Liebe ist
Forumsbattle Nr. 32
"Die Lüge"
Hahn
Feder
Linse
Sepia
Flügel
Schein
Erregung
Ãœberdruck
Wirtschaft
Zweideutig
Kerzenwachs
Fallschirmseide
Prinzessin, lass die Augen zu
ich will ganz tief in Dich sehen
wie Du zuckst und wie Dich schaudert
wie Du friedlich schläfst
ich schleich' mich in den Traum zu Dir
ich liebe Dich
ich mag Dich schlafen sehen
(Pur)
Jetzt schlief die Liebste; erschöpft war sie sanft eingeschlummert. Über viele Stunden und dennoch zeitlos hatten sie ihre Leiber aneinander gerieben, ihre Begierde in einem Fluss aus Liebe und Leidenschaft treiben lassen. Heftig, zärtlich, versunken in einer anderen Welt, in der es sonst nichts gab
außer ihnen.
Liebevoll beobachtete Hannah Laura. Ihr entspanntes Gesicht, immer noch leicht verschwitzt und gerötet, ihre Haare, die sanft über ihre Schultern fielen und ihre Lippen, die nach den vielen Küssen schier mohnrot leuchteten. Wie sich die Bettdecke mit ihren Brustkorb sanft hob und wieder absenkte. Nur schwerlich konnte sie dem Impuls widerstehen, die Bettdecke wegzuziehen, um ihre Augen, ihre Sehnsucht weiter zu nähren.
Unwillkürlich dachte sie an eine Zeile aus einem Lied von Pur: „Ich mag dich schlafen sehen ...“. Hannah mochte Laura schlafen sehen.
Dieses friedliche Bild rührte sie und trieb ihr beinahe die Tränen in die Augen. Wie schön
Laura doch war …
Vor ein paar Stunden hatten sie noch in dieser ohrenbetäubend lauten Disco gestanden, verloren in grellem Licht und einsam unter vielen Menschen. Obwohl, überlegte Hannah, einsam trifft es nicht. Unsicher wäre das bessere Wort dafür.
Schon lang war sie in die Freundin verliebt, hatte diesen Gedanken jedoch immer wieder verdrängt und ihre Gefühle nicht zugelassen. Völlig unmöglich für Hannahs Verstand, eine Frau zu lieben.
Dennoch konnte sie es nicht verhindern, dass ihr Herz immer stärker schlug, wenn eine E-Mail von Laura im Postkasten war. Sofort hatte sie diese lesen müssen. Am
liebsten hätte sie auch sofort geantwortet, aber sie verschob es immer auf den Abend, wenn die Sehnsucht am größten war. Dann schrieb sie der Freundin von ihrer kleinen Welt, ihren Wünschen und Träumen, die erst durch die Liebste wieder zum Leben erweckt worden waren. Es waren die kleinen Dinge, die sich beide erzählten und die sie immer näher zueinander brachten.
Einmal schrieb Laura sogar vom Meer und dass sie irgendwann einmal da entlang reiten würden. Sicherlich käme dann auch ein Gewitter und sie würden in einer alten, zerfallenen Scheune Schutz suchen. Dort würden sie im Stroh liegen und durch die kaputten Bretter den Mond und die Sterne beobachten. Hannah kannte diese Email
auswendig, so oft hatte sie diese Worte gelesen.
Zu manch später Stunde, vom Rotwein beseelt, schaffte Hannah es sogar, sich ihre Gefühle einzugestehen und diese niederzuschreiben. Dass sie sich verliebt hatte, Laura wundervoll fand, überwältigt von ihr war ... Diese Emails gelangten dann niemals zu der Freundin, sondern blieben in den Entwürfen abgespeichert oder wurden gleich gelöscht, wie auch Hannah ihre Hoffnung löschte, wenn die Wirkung des Weins verklungen war.
Tagsüber dachte sich Hannah stundenlang Gründe aus, die Liebste einfach anrufen,
doch dann tat sie es doch nicht . Alles erschien ihr zu offensichtlich, zu leicht zu durchschauen. Was, wenn Laura es merken und dann den Kontakt abbrechen würde? Dies konnte sie nicht riskieren, lieber nährte sie ihre Sehnsucht.
Gerade einmal hatte sie angerufen, abends. Als sie die Stimme von Laura hörte, hatte sie nur still geatmet, unfähig, einen Ton herauszubekommen. Die ganze Nacht hatte sie nur von diesem Hallo gezehrt.
Dann endlich das erste Treffen, und es war überwältigend gewesen. Alles war so vertraut, wie sie es sich in den kühnsten Träumen nicht hätte ausmalen können. Laura war wunderschön, viel schöner als auf
all den Bildern, die sie von ihr auf Facebook gefunden und gleich kopiert hatte.
Ihre Stimme klang sanft, und Hannah hing förmlich bei jedem Wort an Lauras Lippen, die sich verheißungsvoll bewegten. Jede Geste der Freundin war für sie intim, selbst, wenn sie sich nur eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Teilweise unterhielten sie sich, indem sie sich einzelne Wortestatt ganzer Sätze zuwarfen und doch verstand jede, was gemeint war.
Nie hätte sie gedacht, dass es Laura ebenso ginge, bis die Freundin sie in der Disco küsste. Mitten auf den Mund küsste, wie es nur Menschen tun, die einander lieben und
begehren.
Jetzt lag sie hier in ihrer unbeschreiblichen Schönheit. Leise zündete sich Hannah eine Zigarette an der Kerze an. Das Kerzenwachs hatte sich auf dem kleinen roten Tisch zu einem Meer ausgebreitet. Ob ihre Liebe auch so tief war wie das Meer?
Oder hatten sie nur ihre Einsamkeit, ihre verlorenen Träume zusammengespült und würden sie bald wieder stranden lassen? Würde aus dem Meer der Liebe, das Hannah jetzt empfand, ein Fluss der Tränen werden, war alles eine Lüge, diese Liebe eine Lüge?
Sobald der Hahn krähte, würde Laura wieder zu ihrem Mann gehen, was würde dann
werden?
Was aber war schon Lüge und was war Wahrheit? Hannah neigte nachdenklich ihren Kopf zur Seite und blies Rauchkringel in die Luft.
Musste sie denn wirklich jetzt, nach ihrer ersten gemeinsamem Nacht, mit sich selbst Diskussionen beginnen und alles in Frage stellen, anstatt den Moment zu genießen? Nach der ersten Nacht, in der ihre ganzen Hoffnungen endlich erfüllt wurden? Sie konnte sich doch einfach an die Liebste schmiegen und ein wenig schlafen. Wieder fiel ihr Blick auf Laura und sie spürte sofort ihre Erregung. Es hörte einfach nicht auf.
Die Bettdecke aus weißer Fallschirmseide war verrutscht und gab Lauras Busen frei. Wie gern hätte ihn berührt, fest mit ihren Fingern massiert, aber Hannah musste jetzt denken, ihr innerliches Gleichgewicht suchen.
Die Lüge war das Gegenteil von Wahrheit, musste sie dann nicht erst einmal definieren, was Wahrheit bedeutete, bevor sich sich mit dem Gegenstück befasste? Nur woran konnte Hannah diese festmachen? An der Wirklichkeit, an Tatsachen, an einem Sachverhalt? In der Wirklichkeit lag sie zusammen mit Laura im Bett und Tatsache war, dass sie gerade miteinander geschlafen hatten. Der Sachverhalt, als Gegenstand
einer Aussage, war eindeutig, sie hatten sich geliebt, ihre Körper hatten eine eigene Sprache gesprochen.
Ließ sich körperliche Liebe von dieser anderen, diesem einzigartigen Gefühl, das das Herz berührte, abtrennen? Hannah konnte dies für sich ausschließen. Nur wenn ihr Herz liebte, dann konnte sie auch begehren. Laura ging es ebenso, das wusste sie. Jetzt war sie auch in der Lage, die vielen kleinen Zeichen der Liebsten zu deuten, die diese ihr in ihren Emails gegeben hatte.
Wenn somit alles wahrhaftig war, wo blieb dann Raum für die Lüge?
Oder war das alles eine Frage der Moral und was
war das? Irgendwo hatte Hannah gelesen, dass Moral oder Ethik das war, wie Menschen faktisch handeln sollten, welches Handeln von ihnen erwartet wurde. Eine recht zweideutige Definition, wenn sie abhängig von der Einschätzung anderer Menschen war. Danach waren Laura und sie sicherlich unmoralisch. Anstatt weiter zu funktionieren und ihre Träume nach und nach zu begraben, hatten sie sich einander hingegeben. Sicherlich würden einige Menschen klatschen, und viele Voyeure würden sich die Nase an den Scheiben plattdrücken; viele würden aber mit dem Finger auf sie zeigen.
War es nun wirklich schon soweit?, ärgerte
sich Hannah. Fragte sie sich ernsthaft, ob sie die Richtigkeit ihres Handelns von der Meinung anderer abhängig machte? Wenn dies das Maß der Dinge war, dann musste die Moral selbst eine Lüge sein, aber nicht Laura und sie. Wieder steckte sie sich eine Zigarette an. Sie wusste nicht, wie viele sie heute schon geraucht hatte, allein der fade Geschmack davon machte ihr eine annähernde Vorstellung. Der Schein des Lichtes, das das Feuerzeug hervorrief, ließ das Gesicht der Geliebten deutlich erscheinen.
Geliebte, ein solch zärtlicher Begriff, er vereinigte lieben und wieder geliebt werden in einem Wort. Trotzdem fühlte er sich für
Hannah jetzt schal an. Sie war die Geliebte hier und dies hatte mit Liebe nur wenig zu tun; Laura war nicht frei. War es die Lüge jenseits der Wahrheit, auf der sie ihre Liebe baute? Hastig drückte sie die Zigarette aus und ärgerte sich erneut: Sie wollte sich auf den Flügeln dieser Nacht tragen lassen und nicht trübe Gedanken wälzen, jetzt noch nicht. Dennoch konnte sie es nicht verhindern, dass der Überdruck der Emotionen alle Dämme brechen ließ und sich ein Tränenmeer aus ihr ergoss.
Ihre Blicke suchten immer wieder Laura und fotografierten jeden Zentimeter von ihr in Sepia in ihr Herzschatzkästchen. Durch die Linse ihres imaginären Fotoapparates konnte sie jedes Detail vergrößern und fest in
sich einbrennen.
Liebe konnte keine Lüge sein, niemals, auch keine Frage der Moral, wahrscheinlich hatte sie noch nicht einmal etwas mit Wahrheit zu tun.
Sie fließt aus sich heraus, gibt und fordert. Aber sie ist, Dachte Hannah. So wie bei Laura und mir.
Hier brauchte es keine betriebswirtschaftliche Kalkulation, die es am Ende in Verträge zu pressen galt, um sie in Scheinsicherheiten zu manifestieren.
Keine Zweifel, keine Erwartungen, nur fühlen und sich von diesem Gefühl tragen lassen.
Ja, dachte sie, und diese Gewissheit durchflutete sie mit Wärme: Ich liebe Laura,
vielleicht eine Stunde, vielleicht einen Tag, vielleicht für immer. Mit dieser Welle würde sie sich treiben lassen, demütig für das Glück, das ihr widerfuhr.
Schnell legte sie sich zu der Liebsten. Für einen kurzen Augenblick fiel ihr noch auf, dass sie sich gar nicht darüber gewundert hatte, eine Frau zu lieben und keinen Mann. Es war ihr so unwichtig, all das, was hier passierte, so selbstverständlich.
„Keine Feder passt zwischen unsere Herzen!“, flüsterte Hannah , bevor sie sich fest an Laura schmiegte.
(Cover selbst erstellt)