Der letzte Flug
Er sah immer wieder aus dem Fenster und wirkte fahrig, unruhig. Die Turboprop Maschine schraubte sich immer höher. Das Triebwerk von Pratt und Whitney leistete 410 kW. Enorm zuverlässig war sie, die Pilatus Pc-6 Porter mit ihrer Flügelspannweite von 28,8 Metern. Für Fallschirmsprünge war die rot-weiß gestrichene Maschine wunderbar geeignet, weil an der Ausstiegsplattform recht wenig Überdruck durch den Fahrtwind herrschte. Geplant war der Sprung aus 4100 Meter Höhe. Er hatte also noch etwas Zeit.
Vom Copilotensitz, der herumgedreht war, sah er Dave an, der nochmals seine große Kamera überprüfte. Schließlich sollte sein
Sprung gut dokumentiert werden. Eigentlich eine Routineangelegenheit, doch Jürgen wusste es besser. Es fiel ihm aber doch schwer zuversichtlich zu grinsen. Eigentlich hatte er allen Grund dazu, aber..
Obwohl er schon viele hundert Sprünge absolviert hatte, war sein letzter Sprung ungefähr 7 Monate her.
Immerhin, ihm gehörte dieses Flugzeug. Na ja, so ganz stimmte das nicht. Er war Vorsitzender der "MS Air". Er hatte diese Firma mit seinem langjährigen Freund Jürgen Arndt schon 1994 gegründet, Herr Wegener war auch dabei. Mehrheitlicher Gesellschafter war natürlich er selbst. Das kam ihm bei seinen Werbeabsprüngen sehr
zu Gute, für die er Unsummen kassierte.
Jürgen sah das freilich anders. So ein „Werbesprung“ brachte um die 250.000. Nun war es wieder so weit
Ach ja, Jürgen seufzte.
Wie war sein Leben ein auf und ab gewesen. Immer wieder hatte er sich wie Phönix aus der Asche erhoben. Geholfen hatte ihm immer wieder sein Spezi Wegener. Was waren da Gelder geflossen! Rüstungsverkäufe mit den Scheichs, alles war von Wegener und ihm mit gesteuert worden. Dafür hatte Jürgen die Firma "Wirtschafts- und Exportberatung Trade and Export Consult", kurz "WebTec" gegründet. Über WebTec konnte er sich als Vermittler
anbiedern. Der Vermieter der Büroräume war Kumpel Wegener, natürlich nur zum Schein.
Für was? Für Rüstungsgeschäfte natürlich.
Ja, ja. Eigentlich war es sein Werk gewesen, dass der Deal mit den 36 Fuchs-Panzern geklappt hat. Er, Jürgen war schon länger dicke Tinte mit Salman. Einflußreiche Leute wie Scheich Mohammed oder sein Sohn Salman sind begehrte Adressen für alle, die im arabischen Raum auf Geschäfte mit Petro-Dollar aus sind.
Und natürlich für Rüstungsgeschäfte. Da kann Jürgen „Türen aufmachen“, wie zum Beispiel Vorstandsmitglied der Münchner Flick-Tochter Krauss-Maffei,
Herr Jasper wusste.
So schön hatte das alles mit den Fuchs-Panzern geklappt. Und er, Jürgen hatte das alles als Bundeswirtschaftsminister Klasse hingekriegt. Sein Freund Wegener, der damals der FDP mit 300.000 aus der Finanznot geholfen hat, bekam nun seine Belohnung. Von den 220 Millionen Schmiergeldern bekam Wegener über seine Briefkastenfirma "Great Aziz Corporation" allein 8,73 Millionen ab. Freundschaft zahlt sich eben aus. Jürgen verarmte dabei natürlich auch nicht. Er war wichtig gewesen, sozusagen der Hahn im Korb.
Und warum musste er, Jürgen, als Bundeswirtschaftsminister zurücktreten? Nur
weil er für die Geschäftsidee des Vetters seiner Frau mit offiziellem Briefpapier geworben hatte! Das war doch nur ein Klacks!
Aber Jürgen wäre nicht Jürgen gewesen, wenn er nicht wieder gekommen wäre. Die Partei hatte er nach vorne gebracht und auch großzügig mit Spenden versorgt.
Jürgens Hochstimmung bei diesem Rückblick währte nur kurz, denn er sah auf den Höhenmesser und stellte fest, dass es bald soweit war.
Da hatten er und andere genügend Millionen an Schmiergeldern abgegriffen, verdammt nochmal!
Alles war so gut gelaufen.
Und man gucke auch mal nach Schalke04! Auch da hatte er sich als Aufsichtsrat eingesetzt. Zum Beispiel hatte er Victor Agali, den Spieler, für den Verein „geholt“. Wegener hatte ihn für 8,1 Millionen verkauft, obwohl der gar keine Lizenz dafür hatte. Bei Afrikanern ist das Wurst und noch mehr Wurst ist es, weil Wegener in Monaco sitzt.
Und für sich? Ja, seiner Familie hatte er auch alles Gute getan. Eine Riesenvilla in Gran Canaria für eine halbe Million Euro und hier geht es ihnen auch gut. Aus objektiver Linse betrachtet, sogar sehr gut, denn seine Frau mixte kräftig beim Abzocken mit.
Jetzt hatten sie ihn am Arsch, diese Schweine.
Das Ganze wegen einem Flugblatt. Mein Gott, man wird doch mal was bemerken dürfen. Und es ist doch war! Die Israelis müssen gar nicht so tun. Die sind doch genauso brutal, wie zu Zeiten Hitl... Schwamm drüber. Das ging noch.
Der blöde Friedmann (Präsident des Europäischen, Jüdischen Kongresses) war jedenfalls ein störender Kotzbrocken, jawoll! Und erst hatte er, Jürgen, die Kosten von 850.000 für das Flugblatt von seinem Konto abbuchen lassen, dann aber es wieder auf sein Konto zurück geholt. Es musste ja ein anonymes Konto sein von dem abgebucht werden sollte. Schon deshalb, weil die Schwarzgelder untergebracht werden mussten. Zugegeben, das war schon sein
eigener Fehler gewesen. Aber wie sollte man bei diesem Wirrwar von Lügen auch den Überblick behalten?
Ach ja, was hatte er alles bewirkt. Er hatte die FDP finanziell gerettet. Wegener hatte ausgeholfen. Dafür hatte er, Möllemann, dafür gesorgt, dass die Arabanskis endlich die Spürpanzer bekamen, die Wegener mit vermittelte. Wie gut, dass er Vorsitzender der Arabischen Gesellschaft in Bonn war. Mann, was haben wir an Schmiergeldern eingestrichen und die Wirtschaft angekurbelt!!
Er bemerkte, dass sich seine Gedanken fortwährend wiederholten. Verzweifeltes Aufbäumen? Oder war es nur
Rechtfertigung?
Und auch Ziel 18 für die FDP, das war allein seine Superidee gewesen. 18% sollte die FDP erreichen. Und dieser Westerwelle, der Kerl war Feuer und Flamme gewesen.
Diesmal musste Möllemann ehrlich grinsen. Der Westerwelle hatte gar nicht begriffen, dass 18 auch für die Anfangsbuchstaben AH (A-Adolf, 1.Buchstabe des Alphabets, H-hitler, achter Buchstabestehen) stehen, hihi.
Er war der ultimative Jongleur der Lügen gewesen. Nun würde er seinen letzten Balanceakt bewerkstelligen.
Wieder lächelte er in sich hinein. Natürlich
packt jeder Fallschirmspringer seine Fallschirmseide selber. Den Rettungsfallschirm dürfen aber nur speziell lizensierte Männer packen und überprüfen. Das war alles geschehen. Wieder lächelte er. Als der Sensor für die Automatik des Ersatzfallschirmes überprüft wurde, nämlich ob er auch wirklich aktiviert war, gerade da hatte er sich ein Glas Wasser geholt. Niemandem war aufgefallen, dass er den Auslöser selbst deaktiviert hatte.
Es war bald so weit.
Mist, die Brille beschlug. Nur jetzt keine Schwäche zeigen.
Mein Gott, was waren schon seine Affäre mit
dem Splitten von Parteispenden an die FDP. Er wolle nicht als Großspender bekannt werden – reinste Bescheidenheit – das war alles und keineswegs zweideutig. In Wirklichkeit war das eine Bombensache gewesen.
Nun war ihm die Staatsanwaltschaft auf den Fersen.
Der blöde Westerwelle wollte plötzlich nichts mehr von ihm wissen und Rüstungsguru Schneider war auch nicht mehr da, nach Kanada geflüchtet. Scheißdreck nochmal! Das Geld haben sie genommen und glücklich waren sie auch über das Wahlergebnis gewesen, ausgerechnet in Düsseldorf, das er allein eingefahren hatte. Da waren sie begeistert gewesen, diese falschen Fünfziger!
Und jetzt, jetzt kommt noch die Staatsanwaltschaft mit blöden Steuern daher. Steuern, die er angeblich hinterzogen hätte.
Wäre gar nicht so schlimm, aber wenn die schnüffelten, dann würden die noch ganz andere Hämmer ausgraben und dann – gute Nacht!
Seine Briefkastenfirmen, seine Vermittlungsgebühren, die Torpedoboote, usw.!
Was hatten sie ihm alles zu verdanken, diese Schweine.
Und nun: Fraktionsausschluss!
Gestern hatten sie auch noch seine Immunität aufgehoben!
Die Staatsanwaltschaft durchsuchte seine
vielen Büros und sein Haus in Münster.
Das war gestern gewesen.
Hinterhältig sind sie. Alle! Jetzt lassen sie ihn fallen, diese verlogenen Mistkerle.
4100 Meter waren erreicht. Dave lächelte und fragte: "Wollt ihr nun den Stern fliegen?" Er meinte einen Formationsabsprung.
Jürgen lächelte süffisant.
„Nein, ich mache meinen Stern alleine!“
Es waren seine letzten Worte.
Irrsinnige Erregung floss durch seinen Körper. Frei und in der Luft, wie eine Feder!
Sepia-Pillen gegen Depression hatte er natürlich abgelehnt. Wie sollte sonst den Flug genießen, wenn er nicht bei vollem
Bewußtsein war? Er hatte gestern Abend endgültig diesen Entschluss gefasst und seinem Freund Arndt einen Abschiedsbrief zustellen lassen.
Und Möllemann stürzte sich heraus.
Sein ganzes Lügengebäude war zusammen gebrochen, wie geschmolzenes Kerzenwachs.
Es war Zeit einen Schlussstrich zu ziehen. Es war vorbei, aber mit einem fulminanten Aufschlag, bitte!
Bei ca. 1600 Metern warf er den Fallschirm ab.
Der Reservefallschirm öffnete sich nicht, wie
er es geplant hatte.
Möllemann knallte in offener Fallhaltung mit ca. 200 kmh in der Nähe des Flughafens Moers auf. Er verstarb an den Verletzungen noch an der Unglücksstelle.
Es geschah am 5.Juni 2003.
3,2 Millionen betrafen seine persönlichen Schulden. Die FDP musste wegen der Spendenaffäre Millionen an Strafe zahlen, obwohl man mit Hilfe von Steuergeldern durch sämtliche Instanzen hindurchgenudelt war.
Den Inhalt des Abschiedsbriefes hat Herr Jürgen Arndt bis heute nicht Preis gegeben.
Schon 1990 hatte Möllemann das Große Bundesdeutsche Verdienstkreuz erhalten.