4. Kapitel
Luzius drehte das Messer zwischen seinen Fingern. Aeneas musterte seinen besten Freund verwirrt und ließ sein Schwert sinken. Seit der Höllensohn sein Schattenmädchen aus nächster Nähe gesehen hatte, war er nicht mehr er selbst.
Tief in Gedanken versunken waren die roten Augen in die Ferne gerichtet.
Seufzend ließ Aeneas das Schwert zu Boden fallen und ging auf Luz zu.
Sanft legte er einen Arm um dessen Hüfte und küsste ihn zärtlich auf den Mundwinkel.
Luzius wandte den Kopf und sah mit
seltsam abwesendem Blick in die Augen des Werwolfes.
Mit einem hörbaren Seufzen stieß er die Luft aus und lehnte seine Stirn an Aeneas.
„Ich kann nur noch an sie denken. An ihre Haare, an ihre Augen...“
„Luzius?“
Die Stimme ließ ihm heiß und kalt werden. Sein Blick hob sich und traf auf einen Mann, bei dessen Anblick jeder Sterbliche dem Wahnsinn verfallen wäre.
Er war groß, die zwei Meter Marke hatte er spielend hinter sich gelassen. Schneeweiße Haut spannte sich über hervorstehenden Knochen.
Jede Rippe trat deutlich hervor und
kleine Kuhlen bildeten sich zwischen den Bögen.
Feine rote Narben überzogen den gesamten Oberkörper und verschwanden in einer tief sitzenden Hose.
Tiefschwarze Flügel waren ordentlich auf dem Rücken gefaltet und raschelten leise in der kalten Brise, die plötzlich aufkam.
Luzius Blick wanderte höher, zum Gesicht des Mannes.
Es war scharf geschnitten. Hohe Wangenknochen unterstrichen diesen Eindruck noch.
Unter dichten Wimpern glühten rote Augen hervor, die einem die Seele rauben zu wollen schienen. In ihnen schien ein
eigentümliches Feuer zu brennen. Haare in der Farbe eines Rabenflügels fielen ihm strähnig bis auf die Hüften und verdeckten teilweise sein Gesicht.
„Vater?“ Das Wort kam nur schwer über Luzius Lippen.
Der Fürst der Finsternis nickte kaum merklich. So etwas wie Angst lag in seinem Blick, als fürchtete er sich davor, seinen Sohn zu treffen.
Gespanntes Schweigen herrschte. In der Ferne heulte ein Wolf und Aeneas zuckte wie ein Pferd in der Startbox.
„Das war mein Vater. Ich muss weg.“
Er drückte Luzius kurz an sich, machte eine tiefe Verbeugung vor Luzifer und sprintete
davon.
Alleine stand der Höllensohn nun seinem Vater gegenüber und musterte ihn scheu. Er kannte ihn nicht und war sich nicht sicher, ob er ihn auch wirklich kennen lernen wollte.
Luzifer hob die Hand und legte seine Fingerspitzen auf den Oberarm seines Sohnes.
„Ich habe dich oft mit dem Werwolf trainieren sehen. Ihr seid gute Freunde, nicht?“
Mit zusammengepressten Lippen nickte Luz.
Langsam glitten die Fingerspitzen des Engels seinen Arm hinab, bis sie über sein Handgelenk streiften und wieder
leblos neben ihrem Besitzer hingen.
„Ich... Luzius, ich hatte nie vor...“
Der Höllenfürst schloss die Augen und rang um Fassung. Eine einzelne blutige Träne lief über seine Wange und hinterließ eine dunkelrote Spur in dem makellosem weiß.
„Lass mich erklären.“ Von einem Moment auf den anderen war seine Stimme heiser und klang gebrochen.
„Gut.“ Luzius klang abweisend. Er wusste nicht, was er vom Verhalte seines Erzeugers halten sollte.
„Als du geboren wurdest, war da noch jemand, den ich sehr, sehr geliebt habe. Sie war mein Leben, aber da gab es eine Prophezeiung und du musstest geboren
werde. Eigentlich durch sie, aber Petrus hat dafür gesorgt, dass sie fehlerhaft wurde, sie konnte nicht deine Mutter werden. Und alle haben mich bedrängt, wegen dir und was geschehen sollte und eines Abends habe ich dem Drängen nachgegeben und mir eine andere Frau genommen. Und sie... sie hat es nicht verstanden. Und dann warst du da, und deine Mutter ist gestorben und Elsea... sie war schwanger, aber nicht von mir... ich weiß nicht, wer... ich habe nie...
Sie bekam eine Tochter und eines morgens war sie weg....“
Seine Stimme brach und er wandte für einen Moment den Kopf ab. Blut färbte sein Gesicht rot und ein Zittern überlief
seine Haut.
Plötzlich packte er die Schultern seines Sohnes und sah ihn flehend an.
„Sag mir, kannst du Auren lesen?“
Überrascht blinzelte Luzius. Er hatte die Fähigkeit zwar von seinem Vater geerbt, setzte sie aber nur selten ein. Er hatte Angst vor dem, was er sehen könnte.
Trotzdem nickte er mit zusammengekniffenen Lippen und misstrauischem Blick.
„Lies meine. Ich will wissen, was du siehst.“
Luzius wich einen Schritt zurück. Einerseits hatte er das Verlangen, die Aura seines Vater zu lesen, aber andererseits war es ihm zuwider, ihm so
nahe zu treten.
„Nein.“ Seine Stimme klang kläglich und schwach.
„Bitte. Sag mir einfach was du siehst, Gweledydd.“
Luzius kannte das Wort nicht, dass sein Vater für ihn benutzte, aber so etwas wie ein Erkennen steig in ihm auf.
Mit einem tiefen Seufzen ergab er sich und setzte das frei, was man in der Sprache der Höllenkreaturen Draíocht nennt, im Munde der Sterblichen Magie.
Sein Sichtfeld verschob sich und langsam nahm die Aura um seinen Vater herum Gestalt an.
Schwarzer Rauch umgab den Höllenfürsten und strich sanft über seine
Haut hinweg. Hier und da leckten orange Flammen an dem Rauch hinauf und blutrote Flecken wurden sichtbar.
Das Blut seiner Opfer. Der Gedanke kam Luzius plötzlich. Kopfschüttelnd vertrieb er ihn und konzentrierte sich weiter.
Etwas schwaches, goldenes blitzte unter dem Schwarz hervor, wie etwas längst vergessenes.
Und dann tauchte etwas auf, dass ihm fast den Atem raubte. Ein Band aus silbernem Mondlicht, dass von der Aura seines Vaters in die Ferne führte.
„Was siehst du?“
Die Reaktion seines Sohnes war Luzifer keineswegs verborgen geblieben.
„Ein Band aus... Mondlicht.“ Besser
konnte Luzius es nicht beschreiben. Seine Vater nickte, griff mit zitternden Händen nach der Hand seines Sohnes und legte sie auf seine Brust.
„Verbrenn ihn. Vernichte ihn mit Höllenfeuer. Er ist die Einzige Verbindung zu Elsea, also bitte, verbrenn ihn.“
„Nein!“
Eisiger Schreck fuhr durch die Adern des Höllensohns, als er die Hand zurückriss und mit vor Entsetzten geweiteten Augen zu seinem Erzeuger aufsah. Die Verbindung zweier Auren gewaltsam zu trennen, war lebensgefährlich. Für beide Seiten.
„Bitte! Ich kann nicht mehr mit diesem
Schmerz leben. Es muss aufhören! Verbrenn ihn und sorge dafür, dass alles aufhört! Bitte, ich flehe dich an!“
Schluchzend fiel Luzifer vor seinem Sohn auf die Knie. Luzius Herz raste wild, er wusste nicht, was er tun sollte. Wenn er auf die Bitte seines Vaters einging, könnte er ihn oder Elsea womöglich töten. Oder beide.
Weinend flehte der gefallene Engel noch immer um die Trennung der Verbindung. Blut benetzte den Boden und Luzius Herz krampfte sich zusammen.
„Gut, aber ich tue es nicht gerne. Ich will es eigentlich nicht tun. Wir... machen einen Deal. Nenn mir einen guten Grund
dafür.“
Luzifer hob den Kopf. Seine Augen schienen Flammen zu schlagen und Luzius spürte, wie jemand mit spielender Leichtigkeit die Schutzmauer um seinen Geist wegfegte.
Ein brennender Schmerz schoss durch seine Adern und mit einem verzweifelten Aufschrei fiel er auf die Knie. Glühende Schwerter schienen sich in ihn hinein zu bohren und zerrissen sein Innerstes.
Blutige Tränen rannen über Luzius Gesicht und er schrie verzweifelt weiter, wollte, dass der Schmerz aufhörte. Kurz bevor er glaubte, sterben zu müssen, zog sich der Verursacher der Schmerzen aus seinem Geist zurück. Schluchzend und
zitternd blieb er am Boden knien und hob langsam seinen Blick.
„Verstehst du jetzt? War das dir Grund genug?“
Luzius nickte und kam taumelnd auf die Füße.
Wieder nahm Luzifer seine Hand und legte sie auf seine Brust.
Zögernd setzte Lucius wieder seine Draíocht frei und konzentrierte sich auf dieses Band aus Mondlicht.
Höllenfeuer leckte über seine Haut, auf der Suche nach Nahrung und fand ihr Ziel. Fauchend setzte sich der Silberstreifen in Brand. Plötzlich fuhr ein stechend Schmerz durch Luzius Arm und die Magie verblasste.
Erschrocken zog er die Hand zurück und musste mitansehen, wie sein Vater sich nach vorne beugte und anfing zu schreien.
Laute wie die eines Tieres drangen aus seinem Mund und schmerzten in Luzius Ohren.
Bestürzt von dem, was er getan hatte, wollte er zu seinem Vater hin, den Schmerz lindern, doch eine starke Hand packte ihn am Oberarm. Es war Aeneas Vater, der mit vor Angst verzerrtem Gesicht seinen Herrn anstarrte. Seine Lippen formte Worte, aber Luzius konnte ihn nicht verstehen, die Schreie überlagerten jedes andere
Geräusch.
Neben seinem Vater stand Aeneas und hielt sich die Ohren zu. Ein kleines Blutrinnsal lief zwischen seinen Fingern hindurch.
Unsanft zerrte der Werwolf seinen Sohn und Luzius mit sich. Ohne ein verständliches Wort wies er auf das Höllentor.
Luzius aber hatte nur Augen für seinen Vater, wie er da am Boden lag und verzweifelt schrie.
Ein heftiger Schlag ins Gesicht ließ ihn nach hinten taumeln und er fiel durchs Höllentor direkt zurück auf die Erde.