Vortrag zur Lüge
Am 7. Mai 2014 findet in den Räumen der Gesellschaft für interkulturelle Zusammenarbeit ein Vortrag zum Thema "Lüge" statt. Die Autorin und Rednerin bittet um zahlreiche Zuhörer. Nach dem Vortrag bietet ein zwangloses Kennenlernen der Autorin Gelegenheit, sich über den Wahrheitsgehalt der Lüge auszutauschen.
Die lüge
BEITRAG ZUM STORY-BATTLE 32
HAHN
FEDER
LINSE
SEPIA
FLÜGEL
SCHEIN
ERREGUNG
ÜBERDRUCK
WIRTSCHAFT
ZWEIDEUTIG
KERZENWACHS
FALLSCHIRMSEIDE
Wie halten Sie es mit der Wahrheit? Sie lügen nicht? Niemals? Niemals! Das will ich nicht glauben, denn ohne Lüge wäre es mit der Wahrheit - ihrem Pendant - nicht weit her. Es gäbe beides nicht.
Lügen sind Aussagen, die nicht der Wahrheit entsprechen mit der Absicht, andere Menschen zu täuschen und sie über die wahren Umstände im Unklaren zu lassen oder Tatsachen zu verschleiern, um mögliche Folgen für die eigene Person zu vermeiden. Dem gegenüber ist »Wahrheit« Wirklichkeit. Die Grenze zwischen beiden ist fließend. Manchmal lässt sich die Grenze nicht genau ziehen, aus unterschiedlichen Gründen.
Doch zuvor stelle ich mir eine andere Frage: Darf man lügen oder muss man immer die
Wahrheit sagen? Ich antworte Ihnen provokatorisch: ja, lügen geht, wenn du mit deinem schlechten Gewissen leben kannst, nein, geht nicht, wenn du die Konsequenzen nicht tragen willst.
Und Konsequenzen bieten sich reichlich - nicht nur bei der Entdeckung, sondern auch in ihrer Entstehung. Sie wirken sich körperlich aus. Manche bekommen eine andere Gesichtsfarbe - von rot bis weiß, z. B. rote Wangen oder eine weiße Nasenspitze. Anderen rinnt der Schweiß nicht nur von der Stirn, sondern auch von den Handinnenflächen. Ihre Lider zittern unmerklich oder man blinzelt, die Augen verkleinern sich. Die Lider schließen sich etwas, um dem Gegenüber keine Gelegenheit
zu geben, einem in die Augen zu schauen. Schauen Sie sich im Spiegel in die Augen. Na los, nicht so schüchtern! Die Farbe der Iris dominiert den weißen Rand des Augapfels, braun, blau, grau, grün – oder eine Mischung daraus, je nach genetischen Vorlieben. Die Wimpern klimpern von blond bis schwarz, je nach Typ. Lügen stehen einem ins Gesicht und in den Augen geschrieben. Machen Sie den Test, Sie werden sehen, dass ich Recht habe. Die Wahrheit kennt so etwas nicht. Sie ist stets rein und unverhüllt - was natürlich angreifbar macht. Wer lügt, will sein wahres Gesicht nicht zeigen. Aber immer die Wahrheit sagen fällt schwer, man will nicht verletzen und selbst nicht verletzt werden. Wahrheit tut manchmal weh, die Lüge legt ein
Pflaster drauf.
Jeder Mensch lügt im Laufe eines Tages wahrscheinlich häufiger, als dass er die Wahrheit sagt. Allzu menschlich, vielleicht auch evolutionsbedingt. Wenn man in die Geschichte schaut, haben es Blender oft weiter geschafft als die rechtschaffenen Gegner. Dazu kommt, Lüge ist nicht gleich Lüge. Es gibt unzählige Varianten und Abstufungen, die auch rechtlich anders gewertet werden. Ein Angeklagter muss nicht die Wahrheit sagen, er darf. Ein Zeuge sollte die Wahrheit sagen. Aber auch in der Gesellschaft werden manche Lügen toleriert oder gar erwünscht. Dazu gehören die »frommen« Lügen, die Höflichkeiten, Komplimente und Heimlichkeiten. Wer will
schon hören: Du siehst heute aber Sch ... aus. Das weiß man selbst. Da hört man doch lieber: Du hast Dich nicht verändert ...
Alles eine Frage der Einstellung.
Jetzt werden Sie ausrufen: Ich mache doch so was nicht! Und ich sage Ihnen, es geschieht oft unbemerkt vom Sprecher selbst. „Wie war ich, Schatz? Hat es dir Spaß gemacht?“ Möchten Sie darauf immer eine ehrliche Antwort? Nein. Würden Sie bei solchen Fragen immer die Wahrheit sagen? Nein. Sie werden froh sein, dass in diesem Augenblick nur ein kleines Licht brennt und ihr Partner Ihnen nicht genau in die Augen schauen kann. Aber vielleicht will er das auch nicht.
Doch zurück zu Ihrem Spiegelbild. Sie werden feststellen, dass sich Ihr Gesichtsausdruck
verändert. Die Exkremente der Lüge trüben Ihren Blick und Ihre Linsen, Ihre Nasenflügel werden leicht zu zittern beginnen. Ihre Beteiligung an der Lüge, der Unwahrheit, ihre Betroffenheit und Erregung ist nicht gänzlich zu verbergen - zumindest für den, der diese Empfindungen kennt. Diese Zeichen werden Sie verraten.
Da fragt man sich natürlich, weshalb trotzdem viele Lügen unentdeckt bleiben. Dafür gibt es einen Grund: Was ich nicht sehen will, sehe ich nicht – weder im Auge des Gegenübers noch im eigenen. In Bewerbungen werden Schwächen geschönt und Stärken überhöht dargestellt, man macht sich größer als man ist oder schafft nach außen ein Bild, das es nicht gibt, um nicht als Versager zu gelten. In
Beziehungen mit anderen nutzt man die Lüge in Form von kleinen und großen Schwindeleien, den Kindergartenlügen, Spickzetteln, Schulterpolstern, Push-ups und Maskeraden, zweideutigen Bemerkungen. Um nicht Klartext reden zu müssen, fordern Sie die Wahrheit heraus und machen sie zur Lüge.
Doch nicht nur die Hahnenfeder am Revers wird Sie verraten. Sie entkommen der Entdeckung Ihrer Lüge nicht. Über kurz oder lang kommt die Wahrheit ans Licht, denn jede Lüge hat kurze Beine. Die Wahrheit läuft schneller und länger, sie hat mehr Ausdauer.
Ein wesentlicher Punkt ist auch die Gesellschaftsfähigkeit der Unwahrheit. In vielen Bereichen sozialen Miteinanders der
sogenannten zivilisierten Welt ist die Lüge bzw. weit gefasste Auslegung der Wahrheit, ein gern gesehener Gast am Tisch.
In der Wirtschaft bei einem Glas Wein oder Bier sind Lügen ein Mittel zur Selbstdarstellung, mehr oder weniger geschickt formuliert. Sie kleidet sich in einen Blouson aus Fallschirmseide, der wenig ausgeprägte Muskeln herausstellt, in der Hoffnung, dass die Hühnerbrust nicht bemerkt wird. Es sollte aber kein Kerzenwachs auf Ihre Jacke tropfen - in diesem Bild ein Synonym für die Wahrheit.
Dazu müssen Sie ein gutes Gedächtnis haben, sich all Ihre eigenen Wahrheiten und Lügen zu merken, und den Überdruck des schlechten Gewissens, der sich Luft
verschaffen will, kontrollieren.
Ein letztes Fazit: Lügen lassen sich nicht wirklich vermeiden, manchmal. Und solange es die Wahrheit gibt, wird es ihre Schwester - die Lüge - auch geben. Auch wenn sie sich wie eine Sepia hinter ihrer Tinte versteckt.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit, die Autorin