Kurzgeschichte
Ein geschäftliches Treffen

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"Ein geschäftliches Treffen"
Veröffentlicht am 17. Mai 2014, 14 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Ein geschäftliches Treffen

Ein geschäftliches Treffen



Ich war in einer dringenden Angelegenheit unterwegs und durfte keine Zeit vergeuden. Der Mann, der mich erwartete, ein gewisser Herr Brückner, war sicher schon ungeduldig und würde keineswegs Rücksicht auf eine Verzögerung meinerseits nehmen, ganz gleich, welche Entschuldigung ich dafür hervorbringen konnte. Als ich nun im Zug sitzend auf meine Uhr sah, bemerkte ich zu meiner Erleichterung, dass ich es wohl noch rechtzeitig schaffen würde, sollte es keine ungeplanten Zwischenfälle geben. Allerdings konnte man so etwas natürlich nie im Voraus wissen; wenn nun im schlimmsten Fall der Zug entgleisen würde, läge es selbstverständlich nicht an mir, wenn ich nicht rechtzeitig zu dem vereinbarten Termin erscheinen konnte, doch für den Mann, der mich erwartete, würde dies, wie bereits schon erwähnt, keinen Unterschied machen; ja, selbst wenn ich

bei einem solchen Unglück stürbe, würde er nur sagen, dass es ein Jammer sei, dass ich mich nicht an Verabredungen halten könne, und dass er unter solchen Voraussetzungen nicht gewillt wäre, weitere Geschäfte mit mir abzuschließen. Da es um ein Treffen von äußerster Wichtigkeit ging, bei dem Pünktlichkeit gewiss eine große Rolle spielte, konnte ich seine Haltung nachvollziehen, wenngleich mir auch die Aufdringlichkeit missfiel, mit der er sie mir offenbart hatte. Draußen vor den Fenstern zog die Landschaft vorbei, gleich flüchtigen Erinnerungen, und ich war froh, dass ich allein in diesem Abteil saß, sodass ich frei meinen Gedanken nachhängen konnte, ohne mich dabei beobachtet fühlen zu müssen. Es war mir immer schon unangenehm gewesen, im Beisein anderer zu sehr in meine Gedankenwelt abzutauchen, da ich dabei immer die Empfindung hatte, sie könnten mir womöglich ansehen, an was ich gerade dachte. Mir war natürlich bewusst, dass das Unsinn war.

Trotzdem glaubte ein Teil in mir noch immer fest daran; es war eine Art kindliche Überzeugung, der die Rationalität eines Erwachsenen nichts anhaben konnte. Ich klappte meinen Aktenkoffer auf und ging noch mal die Papiere durch. Gewiss wird Herr Brückner es mir hoch anrechnen, dass ich solche Sorgfalt an den Tag legte, hatte er doch auch einen ausgesprochenen Sinn für Ordnung und einen Blick für Genauigkeit; nichts war ihm, neben Unpünktlichkeit, mehr zuwider als schlampige Arbeit und entsprechend streng war sein Urteil in solchen Fällen. Diesbezüglich hatte ich mir nichts vorzuwerfen, dachte ich, als ich einige Unterlagen einer letzten Prüfung unterzog. Dennoch hatte sich in mir seit Beginn der Fahrt ein diffuses Unbehagen hinsichtlich des Treffens aufgebaut, das sich auch durch die Gewissheit, dass ich gut vorbereitet war, nicht vertreiben ließ. Ich schloss meinen Koffer und schaute wieder aus dem

Fenster. Mittlerweile war der Zug fast am Ziel; einerseits begrüßte ich die Aussicht, voraussichtlich rechtzeitig anzukommen, doch andererseits wuchs mein Unbehagen mit jedem Kilometer, der mich meinem Bestimmungsort näher brachte. Immerhin würde ich mir kein Taxi nehmen müssen wenn ich ankam, dachte ich; Herr Brückner hatte an alles gedacht und eigens einen Fahrer engagiert, der mich vom Bahnhof abholen würde, was ich ihm im Übrigen hoch anrechnete, war dies doch keine Selbstverständlichkeit. Endlich hielt der Zug. Ich stand auf, den Koffer in der Hand, schritt zur Tür und trat hinaus. Der Bahnhof schien mir für diese Zeit ungewöhnlich verlassen; nur wenige Menschen tummelten sich auf den Bahnsteigen und in den Zeitungsläden, ganz im Gegensatz zu dem sonst üblichen Trubel. Als ich den Bahnhof verließ, musste ich nicht lange Ausschau nach dem für mich bestellten Fahrer halten; ein junger Mann, der sich

gelangweilt umschaute, stand vor einer Limousine und ich identifizierte ihn sofort als meinen Fahrer. »Guten Tag«, sagte ich und er erwiderte meine Gruß. Ohne sich zu vergewissern, ob ich tatsächlich derjenige war, den er abzuholen angewiesen war, ließ er mich einsteigen. Nachdem ich ihn noch einmal daran erinnert hatte, dass ich äußerst dringend im Büro von Herrn Brückner erwartet wurde, da es mir seltsamerweise so schien, als hätte er dies vergessen, fuhren wir los. Mir kam in den Sinn, dass ich Herrn Brückner noch nie persönlich begegnet war, wir hatten nur schriftlichen und telefonischen Kontakt gepflegt, und das Unbehagen, das ich die ganze Zeit schon verspürte, mischte sich nun mit einer gewissen Neugier und Ungeduld. »Entschuldigen Sie«, sagte ich zu dem Fahrer, »wie lange wird die Fahrt dauern?« Der Fahrer schaute mich durch den Rückspiegel hindurch an und blickte dann wieder auf die

Straße. »Nicht lange. Sind nur zwei oder drei Kilometer.« »Danke«, sagte ich und trommelte mit den Fingern auf den Aktenkoffer der auf meinen Knien lag. »Ist das bei Ihrer Firma üblich, dass man abgeholt wird?«, fragte ich, da mir das Schweigen unangenehm war. Der Fahrer zögerte einen Augenblick. Dann sagte er: »Wie meinen Sie das?« »Vergessen Sie's. Ich freue mich jedenfalls, Herrn Brückner endlich persönlich zu treffen.« Der Fahrer musterte mich wieder durch den Rückspiegel und ich konnte sehen, wie er die Stirn runzelte. »Wir sind gleich da«, sagte er schließlich. »Dort drüben kann man das Gebäude schon sehen.« Ich nickte nur stumm, obwohl der Fahrer mich gerade nicht beobachtete. Schweigend fuhren wir den restlichen Weg bis zum Bürogebäude, das mir außerordentlich imposant erschien; ein solches

Hochhaus hatte ich nicht erwartet, passte es doch auch auch gar nicht in das Stadtbild. Ich gab dem Fahrer ein großzügiges Trinkgeld, obwohl ich nicht wusste, ob dies üblich war, stieg aus, schlug die Autotür zu und wollte mich gerade bei ihm verabschieden, als der Wagen auch schon davonfuhr. Meine Gedanken konzentrierten sich nun jedoch viel mehr auf Herr Brückner und den Termin, sodass ich dem Verhalten des Fahrers keine weitere Beachtung schenkte. Als ich das Gebäude betrat, fiel mir auf, dass sich im Erdgeschoss nichts befand außer einer Art Rezeption, hinter der einsam eine junge Frau stand, die eine Brille trug und gerade damit beschäftigt war, irgendetwas aufzuschreiben. Die Wände waren gänzlich kahl, weiß gestrichen und die Atmosphäre die sich daraus ergab, wirkte auf mich seltsam; so als wäre dies keine Empfangshalle eines Bürogebäudes, sondern vielmehr eine noch nicht fertiggestellte

Hotellobby. Ich ging zu der Frau und als sie mich bemerkte, blickte sie zuerst verwundert, dann lächelnd zu mir auf. »Guten Tag«, sagte ich. »Ich komme wegen eines wichtigen Treffens mit Herrn Brückner.« Die Frau runzelte die Stirn. »Hier arbeitet kein Herr Brückner.« Dann dachte sie kurz nach. »Meinen Sie vielleicht Herr Bruckner?« Ich stelle den Aktenkoffer ab und schaute sie an. Das kann gar nicht sein, dachte ich; in den Unterlagen und Briefen stand ganz klar Brückner, auch am Telefon hatte jener sich mit Brückner gemeldet. Vielleicht arbeitete die Frau noch nicht lange hier; in diesem Fall wäre eine solche Nachlässigkeit vielleicht zu entschuldigen. »Nein, ich bin mir sicher, dass ich einen Termin mit Herr Brückner habe«, sagte ich. Die Hände der Frau spielten mit einem Kugelschreiber. »Das ist ausgeschlossen. Ein Herr Brückner ist mir nicht bekannt. Vielleicht

haben Sie sich doch geirrt - ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber so was passiert doch jeden Mal. Wenn Sie möchten, sage ich Herr Bruckner sofort Bescheid, dass Sie ihn sprechen möchten. Wie lautet denn Ihr Name?« »Gerlach. Werner Gerlach. Aber hören Sie, das hat ja keinen Zweck, ich möchte Herrn Brückner sprechen, nicht Herrn Bruckner. Wir haben telefonisch für Heute einen Termin vereinbart. Sogar einen Fahrer, der mich vom Bahnhof abholte, hatte Herr Brückner eigens für mich bestellt.« »Tut mir Leid. Ich kann mich nur wiederholen, Herr Gerlach. Ein Fahrer hat Sie hier her gefahren, sagten Sie?« Ich nickte. »Das ist seltsam«, sagte sie. »Wissen Sie, Herr Gerlach, das ist eigentlich völlig ausgeschlossen. So was ist noch nie vorgekommen.« Sie nahm einen Telefonhörer in die Hand. »Warten Sie einen Augenblick, ich rufe kurz Herrn

Bruckner an.« Während sie telefonierte, wandte ich mich ab und meine Gedanken rasten wild durcheinander wie eine Horde aufgeschreckter Hühner. Ein Irrtum meinerseits ist ausgeschlossen, dachte ich, und die Unterlagen untermauern dies; ich werde mich beschweren müssen, ist ein solches Verhalten seitens Herr Brückner doch inakzeptabel, oder vielmehr, es ist sozusagen skandalös; da bereitet man sich akribisch auf dieses Treffen vor, geht alle Unterlagen mehrfach penibel durch, hält sich peinlich genau daran, pünktlich zu erscheinen, um Herr Brückner nicht zu verärgern - und dann lässt er sich verleugnen. Ein solches Verhalten ist eines Mannes in seiner Position einfach nicht würdig, dachte ich. »Herr Gerlach?«, meldete sich die Frau und riss mich aus meinen Gedanken. Ich drehte mich zu ihr hin. »Herr Gerlach, ich habe mit Herrn Bruckner gesprochen und er sagte, dass er weder jemanden

heute erwartet, noch dass er jemanden mit dem Namen Gerlach kennt. Ich bitte um Verzeihung, aber so wie es aussieht, müssen Sie sich geirrt haben.« »Ich kann Ihnen die Unterlagen zeigen, die Ihnen bezeugen können, dass dem nicht so ist. Im Übrigen finde ich es höchst unhöflich von Herr Brückner, sich verleugnen zu lassen. Ein Skandal ist das!« Die Frau seufzte. »Herr Gerlach, hier lässt sich niemand verleugnen. Sie müssen sich wirklich irren und ich kann Ihnen in dieser Sache nicht weiterhelfen.« Wütend nahm ich meinen Koffer und öffnete ihn. Ich suchte einen Brief heraus, den ich in weiser Voraussicht mitgenommen hatte, auf dem klar und deutlich der Name Brückner stand, samt der Anschrift dieser Firma und dem vereinbartem Termin, Ich legte ihn ihr hin. »Da«, sagte ich. »Dort steht Schwarz auf Weiß, dass ich die Wahrheit

erzähle.« Zögernd nahm die Frau den Brief in die Hand, blickte nach unten, runzelte erneut die Stirn und sah mich dann über den Brillenrand hinaus an. »Herr Gerlach«, begann sie. »Das ist nur ein leeres Blatt Papier.«

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