Wir waren in den Sommerferien in Venedig. Nur meine Tochter Sophie und ich, weil mein Mann mich verlassen hatte, bevor Sophie auf die Welt gekommen war. Wir saßen in einem kleinen italienischen Restaurant an einem Tisch in einer Ecke. Meine Tochter saß mir gegenüber und schwärmte von ihrem neuen Freund Mark. „Oh Mama, wenn du ihn siehst, dann wirst du ihn lieben.“ Ich sah sie an und grinste:„Wollen wir es nicht hoffen, sonst schnappe ich ihn dir vielleicht noch vor der Nase weg.“ „Ja, das wäre
wirklich nicht so gut“, antwortete sie. Sophie wollte gerade noch etwas sagen, als der Kellner kam und uns das bestellte Essen brachte. Meine Tochter hatte eine Pizza und ich Pasta. Ich sah auf meinen Teller: Pasta! Plötzlich sehe ich „Ihn“, wie er an dem Tisch in der Ecke sitzt und mich anschaut. Sein Blick trifft meinen und er lächelt mich an. Doch meine Tochter unterbrach meinen Tagtraum. „Mama, Mama, hörst du mir überhaupt zu? Ich habe dich gerade gefragt, wann du eigentlich das erste Mal so richtig verliebt warst?“ Ich sah sie wieder an, doch vor meinem inneren Auge sah ich nur
Erinnerungen an „Ihn“. „Wann ich das erste Mal so richtig verliebt war? Da war ich 15 Jahre alt. Deine Großeltern und ich waren hier in Venedig in den Sommerferien.“ Ich schüttelte den Kopf und sagte:„Eine schöne Zeit… vielleicht die schönste Zeit meines Lebens. Abgesehen von der Zeit mit dir natürlich.“ Sophie lächelte und sah mich neugierig an. Sie wollte, dass ich weiter sprach. Und dann begann ich, ihr die ganze Geschichte zu erzählen.
Ich hatte damals schwarze, lockige Haare, die mir bis auf den Rücken fielen und grüne Augen. Ich war schlank und sportlich, auch wenn ich lieber den ganzen Tag am Klavier oder vor meinem Zeichenblock gesessen hätte. Da ich das aber nicht durfte, saß ich nun mit meiner Mutter und meinem Vater in einem stickigen Restaurant an einem Tisch, da draußen auf der sonnigen Terrasse kein Platz mehr frei war. Mein Vater erzählte gerade von seiner archäologischen Arbeiten an einer alten Kirche hier in Venedig.
Wenn ich besser zugehört hätte, wären mir vielleicht ein paar wichtige Informationen nicht entgangen, aber dann hätte ich Ihn wahrscheinlich nie gesehen. Er hatte blonde Haare, sah sehr sportlich und durchtrainiert aus. Er und ein älterer Mann, seinen Vater wie ich damals vermutete, gingen zu einem Tisch in einer der Ecken und setzten sich. Ich starrte ihn weiter an, prägte mir jede Einzelheit von ihm ein, damit ich ihn später zeichnen konnte. Doch irgendwie hatte er bemerkt, dass ich ihn die ganze Zeit angestarrt hatte, denn er blickte auf und sah mich an. Seine Augen waren blau; nein, nicht
nur blau, sie waren blauer als alles, was ich je gesehen hatte. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden, prägte mir die Züge seines Gesichts ein und versank in seinen Augen. Ich hätte ihn ewig so anschauen können, doch meine Mutter holte mich wieder zurück in die Wirklichkeit, indem sie mich anstieß und sagte:„Starr den jungen Mann nicht so an, das ist ja peinlich!“ Ich wurde rot und wandte meinen Blick ab. Zwischendurch sah ich ihn immer wieder an, aber unsere Blicke trafen sich nicht mehr. Mein Vater rief den Kellner, zahlte und wir gingen zurück ins
Hotel. Als wir dort ankamen, nahm ich sofort meinen Zeichenblock, sagte meinen Eltern schnell, ich ginge noch ein wenig raus und rannte noch mal los. Ich rannte, bis ich zu einem Park kam und lief dann langsamer weiter. Als ich eine Bank fand, ging ich hin und setzte mich. Den Zeichenblock in meiner Hand begann ich, mit schnellen Strichen zu zeichnen. Erst sein Gesicht, dann seinen Körper, wie er am Tisch saß und mich ansah. Ich machte eine Weile weiter, arbeitete ihn heraus als wäre er Wirklichkeit. Als ich fertig war, betrachtete ich das Bild. Es war gut geworden, auch wenn
ich das Gefühl hatte, dass irgendetwas fehlte. „Du hast mich gut getroffen, dass hat vorher noch keiner geschafft.“ Ich fuhr herum und da stand er. So schön wie im Restaurant. Verblüfft sah ich ihn an und konnte nicht glauben, dass er da stand. Er sah mich an und grinste. Dann auf einmal wusste ich, was ich vergessen hatte. Die Fältchen, die sich beim Lächeln um seinen Mund legten. „Kann ich mich setzen?“ Ich sah ihn weiter erstaunt an, doch dann sagte ich hastig:„Ja. Ja, natürlich kannst du dich setzen.“ Wir saßen eine Weile schweigend nebeneinander, bis ich es nicht mehr
aushielt und ihn etwas fragen wollte. Doch er war mit seiner Frage schneller:„Wie heißt du eigentlich?“ Ich sah ihn an und merkte erst jetzt, dass wir uns einander noch gar nicht vorgestellt hatten. Also sagte ich:„Mein Name ist Helena und wie heißt du?“ Er lächelte wieder dieses bezaubernde Lächeln, was ich so liebte und antwortete:„ Ich bin Sebastiano.“ Er griff nach meiner Hand, stand auf und zog mich hinter sich her. Wir liefen eine Weile durch Venedig und er fragte mich alle möglichen Sachen über mein Leben, meine Freunde und meine Familie. Wir liefen bis es spät wurde und ich
wieder ins Hotel zurück musste. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag an der Stelle, an der mein Vater die Ausgrabungen machte. Sebastiano sollte mich abholen, da ich meinem Vater versprochen hatte, ihm ein bisschen beim Katalogisieren zu helfen. Als ich am Abend in meinem Bett lag, träumte ich zum ersten Mal von Sebastiano.
Ich lief durch die Straßen und versuchte immer noch, mich zu beruhigen. Ich dachte an Helena, wie sie mich angelächelt hatte, an ihre Augen und an ihre Gestalt. Mein Magen machte Luftsprünge, wenn ich an sie dachte. So musste es sich anfühlen, wenn man das erste Mal so richtig verliebt war. Ich lächelte und bog in die Straße ein, die zur alten Kirche führte. Als ich dort ankam, saß Helena an einem Tisch und dokumentierte gerade alte Scherben und andere Gegenstände, die vor ihr lagen. Ich ging auf sie zu und schaute
ihr über die Schulter. „Sieht sehr interessant aus, was du da machst“, sagte ich mit ironischem Unterton. Sie drehte sich halb zu mir um und antwortete:„Deshalb darf ich das auch nur machen. So stehe ich nicht im Weg herum, wenn etwas Wichtiges passiert.“ Ich sah mich weiter neugierig um. Einige goldene Gegenstände lagen auf Regalen. Sie sahen sehr alt aus und furchtbar zerbrechlich. Sie hatte wohl meinen Blick und mein Interesse bemerkt, denn sie sagte:„Das ist echtes Gold und sehr filigran gearbeitet. Es ist ein Vermögen wert, wenn man es verkaufen würde.“ Sie stand auf,
legte alles ordentlich zusammen und ging zu ihrem Vater, um ihm Bescheid zu sagen, dass sie jetzt gehen würde. Ich war gerade auf dem Weg zum Ausgang, als mich jemand von hinten so anrempelte, dass ich fast gestürzt wäre. „Pass doch auf, wo du hinläufst!“, hörte ich jemanden hinter mir fluchen. Ich murmelte etwas wie „Entschuldigung“ und ging weiter. Hel holte mich auf halber Strecke ein, und wir gingen zusammen zum Ausgang. Dort wurden wir von zwei Männern aufgehalten, die unsere Sachen durchsuchen sollten. Bei Hel ging alles ganz reibungslos vonstatten, aber bei mir
wurde etwas gefunden: ein Armband aus Gold, besetzt mit Saphiren. Ich starrte auf das Armband, das der Mann einem anderen nun übergab. „Sieh mal einer an“, sagte er, „was ich hier gefunden habe. Wolltest du das etwa mitgehen lassen?“ Ich starrte immer noch auf das Armband und konnte nicht begreifen, wie es in meine Tasche gekommen war. Hel ergriff das Wort und sagte:„Er gehört zu mir, Bartolomeo. Das ist ein großes Missverständnis. Ich verbürge mich für ihn, denn ich weiß, dass er nie etwas stehlen würde.“ Dabei sah sie mich eindringlich an und drängelte sich an dem Mann
vorbei, wobei sie mich heftig hinter sich herzog. Wir waren schon ein ganzes Stück gegangen, als sie sich plötzlich umdrehte. „Was sollte das? Du kannst doch nicht einfach etwas mitgehen lassen. Und dann noch bei der Ausgrabung meines Vaters. Bist du verrückt geworden?“ Ich sah sie beleidigt an:„Glaubst du wirklich, ich würde etwas von der Ausgrabungsstelle deines Vaters mitgehen lassen? Das hat mir jemand in die Tasche gesteckt.“ „Würdest du mir auch schwören, dass du nichts gestohlen hast?“ Ich hob beide Hände zum Schwur. „Ich, Sebastiano,
schwöre, dass ich nichts habe mitgehen lassen.“ Sie sah mich noch einmal eindringlich an und fragte dann:„Wie ist es dann in deine Tasche gekommen und warum?“ Wir hatten keine Antworten auf diese Fragen, also gingen wir weiter. Irgendwann fragte sie mich:„Was machen wir heute?“. Ich grinste und erläuterte ihr meinen Plan während wir weitergingen:„Erst dachte ich mir, machen wir eine Gondelfahrt und dann wollte ich mit dir in die Innenstadt ein bisschen bummeln gehen. Was hältst du davon?“ „Das finde ich super!“, antwortete sie. Also zog ich sie zur nächsten freien
Gondel und es ging los. Es war ein wunderschöner Tag und genau das richtige Wetter zum Gondel fahren. Nachdem wir 1½ Stunden gefahren waren, stiegen wir an einem Steg in der Nähe der Innenstadt aus und gingen den Rest zu Fuß weiter. Wir liefen durch etliche Geschäfte und wenn ich gewusst hätte, wie viel wir laufen würden, dann wäre ich noch weiter an die Stadt mit dem Vaporetto herangefahren. Ich schenkte ihr eine wunderschöne Kette, die sie erst nicht annehmen wollte, aber ich lies ihren Widerstand nicht zu. Als wir gerade an einem Antiquariat vorbeikamen, sah ich den
Mann von der alten Kirche wieder, den Hel „Bartolomeo“ genannt hatte. Ich stieß sie an und zeigte ihn ihr. Sie sah erstaunt durch das Fenster. „Was macht denn Bartolomeo hier? Der müsste doch eigentlich bei meinem Vater sein und bei den Ausgrabungen helfen.“ Wir sahen weiter durch das Fenster. Bartolomeo holte aus einer großen Umhängetasche einen ledernen Beutel heraus und öffnete ihn. Hervor kam das goldene Armband, das man am Morgen in meiner Tasche gefunden hatte. Helena schnappte hörbar nach Luft:„Das Armband! Er hat es gestohlen und will es jetzt
verkaufen. So wie die restlichen Gegenstände, die verschwunden sind. Ich muss ihn daran hindern!“ Sie wollte in den Laden laufen, doch ich hielt sie am Arm fest. „Wenn du da jetzt rein gehst, wird er es dir sicher irgendwie in die Schuhe schieben. Das hilft dir nicht weiter. Wir müssen uns etwas anderes überlegen.“ Sie sah mich böse an:„Ich muss da rein und es mir zurückholen.“ Doch leider war sie zu laut geworden und Bartolomeo drehte sich zu uns um. Seine Augen weiteten sich, als er Hel erkannte und in ihnen lag etwas Böses. Ich griff nach Hels Arm und rief:„Lauf!“ Ohne
weiter zu überlegen, rannte sie los und ich folgte ihr. Sie lief durch kleine Gassen, bog immer wieder ab, aber als ich mich umdrehte, war er immer noch hinter uns. Ich überholte sie und rief ihr dabei zu, sie solle mir folgen. Und sie tat es ohne Kommentar. Als ich vorne lief, orientierte ich mich an Straßennamen und Hausnummern. Ich lief immer tiefer in die Stadt; ins Gedränge, da wo wir sicher wären, da wo er uns nicht so schnell finden würde. Ich griff nach Hels Hand, damit wir uns nich verlören. Immer wieder drehte ich mich um und vergewisserte mich, dass er uns nicht
mehr folgte, dann blieb ich stehen. Helena war völlig außer Atem. Sie hätte sich auf die nächste Bank gesetzt, wenn ich sie nicht daran gehindert hätte. Inzwischen wurde es dunkel, und wir mussten irgendwo hin. Ich drehte mich zu Hel um und sagte:„Wir müssen weiter. Komm, ich weiß, wo wir hingehen.“ Ich nahm ihre Hand und zusammen liefen wir durch die Straßen. Zunächst in eine Seitengasse, dann bog ich von dort aus noch ein paar Mal ab, bis wir vor einem alten und verlassenen Haus standen. Ich zog einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete die Tür und ließ sie
rein. Als wir drinnen standen, machte ich das Licht an, bevor ich die Tür schloss. „So, hier sind wir erst mal sicher. Wenn auch nicht lange. Das Haus gehörte meinem Onkel, bis er es mir geschenkt hat.“ Ich ließ mich auf das Sofa fallen. Vorsichtig setzte Hel sich neben mich und sah durch das Zimmer. Ich stand wieder auf, zog meine Jacke aus und drehte die Heizung hoch. Ich nahm ihr auch ihre ab, um sie beide auf einen Haken zu hängen. Dann verschwand ich in der Küche und machte erst mal für uns beide einen heißen Tee. Als der fertig war, brachte ich ihn ins Wohnzimmer und
reichte ihr eine Tasse. Dankbar sah sie mich an und fragte:„War der Mann im Restaurant dein Vater oder dein Onkel?“ „Nein, das war mein Onkel Guido. Meine Eltern sind kurz nach meinem 3.Geburtstag bei einem Autounfall gestorben. Er hat mich aufgenommen und seitdem lebe ich bei ihm.“ Sie sah mich betroffen an, doch ob es daran lag, dass ich dies so ohne jedes Gefühl erzählt hatte oder an der traurigen Geschichte konnte ich nicht sagen. „Das tut mir leid“, antwortete sie leise, „ ich konnte ja nicht wissen…“ Ich lächelte etwas gezwungen. „Das konntest du auch nicht wissen.“ Wir schwiegen eine
Weile, doch als ich es nicht mehr aushielt, durchbrach ich das Schweigen. „Wer ist eigentlich dieser Bartolomeo?“ Sie sah traurig von ihrer Tasse auf und sagte: „Bartolomeo ist einer der leitenden Arbeiter meines Vaters. Er und mein Vater sind ganz gut befreundet und er hat seine Arbeit eigentlich immer ganz gut gemacht. Als die goldenen Ketten und Armbänder gefunden wurden, begann das mit dem Verschwinden einiger Sachen. Nur Kleinigkeiten aber ich habe es immer bemerkt. Ich habe es auch meinem Vater gesagt und er hat seine Arbeiter beschuldigt. Die haben
natürlich alles abgestritten. Das hat meinen Vater wütend gemacht, aber da er niemandem etwas nachweisen konnte, verlief sich die Sache im Sande.“ Sie sah wieder in ihren Tee, als hoffte sie, er könnte ihr weiterhelfen. Ich sah auf meine Hände und sagte mit leicht ironischem Unterton:„Wir wissen ja jetzt, dass ich es nicht war. Ich verspreche dir, dass wir die Sachen zurückbekommen, die er verkauft hat.“ Sie sah mich leicht ungläubig aber dankbar an. „Komm“, sagte ich, „ lass uns schlafen gehen. Morgen sehen wir weiter. Ach so, da gibt es ein Problem. Leider gibt es hier nur
ein Bett, aber ich kann auf dem Sofa schlafen.“ Hel sah auf das Sofa, auf dem sie saß, und sagte mit einem Grinsen:„Wenn du auf dem Sofa schläfst, kommst du vor Rückenschmerzen morgen nicht mehr hoch. Ich schlafe auf dem Sofa, für mich dürfte es gehen.“ Ich versuchte noch ein paar Mal sie umzustimmen, aber ich schaffte es nicht. Als ich ins Bett ging, hörte ich ihr noch eine Weile beim Aufräumen zu. Als dann alles still war, dachte ich über den heutigen Tag nach und versuchte zu verstehen, wie ich in diese Geschichte hineingerutscht war. Als ich es aber nicht schaffte, lauschte
ich noch mal nach Hel. Da ich nichts hörte, war sie wohl schon schlafen gegangen. Mit dem Gedanken an sie im Kopf schlief ich ein.
Als ich am Morgen aufwachte, wussteich erst nicht, wo ich war. Doch dann erinnerte ich mich an alles, was am Vortag passiert war und stöhnte auf. Als ich mich dann aufrichtete, stöhnte ich gleich noch einmal, weil mir mein Rücken vom Schlafen auf dem Sofa so wehtat! Nach einem Blick auf die Uhr wusste ich, dass es halb sieben war. Also sah ich mich leise im Haus um. Ich öffnete verschiedene Türen, bis ich das Badezimmer fand. Es war geräumig, hatte eine Dusche, eine Toilette und ein Waschbecken. Aber
was mich am meisten erstaunte, war die riesige Eckbadewanne. Ich ging in ein anderes Zimmer, in dem ich einen großen Kleiderschrank gesehen hatte. Ich öffnete ihn und suchte ein wenig bis ich etwas Passendes und ein Handtuch gefunden hatte. Dann verschwand ich für die nächsten 1½ Stunden im Badezimmer in der Badewanne. Als ich später wieder angezogen war, ging ich in die Küche und machte für mich und Sebastiano Frühstück. Ich legte alles auf ein Tablett und ging leise in sein Zimmer. Er sah selbst wenn er schlief gut aus. Ich musste aufhören, so über ihn zu denken, das
war ja schrecklich! Ich beugte mich vorsichtig über ihn und flüsterte seinen Namen. Er schlug die Augen auf und sah mich an. Er begriff erst nicht, doch als er mich erkannte, lächelte er und murmelte:„Guten Morgen.“ Ich deutete auf das Tablett:„ Ich wusste nicht, was du gerne isst, also habe ich von allem ein bisschen gemacht. Ich hoffe, es schmeckt dir trotzdem.“ „Das wird es sicher“, sagte er und nahm sich etwas zu essen. Ich setzte mich auf das Bett und so frühstückten wir zusammen. Während ich anschließend in der Küche verschwand um abzuwaschen, ging Sebastiano ins Bad.
Er brauchte nicht so lange wie ich mit dem Abwaschen, also half er mir noch dabei. Als wir fertig waren, saßen wir auf dem Sofa und ich sagte:„Ich muss meinen Eltern irgendwie Bescheid geben. Sie werden sich sicher Sorgen machen, weil ich gestern nicht nach Hause gekommen bin.“ Ich hörte, wie er mit den Zähnen knirschte, aber gegen diese Logik konnte er sich nicht wehren. „Okay“, meinte er, „ aber wir müssen vorsichtig sein. Wenn sie uns schnappen, haben wir nichts gewonnen.“ Ich nickte und er meinte, wir würden heute Nachmittag gehen. Es war kurz vor zwei Uhr, als
Sebastiano nach draußen verschwunden war, um nachzusehen, ob alles in Ordnung sei. Aber als er nach zehn Minuten noch nicht zurück war, machte ich mir Sorgen um ihn und ging nachsehen. Ich öffnete die Tür und starrte in eine Waffe, die auf mich gerichtet war. Ich sah auf die Person, die die Pistole in der Hand hielt und erkannte in ihr Bartolomeo, der teuflisch grinsend vor mir stand. Im Hintergrund waren noch zwei Männer, die Sebastiano festhielten. „Da haben wir unsere kleinen Zuschauer ja!“, zischte Bartolomeo. „Das ausgerechnet du dahinter kommen musstest, war ja ein
Glücksfall. Was glaubst du, wie viel wird dein Vater für sein kleines Mädchen zahlen? Bestimmt eine ganze Menge!“ Er sah zu Sebastiano und gab seinen Männern einen kurzen Befehl. Der eine hob seine Hand, in der eine Spritze war und piekste sie ihm in die Halsschlagader. Kurz darauf erschlaffte Sebastiano in ihren Griffen. „Was habt ihr mit ihm gemacht?“, rief ich. Bartolomeo ohrfeigte mich grob. „Schrei hier nicht rum! Wir haben ihn nur betäubt. Er wird eine ganze Weile schlafen.“ Während er das sagte, brachten seine Männer Sebastiano ins
Haus und schlossen ihn ein. Bartolomeo packte mich an der Schulter und zog mich hinter sich her. Ich wehrte mich und beschimpfte ihn. Er packte mich nur noch fester und schleifte mich durch einige Gassen bis zu einem schwarzen Geländewagen mit getönten Scheiben. Ich wehrte mich erneut, indem ich ihn gegen sein Schienbein trat. Er ließ mich vor Schmerz laut stöhnend los und ich rannte weg. Er war allerdings schneller und ehe ich mich es versah, spürte ich einen Pieks im Hals. Das Letzte was ich sah, war das wütende Gesicht Bartolomeos.
Ich wachte auf dem Fußboden liegend auf, hatte furchtbare Kopfschmerzen und mir war schlecht. Was war passiert? Ich versuchte, mich zu erinnern. Dumpfer Nebel hing über meinen Erinnerungen. Nur langsam kamen diese zurück. Als ich alles wieder wusste, stand ich so schnell auf, dass mir wieder schwarz vor Augen wurde. Als ich später halbwegs zu mir gekommen war, versuchte ich es langsam erneut und blickte auf die Uhr. Es war halb elf. Das hieß, ich war einen halben Tag bewusstlos gewesen. Was war mit Helena? Wo
war sie? Was hatten sie mit ihr gemacht? So viele Fragen und ich hatte auf keine eine Antwort. Scheiße! Ich ging vorsichtig zur Tür und wollte sie öffnen. Doch sie ging nicht auf, Bartolomeo hatte sie abgeschlossen. Aber er war doch dümmer als gedacht. Ich hatte irgendwo im Haus einen Ersatzschlüssel. Nur wo? Schon wieder eine Frage. Aber darauf konnte ich eine Antwort finden. Also begann ich zu suchen. Ich durchsuchte das ganze Haus. Ich stellte alles auf den Kopf und schließlich fand ich ihn. Ganz hinten im Schrank und verborgen unter
lauter Klamotten. Als ich alles wieder in den Schrank gestopft hatte, rannte ich runter, wobei mir fast wieder schwarz vor Augen wurde. Was hatten die mir bloß für ein Zeug gegeben? Als die Tür endlich geöffnet war, sog ich die frische Luft tief ein. Ich machte einige Schritte aus dem Haus und stolperte dabei fast über eine Tasche, die am Boden lag. Es war Hels Tasche. Ich hob sie auf und sah hinein. Ein Portemonnaie mit Geld und Schülerausweis, einige Mädchensachen und leider auch ihr Handy. Ich fluchte laut und betete, dass ihr nichts Schlimmes passiert war. Ich musste sie finden! Also
schloss ich die Tür hinter mir ab, nahm die Tasche und ging los. Ich suchte den ganzen Tag nach ihr. Fragte einige Leute, aber keiner konnte mir helfen. Ich musste doch meinen Onkel um Hilfe bitten. Er arbeitete bei der venezianischen Polizei und war ein Comissario. Ich lief noch einmal durch die halbe Stadt bis ich vor seinem Haus stand. Es war nie mein Zuhause gewesen, aber ein Ort, wo ich immer hin konnte. Ich holte den Schlüssel aus meiner Tasche und öffnete die Tür. Ich lief zu seinem Arbeitszimmer und klopfte. „Herein“, kam es von drinnen. Ich öffnete die Tür und trat
ein. Mein Onkel schaute auf. Als er mich sah, stand er schnell auf, kam um seinen Schreibtisch herum und nahm mich in den Arm. „Sebastiano! Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht mein Junge“, sagte er. „Du kannst doch nicht so lange weg bleiben.“ Ich löste mich vorsichtig aus seiner Umarmung und sagte:„Ich brauche deine Hilfe, Onkel.“ Ich erzählte ihm alles. Von da an, als ich Helena das erste Mal gesehen hatte, bis zu dem Punkt, als ich zu ihm gekommen war. Er hörte mir aufmerksam zu und unterbrach mich nicht. Zum Schluss sagte er:„Ja, ich erinnere mich an sie. Das Mädchen
mit den schwarzen Haaren, oder?“ Ich nickte, und er sagte:„Wir werde jetzt ihre Eltern verständigen und eine Suchaktion starten. Du gehst ins Bett. Morgen sehen wir weiter, denn mehr kann ich im Augenblick nicht für Helena tun.“ Ich nickte wieder, dankte ihm und ging dann ins Bett und träumte völlig wirre Geschichten.
Ich stöhnte, als ich aufwachte und setzte mich vorsichtig auf. Es war stockdunkel und kalt um mich herum. Es roch alt und ein wenig modrig. Ich versuchte, mich zu orientieren, schaffte es aber irgendwie nicht. Ich war zu durcheinander. Ich legte mich wieder hin und schloss die Augen, damit ich die Dunkelheit nicht sehen musste. Ich dachte an Sebastiano und hoffte, dass es ihm gut ginge. Ich dachte auch an meine Eltern und welche Sorgen sie sich machen mussten. Leise weinte ich mich in den
Schlaf.
Als ich erwachte, lag ich in meinem Bett und hoffte, mein Onkel würde Helena bald finden, denn ich machte mir große Sorgen um sie. Ich stand auf und ging erst mal duschen. Danach zog ich mich an und ging in die Küche, um etwas zu essen und wieder in mein Zimmer zu verschwinden. Als mein Onkel später an die Tür klopfte, lag ich auf meinem Bett und versuchte, Hel so zu zeichnen, wie sie mich gezeichnet hatte. Leider gelang es mir nicht. Ich konnte ihre Züge nicht auf Papier bannen. Um mein Bett herum lagen
viele zerknüllte Blätter, auf denen Anfänge von Zeichnungen waren. Ich hörte meinen Onkel erst, als er die Tür öffnete und blickte von meiner Zeichnung auf. „Ihre Eltern sind da. Sie sitzen im Wohnzimmer“, sagte er. „Du solltest mit ihnen reden und ihnen alles erzählen.“ Ich nickte nur und mein Onkel schloss die Tür. Ich stand auf und stellte mich kurz vor den Spiegel. Ich sah in Ordnung aus, ging zur Tür und griff im Hinausgehen Hels Tasche. Als ich ins Wohnzimmer kam, saß mein Onkel auf dem Sessel und ihre Eltern auf dem Sofa. Alle sahen auf, als ich herein kam. „Das ist mein Neffe
Sebastiano“, stellte mich mein Onkel vor. „Er war mit Ihrer Tochter unterwegs.“ Und zu mir sagte er:„Komm her, mein Junge.“ Er sah mich aufmunternd an und ich begann zu erzählen. Ich erzählte alles, was ich auch schon gestern meinem Onkel erzählt hatte. Als ich fertig war, nickte mir mein Onkel zu. Leise verließ ich den Raum wieder. Ich musste raus, das alles hier war zu klein, zu drückend. Ich ging zur Haustür, öffnete sie, machte einige Schritte nach draußen und bekam etwas auf den Kopf. Alles um mich herum versank in Schwärze.
Jegliches Zeitgefühl hatte ich verloren. Mir war schleierhaft, wie spät es war oder wie lange ich schon in diesem Raum saß. Ich hatte einige Mahlzeiten bekommen. Das war es aber auch schon. Ich hatte Fragen gestellt, aber keine Antworten erhalten. Ich hatte gegen die Tür gehämmert und das hatte mir eine Ohrfeige eingebracht. Ich lag auf einem der zwei Betten und versuchte, nicht zu denken, als plötzlich die Tür aufging. Ich setze mich auf und sah noch, wie jemand einen Sack abstellte. „Mit den
besten Grüßen vom Chef“, sagte er, grinste dämlich und verschwand. Ich ging vorsichtig zu dem Sack und zog langsam die Schnur auf, die ihn zusammen hielt. Der Sack öffnete sich und in ihm lag Sebastiano. Ich schlug die Hand vor den Mund und versuchte, mich zu beruhigen. Irgendwie schaffte ich es, ihn in mein Bett zu verfrachten und ihn zuzudecken. Er hatte eine Platzwunde an der Stirn, die aber nicht mehr blutete. Er sah blass und krank aus, so als hätten sie ihn schon eine ganze Weile hier. Er hatte sehr hohes Fieber, das ich auf jeden Fall senken musste. Ich ging zur Tür und
hämmerte ordentlich dagegen. Eine halbe Ewigkeit diskutierte ich herum, bis ich Tücher, kaltes Wasser und mehr Decken bekam. Als ich am Schluss alles hatte, machte ich mich daran, das Fieber zu senken. Ich deckte ihn zu, damit er schwitzte und versuchte es mit kalten Wadenwickeln. Doch sein Fieber fiel nicht. Er fantasierte und redete, während ich immer wieder versuchte, ihn zu beruhigen. Drei Tage bangte ich um ihn. Ich schlief kaum oder gar nicht und aß wenig. Doch am vierten Tag ging sein Fieber runter, er fantasierte nicht mehr und ich konnte ihm etwas Essen und Trinken
geben. In dieser Nacht schlief ich das erste Mal wieder richtig durch.
Ich öffnete die Augen und fühlte mich so schwach, wie noch nie in meinem Leben. Jemand beugte sich über mich, doch ich konnte das Gesicht nicht erkennen. Ich bekam zu Essen, zu Trinken und schlief wieder ein. Als ich später wieder aufwachte, sah ich mich zum ersten Mal richtig um. Es war ein kleiner Raum mit zwei Betten und an der einen Wand war ein kleines Fenster, das vergittert war. Auf dem andern Bett, nicht weit von meinem entfernt, lag jemand. Ich brauchte eine Weile, bis ich Helena
erkannte. Sie sah schlimm aus. Mein Gedächtnis erinnerte sich an gemurmelte Worte, an Hände und an angenehme Kälte. Sonst war da nichts. Sie drehte sich auf die Seite und wurde wach. Ich sah in ihre Augen und sie weiteten sich leicht, als sie begriff, dass ich wach war. Sie stand rasch auf, lief auf mich zu und kniete sich neben mein Bett. In ihren Augen standen Tränen als sie sagte:„ Ich dachte schon, ich hätte dich verloren.“ Ich lächelte sie an:„ Mich wirst du nicht so schnell los!“ Sie lächelte ebenfalls und murmelte leise:„Ich liebe dich!“ „Ich liebe dich auch!“, antwortete ich leise und als
sie sich vorbeugte und mich vorsichtig küsste, war alles so wie es sein sollte. Helena tigerte durch den Raum. Ich saß mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt und beide dachten wir nach, wie wir hier herauskommen sollten. „Wenn wir nur ein Stück Papier hätten, einen Stift oder etwas, womit wir die Wache bestechen könnten, dann hatte ich eine Idee“, sagte sie. Ich sah auf und begann zu grinsen. In meinem Kopf hatte ich eine Idee zusammengesetzt. „Wir brauchen nichts, um die Wachen zu bestechen“, sagte ich, „ Du musst einfach nur nach etwas Papier zum
Zeichnen verlangen.“ Sie sah mich argwöhnisch an, ging aber zur Tür und tat, was ich gesagt hatte. Nachdem wir eine Ewigkeit gewartet hatten, bekamen wir jedoch das Gewünschte. Ich nahm sogleich ein Blatt und einen Stift und schrieb Folgendes auf das Blatt: Hilfe! Wir werden gefangen gehalten, wo die Menschen alle beisammen- saßen, über ihre Fehler nachdachten und hofften, dass sie bald wieder draußen sein würden. Helena und
Sebastiano Ich faltete das Blatt zu einem Papierflieger, beschriftete ihn mit dem Namen und der Anschrift meines Onkels und legte ihn neben mich. So machte ich es auch mit den restlichen Blättern, bis alle fertig waren. Dann reichte ich Helena ungefähr die Hälfte und sagte ihr, sie solle versuchen, ihre durch das Fenster zu werfen. Wir warfen so lange, bis wir es geschafft hatten. „Jetzt können wir nur noch hoffen und warten“, sagte ich. Ich betete, dass zumindest ein Flieger irgendwie meinen Onkel erreichen
würde.
Ich saß in meinem Arbeitszimmer, als es läutete. Ich stand auf und ging zur Tür. Als ich sie öffnete, standen ein paar Kinder davor. Sie alle hatten Papierflieger in den Händen und der älteste Junge reichte mir einen davon. „Die haben wir auf der Straße gefunden und da Ihre Adresse darauf stand, Comissario, dachten wir, wir bringen sie gleich persönlich zu Ihnen.“ Nun reichten mir auch die anderen Kinder ihre Flieger und ich nahm sie alle. Als ich mir einen davon durchlas, hätte ich Luftsprünge machen könne. Das war
Sebastianos Schrift und ich konnte herausfinden, wo er und Helena sich aufhielten. Ich drückte die Briefe fest an meine Brust und sah die Kinder dankbar an. „Ihr wisst ja gar nicht, wie sehr ihr mir geholfen habt Kinder.“ Sie lächelten nur und gingen die Straße hinunter. Ich schloss die Tür hinter ihnen und eilte zum Telefon. Schnell rief ich Helenas Elter an. Ihre Mutter ging ans Telefon und ich erzählte ihr, was eben geschehen war und sie meinte, sie würden gleich vorbeikommen. Eine Viertelstunde später saßen wir im Wohnzimmer und ich begann, die Geschichte noch einmal zu erzählen
und ihnen die Papierflieger zu zeigen. „Wir haben auch Post bekommen“, meinte ihr Vater. „Es waren zwei Lösegeldforderungen für die Kinder. Hier ist Ihre.“ Er reichte mir ein Stück Papier. Ich überflog es kurz und steckte es in die Tasche. „Sie werden immer mehr Geld fordern. Das bringt nichts. Wir müssen herausfinden, was dieser Hinweis zu bedeuten hat, dann können wir weitermachen. Wir saßen bis spät in die Nacht über die Flieger gebeugt. Fanden aber nichts heraus. Ich bot Helenas Eltern das Gästezimmer an und sie nahmen dankend an. Wir gingen alle schlafen
und hofften, dass es den Kindern gut ginge.
Ich wachte nur langsam auf, denn ich hatte einen seltsamen Traum gehabt. Ich hatte das Rätsel entschlüsselt und die Kinder befreit. Leider kam ich nicht darauf, was die Lösung gewesen war. Ach egal, es würde mir schon einfallen. Ich ging kurz duschen und zog mich an. Helenas Eltern kamen in die Küche, während ich frühstückte. Ich wünschte ihnen einen guten Morgen und lud sie zum Frühstück ein. Als wir alle satt waren, gingen wir wieder ins Wohnzimmer und machten uns erneut an die Arbeit. Es war eine
mühsame Arbeit! Wir trugen alle Ideen zusammen und verwarfen eine nach der andern wieder. Ich sah immer wieder auf den Papierflieger. Mir war in meinem Traum etwas aufgefallen. Ich las den Brief erneut und stockte als ich las: …, über ihre Fehler nachdachten und hofften, dass sie bald wieder draußen sein würden. In meinem Traum hatte ich die Antwort gewusst und mein Unterbewusstsein hatte sie auch die ganze Zeit beantworten können. Ich lachte auf, als mich die Antwort
einholte. Es war so logisch gewesen. Es lag auf der Hand und ich hätte es die ganze Zeit lösen können. Ich drehte mich zu Hels Eltern um und sprach es laut aus:„Gefängnis.“ Sie sahen mich beide erstaunt an, doch dann begriffen sie. Ich holte schnell einen Stadtplan von Venedig und breitete ihn auf dem Tisch vor ihnen aus. Ich deutete auf einen Punkt ungefähr am anderen Ende Venedigs. „Das ist das einzige verlassene Gefängnis in ganz Venedig. Es sollte mal restauriert werden, aber dazu hatte die Stadt nicht genug Geld. Da wir es aber vielleicht noch hätten brauchen können, haben wir es nicht
abgerissen und seitdem steht es leer.“ Die Eltern schauten auf den Stadtplan und ihr Vater sagte:„Worauf warten wir dann noch?“ „Nicht so schnell“, sagte ich, „wir müssen alles gut planen. Bedenkt, sie haben Helena und Sebastiano. Ich werde jetzt erst einmal ein Sonderkommando anfordern, die das Gebäude in Augenschein nehmen. Dann sehen wir weiter. Wir holen sie uns zurück!“ Ich sah sie aufmunternd an und sie nickten.
Wir saßen nebeneinander auf dem Bett. Sebastiano hatte einen Arm um mich gelegt und ich lehnte an ihm. Wir warteten und hofften, dass einer der Papierflieger seinen Onkel erreicht hatte und er das Rätsel lösen würde. Ich war leicht eingenickt, als plötzlich die Tür auf flog und Bartolomeo hereinkam. Er sah nicht besonders glücklich aus, als er sagte:„Dein Vater bezahlt nicht. Warum nicht? Hat er sein Mädchen nicht lieb und will, dass es nie wieder frei kommt?“ Er wandte sich an
Sebastiano. „Dein Onkel zahlt auch nicht. Warum wohl? Vielleicht sollte ich ihnen etwas von euch schicken. Wie wäre es?“ Er zog ein Messer aus der Tasche und wollte damit gerade auf uns losgehen, als einer seiner Männer hereinstürmte und wild etwas erzählte. Bartolomeos Gesicht versteinerte sich und er gab einen knappen Befehl. Er und sein Mann verschwanden aus dem Raum. Ich wandte mich an Sebastiano:„ Was hat er gesagt?“ Sebastiano sah angespannt und gleichzeitig erleichtert aus als:„Er meinte, dass draußen die Polizei steht und sie das Haus belagern. Ich bin mir ziemlich
sicher, dass mein Onkel die Papierflieger bekommen hat.“ Ich saß neben ihm und hoffte, dass er Recht behalten würde und sein Onkel uns hier heil heraus bekommen würde. Wir beide lauschten auf Geräusche von draußen. Man hörte Schüsse, rufende Stimmen und laute Schreie. Wir saßen starr auf dem Bett und hielten uns gegenseitig fest. Dann hörten wir einen Schuss auf unsere Tür und ich zuckte zusammen. „Alles wird gut“, flüsterte Sebastiano mir ins Ohr und nahm mich noch fester in den Arm. Ein weiterer Schuss fiel und jemand warf sich danach ein paar Mal gegen
die Tür, bis sie aufflog. Ein Mann stürmte herein. Ein bisschen mit Staub berieselt und ein paar Spinnweben an seiner Jacke. Er blicke sich im Raum um, bis sein Blick uns fand. Sebastiano sprang auf, lief auf den Mann zu und umarmte ihn. „Hel“, sagte er, „das ist mein Onkel Guido.“ Ich stand auf, ging auf Guido zu und umarmte ihn. „Danke! Vielen, vielen Dank!“ Er sah mich an und lächelte, dann sagte er:„Deine Eltern warten draußen auf dich. Vielleicht solltest du zu ihnen gehen.“ Ich nickte nur und verschwand nach draußen. Meine Mutter lief auf mich zu und umarmte
mich stürmisch. Auch mein Vater nahm mich in die Arme und drückte mich vorsichtig an sich. Als Sebastiano und sein Onkel Guido aus dem Gebäude kamen, bedankten sich meine Eltern überschwänglich bei ihm. Sebastiano kam zu mir und reichte mir meine Tasche. „Ich rufe dich an. Dann können wir uns noch mal treffen, bevor du zurück nach Deutschland fährst.“ Ich nickte und war schon wieder den Tränen nahe. Er nahm mich in den Arm und hielt mich fest. Dann riefen jedoch meine Eltern nach mir und ich löste mich aus seiner Umarmung. „Wir sehen uns“, sagte ich. Dann lief ich zu
meinen Eltern und stieg zu ihnen ins Auto.
Sebastiano hatte mich zum Essen eingeladen. Er wollte mit mir in das kleine, italienische Restaurant gehen, indem wir uns kennengelernt hatten. Ich stand vor dem Spiegel und begutachtete mich. Ich trug einen kurzen weißen Rock und dazu ein rotes Top. Es waren meine Lieblingsanziehsachen. Aber heute war ich mir nicht sicher, ob sie vielleicht zu leger waren. Ich drehte dem Spiegel den Rücken zu, als es an der Hoteltür klopfte. Ich öffnete sie und davor stand Sebastiano. Er war auch nicht besonders chic angezogen,
was mich erleichterte. „Nimmst du mich so mit“, fragte ich ihn und drehte mich dabei. Er musterte mich kritisch und nickte dann. „Ich glaube, das dürfte so gehen.“ Er sah meinen enttäuschten Blick und grinste. „Du siehst super toll aus“, sagte er und reichte mir seinen Arm. Ich hakte mich ein und gemeinsam gingen wir in das Restaurant, indem wir uns kennengelernt hatten, um Pasta zu essen.
„Das ist eine coole Geschichte“, sagte meine Tochter. „Ist sie auch wirklich so passiert? Und wie ist sie ausgegangen?“ Ich nickte. „Naja, als die Sommerferien zu Ende waren, musste ich zurück nach Deutschland und er blieb hier. Aber er hat mir versprochen, dass wir uns wiedersehen werden und daran glaube ich.“ Sophie lächelte und trank ihr Glas aus. Inzwischen waren unsere Teller leer und auch mein Glas. Meine Pasta war weg und damit auch die Erinnerungen an Ihn. Ich hatte lange erzählt. Sophie blickte
ungeduldig auf ihre Uhr. Als die Tür aufging, begann sie zu strahlen. „Da ist er ja endlich“, sagte sie und lief zur Tür. Langsam drehte ich mich zur Tür. Da standen meine Tochter und ihr neuer Freund. Doch das war es nicht, was meinen Blick so fesselte. Denn hinter Mark stand Er und sah mich an. Unsere Blicke trafen sich und Er lächelte…