dem Morgenland im hier und jetzt materialisierten, ist nunmehr die Bühne bereit für den Auftritt von amtlich bestallten Personen. Schon aus Gründen der Ausgewogenheit. _____________________ Ich empfehle, den Text in der Reihenfolge zu lesen. Viel Spaß !
Titelbild : Der Spreebogen in Berlin-Moabit (Teil von Berlin-Mitte) mit dem Deutschen Innenministerium (im rechten Flügel des Gebäudes).
Autor : Fischchen (Deutsche Wikipedia)
Lizenz : GNU Free Documentation License
Prolog : Ganz oben
Die Bundesministerin für den Sport, den Zivilschutz, die Informationstechnik, die Organisation der Öffentlichen Verwaltung, den Öffentlichen Dienst, den Schutz der Verfassung und die Innere Sicherheit saß zufrieden an ihrem Schreibtisch und feilte sich die Nägel. Sie war gehörig stolz auf ihre Leistungen, denn nach jahrelanger und mühevoller Kleinarbeit war sie endlich dort angekommen, wo sie schon immer sein wollte, ganz oben, am Kabinettstisch der Bundesregierung. Dabei hätten ihr das die wenigsten zugetraut, als sie vor fast fünfzehn Jahren die Leichtathletik aufgegeben hatte und in die Politik gegangen war. Sicher, sie war mehrfache Deutsche Meisterin, zweimal sogar Europameisterin geworden und bei der Olympiade hatte sie nur ganz knapp die Goldmedaille verfehlt, aber durch besonderen Sachverstand in anderen Gebieten war sie eher weniger aufgefallen. Anfangs wurde dann auch angenommen, sie würde das Mandat im Rat ihrer Heimatstadt nur so lange behalten, wie die Mehrheiten dort so wackelig blieben, um dann stillschweigend entsorgt zu werden, aber mit der gleichen Zähigkeit, die sie beim Training und den Wettkämpfen immer wieder bewiesen hatte, war es ihr gelungen, zielstrebig doch weitgehend unbemerkt Karriere zu machen. Landtag, Vorsitz im Landessportsausschuss, Sportstaatssekretärin, Bundestag, Fraktionsvorstand und schließlich Staatssekretärin bei ihrem glücklosen Vorgänger, dem altgedienten Dauerminister Kulath, der bedauerlicherweise über eine weit zurückliegende, ziemlich anstößige kommunale Affäre gestolpert war.
Als dann ein unbelasteter Nachfolger gesucht wurde, erinnerte sich der Bundeskanzler an eines der zahllosen Wahlversprechen, die er bislang nur suboptimal hatte durchsetzen können. So berief er sie in das vakante Amt, um die Frauenquote in seinem Kabinett zu erhöhen, gleichzeitig den fein ausgewogenen Regionalproporz zu wahren und selbstverständlich auch um weiteren Schaden vom Volk fern zu halten. Nun saß sie wirklich an der Spitze.
Um ihre zahllosen Neider im Ministerium von vorneherein von ihren Führungsqualitäten zu überzeugen, hatte sie als erstes eine vollständige Neuorganisation ihres Ministeriums angeordnet und dabei die Streichung von mehreren Spitzenpositionen angekündigt. Die obersten Ränge des Hauses wurden also in einen brutalst möglichen internen Machtkampf verstrickt, was jede gemeinsame Aktion gegen die neue Chefin stark erschwerte. Jawohl, sie hatte allen Grund, mit sich zufrieden zu sein. Allerdings war sie realistisch genug, um sich einzugestehen, ohne Steiner hätte sie es nie geschafft.
Ihr Steiner, der wie immer gruß- und lautlos durch die diskret angelegte Seitentür gerade eben in das Büro geschlüpft war und den Tisch zur ihrer morgendlichen Besprechung bereitmachte. Steiner, der in den ganzen Jahren loyal an ihrer Seite gewesen war, stets vollständig vorbereitet, immer zur rechten Zeit mit den entscheidenden Informationen ausgestattet und der über so weitreichende Kontakte verfügte, dass es sie selbst heute noch erstaunen konnte. Steiner, der nie eine Schwäche zeigte aber sich niemals in den Vordergrund spielte, Steiner, der immer zu Diensten aber dabei nie ohne Würde gewesen war, ihr Steiner. Sie legte die Nagelfeile in das Etui zurück, wischte kurz über die Schreibunterlage und begab sich an den Besprechungstisch.
"Guten Morgen, Herr Steiner."
"Guten Morgen Frau Ministerin."
Er schaute nur kurz auf und verzog keinen einzigen Gesichtsmuskel, aber diese vier Worte waren mehr Glückwunsch als die scheinbar endlose Laudatio der Bundespräsidentin oder die überaus grosszügigen Vorschusslorbeeren, mit der ihre gestrige Ernennung allseits aufgenommen worden war. Einen winzigen Sekundenbruchteil trafen sich ihre Blicke und es war beiden klar, welch wunderbaren Sieg sie beide gemeinsam errungen hatten. Sie besprachen die letzten Änderungen des heutigen Terminplans, er gab er einen sehr kompakten Überblick über die Nachrichtenlage. Als sie damit fertig waren zog er die Lokalausgabe der "NEUEN RUHRSTÄDTISCHEN ZEITUNG" aus dem bereit liegenden Stapel, während er Bericht erstattete.
"Gestern nachmittag wurde Blaumann verhaftet, vor laufender Kamera, ein voller Erfolg."
"Wird er auspacken ?"
"Es wird ihm nicht viel übrigbleiben. Der Bürgermeister hat sich bereits tief betroffen gezeigt, Kulath kann ihm nicht mehr helfen und Schäfer ist sofort auf Tauchstation gegangen."
Das sah dem Herrn Landesminister ähnlich. Immer wenn irgendwo Qualm aufstieg, war er weit weg.
"Kann er Kulath belasten ?"
"Er wird es versuchen, aber wahrscheinlich ohne Erfolg."
Das waren sehr gute Neuigkeiten, alle ihre Widersacher waren jetzt beschäftigt und sie saß fest im Sattel.
Während er für sie beide Kaffee einschenkte, setzte sie die Brille auf und studierte flüchtig die Tagesberichte der verschiedenen Nachrichtendienste. Wie immer, nichts von Bedeutung, nur das wichtigtuerische Amtschinesisch nachgeordneter Behördenvorsteher. Wäre etwas Interessantes dabei gewesen, konnte sie sicher sein, er hätte es ihr gesagt. Sie zeichnete den Bericht gegen und legte die Mappe in den roten Ausgangskorb.
Nachdem Steiner gegangen war, blieben ihr noch ein paar Minuten, die sie dafür nutzte, die wunderbare Aussicht aus ihrem neuen Büro zu genießen und sich am Anblick der ihr zu Füßen liegenden Hauptstadt zu erfreuen. Für die nächsten Tage war schönes Wetter angesagt, aber ganz weit im Nordosten zeigte der Himmel eine pechschwarze Färbung.