Das bisschen Wissen, über Hannah Mallison, macht mir schwer zu schaffen. Es kommt mir fast unmöglich vor das vor Sherrie zu verbergen. Jeden Moment erwarte ich, dass sie meine Fassade einreißt und die Wahrheit dahinter findet. Doch sie lächelt immer zu, ohne einem sadistischen, böswilligen Funkeln in den Augen, lädt mich zum tanzen ein oder näht mir neue Kleider. Es scheint als wüsste sie wirklich nichts von meinem Fund im Lagerraum. Doch manchmal denke ich mir, könnte sie nur so tun als wüsste sie von nichts, um mich in den Wahnsinn zu treiben, um
mich schließlich zu überfallen. Wie paranoid ich doch geworden bin! Sie weiß von nichts! Und dass ist kein Hinterhalt von ihr! Ich versuche die Haltung zu bewahren und mir ein zu reden, ich sei vorerst in Sicherheit. Doch ich liege nun jede Nacht schlaflos in meinem Bett, starre an die Decke und lasse meinen Verstand mit mir durch gehen und stelle mir vor was Sherrie wohl mit mir machen wird, wenn sie keinen Gefallen mehr an ihrem neu gewonnen Spielzeug findet. Dabei bleibt keine Fantasie ungerührt. Vielleicht reißt sie mir die Haut ab und näht daraus ein neues Kleid. Vielleicht steckt sie mich wieder in einen dieser kahlen
Räume und lässt mich dort in Dunkelheit und Angst verhungern. Oder sie ertränkt mich morgen im Bad. Oder sie ersticht mich mit dem Küchenmesser, mit dem ich es einst bei ihr versucht habe und ich lande dann auf ihrem Teller zum Abendessen….. Verzweifelt versuche ich auf weniger ausgeholte und harmlose Gedanken zu kommen, doch es hält mich fest wie die Dunkelheit den Raum. Jeden Morgen tue ich so als würde ich schlafen, wenn Sherrie die Tür auf macht und mich schweißgebadet vorfindet, die Finger in die Decke gegraben und die Lider wild flackernd. Als könne ich sie täuschen! Die Tage sind nur so verstrichen. Irgendwie haben
sie einen genauen Ablauf angenommen. Am Morgen wird nach einem warmen Bad gefrühstückt, dann entweder genäht oder Kleider anprobiert(Sherries Vorrat scheint unerschöpflich)oder getanzt(immer zu einem anderen Stück)am Abend über dies und jenes geredet, bei dem hauptsächlich sie die Gesprächsthemen bestimmt und lenkt, zu Abend gegessen, vielleicht noch kurz etwas Wein getrunken und schlafen gehen. Doch heute hat Sherrie etwas anderes für mich vorher gesehen, etwas dass sie schon lange vorhat, wie sie sagt. Es handelt sich um ihren größten Schatz! Der, von dem sie mir schon einmal kurz erzählt hat und den ich
schon fast vergessen habe. Ich habe nie eine Ahnung davon gehabt was ihr größter Schatz sein könnte. Umso überraschter bin ich als sie mich in einen großen Saal führt. Er liegt nah an ihrem Schlafzimmer, in das ich noch nie einen Blick geworfen habe und ist nur sehr schwach ausgeleuchtet. Die Lampen scheinen hier noch trüber zu leuchten. Sie flackern wild und lassen unsere Schatten zucken, als wir eintreten. Ich schnappe nach Luft, so erstaunt bin ich. Sherrie grinst etwas verlegen, aber auch stolz. Ihr größter Schatz; Im Raum stehen überall Ankleidepuppen wie sie in Schaufenstern stehen. Zumindest, sind ihre Oberkörper alle auf
Ständer gespießt, die wild angeordnet im Raum stehen. Hier und da steht ein Schrank oder eine Kommode, auf der lauter Krimskrams, das ich nicht zuordnen kann, steht. Stoffe, Scheren, Hämmer, Nägel, auch Plastikteile und zwei Holzhände, wie sie Künstler zum abzeichnen benutzen. An der Wand sehe ich ein hohes Regal, dass voll mit kleinen Puppen gefüllt ist! Sie sitzen verkrümmt da, manche in sich zusammen gebrochen, lehnen aneinander, liegen auf dem Boden, sitzen aufrecht…. Ich bemerke dass es keine zweimal gibt, jede Puppe hat bestimmte Merkmale die kein zweites Mal bei einer anderen sichtbar sind. Sogar ihre Gesichtszüge
scheinen einzigartig zu sein. Ich trete etwas näher und sehe mir jede Puppe genau an, die mit mir auf Augenhöhe sitzt. Jede aufgemalte Augenbraue, wurde ganz gezielt gezogen, jede Lippen in einem besonderen Ton angemalt und geformt. Jede Haarlocke, ist einzigartig und kräuselt sich oder wellt sich auf ihre eigene Weise. Mein Blick wandert von einer Puppe zur nächsten und bleibt bei einer hängen. Sie ist klein und hat einen dünnen Körper aber einen großen Kopf mit vollen Wangen und einem sehr kleinen, kindlichen Kinn. Sie trägt eine goldblonde Perücke, deren Strähnen sich wild kringeln und locken und mit zwei kleinen Spangen seitlich davon
abgehalten werden, ihr ins bleiche Gesicht zu fallen. Sie hat sehr große Augen, die tief in ihren Höhlen zu sitzen scheinen und leicht schwarz umrandet sind. Aber nur blass, dass es aussieht als sei sie unendlich müde. Auch ihre Oberlider hängen tief und verziehen ihr Gesicht zu einer Leidensmine. Ich bin fasziniert von den Augen, die mich wirklich an zu sehen scheinen! Sie sind groß und hellblau. Eine sehr sichere Hand, hat jede Faser und jede Schattierung darin genau gesetzt und hat sie richtig lebendig gemacht! Der Mund ist sehr klein, wie der eines Babys und die Mundwinkel, so kommt es mir vor, sind etwas hinunter
gezogen, dass das Bild des Leides und der Müdigkeit komplett ist. Das rosige Kleid, dass die Puppe trägt, nehme ich kaum war. Sherrie steht hinter mir und folgt meinem Blick. „ Gefällt sie dir? Sie ist eine meiner Lieblingsstücke.“ Ein Lächeln klingt in ihrer Stimme mit. Ich nicke tonlos und gehe etwas im Raum herum. Hinten verliert sich das Licht etwas, aber Sherrie hat die Tür offen gelassen, dass das Licht vom Flur herein fällt und mir auch zeigt was ganz hinten steht. Manche der lebensgroßen Puppen, die auf langen Ständern stehen und mir mit leerem Blick begegnen, sind willkürlich angeordnet, manche liegen auch am Boden. Das Zimmer passt gar
nicht zu Sherrie, die mir sonst wie ein sehr organisierter, ordentlicher Mensch vorkam. Aber sie scheint sehr stolz auf den Inhalt des Raumes zu sein und auch auf dessen Chaos. „ Mein größter Stolz. Mein größter Schatz.“ Sagt sie schließlich und lässt den Blick über den Raum schweifen. In ihren dunklen Augen liegt ein wildes Funkeln. Es ist offensichtlich wie viel ihr dieser Raum bedeutet, alles was er beinhaltet und alles was sie geschaffen hat. Ich frage mich wie viele Puppen dass wohl sind und wie lange sie bereits an ihnen sitzt. Jahre, bestimmt. Ob sie Hannah auch daran teilhaben ließ? Ich fröstle etwas. Vielleicht liegt es daran,
dass ich Hannah nicht vollständig aus meinen Gedanken habe verbannen können oder daran dass ich endlich wieder spüre wie kalt die Metallwände, der Boden und kurzum die ganze Aura des Raumes ist. Sherrie geht an mir vorbei, in die Mitte des Raumes und legt die Hand auf die Wange einer Puppe ohne Gesicht. Die Formen von Nase, Lippen und Wangen sind da, aber die Augenhöhlen sind leer und scheinen mich dennoch an zu starren. Auf einmal fühle ich mich unbehaglich, wo ich all die starren, leblosen Augenpaare notiere, die mich eindringlich und schamlos anstarren. So leblos die Puppen auch sind, so ruhig und starr sie
sind, so sehr kommt es mir vor als würden ihre Augen jeden meiner Schritte verfolgen als ich zu Sherrie stoße. Sie lächelt mich an: „ Jetzt kennst du meinen größten Schatz.“ Ja und ich muss sagen, er passt zu ihr. Im Grunde hätte ich mir genau das denken können. Habe ich aber nicht. Ich habe etwas schreckliches erwartet, wie abgehackte Hände, Gläser mit Därmen und Hirnen darin, ein Labor oder eine Art OP-Saal. Bei den Gedanken ziehen sich wieder alle Muskeln in meinem Körper zusammen und eine Gänsehaut schüttelt mich von oben bis unten durch, dass ich mich an die Wand lehne, um nicht zu zeigen wie sehr ich zittere. Im fahlen
Licht der Neonlampen, wirken die Puppen gespenstisch. Ihre Leiber sind schneeweiß, die Haut sieht glatt und unnatürlich aus, die leblosen Augen sind alle mir zu gewandt und bohren sich in meinen Körper, Schatten und violette Lichtspiele tummeln sich auf ihren Armen, gekrümmten Fingern, leidenden Gesichtern und nackten Brüsten. Manche von ihnen haben nicht einmal Hände oder einen Kopf. Ich entdecke eine Puppe mit geschlossenen Augen, als würde sie schlafen, es sieht sogar ziemlich friedlich aus. Aus ihrer linken Schulter ragt eine Metallstange hervor, wo der Arm sitzen müsste und an seinem Ende sitzt wieder eine kleine, zierliche
Hand, die aussieht als würde sie etwas umschließen. Sherrie ist mein Blick nicht entgangen und sie sagt: „ Dass ist Olivia, magst du sie?“ und wirft einen Seitenblick auf Olivias Gesicht. Oberhalb ihrer Stirn müsste der Kopf sein, doch da ist nichts. Einfach nichts. Als habe man mit einem Messer den Schädel abgeschnitten. Sherrie deutet auf eine Puppe etwas weiter weg. Ihr fehlt ebenfalls ein Arm, der Rechte. Anstelle dessen ragt eine Metallstange aus ihrer Schulter heraus und ihre Hand scheint etwas zu umschließen. Auch ihr fehlt der Schädel, nur dass über die Kante, goldene Locken fallen, dass es aussieht als wüchsen ihr diese aus dem
Hirn raus. Sie hat ebenfalls einen friedlichen und angenehmen Gesichtsausdruck und sie und Olivia spenden mir etwas Trost und ich beruhige mich ein wenig. „ Dass ist Livia. Olivias Schwester.“ „ Schwester.“ Widerhole ich mit schwacher Stimme. Sherrie nickt bloß, als währe das Antwort genug auf meine Verblüffung. Ich sollte mich endlich an ihre knappe, selbstverständliche Art gewöhnen. „ Äh, Sh-Sherrie.“ Hebe ich an und meine Stimme erbebt richtig. „ Können wir wieder gehen? Ich fühle mich nicht besonders.“ Und das ist nicht mal gelogen! Sherries Gesichtsausdruck wechselt von erheitert auf besorgt und
sie kommt auf mich zu, so rasch dass ich etwas zurück weiche. Sie legt ihre kühle, kleine Hand auf meine Stirn und murmelt: „ Du schwitzt ja richtig. Gut, dann gehen wir wieder und ich bringe dir was zum trinken.“ Ein weiterer Schauder jagt durch meinen Körper als sie unterwartet meine Hand packt und sich in Richtung Ausgang zu bewegt. Ich versuche nicht über die Schulter, ein letztes Mal zurück in das Puppenkabinett zu werfen und bin froh, es endlich hinter mir zu lassen. Hinter mir fällt die metallene Tür schwer ins Schloss und ich fühle mich auf anhieb viel besser, als hätte man mir einen Fels vom Rücken genommen. Ich folge
Sherrie zurück ins Wohnzimmer wo ich mich auf das Sofa fallen lasse und in die Pölster sinke. Der Stoff ist kühl und weich und lindert meine Nervosität. Sherrie bringt mir rasch ein kaltes Glas Wasser. Ich trinke es schnell aus und sie setzt sich neben mich. „ Sie sind nicht für jeden Geschmack, habe ich recht?“ sagt sie, mit einem sanften Lächeln um die Mundwinkel. Ich lache nervös: „ Ja, so viele bin ich nicht gewohnt. Meine Großmutter hatte eine kleine Puppensammlung aber so etwas hat mich etwas…..überrumpelt.“ Sherrie lacht kurz auf, ein hohes, kindliches Lachen, vergnügt und beruhigend. Plötzlich wird ihr Blick wieder ernster und sie sieht
mich fest an: „ Ich möchte dass du dich hier wohl fühlst.“ Ich muss schlucken. Ein Spruch, der die Ewigkeit besiegelt. Ich blinzle mir die Tränen rasch aus den Augen, ehe sie etwas davon mitkriegt und nicke beschwichtigend, als währe es selbstverständlich darüber zu reden. Sherrie fasst in eine kleine Tasche an ihrem Rock und zieht einen Zettel heraus. Sie faltet ihn auf und reicht ihn mir. Es ist der Zettel den ich gefunden habe, als ich aus meinem kleinen Raum gekrochen bin. Darauf steht in großen, überschwänglich gezogenen Buchstaben: Willkommen mein Gast, werde Teil
meines Heims, trete ein und nimm wonach dir steht Sei ganz daheim. Diese Zeilen habe ich schon fast aus meinem Gedächtnis verbannt. Daheim. Dieses Wort verbinde ich mit nichts mehr. Nur mehr mit einer blassen Erinnerung an ein Sommerhaus mit der Familie und einem Jungen, strahlend über eine große Schokoladentorte gebeugt. Aber am aller wenigsten mit diesem Ort. Auf einmal kocht es in mir. Das Gefühl der Wut, die von tiefem Schmerz und Angst und Sehnsucht herrührt, brodelt in mir hoch und bringt das Fass zum überlaufen. Eine Träne kullert meine Wange hinunter als ich, mit
bebender Stimme, sage: „ Wirst du mich irgendwann frei lassen?“ Sherrie schaut mich kurz mitleidig an; schwach lächelnd und die Augenbrauen entschuldigend zusammengezogen. Sie beugt sich zu mir rüber und drückt mir einen zarten Kuss auf die Stirn. Ihr Gesicht und ihre Hand, die über meine Schulter streicht, sind wie ein unausgesprochenes Todesurteil für mich. Ihre Augen blitzen vielsagend. Böse. Ihre kirschroten Lippen lächeln leicht sadistisch. Ihre Berührung ist wie ein höhnischer Trost. Und es kommt mir vor als schüttle sie kaum merklich den Kopf.
Es war ein verregneter Tag. Ein Tag wie man ihn in Filmen sah, in Liebesgeschichten und Romanzen. Ein Tag, wie geschaffen für gedankenverlorene Philosophen, die mit gesenktem Kopf durch die Lacken waten und ihren trüben Gedanken nach gehen. Der Himmel war von angeschwollenen, grauen Wolken verdeckt und der Regen prasselte unaufhörlich auf den Asphalt nieder. Es war eine Melodie von kleinen Glöckchen die angeschlagen wurden und ertönten, jede ein anderer Ton. Doch wenn man sich unter ein Dach rettete, konnte man hören dass die Melodien zu
einem großen Ganzen wuchsen und zu einem Rauschen wurden, wie die raue See, deren Wellen an schroffen Felsen lecken. Ich liebe Regentage! Die melancholische Stimmung, die nassen Strähnen die einem aus der Kapuze rutschen und das angenehme Geräusch des Regens und das Rauschen wenn die Autos durch die Lacken fahren…! Als Kind habe ich Regentage immer damit genossen zuhause zu sitzen, an der Heizung und aus dem Fenster zu schauen. Ich hörte das Tropfen der Heizung die mich von außen wärmte und das Pochen und Klopfen der Tropfen an der Scheibe und innerlich war mir fast so kalt, als stünde ich mitten im Regen.
Vielleicht ist es nicht die Melodie der Tropfen, diese graue, trübe, aber auch schöne Stimmung die der Himmel ausstrahlt sondern vielleicht ist es gerade die Traurigkeit und die Schwermut die ich an Regentagen so mag. Ja, solche Tage liebe ich! Und auch solch ein Tag war, der 12. Mai. Es war verregnet und eisig. Ich ging die Straße hinunter. Die Milch war schlecht geworden und Kaffe ohne Milch ging nicht! Also schlenderte ich, ohne Eile die nasse Straße entlang, ließ keine Pfütze aus und sog den modrigen aber erfrischenden Duft ein, den der Regen mit sich trug. Die Luft schien viel klarer und sauberer als sonst, als hätte das
Wasser sie gewaschen. Die Autos rauschten an mir vorbei und für mich war es ein Regentag, wie jeder andere, ein wunderschöner. Im Supermarkt war der Boden zu einer rutschigen Todesfalle geworden, als ich die Milch, Cornflakes und Jogurt kaufte. Ich stopfte alles in eine kleine Tüte und ging wieder raus, wo mir die nasse Luft und die Kälte ins Gesicht schlug. In dem Moment klingelte das Handy und ich fischte es aus der Hosentasche während ich weiter ging. Auf dem Display erschien der Name meiner Schwester Christine. „ Hey!“ sprach ich in den Apparat hinein. Christine klang aufgebracht und sie keuchte, als währe
sie gerade gerannt. Im Hintergrund war viel Lärm zu hören und das Rauschen des Regens auf beiden Seiten, störte die Verbindung. „ Jasmin, komm sofort….. Die…“ Ich unterbrach sie: „ Ich kann dich nicht hören, es ist so laut wo bist du denn?“ Hektisch redete sie mir ins Wort: „ Schnell….komm schnell, wir sind…..es ist….der…“ ich blieb stehen und versuchte die Hintergrundgeräusche auf der anderen Seite der Leitung aus zu blenden und Christine besser zu verstehen. „ Jasmin, ich….bitte komm zum….. Saphial Hospital…er..“ das Rauschen übertönte ihre letzten Worte und ich rief zurück: „ Was? Wieso ins Saphial Hospital, was ist denn los? Hat
Onkel Steven wieder Probleme mit dem Herz?“ „ Nein!“ rief Christine jetzt schon fast wütend. „ Es…Peter.. er ist..“ Klick, machte es in meinem Kopf. Tausende Gedanken wirbelten durch den Kopf bis mir einer schließlich befahl los zu laufen. Ich ließ die Tüte fallen und hörte wie das Jogurt aufplatzte als ich los rannte. Das Handy fest umklammernd rannte ich die Straße weiter runter. Wo war noch mal das Saphial Hospital? Wie lange war es schon her seid dem ich dort war? Ich versuchte aus dem Gewirr von Gedanken in meinem Kopf den heraus zu filtern, der mir den Weg ins Gedächtnis rief. Genau! Ich hastete weiter. Unten an der
Kreuzung ist die U-Bahn, mit der musste ich fahren und dann in den Bus umsteigen. Verdammt, bei welcher Station musste ich noch mal aussteigen? Es blieb keine Zeit für Antworten, ich lief achtlos durch den Regen, der mir plötzlich lästig vorkam, rempelte die Leute aus dem Weg die mir entgegen kamen und mich böse anblitzten. Ich stolperte die Treppen der U-Bahn Station runter. Es stank nach Öl und dem Müll der am Rand in den Ritzen vor sich hin verfaulte. Unten konnte ich das Brummen und Rattern eines einfahrenden Zuges hören. Es war mein Zug und ich sprang im letzten Moment durch die Tür, kurz bevor sie sich
schloss. Keuchend und stöhnend kam ich zum stehen und stützte mich, nach Luft ringend, an die Wand. Die Leute warfen mir vielsagende Blicke zu aber ich beachtete sie nicht. Peter lag im Krankenhaus! Und ich wusste nicht wieso und weshalb, was passiert war und um was es ging. Ich fühlte mich ganz benebelt und mein Verstand entwickelte jedes mögliche Szenario. Vielleicht war er krank, er war schon immer recht anfällig bei nassem Wetter. Vielleicht auch seine Mandeln, die schon seid längerem raus müssen. Vielleicht hat er sich den Kopf gestoßen. Vielleicht hat er einen komischen Ausschlag. Mein Kopf surrte
während der Zug in jeder Station ewige Stunden zu stehen schien, ehe er im Schneckentempo weiter fuhr. Unerträglich lange kam mir die Fahrt vor und je näher ich meinem Ziel kam, desto nervöser wurde ich. Christine rief nicht mehr an und abheben tat sie auch nicht. Meine Sorge wuchs und wuchs und mein Puls wollte einfach nicht wieder runter gehen. Als der Zug endlich an meiner Station angelangt war, stürzte ich aus der halb geöffneten Tür und hastete die Treppen rauf, ins Freie. Der Regen schlug mich eiskalt und rann mein Gesicht hinab. Der frostige Wind und der stechende Schmerz der Sorge hatten mich völlig überrascht und ich
stand kurz angebunden da. Ich ließ den Kopf hin und her schwenken. Wo war die Busstation? Stand sie nicht ursprünglich dort drüben? Nein dort! Nein, da! Ich lief zu dem kleinen Häuschen und stellte mich unter. Nichts schien ich wahrnehmen zu können außer die Kälte und die Sorge, die mit meinem Herzschlag wuchs und wuchs. Die Menschen um mich waren nur eine Nebensache und fast hätte ich die Ansage überhört, die aus einem kleinen Lautsprecher über mir ertönte. Eine Quäkstimme, die von Rauschen und Knacksen unterbrochen wurde erklärte dass der Bus aufgrund einer großen Baustelle in unregelmäßigen Abständen
kommen würde. Also rannte ich. Ich rannte durch den Regen, der mir höhnisch entgegen kam und versuchte mich mit seinem Wind ab zu bremsen. Er pfiff mir um die Ohren als ich der Strecke des Busses folgte. Hinter den Häusern und Geschäften konnte ich bereits das hohe Dach des Hospitals ausmachen. Als ich endlich den Eingang erreicht hatte, währe ich fast zusammen gebrochen. Ich rang japsend nach Luft und schleppte mich vor zur Rezeption wo mich eine Schwester sorgenvoll musterte, als sei ich es die Hilfe brauchte. „ Ich-suche-meinen-Neffen-meine-Schweter-hat-gesagt-er-sei-hier-eingeliefert-worden.“ Keuchte ich.
Ehe die Schwester antworten konnte ertönte eine Stimme hinter mir: „ Jasmin!“ Christine umschlang und drückte mich fest. „ Christine! Was ist passiert?“ Ich blickte in ihr Gesicht, das zu einer Grimasse des Kummers geworden war. Über ihren Augenbrauen zeichnete sich eine Falte der Angst ab. „ Peter wurde von einem Auto angefahren.“ In ihre Augenwinkel traten Tränen und sie wischte sie sich rasch weg. „ Oh nein.“ Keuchte ich. Das konnte nicht sein! Alles nur dass nicht! Nicht so! Nicht so! Ich sah Christines Mann Walter, der den selben Blick drauf hatte wie meine Schwester und schloss uns beide in die Arme. Dann erklärte er
mir: „ Wir waren auf dem Weg zu einer Freundin bei der wir eingeladen waren. Peter ist vor gelaufen und über den Zebrastreifen. Aber da war plötzlich dieses Auto, obwohl die Ampel grün war!“ er schluckte kurz dazwischen „ Wir haben sofort die Rettung gerufen und sie haben ihn her gebracht. Er ist jetzt im OP.“ Seine Stimme brach ab. Ich stand wie geschockt da. Der Schock lief mir durch alle Knochen und Muskeln aber ich konnte mich nicht rühren. Mein kleiner fröhlicher Junge…..Ja, er war mein Junge. Mein Neffe, den ich so sehr liebte wie meinen Sohn. Bei der Vorstellung von ihm unter den Rädern eines Autos, drehte sich mir
der Magen um und ich musste schlucken. Das Wartezimmer bestand aus einem Platz zusammen gedrängter Sessel und ich setzte mich benommen. Christine hatte sich an Walters Schulter gelehnt und drückte seine Hand. Die Zeit verflog so, wie im Zug. Endlos. Wie eine Folter ließ ich sie über mich ergehen. Ich hatte nichts zu tun. Aber ich war auch nicht in der Lage ein Magazin vom Stapel neben mir zu nehmen und darin zu blättern oder mir etwas zu Trinken beim Automaten hinter mir zu holen, obwohl ich am verdursten war. Ich konnte nichts außer mir den Kopf vor Sorge zu zermattern. Christine hatte außer mir noch Tante Diana und
Onkel Steven, Sara und die Freundin angerufen, zu der sie eingeladen waren. Sara wollte auf dem schnellsten Weg zu uns kommen, aber ihre gefühlskalte Chefin verbot es ihr und Tante Diana und Onkel Steven waren gerade außerhalb der Stadt. Ich fühlte mich einsam, aber auch mit den dreien an meiner Seite, hätte ich mich so einsam gefühlt, wie am Nordpol. Die Leute um uns hingegen schienen nichts von uns mit zu kriegen. Weder unsere gehetzten, entsetzten Gesichter, noch den Haufen Taschentücher der sich neben Christine stapelte, noch die bedrückende Aura der Besorgnis, die selbst ich spüren konnte obwohl ich sie ausstrahlte. Einer nach
dem anderen wurde von der Dame hinter der Rezeption aufgerufen und verschwand dann irgendwo. Der Wartebereich wurde leerer und leerer, wurde hin und wieder aufgestockt und wieder entleert. Wie viel Zeit wohl schon vergangen war? Doch die Frage kümmerte mich einen Dreck als ein Arzt, eingehüllt in einen grünen Schutzanzug und Atemschutz, ins Wartezimmer kam. Es war ein Mann, der bestimmt jünger war, als man seinem Gesicht ansah, das von sorgenvollen, eingebrannten Falten durchzogen war. Er wischte sich kurz mit einem Tuch über die Stirn und seufzte dann tief. Für mich hatte dass nichts zu bedeuten,
bestimmt ging es Peter gut! Bestimmt hatte er sich nur ein Bein oder einen Arm gebrochen! Bestimmt war er noch sehr müde nach der OP! Bestimmt würden wir ihn in ein paar Tagen wieder abholen können! Der Mann blickte Christine und Walter direkt in die Augen. Sein Blick war stumpf und hohl, mich blendete er aus. „ Es tut mir sehr leid aber ihr Sohn, Peter.“ Seine monotone Stimme klang routinemäßig, als hätte er diesen Satz schon so oft runter geleiert. „ hat es nicht geschafft. Sein Brustkorb war so zerquetscht, dass die Rippen die Lunge durchbohrt haben. Wir gaben trotzdem unser Bestes, aber es war zu spät. Es tut mir leid.“ Er legte
Walter zögerlich eine Hand auf die Schulter während Christine nach vorne stürzte und schluchzend in seine Armen fiel. Walter barg sein Gesicht in ihren Haaren und drückte sie an sich. Mich hatte die Nachricht nur dumpf erreicht. Hat es nicht geschafft…… ich verstand diese Worte irgendwie nicht. Was bedeutet dass? Was soll das heißen, er hat es nicht geschafft? Soll Peter am Ende tot sein? Ich starrte auf den Boden. In mir regte sich etwas, als hätte etwas tief in mir verstanden, was passiert war. Doch mein Gehirn konnte nicht schalten und die Antwort, die Worte, das Ausmaß der Worte des Arztes nicht begreifen. Als währen sie ein
großes Rätsel, dass ich erst entschlüsseln musste. Betäubt umarmte ich Christine und Walter. Ich war nicht fähig zu weinen oder irgendeinen Ton heraus zu bringen. Das Rätsel war noch nicht gelöst! Draußen prasselte der Regen weiter. Und drinnen die Tränen. Die darauf folgenden Tage, waren ein stetiges Schweigen zwischen Christine und mir. Immer wenn ich anrief, ging nur Walter rann. Er versuchte der Fels in der Brandung für sie zu sein, er stützte sie, hielt sie aufrecht, wenn sie in den Wellen der Traurigkeit zu versinken drohte. Doch auch seine Stimme klang am Handy matt und verbraucht. Als habe
ihm seine Standfestigkeit sämtliche Luft aus der Lunge gedrückt. Wir redeten nur kurz und knapp miteinander. Kein einziges Mal fiel Peters Name oder auch nur ein Wort, das im Entferntesten an ihn erinnern könnte. Diana meinte, wir sollten aufhören nichts zu tun und sollten ihm wenigstens die letzte Ehre erweisen. Das hatte er verdient! Ich stimmte ihr da voll und ganz zu doch konnte ich Christine nicht dazu zwingen, sich auf zu raffen und mit einem Lächeln die Beerdigung ihres Sohnes zu organisieren. Tante Diana und Sara telefonierten öfter und redeten. Es tat gut mit ihnen reden zu können. Darüber wie kurz das Leben doch ist,
was für ein lieber Junge Peter doch war. Ja, wir schwelgten tatsächlich lachend in Erinnerungen, die ich vor einigen Tagen noch verdrängen wollte. Ich war tief traurig über unseren Verlust, doch irgendwie war mir nicht nach weinen zu mute. Als sei ich froh, dass ich all die schönen Erinnerungen an Peter mitnehmen konnte. Als wir uns eines Tages in einem Cafe trafen, schnitt Diana sogar das Thema Beerdigung an, obwohl es total tabu war. Aber Sara stieg gleich mit ein und erzählte von dem Friedhof und der Beerdigung unseres Vater, bei der ich nicht war, da ich seid vielen Jahren kein Wort mehr für ihn übrig gehabt habe. Er hatte meine
Mutter betrogen und uns zurück gelassen. Ich hasste seine Liebhaberin und seine Tochter, meine Schwester, Sara nicht dafür, Ich hasste ihn! Dafür dass er nie in den wichtigen Phasen meines Lebens dabei sein konnte. Trotzdem hörte ich zu, wie sie von dem schönen Friedhof erzählte, von einer wunderschönen Rede des Priesters und von dem ruhigen Ort an dem Dad liegt. „ Er liegt sogar in der Nähe von Christines und Walters Sommerhaus. Er liegt auf einem großen Hügel im Sonnenlicht. Zwischen den Grabsteinen stehe überall Bäume und im Sommer fällt die Sonne magisch durch die Kronen! Der Friedhof ist wunderschön
und ideal um Peter dort zu bestatten.“ Diana nickte und ich nippte an meinem Kaffee, den ich schon fast vergessen habe. „ Aber wann glaubst du, sind die Beiden soweit? Peter kann nicht ewig im Krankenhaus liegen.“ Warf Diana ein. „ Christine.“ Sagte ich. „ Christine ist noch lange nicht soweit. Walter versucht sie zu trösten und ihr über den Kummer hinweg zu helfen. Er selbst ist natürlich auch noch sehr traurig aber er wird bestimmt zusagen, wenn wir sagen die Beerdigung muss organisiert werden.“ „ Aber wie können wir Christine aus ihrer Schale kitzeln? Sie ist so fertig! Sie geht seid 2 Wochen nicht arbeiten und stürzt sich zuhause in den Haushalt.“
Sagte Sara verzweifelt und zog wehleidig die Augenbrauen zusammen. „ Walter versucht es ganz langsam und zärtlich aber Christine ignoriert jede Form der Hilfe, jeden Versuch zu reden.“ Meinte ich. Beide dachten kurz nach. „ Aber sie damit zu überrumpeln können wir auch nicht machen. Sie könnte sich bei dem bloßen Gedanken an den Sarg noch weiter zurück ziehen.“ Brummte Sara und Diana seufzte entrüstet: „ Dumm.“ Murmelte sie. Ja, Christine ist ein Sturkopf. Man kann sie nicht so leicht von etwas abhalten, was sie sich in den Kopf gesetzt hat. Genauso wenig von dem Gedanken, alles zu ignorieren und aus zu blenden was mit
dem Tod ihres Sohnes zu tun hat. Ich spürte einen kalten Luftzug durch die offene Tür ins Cafe brausen. Die Luft roch klar und rein aber irgendwie bedrückend. Die ersten Regentropfen platzten gegen die Fensterscheibe und ich versuchte das Geräusch aus zu blenden, das ich so sehr hasse. Es war kein sonniger Tag. Das goldene Licht der Sonne fiel nicht magisch durch die Baumkronen und malte Lichtflecken auf die Erde, wie Sara es uns vor geschwärmt hatte. Die Bäume sahen tot aus. Ihre Rinden waren aschfahl und knorrig und ihre Äste seufzten leidend im beißenden Wind. Die Kälte war mir
von den Füßen hinauf bis in die Brust gefahren. Die Luft war erdrückend nass und schwer und jeder schien sich der Atmosphäre an zu passen. Gerade zu unterwerfen. Bedrückt starrten alle auf ihre Füße, beteten leise für sich und für Peter während der Priester eine Rede hielt, der keiner zu zuhören schien. Ich blinzelte durch den Nebelschleier und sah gen Himmel, der so blass war wie Christines Gesicht. Sie hatte die Organisation der Beerdigung standhaft über sich ergehen lassen. Sara und ich hatten es ihr sanft aber dringlich einreden können. Es hatte eine geschlagene Woche gedauert, sie zu überzeugen, ihrem Sohn die letzte Ehre
erweisen zu müssen, alle über seinen Tod in Kenntnis zu setzen, die noch nichts davon wussten, alles Organisatorische zu erledigen und Einladungen zu verschicken. Ich war mir, beim Schreiben der Briefe und E-Mails vorgekommen, als lüde ich meine Freunde zu einer Geburtstagsfeier ein. Es fühlte sich nicht richtig an. Doch was fühlt sich bei einer Beerdigung schon richtig an? Da kam mir plötzlich und völlig ungewollt Peters letzte Geburtstagsfeier in den Sinn. Zwischen letztem Sommer und der Beerdigung hatte ich ihn nicht oft gesehen. Es war nicht sehr angenehm, unser letztes Widersehen. Von Angesicht zu
Angesicht. Peter lag in einem kleinen Sarg, so klein dass man glauben konnte, eine Puppe läge darin. Doch unter dem hölzernen Deckel lag sein bleiches Gesicht. Seine Augen waren geschlossen und die Lippen zu einer festen Linie gepresst, als würde er mit stolz geschwellter Brust, ehrenvoll abtreten wollen. Er sah viel erwachsener aus als er war. Erwachsen. 8 Jahre und nicht älter. Älter würde er nie werden. Es kam mir vor als habe man ein teures, kostbares Buch genommen und den Großteil der Seiten heraus gerissen. Sein Leben konnte doch nicht jetzt schon vorbei sein! So viel hatte er doch zu erleben! So viel zu sehen, zu fühlen
und zu begreifen. Ich spürte wie sich hohle Leere in mir ausbreitete. Im Krankenhaus, als der Arzt uns die Nachricht überbracht hatte, war ich wie taub gewesen. Ich konnte nicht verstehen was passiert war und was los war. Auch jetzt fühlte ich mich taub, vielleicht vor Kälte, vielleicht vor Traurigkeit. Denn die Leere in mir war keine Leere die sich der Wahrheit widersetzte sondern eine, die mich so aushöhlte, dass der Schmerz noch viel größer war. Er schien mich zu überwältigen und mich auf den Boden zu reißen. Hätte Sara neben mir nicht plötzlich meine Hand ergriffen, hätten meine wackeligen Knie bestimmt nach
gegeben und ich säße jetzt auf der nassen Erde. Ich blinzelte ihr dankbar zu und drückte ihre Finger fest. Ich starrte nach vorne, zu Christine. Walter war bereit, wenn sie plötzlich zusammenbrechen würde. Seine Schultern waren stets gestrafft, um sie stützen zu können und seine Hände immer bereit ihre zu nehmen und sie tröstend zu streicheln. Doch meine Schwester stand hoch erhobenen Hauptes vor mir, in der ersten Reihe und sah rauf zum Himmel, der zwischen den Blättern hindurch schimmerte, als könne sie ihn dort sehen. Ich folgte ihrem Blick und tatsächlich hatte der weiße Himmel etwas besänftigendes.
Irgendwann war die Rede zu Ende und wir erhielten eine kurze Zeit zum still beten. Alle falteten die Hände und flüsterten stumme Worte dem Jungen im Sarg zu. Meine Worte waren nicht an Gott gerichtet, sondern an Peter. Ich sagte ihm, er würde mir fehlen. So gern läge ich an seiner Stelle jetzt im Sarg. Doch im nächsten Moment tat mir das leid, er wollte so etwas bestimmt nicht hören. Also sagte ich ihm wie sehr ich ihn liebte, wie meinen eigenen Sohn und dass er über seine Mutter wachen sollte. Wir alle würden auf sie aufpassen. Doch seine Anwesenheit, währe besonders wichtig für ihn. Als ich fertig war ging ich vor zum Sarg und legte die Rose, die
ich die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, auf den ebenholzfarbenen Deckel. Einsam aber würdevoll lag sie da, mit ihren kirschroten Blütenblättern, umkränzt von zwei kleinen Blättern und einer einzelnen Dorne am Stiel, die man vergessen hatte ab zu schneiden. Ich reite mich wieder ein und sah zum Sarg, der mir jetzt mit dem kleinen Schmuck so würdevoll und ehrerbietend vorkam, wie er aussehen sollte. Sara drückte wieder meine Hand, ehe die Männer kamen und begannen den Sarg, mitsamt der Blume, in die Erde zu hieven. Alle drehten sich langsam um und gingen, um nicht mit ansehen zu müssen wie der Sarg für immer unter der Erde
verschwand. Ich folgte ihrem Beispiel und ging neben Sara her. Es war keine Beerdigung mit einem Kaffee danach, bei dem die Anwesenden den Eltern ihr Bedauern aus drücken konnten. Das war ein Teil, den Christine strickt abgelehnt hatte. Sie wollte sich bei ihrem Sohn, ohne Tränen und ohne Schwäche verabschieden und dann gehen als sei nie etwas passiert. Sie wollte nicht zurück in ihre Traurigkeit fallen. In ihren Augen lag ein entschlossenes Flackern, wie das einer klitzekleinen aber kräftigen Flamme. Sie wollte keine Träne mehr um ihn vergießen, lieber wollte sie die Erinnerung an ihn wahren. Am liebsten hätte ich es ihr gleich getan
doch die Leere hatte mich einfach später eingeholt als Christine. Die Leere füllte mich jetzt aus, der Schmerz umklammerte jetzt mein Herz und trieb Tränen in meine Augen. Sara presste meine Hand ganz fest und ich spürte wie mir die Tränen heiß und schmerzend über die Wangen rollten. Hätte mich Sara nicht in den Arm genommen, hätte ich vermutlich losgeschluchzt, ohne auf Christine zu achten, die ich mitreißen könnte. Ja, Peter war tot. Mein Sohn und Engel, war tot, fort, für immer und ewig, begraben unter der Erde, zusammen mit einer Rose. Und ich war an der Oberfläche. Ganz allein, ohne Sonne die meine trüben Gedanken
aufhellen konnte, allein mit dem warmen Wasser dass mein Gesicht benetzte. Das Blut pochte in meinen Ohren und ich konnte durch den Tränenschleier nichts mehr sehen. Ich linste über Saras Schulter, die mich fest drückte und sah wie Christine mit Walter im Arm, immer weiter ging, den gepflasterten Weg entlang zurück zum Wagen. Sie hatte es nicht gesehen. Ich atmete erleichtert auf. Ich sollte mich zusammen reißen, so wie sie und nicht nachgeben. Doch es ging nicht. So sehr ich mich innerlich anschrie, die Tränen wollten nicht aufhören zu fließen. Und so warm und weich Saras Arme und Brust waren, die mich an sie drückten, fühlte ich mich
einsamer als je zuvor in meinem Leben. Noch mehr an dem Tag als Mom starb. Dieses Mal war es etwas anderes. Man hat mir jemanden genommen, der mir die Rolle der Mutter gab, die ich niemals sein konnte und weil mir dieser Jemand genommen wurde, bevor wir beide genügend Zeit zusammen verbracht hatten. Er war so jung. Es kam mir vor als kenne ich ihn erst seit wenigen Jahren. Längst nicht genug um die Trauer in mir zu dämpfen und erträglich zu machen.