6.Kapitel
Breac wich vor dem riesenhaften Wolf zurück. Er hatte nichterwartet, dass dieser wirklich seinen besten Freund angriff. Seinen Gedanken zum Trotz lag Luzius am Boden und kämpfte verzweifelt um sein Leben.
Mit einer nur zu erahnenden Bewegung packte der Dunkelelf den Stock, der Luzius eben noch als Waffe gedient hatte und hielt ihn dem Werwolf entgegen.
Aeneas knurrte. Er hatte alles verloren, was ihm zu einem der gefürchtesten Kämpfer machte. Ein Mann, der alles verloren hatte, kämpfte ohne Rücksicht auf
Verluste.
Ohne ein sichtbares Warnsignal sprang der Werwolf nach vorne. In einer instinktiven Bewegung riss Breac den Stock vor sein Gesicht. Die blutbefleckten Zähne bohrten sich in das dunkle Holz.
Der Dunkelelf spürte die Spannung, die auf dem Holz lag. Der Stab zitterte in seiner Hand und beide Gegner sahen das Unvermeidliche näher kommen. Mit lautem Splittern ergab sich das Holz den Zähnen des Wolfes und brach entzwei.
Breac wich zurück. Angst ließ sein Herz höher schlagen.
Aeneas knurrte erneut. Unendliche Schmerzen tobten in seinem Geist und er
wünschte sich nicht sehnlicher, als Breac zu töten, und das möglichst qualvoll.
Wütend schnappte er nach dessen Arm und erwischte ihn. Schreiend brach der Dunkelelf zusammen. Blut lief aus Aeneas Maul, als er den Kopf drehte und den Betrüger zwang, sich auf den Boden zu legen. Knackend brachen die Knochen und der Dunkelelf schrie noch mehr. In der Ferne heulte eine Sirene auf. Nicht mehr lange und die Polizei würde auftauchen. Der Werwolf musste dem Kampf ein Ende setzen. Schnell wie eine zustoßende Schlange ruckte der Kopf nach vorne. Ein letztes Zittern lief durch den Körper des
Dunkelelfen.
Plötzlich ekelte sich Aeneas vor seiner eigenen Tat.
Kopfschüttelnd wich er zurück und zog seine menschliche Fassade wieder hervor. Immer noch auf allen Vieren kroch er zu seinem besten Freund und beugte sich über den Verletzten.
Der Schatten des Todes lag bereits über dessen Gesicht und es grenzte an einem Wunder, dass er dem verlockenden Abgrund noch nicht nachgegeben hat.
„Du musst hier weg, alter Junge. Wenn die Sterblichen hier auftauchen, stirbst du erst recht.“
Zögernd packte er den Sterbenden an den Armen und zog ihn mit sich. Sie
hinterließen eine breite Blutspur und Aeneas wandte den Trick an, der ihm vom Höllensohn gezeigt worden war. Schatten legten sich um ihre Haut und verbargen sie vor neugierigen Blicken. Nur das Blut verdeckten sie nicht. Weißer Nebel schien den Kopf des Werwolfes auszufüllen, denn er sah kaum, was vor ihm lag und stolperte durch die Straßen, Luzius auf seinen Armen.
Er wollte nicht zu spät sein, durfte nicht zu spät sein. Er musste zurück in die Hölle, bevor Luzius seinen letzten Atemzug tat und Aeneas ihn für immer
verlor.
Azazel beugte sich über Luzifer und sah den Fürsten der Finsternis mit einer Mischung aus Wut, Trauer und Unverständnis in den Augen an.
„Du bist verrückt Luzifer. Du hättest tot sein können.“
Der Höllenfürst blinzelte und lächelte seinen ältesten Freund an.
„Aber ich bin es nicht. Und wenn ich gestorben wäre, würde es auch keinem etwas ausmachen. Schließlich bin ich doch sowieso nur in meinem Kerker. Und ich habe einen Sohn, der sich um alles kümmern kann.“
Der gefallene Egel holte tief Luft, um in
einer weitschweifenden Rede Azazel von dem Thema abzubringen. Ein durchdringender Blutgeruch stieg ihm in die Nase und er richtete sich auf.
„Riechst du das, Azazel?“
Verwirrt schnupperte Luzifer in der Luft und versuchte herauszufinden, von wo der Geruch kam.
„Der Blutgeruch?“
„Nein, der Duft nach Blumen. Sicher der Blutgeruch!“, erwiderte er bissig und bedachte Azazel mit einem Blick, der deutlich sagte, dass er ihn nicht für die hellste Kerze im Kronleuchter hielt.
Plötzlich schwang die Tür auf und im Rahmen stand der blutüberströmte Aeneas, in seinen Arm ein lebloses,
blutendes Bündel.
„Was zum...?“
Bevor Azazel überhaupt registrierte, was da vor ihm stand, hatte Luzifer die Situation schon überblickt. Wie ein unheilbringender Schatten sprang er auf Aeneas zu und riss ihm Luzius aus den Armen.
Der Kopf seines Sohnes hing herab und baumelte wie der einer Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte.
Luzifer sah die tiefe Bisswunde im Hals des Opfers und seine Augen glühten vor Wut und Hass.
„Bring die ganze Sippschaft von ihm zusammen. Stell sie auf den großen Platz und sieh zu, dass keiner mehr entkommt.
Ich werde nachkommen. Und hol den Scharfrichter.“
Luzifers Stimme war eiskalt und klang wie die eines Toten. Azazel zuckte zusammen und blickte Aeneas an. Er kannte den Jungen, seit dieser ein Kind war. Und wenn Luzifer den Scharfrichter rufen ließ, stand eine Hinrichtung bevor.
„Sofort.“
Das Flüstern hätte selbst einem Felsen Angst eingejagt und Azazel ließ es auch nicht unberührt. Er packte Aeneas am Arm und zog ihn nach draußen, während Luzifer mit seinem Sohn zurückblieb.
Die ruhige Maske, die Luzifer trug, war nur Fassade. Darunter tobten Panik, Angst und
Hass.
Panik, dass es zu spät für Luzius war.
Angst, dass dieser sterben könnte, ohne dass Luzifer jemals mehr über ihn erfahren hatte.
Hass, dass dieser Werwolf seinen Sohn so zugerichtet hatte.
Sanft legte er seinen Sohn auf das Bett, in dem er selbst eben noch gelegen hatte.
Luzius Atem ging schwach, der Tod hielt ihn bereits in seinen eisigen Klauen.
„Alles wird gut, Luzius. Du wirst leben und ich werde diesen Werwolf hinrichten lassen, und seine gesamte Sippe gleich mit.“
„Nicht....“
Das Wort war so leise wie ein
Atemhauch und Luzifer musste sich anstrengen, um die Worte seines Sohnes zu verstehen.
„Nicht Aeneas. Hat mich.... gerettet. Lass ihn leben. Bitte.“
Mechanisch strich der Höllenfürst über das Haar seines Sohnes. Er sah die stumme Bitte in dessen Augen. Vielleicht sollte er seine Bitte ausschlagen, schließlich stand für ihn fest, wer Schuld war. Doch für einen kurzen Moment sah er wieder Elsea vor sich, wie sie ihn mit dem gleichen bittenden Blick anschaute. Damals hatte er die einfache Bitte ausgeschlagen und gebracht hatte es ihm Leid und
Zerstörung.
Mit einem ergebenen Seufzen beugte er sich über seinen Sohn und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn.
„Ist gut mein Junge. Ich gebe mein Bestes, dir zu helfen, aber wenn es nicht geht...“
Luzius nickte und zog seine Mundwinkel im Versuch eines Lächelns nach oben.
Tränen liefen über Luzifers Gesicht, als er sich über den Hals seines Sohnes beugte und etwas versuchte, was hoffnungslos war.