Kurzgeschichte
Das Versprechen

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"Er hat versprochen, dass er kommt. Und Emma wartet."
Veröffentlicht am 04. Mai 2014, 18 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: TaraMerveille
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Es ist gar nicht so einfach, Worte zu finden, mit denen ich mich beschreiben könnte. Also mache ich es ganz kurz: Ich habe die 43 überschritten, bin aber in meinem Herzen noch viel jünger (bilde ich mir wenigstens ein). Mein Geld verdiene ich als Erzieherin in einem evangelischen Kindergarten - jeden Tag eine Menge Storys. Ansonsten bin ich verheiratet, habe 3 Kinder und neben dem Schreiben noch andere Hobbys - fotografieren, lesen, reiten, ...
Er hat versprochen, dass er kommt. Und Emma wartet.

Das Versprechen

In kleinen Wellen kroch das Wasser über den Sand. Es schlängelte sich um Emmas Füße und leckte mit vielen kalten Zungen an ihren Zehen.

Emma krallte die Zehen fest zusammen das Wasser war um diese Jahreszeit doch noch verdammt kalt.

Die junge Frau warf einen kurzen Blick auf ihre Schuhe, die neben ihr im Sand lagen, doch trotz ihrer kalten Füße zog sie sie nicht an. Stattdessen zog sie den Reißverschluss ihrer teuren Regenjacke bis ganz unters Kinn.

Obwohl die Aprilsonne ihre warmen Strahlen zur Erde schickte, und das nun schon seit ein paar Tagen, war es nicht sonderlich warm. Es schien fast so, als

würde der an der Küste ständig vorherrschende Wind den Strahlen all ihre Energie rauben.

Dabei hatte Emma gehofft, der Frühling würde endlich richtig anfangen so wie im vergangenen Jahr. Da waren sie um diese Zeit schon barfuß im Wasser den ganzen Strand entlang gelaufen.

Emma schluckte. Hm, letztes Jahr mit Felix. Die Erinnerung daran ließ ihr das Herz mit einem Mal zentnerschwer werden. Doch dann schüttelte sie ihren Lockenkopf, Felix musste da raus unbedingt. Sie atmete einmal tief durch um den Schmerz der Erinnerung weg zu blasen. Dann drehte sie sich zum vielleicht schon hundertsten Mal um. Sie ließ ihre

Augen hinüber zum Dünenweg wandern.

Er kommt, hatte er gesagt. Er kommt ganz bestimmt. Und dabei hatte er sie mit seinem umwerfenden Lächeln angesehen.

Warum sollte er denn auch nicht kommen?, schoss es Emma durch den Kopf. Sie spürte die  Zweifel in ihrem Herzen, fein wie die Sandkörner die sie nun schon seit einiger Zeit mit ihrem Hintern zusammen drückte und wartete.

Mehr und mehr schienen sie zu wachsen diese Zweifel -  ob sie es wollte oder nicht.

Emma wollte die Zweifel verjagen, so wie die lästigen Möwen vorhin am Imbissstand, die ungeduldig hüpfend darauf gewartet hatten, dass Emma ihnen etwas von ihrem Fischbrötchen abgeben

würde.

Und wenn er sie angelogen hatte? Was, wenn er schon gestern, während er ihr sein Versprechen gab, gar nicht vorgehabt hatte zu kommen?

Emma schüttelte noch einmal ihren Kopf. Die dunklen Locken fielen ihr ins Gesicht.

„Raus mit euch, ihr verdammten Zweifel“, murmelte sie wütend, während sie die Locken zur Seite strich.  

Warum sollte er sie denn anlügen? Es gab keinen Grund oder?

Stundenlang hatten sie am vorhergehenden Nachmittag in dem kleinen Cafè am Brunnen gesessen, eingehüllt in dicke weiche Decken. Sie hatten geredet und gelacht und zwischendurch immer wieder

an ihren Tassen genippt.

Emma schloss ihre Augen. Sie versuchte sich Lenny vorzustellen. In Gedanken sah sie ihm in die glasklaren hellblauen Augen, mit denen er sie gemustert hatte, während er ihr zuhörte. Er wirkte so unschuldig unschuldig wie ein kleines Kind. Sie konnte seine Strubbelhaare sehen, die er sicher in aufwendiger Kleinarbeit am Morgen und unter Verwendung von viel Haarwachs in Form gebracht haben musste. Emmas Gedanken wanderten weiter. Sie sah die kräftigen Muskeln, die sich deutlich unter seinem engen Shirt abzeichneten. Lennys schöne gepflegte Hände Studentenhände, dachte sie und musste grinsen. Sicher hatte er mit ihnen

noch nie wirklich hart gearbeitet. Vielleicht oder garantiert war er der Sohn reicher Eltern, die ihm das Studium finanzierten.

Emma und Lenny hatten sich auf dem Markt getroffen. Zuerst trafen sich ihre Hände, als sie zufällig zu ein und derselben Zeit nach ein und demselben Apfel gegriffen hatten. Dann trafen sich ihre Blicke. Jetzt, in diesem Augenblick, spürte Emma den gleichen wohligen Stromschlag, der sie auch gestern durchfahren hatte.

Diese Augen, dieser Blick!

Dieser Augenblick!

Emma öffnete die Augen, sah hinüber zum Dünenweg und seufzte.

Ein älteres Ehepaar mit zwei kleinen

Hunden kam zum Strand. Von irgendwoher hörte Emma Kindergeschrei und das Kreischen der Möwen.

Wo blieb er nur? Ob er die Zeit völlig vergessen hatte?

Er war hier, um sich auf seine nächsten Prüfungen vorzubreiten. In seinem kleinen Ferienzimmer ging es einfach ruhiger zu als in der lauten WG.

Was studierte er eigentlich?, fragte sich Emma. Lenny hatte es ihr gar nicht verraten.

Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern. War das denn wichtig?

Allerdings, kam es ihr jetzt in den Sinn, hatte er überhaupt wenig über sich erzählt.

Vielleicht gehörte er zu der Sorte Mensch,

die sich echt für die Belange der anderen interessierten, mehr noch als für die eigenen.

Felix hatte am liebsten von sich erzählt. Oft hatte er stundenlang von sich geschwärmt. Von seiner Arbeit, von seinen Erfolgen, von seinen Problemen. Er hatte Emma immer wieder unterbrochen, wenn sie die Gelegenheit nutzen wollte, um etwas von sich zu erzählen. Felix hatte das Gespräch immer wieder zu sich hin gelenkt.

Lenny dagegen war ganz anders. Er hatte aufmerksam zugehört, als Emma von sich erzählte. Weshalb sie hier war, im kleinen Ferienhaus, das ihren Eltern gehörte und direkt hinter den Dünen stand.

Abschalten, ausspannen, allein sein.

Emma hatte Lenny von ihrem Job erzählt, der sie ziemlich nervte, von der Verantwortung, die sie aufrieb.

Von der wohltuenden Einsamkeit.

Ob er deshalb nicht kam?, kam es ihr in den Sinn. Ob er sie in dieser wohltuenden Einsamkeit nicht stören wollte?

So ein Quatsch. Dann hätte sie sich doch nie im Leben mit ihm hier am Strand verabredet.

Außerdem musste Lenny doch gespürt haben, wie sehr sie seine Gegenwart genossen hatte.

Emma drehte sich erwartungsvoll um. Trotzdem der weiße Sand alle Geräusche verschluckte, hatte sie bemerkt, dass hinter

ihr jemand gekommen war. Enttäuscht stellte sie allerdings fest, dass es nur zwei kleine Mädchen waren, die nach Muscheln suchten.

Das kleinere der Mädchen sah Emma an und lächelte. Emma lächelte zurück, bevor sie sich wieder umdrehte und ihren Blicke über die blaue Wasseroberfläche bis hin zum Horizont wandern ließ.

Emma sah auf ihre Uhr. Mittlerweile wartete sie schon seit fast zwei Stunden auf Lenny.

Das reichte, beschloss sie und schob sich mit einem Ruck nach oben. Mit einem leisen Seufzen bückte sich sich und hob ihre Schuhe auf. Gedankenverloren klopfte sie sich den Sand von ihrer hautengen Jeans.

Umsonst!

Umsonst gewartet.

Langsam machte sich Emma auf den Weg. Vielleicht begegnete sie Lenny noch oder er würde zum Ferienhaus kommen, wenn er sah, dass sie nicht mehr am Strand auf ihn wartete. Sie hatte ihm gestern ja ganz genau beschrieben, wo es war.

Er würde ganz bestimmt kommen. Er hatte es ihr gesagt. Er hatte es Emma versprochen.

Auf ihrem Weg zum Ferienhaus begegnete sie nur wenigen Menschen. Kein Wunder, zu dieser Zeit kamen nicht viele Leute auf den Gedanken Urlaub am Meer zu machen.

Schon bald konnte Emma das reetgedeckte Haus sehen, das sich gleich hinter den

Dünen an den Rand des Kiefernwäldchens schmiegte. Die kleinen Fenster sahen ihr erwartungsvoll entgegen.

Am besten gefiel Emma die grüne Holzeingangstür, schon seit sie ein kleines Mädchen war.

Die grüne Holztür Emma erschrak stand einen Spalt offen.

Emmas Schritte wurden schneller und auch ihr Herz beeilte sich mächtig, das Blut durch die Venen zu pumpen. Hatte sie etwa vergessen, die Tür abzuschließen? Hatte der Wind die aufgedrückt?

Vorsichtig drückte Emma die Tür weiter auf und steckte ihren Kopf in den Flur.

„Hallo?“, krächzte sie. „Ist da jemand?“

Mit klopfendem Herzen und mit einem der

Regenschirme bewaffnet, die neben der Eingangstür in einer bunt bemalten Milchkanne auf Regenwetter warteten, schlich Emma durch das ganze Haus. Sie sah in jeden der kleinen Räume, immer zum Schlag mit dem Regenschirm bereit.

Auf den ersten Blick sah alles aus wie vorher, als sie das Haus verlassen hatte. Doch bei genauem Hinsehen bemerkte Emma die Schubladen der Kommode, die nicht richtig zugeschoben waren. Eine Nachlässigkeit, die sie schlichtweg nicht duldete. Hastig lief Emma noch einmal durch alle Räume und stellte dabei fest, dass die Kamera, der Laptop, ihr MP3Player, der kleine Schmuckkoffer und das Kuvert mit dem Bargeld immerhin 500 Euro

fehlten.

Mit zitternden Händen und weichen Knien schleppte sich Emma bis zum Sofa und ließ sich fallen.

Verdammt! Einbrecher hier in ihrer kleinen Idylle!

Sie angelte das Telefon vom Tisch und wählte 110.

Die Polizistin mit der jugendlichen Stimme erklärte Emma, dass es in den vergangenen Wochen immer wieder Einbrüche und Diebstähle gegeben hatte hier im Ort. Und in ein paar Nachbardörfern. Komischerweise immer bei Frauen, die alleine verreist waren. Leider könne sie nicht garantieren, dass Emmas Sachen gefunden wurden, bevor sie wieder

abreiste.

Aufgewühlt kochte sich Emma einen Tee, rief kurz bei ihren Eltern an und erklärte die Sachlage. Ihr Vater war der Meinung, dass es das Beste war, wenn sie sofort nach Hause zurück kommen würde. Doch jetzt am Abend wollte Emma nicht überstürzt aufbrechen.

Außerdem, vielleicht würde er ja am nächsten Tag kommen.

Emma wünschte sich so sehr, dass es im nächsten Augenblick an der Tür klingeln und Lenny davor stehen würde. Wie er sie mit seinen strahlend blauen unschuldigen Augen ansehen und sie um Verzeihung bitten würde, weil er die Verabredung vergessen hatte.

Wie sehr hätte sie gerade jetzt jemanden zum reden gebraucht.

Lenny kam nicht.

Nicht an diesem Abend.

Nicht am nächsten Tag.

Als Emma am Ende der Woche mit ihrem Wagen auf dem Weg zur Autobahn war, schaltete sie das Radio ein.

„Dünenradio 1. Guten Tag und herzlich willkommen! Die vielen Einbrüche und Diebstähle der vergangenen Wochen konnten endlich aufgeklärt werden. Leute, ihr könnt wieder ruhig schlafen.

Eine junge Frau überraschte den Dieb, als sie von einem Strandspaziergang zurück in ihr Ferienhaus kam. Sie hat ihn doch tatsächlich mit einem ihrer

Nordic-Walking-Stöcke zur Strecke gebracht alle Achtung!

Der 24jährige Lennart K. wurde umgehend fest genommen. Im Ferienzimmer des jungen Mannes konnten die Beamten zahlreiche Laptops, Kameras, Handys, Schmuck und einen beträchtlichen Geldbetrag sicherstellen ...“.

Emma wendete bei der nächsten Gelegenheit den Wagen und fuhr zurück.

Er würde kommen, hatte er gesagt.

Nun wusste sie, dass er nicht gelogen hatte.

Er war gekommen aber nicht zum Strand.

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Hörbuch

Über den Autor

TaraMerveille
Es ist gar nicht so einfach, Worte zu finden, mit denen ich mich beschreiben könnte.
Also mache ich es ganz kurz: Ich habe die 43 überschritten, bin aber in meinem Herzen noch viel jünger (bilde ich mir wenigstens ein). Mein Geld verdiene ich als Erzieherin in einem evangelischen Kindergarten - jeden Tag eine Menge Storys. Ansonsten bin ich verheiratet, habe 3 Kinder und neben dem Schreiben noch andere Hobbys - fotografieren, lesen, reiten, Musik machen ...
Meist schreibe ich an längeren Projekten für die Zielgruppe "Teenager", oft auch an verschiedenen gleichzeitig. Hin und wieder versuche ich mich auch an einer Kurzgeschichte. Seht selbst ...
Ich schreibe schon seit einigen Jahren und meine elektronische Schublade füllt sich so nach und nach. Meine Kinder und nur ganz wenige Freundinnen haben schon drin gelesen - nun bin ich gespannt, was andere dazu sagen.

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Silvi Ich finde den Schluss auch sehr überraschend, die Geschichte verbirgt durch die Leichtigkeit sehr gut, was am Schluss zur Verwunderung führt. Irgendwie fühlt man mit Emma die aufkeimende Wut, die Einsicht, wer der Kerl wirklich war und doch auch, dass sie traurig ist. Ein Herz wert. Silvi
Vor langer Zeit - Antworten
TaraMerveille Vielen Dank für deinen Kommentar. Ich habe mich darüber sehr gefreut. Und danke fürs Favo. Wenn ich ehrlich bin, war ich selbst überrascht, wie meine Geschichte beendet wurde. Oft schreibe ich erst einmal los und lasse die Geschichte sich entwickeln.
Vor langer Zeit - Antworten
GiselaPieler Eine tolle Geschichte mit überraschendem Schluss hast du da geschrieben. Mir hat sie gut gefallen.
Liebe Grüße, Gisela
Vor langer Zeit - Antworten
TaraMerveille Danke für`s Lesen und für den lieben Kommentar. Ich freue mich, dass sie dir gefallen hat.
Vor langer Zeit - Antworten
GiselaPieler Gern, Tara und danke für die Coins
Vor langer Zeit - Antworten
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