1. Kapitel
Luzifer
Mit einem geschmeidigem Sprung wich der Junge dem Schwert seines Gegners aus. Die schulterlangen schwarzen Haare wehten ihm ins Gesicht und für einen Moment konnte er nichts sehen.
Sein Gegner nutze die Schwäche sofort aus und hielt ihm die Klinge an die Kehle.
„Du bist tot, Luzius.“
Ein seltenes Lächeln umspielte meine Lippen, als ich aus sicherer Entfernung meinen Sohn betrachtete. Er übte oft mit den Werwölfen Schwertkampf, obwohl
ein neuer Krieg zwischen der Hölle und dem Paradies unwahrscheinlich war.
Lautlos trat Azazel neben mich und blickte zu den beiden hinüber.
„Es ist eine Schande, dass du ihn nicht kennst.“
„Ich habe ihn freiwillig aufgegeben. Asmodis hat ihn erzogen und gut ist.“
Hellblaue Augen streiften meinen Blick und ich wusste, dass Azazel das anders sah. Aber er widersprach mir nicht. Ohne ein Wort wandte ich mich ab und wollte zurück in den Kerker, um weiter für meine Taten zu büßen.
„Du hast ihn genauso aufgeben wie Elsea und ihre Tochter.“
Die geflüsterten Worte jagten mir einen
Schauer über den Rücken und meine Muskeln verkrampften sich. Wieder spürte ich diesen Schmerz, der über die Jahre hinweg nicht abgeklungen war.
„Es ist nicht meine Tochter. Und sie hat sich anders entschieden. Ganz anders. Genau wie ich.“
Azazel schnaubte. „Nein, du hast dich niemals anders entschieden. Du wolltest sie immer und willst sie immer noch. Aber die Sache mit Luzius war nicht deine Schuld.“
„Hätte ich sie wirklich geliebt, hätte ich mir nie eine andere Frau genommen.“
Krampfhaft rang ich die aufsteigenden Gefühle nieder und ließ die Worte nur wie eine Feststellung
klingen.
„Ja, aber er musste zur Welt kommen. Und wenn nicht durch Elsea, dann durch eine Andere. Sie hätte es verstanden, hättest du mit ihr darüber geredet. Und sie hätte niemals....“
„In diesem Satz sind zu viele hätte“, flüsterte ich und ging davon. Ich wollte diese Worte nicht hören, den Schmerz nicht spüren, denn sie heraufbeschworen.
Zurück in den Kerker, zurück in die Sicherheit, dass war alles, was ich wollte. Den Schmerz nicht spüren, dass vergessen, was geschehen war und nicht mehr rückgängig gemacht werden
konnte.
Tränen brannten in meinen Augen, als ich die Steintreppe hinunter jagte und die Kerkertür hinter mir zuwarf.
Zitternd rutschte ich an der kalten Steinmauer hinunter. In der Dunkelheit konnte ich nichts sehen, aber trotzdem sah ich die hellblauen Augen vor mir in der Luft schweben.
Strahlend wie Edelstein, gefüllt mit Hoffnung und so etwas wie Liebe. Und dann war das Leuchten in ihnen verschwunden, die Edelsteinaugen waren gebrochen und nichts konnte sie wieder zusammensetzen.
Genauso wenig wie das, was ich früher als mein Herz bezeichnet hatte und das in
tausend Splitter zerfallen war, als Elsea ging, aus meinem Leben verschwand und mich in der Dunkelheit zurückließ.
2. Kapitel
Luzius machte sich nicht die Mühe, durch die Tür in sein Zuhause einzutreten. Elegant sprang er durchs offene Fenster und landete vor den Füßen Azazels, mit dem ihm zwar keine familiären Bande verband, den er aber trotzdem Onkel nannte.
„Na Onkel, was liegt an?“
Azazel verzog den Mund, als er die Sprache der heutigen Jugend hörte. Immer noch hatte er das Gefühl, dass die Wörter geschlagen wurden, wenn man sie so benutzte.
Aber er ließ den Jungen reden wie er
wollte.
„Nichts, Luzius, nichts.“
„Mein Vater war hier, oder?“
Luzius hatte das gleiche Gespür für Situationen wie sein Vater, und nicht nur das erinnerte schmerzlich an den Fürsten der Finsternis. Auch hatte er die selben tiefschwarzen Haare und die identischen roten Augen.
Azazel seufzte tief und rang mit dem Schmerz in seiner Brust. Elseas Flucht aus der Hölle hatte seinen besten Freund und ältesten Verbündeten gebrochen. Und doch hatte er sich nie getraut, Luzifer die Wahrheit zu sagen, wer der Vater von Elseas Tochter war. Wahrscheinlich würde er dieses
Geheimnis mit ins Grab nehmen.
„Onkel? Bist du noch da oder schon im Nirvana?“
Der gefallene Engel musste sich beinahe dazu zwingen, sich aus seinen Gedanken zu reißen und den Jungen vor ihm zu beachten.
„Ich war kurz nicht bei der Sache. Sag mir Luzius, was gedenkst du noch zu tun?“
Der Höllensohn zuckte die Achseln, aber seine Augen schienen die Antwort wie ein Leuchtfeuer hinaus zu schreien.
Er wollte auf die Erde, egal, was Asmodis oder er ihm gesagt hätten.
„Warum willst du nur so oft auf Erden
wandeln?“
Die Frage interessierte Azazel wirklich.
„Ich habe ein Mädchen dort oben gesehen. Keine normale Sterbliche, sondern irgendwie anders. Ich kann es nicht erklären. Sie ist nicht wie die anderen und ich möchte sie nur ein bisschen beobachten.“
Für einen kurzen Moment wehten Luzifers Worte über Elsea durch seinen Geist
Sie ist keine normale Sterbliche Azazel. Sie ist mehr... ich weiß nicht warum , aber sie ist mehr, viel mehr.
„Bitte, Luzius, hänge dich nicht an dieses Mädchen. Beobachte sie ruhig, aber zeige dich ihr nicht und versuche
nicht, sie dir zu eigen zu machen.“
Luzius nickte und drehte sich um, um seinen besten Freund und Werwolf aufzusuchen, damit beide ihren Ausflug beginnen konnten.
Aber Luzius Gedanken wehten für einen Moment zu ihm herüber.
Sie ist mein, Onkel. Diese Sterbliche ist das, wonach ich mich sehne und was ich nie bekomme. Sie ist meine Droge, von der ich nie genug bekomme und an der ich sterben werde.
Sie ist mein Schattenmädchen, und sie wird mir gehören und keiner stellt sich mir in den Weg. Nicht einmal du.
Ich weiß, was du getan hast. Sei auf der Hut Onkel, ich bin schon lange kein
Welpe mehr.
„Aeneas!“
Der Werwolf hob den Kopf, als die Stimme seines besten Freundes an seine Ohren drang. Obwohl er nicht verwandelt war und seine Wolfsgestalt unter der menschlichen Haut verborgen lag, hörte er doch besser als jeder Sterbliche und manchmal sogar besser als der Höllensohn selbst.
„Luz, na, was steht an?“
Ein süffisantes Grinsen umspielte die schmalen Lippen seines Freundes, als er vor ihm stehen blieb und eine Augenbraue hochzog. Ein silbernes Piercing zierte sie. Auf einem der vielen
Ausflüge in die Welt der Sterblichen hatte Luzius seine Leidenschaft für diese Art des Körperschmucks entdeckte. Seitdem suchte er nach Möglichkeiten, sich noch einmal einen Ring verpassen zu lassen, bevor Asmodis eingreifen konnte.
„Wir gehen auf die Erde.“
Aeneas schüttelte den Kopf. Er wusste von der Besessenheit Luzius für dieses sterbliche Mädchen. Beschweren tat er sich nicht, schließlich bescherte ihm dies einen fast täglichen Ausflug und manchmal sogar ein oder zwei Stunden in einem Tattoo und Piercing Studio.
Nachdenklich spielte er mit seinem Lippenpiercing und tat so, als würde er
sich ernsthaft Gedanken machen.
Dann nickte er und grinste.
„Komm Luz, auf in die Schlacht! Ich fiebre dem Treffen im Studio beinahe entgegen!“
Luz lachte und rannte hinter seinem Freund zum Höllentor.
„Ich glaube eher, du bist an dem Kerl interessiert und nicht an den anderen Sachen.“
Aeneas blieb stehen und drehte sich zu Luz um.
„Wieso nicht? Er sieht doch gut aus. Genau wie du.“
Mit einem diabolischen Grinsen zog er Luzius an sich und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Solche Späße
entstanden zwischen den beiden häufiger. Aber Aeneas hatte Recht. Wieso sollte er nicht den Kerl aus dem Studio mögen? Luzius hatte nichts dagegen, schließlich blieb Aeneas ja er selbst.
Lachend schob Luzius seinen Freund von sich und sprang nach vorne.
„Ich will mein Schattenmädchen sehen. Lauf schon!“
Kopfschüttelnd hatte Azazel die Szene vom Hof aus verfolgt. Als er das erste Mal mitbekommen hatte, dass Aeneas Luzius küsste, hatte er den Verdacht gehabt, Luzius könnte sich nicht für Frauen interessieren. Doch nach einem zugegeben peinlichem Gespräch hatte
sich die Sache aufgelöst.
Er hätte auch nichts gegen die andere Variante gehabt. Wenn er nun darüber nachdachte, wäre es ihm lieber, sein Verdacht wäre richtig gewesen, denn Luzius Schattenmädchen löste im Bauch des gefallenen Engels ein ungutes Gefühl aus.
3.Kapitel
In stummer Einigkeit trabten die beiden durch die beinahe menschenleere Gasse. Es war ungewöhnlich kalt und ihr Atem hing in kleinen Wolken vor ihren Mündern. Das Tattoo Studio, dass sie ansteuerten, lag auf halbem Weg in die Stadt.
Aeneas grinste von einem Ohr zum anderen, als er durch die Fensterscheibe den Jungen erblickte, auf den er wahrscheinlich nicht nur ein Auge geworfen hatte.
Luz schüttelte den Kopf, als sein bester Freund ihn wortwörtlich stehen ließ und in den Laden sprang. Für einen Moment
überlegte er, zu gehen und den Werwolf alleine zu lassen. Aber es wäre unfair gegenüber Aeneas und außerdem war das seine einzige Chance, sich ein Tattoo auszusuchen, bevor Asmodis Wind davon bekam.
Zwar war der Stellvertreter des Teufels recht nachgiebig in vielen Dingen, aber gegen Piercings und Tattoos hatte er eine angeborene Abneigung, seit sie das erste Mal aufgetaucht waren.
Zitternd trat Luzius in den Laden und wandte sich sofort nach rechts. In einem überfüllten Ständer hingen die Kataloge mit Vorlagen. Luzius hatte sie sich schon oft angesehen, aber nie das Richtige
gefunden.
„Ist nichts neues dabei, Luz.“
Er hob den Kopf und sag den weißhaarigen Tätowierer an. Daniel war bestimmt erst Anfang zwanzig und hatte seine Haare so hell gefärbt, dass sie weiß leuchteten. Jedes Mal, wenn er sprach, gab es ein metallisches Klirren, da seine Zunge mit Piercings beinahe überladen war.
„Schade“.
Die Türglocke gab ein klägliches Geräusch von sich und ein warmer Schauer rann Luzius Rücken hinab. Er hatte ihn schon oft gespürt, wenn sein Schattenmädchen an ihm vorbeiging. Normalerweise konnte sie ihn nicht
sehen, aber jetzt, heute....
Seine Tarnung war nicht vorhanden und er war sich nicht sicher, ob sie ihn so sehen sollte.
Langsam drehte er den Kopf zur Seite und musterte sie genauer. Sie hatte ihre Haare zu einem strengen Pferdeschwanz zurückgenommen und trug einen ziemlich ausgeleierten Kapuzenpulli.
Die Farbe des Haars verschwand irgendwo zwischen dunkelbraun und schwarz, als könne es sich nicht für eine Farbe entscheiden.
„Lesley, schön dich zu sehen. Erlaubt dein Vater dir doch das Tattoo?“
Lesley, so hieß sie also. Wochenlang war er um sie herum geschlichen und hatte
nie ihren Namen erfahren. Luzius musste ein unbewusstes Geräusch von sich gegeben haben, denn Aeneas hob den Kopf und sah ihn stirnrunzelnd an. Sein bester Freund ruckte leicht mit dem Kopf zu Lesley hin und Luz konnte sehen, wie seine Augen sich weiteten, als er Lesley erkannte.
Wie bei einem spannenden Tennismatch jagten die Augen des Werwolfs von Lesley zu Luz und wieder zurück. Dann gab er ein leises, aber hörbares „Oh!“ von sich.
Luzius nickte kaum merklich und zerrte irgendeinen Katalog aus dem Ständer, um wenigstens so zu tun, als wäre er beschäftigt. Währenddessen lauschte er
dem Gespräch zwischen Daniel und seinem Schattenmädchen.
„Nein, aber ich wollte trotzdem mal gucken.“
„Okay. Irgendwann muss er ja nachgeben.“
Daniel wollte sich wieder Aeneas zuwenden, doch der war schon aufgesprungen und hatte einen Zettel auf den Tisch gelegt. So schnell wie eben möglich ging er zu Luz und zog ihn mit. Unachtsam ließ der Höllensohn den Katalog auf den Sitz fallen und trat vor die Tür. Bevor er sich entgültig zum Gehen durchrang, warf er noch einen Blick zurück. Seine Blick wurde von zwei hellblauen Augen gefesselt, die wie
kleine Edelsteine glänzten.
Sein Herz setzte für einen Moment aus und eine unnatürliche Hitze machte sich in seinem Magen breit.
Doch so wollte er sie nicht kennen lernen. So sollte sie ihn nicht sehen. Ohne nachzudenken schickte er einen Befehl aus, dem jeder Sterbliche Folge leisten musste.
Du hast mich nicht gesehen Schattenmädchen. Vergiss mich. Aber keine Sorge, ich werde zurück kommen, mein Liebling. Du gehörst zu mir....