8.Kapitel
Luzius
Es war wieder eine dieser Neumondnächte, in der der Mond sein Gesicht verbarg und die Magie so weit geschwächt war, dass man sich am besten zurückzog.
Ich fürchtete diese Nächte, denn dann war meine Magie zu schwach, um die Mauern aufrecht zu erhalten, die meinen Geist von den Erinnerungen meines Todes schützten.
Zitternd biss ich mir in die Hand. Der metallische Geschmack von Blut breitete sich in meinem Mund aus und ich
wimmerte vor Schmerz.
„Luzius?“
Ich hatte keinen stummen Ruf ausgesandt, aber trotzdem stand mein Vater im Türrahmen und sah mich an.
Zögernd senkte ich die Hand und musterte ihn.
„Ja?“ Ich leitete so viel Ruhe in meine Stimme wie möglich.
„Ich hatte das Gefühl, dass du mich brauchst und ich wollte nach dir sehen.“
„Du hast so etwas früher auch nicht getan und ich bin kein kleines Kind mehr.“
Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
Luzifer verdrehte die Augen und trat
neben mich.
„Memme. Ich hätte dich nie Asmodis übergeben, hätte ich gewusst, was er aus dir macht. Lehn dich doch mal gegen dein Schicksal auf. Schlag um dich, fletsche die Zähne und schreie. Mensch, lass doch endlich mal Köpfe rollen!“
Seufzend ließ er sich neben mich aufs Bett fallen und blickte mich stirnrunzelnd an.
„Du bist einfach nur unnormal Sohn. He, du bist gestorben, kämpfst hier gegen deine Gefühle an und sagst deinem besten Freund nicht, was mit dir los ist. Schrei doch mal.“
Mein Vater rempelte mich spielerisch mit der Schulter an und grinste
süffisant.
Fast wären mir die Worte rausgerutscht, die er unbedingt hören wollte. Mühsam schluckte ich sie herunter und drehte demonstrativ den Kopf weg. Sollte er sich doch in sein Kellerloch verziehen.
„Bitte. Einmal ausrasten. Für deinen Vater.“
Ich kämpfte wirklich gegen das Verlangen an, ihn anzufallen, aber es war keineswegs leicht, wenn er es anbot. Summend blendete ich ihn aus.
Aber den Teufel kann man nun wirklich nicht ignorieren, wenn er auf dem Bett sitzt und dich auffordert, deiner Wut freien Lauf zu lassen.
Schließlich brachen meine Mauern ein
und mit einem wilden Schrei stürzte ich mich auf meinen Vater. Lachend wehrte er mich ab und ich ging zu Boden.
„Das meine ich! Jetzt sei einmal in deinem Leben richtig böse! Du bist mein Sohn!“
Fauchend sprang ich ihm an die Kehle und versuchte, zuzubeißen. Als wäre ich eine lästige Fliege, wischte er mich beiseite.
Unser Kampf wurde zu einem Knäuel aus Armen und Beinen und keuchend landeten wir wieder auf dem Bett.
Luzifer hatte einen Arm um meinen Hals geschlungen und drückte mir die Luft ab. Meine Fingernägel bohrten sich in seine Rippen und ich hörte sein schmerzvolles
Aufkeuchen.
„Du bist mir sehr viel ähnlicher als du zugeben willst“, flüsterte er in mein Ohr und drückte mir einen Kuss auf den Hals. Dann ließ er mich los und ich schnappte nach Luft. Mochte er noch so dürr aussehen, Kraft hatte er eindeutig noch.
„Lass uns rausgehen. In die Stadt. Feiern.“
Überrascht blickte ich ihn an. Zuerst erwürgte er mich fast und dann wollte er mit mir feiern gehen. Verwirrt rieb ich mir den Hals und sah wieder weg.
„Komm schon. Feiern wir das du lebst, ich entgültig von Elsea getrennt bin und einfach das Leben und die Hölle. Komm, bitte! Vielleicht triffst du auch das
Mädchen, dass dir nicht aus den Kopf geht.“
„Du?“ Mit eisigem Schrecken in den Augen sah ich ihn an. Er grinste süffisant und zog die Augenbrauen hoch.
„Ich sehe doch, was mit dir los ist.“
Ich presste meine Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. In Luzifers Augen konnte ich sehen, dass er mich gleich darüber ausfragen würde und ergriff die Chance, die er mir gegeben hatte: „Gehen wir feiern Luzifer. Bevor du noch anfängst, mir was von Blümchen und Bienchen zu erzählen betrinke ich mich lieber.“
Der Club war gerammelt voll und die
Musik war so laut, dass ich der Boden unter meinen Füßen vibrierte. Mit einer Flache Bier in der Hand und schon drei Flaschen intus beobachtete ich meinen Vater. Einerseits war es beeindruckend, was er da machte, andererseits trieb sein Verhalten mir die Röte ins Gesicht.
Er stand mitten auf der Tanzfläche, nicht zu übersehen mit den langen Haaren und der Größe.
Um ihn herum hatte sich die halbe weibliche Besucherschaft gescharrt und lachte. Jede Frau versuchte so viel Aufmerksamkeit von ihm zu bekommen, wie es ging.
Luzifer genoss das sichtlich und machte keinerlei Anstalt, sich näher mit einer
Frau zu beschäftigen.
Ich dachte an eine von Azazels Erzählungen zurück. Früher hatte mein Vater sich nicht darum geschert, wen er küsste. Ob Mann oder Frau war ihm ganz egal. Anscheinend hatte das auf mich abgefärbt. Sehnsüchtig dachte ich an Aeneas. Ich war nicht in ihn verliebt, aber ich vermisste meinen besten Freund. Zu gerne hätte ich mit ihm über die ganze verfahrene Situation geredet. Aber seit zwei Wochen war er mit seinem Vater auf Reisen. Wolfsgeschäfte. Sicher.
„Du scheinst neu hier zu sein.“
Die Stimme jagte wie ein elektrischer Schock durch meine Adern und die
feinen Härchen an meinen Unterarmen stellten sich auf.
Lesley stand neben mir, so dicht, dass sie mich fast berührte und musterte mich neugierig.
Ich riss mich zusammen und schenkte ihr ein schwaches Lächeln.
„Ja, ich bin neu hier.“
Sie nickte und ihre Edelsteinaugen funkelten. Beinahe wäre ich in die Knie gegangen, so weich wie sie plötzlich wurden.
Schnell wandte ich mich meinem Bier zu und betete, dass sie nicht bemerkte, was in mir vorging.
„Kennst du den Mann da hinten?“
Ich folgte ihrem Blick und sah meinen
Vater an.
„Jap, dass ist mein Vater.“
„Huh.“ Lesley blickte von mir zu ihm.
„Ihr seht euch aber gar nicht ähnlich. Sag mal, was finden die Frauen eigentlich an ihm?“
In gespielter Ahnungslosigkeit zuckte ich die Schultern. Es war klar, dass die Frauen auf ihn abfuhren, weil er ein Unsterblicher war.
„Frauen mögen Vögel anscheinend mehr als andere.“
„Bitte was?“
Am liebsten hätte ich mir die Zunge abgebissen. Durch den Alkohol wusste ich kaum noch, was ich sagte.
„Nichts, nichts. Ich meine nur, dass
Frauen komische Vögel mehr mögen als normale.“
Hoffentlich bemerkte sie nicht, wie rot ich plötzlich wurde.
Aber sie lächelte nur und blickte weiter meinen Vater an.
„Ich bin übrigens Lesley.“
Sie hielt mir die Hand hin und ich ergriff sie. Prickelnde Wärme floss meinen Arm hinauf und ich lächelte dümmlich zurück.
„Luzius.“
Bevor Lesley oder ich noch etwas sagen konnten, war mein Vater plötzlich neben mir. Er stank nach Alkohol.
„Wir müssen gehen.“
Wütend blickte ich ihn an.
„Ich dachte du wärst
beschäftigt.“
„War ich auch. Aber Az hat Probleme. Komm schon.“ Luzifer packte mich am Oberarm und zog mich hinter sich her.
Ich hatte noch genug Zeit, Lesley zum Abschied zu Winken, bevor ich auf der Straße stand und der kalte Wind den Alkoholnebel in meinem Kopf ein bisschen lichtete.
„Ich geh noch bezahlen. Stell nichts dummes an.“
Mein Vater joggte zurück und ich setzte mich langsam in Bewegung. Meine Gedanken kreisten um Lesley. Um ihre Schönheit, um ihre Anmut und ihre Edelsteinaugen. Dabei übersah ich vollkommen den Mann, der vor mir stand
und ich prallte heftig mit ihm zusammen.
Ich taumelte zurück und hielt mich mit Mühe auf den Beinen.
„Sorry“, murmelte ich und blinzelte, um wieder klar sehen zu können.
Vor mir stand kein Sterblicher. Vor mir stand ein leibhaftiger Engel mit goldenen Flügeln.
Ein Abgesandter des Paradieses.