Einen Schnaps zur Beruhigung
Ich freue mich, denn heute kommt Besuch. Die Mutter meines Onkels kommt heute. Sie ist eine so herzliche Frau. Sie erzählt gerne und egal wie oft ich ihre Geschichten höre, ich muss immer lachen. Leider werde ich nicht lange dabei sein, wenn Sie von früher erzählt. Ich muss arbeiten. Dieser bittere Beigeschmack. Ich arbeite in einem Altenheim und laufe seit einigen Tagen die selbe Strecke. Die selben alten Menschen, die stets was zu meckern haben. Jetzt verdränge ich die Arbeit und freue mich einfach nur auf die Hilde. Mein Onkel nennt seine Mutter so, auch wenn sie gar nicht so heißt. Sie wird von
ihrem alten Chef gefahren, er ist nicht ihr Lebenspartner. Beide haben ihre Ehepartner verloren. Sie sind auch schon über 80 Jahre alt. Er hat das Auto und auch ein wenig Geld übrig. Und sie kümmert sich um den Haushalt und kocht für beide. Ein schönes Lebensmodell, wie ich finde. Beide brauchen und unterstützen sich. Er war ihr Chef, er hat viel Erfahrung was die Wirtschaft angeht. Es klingelt, wir begrüßen uns alle herzlich und setzen uns hin. Ich bin schon ganz aufgeregt und warte bis die Hilde von früher erzählt. Damit es gemütlicher wird, habe ich die Kerzen angezündet. Und der Kerzenwachs ist unter der Flamme bereits flüssig geworden. Nachdem ihr ehemaliger Chef, schon ein paar Mal von ihr aufs Bein
geschlagen wurde, damit sie weiter erzählen kann, warte ich auf meine Lieblingsgeschichte. Mein Onkel Michael war als Kind sehr neugierig und hat immer nach Ausreden gesucht. Er ist auf die Küche geklettert und hat dabei eine Schranktür zerstört. Als Hilde wieder nach Hause kam, sah sie Michael, wie er sich über die Stirn rieb, das tat er immer wenn er log. Hilde sagte ihm immer, das seine Lügen auf seiner Stirn stehen. Er hat behauptet ein Hahn hätte gekräht und er sah eine Feder auf dem Küchenschrank, er glaubte das der arme Vogel sich oben am Küchenschrank mit einem verletzten Flügel versteckt hätte. Er wollte ja nur dem armen Tier helfen und dabei sei die Schranktür kaputt gegangen. Während
Michael die Lüge erzählte, rieb er sich eifrig die Stirn, als wolle er etwas wegwischen. Hilde wusste natürlich das Michael einfach auf den Küchenschrank geklettert ist. Nachdem Michael Ärger bekommen hat, endet die Geschichte. Und wir lachen. Der Chef versucht noch einen lustigen Spruch in die Runde zu werfen, doch Hilde legt schon die Hand auf seinem Mund und sagt das er ruhig sein soll. Das Lachen wird noch lauter. Wenn die zwei zu Besuch kommen, gibt es immer was zu lachen. Ich schaue auf die Uhr, verdammt, noch eine Stunde. Ich hole mir aus dem Kühlschrank eine Cola, durch den Überdruck der Flasche bekomme ich die Hälfte der süßen Flüssigkeit ab. Jetzt bin ich der Grund warum gelacht wird. Es geht nicht
anders. Ich verabschiede und bedanke mich für die Geschichten und gehe dann Duschen. Innerlich gehe ich meine Leute durch, die ich abends zu Bett bringe. Wenn ich seit Tagen mit den selben Leuten arbeite, werde ich irre. Ich freue mich, da ich bald wieder meinen geliebten Frühdienst habe. Mein Lieblingskollege und ich denken meistens zweideutig und in dem Beruf der Altenpflege ist das ein wenig fatal. Aber irgendwie muss ich den Dienst heute überleben. Ich hatte am Samstagabend feine Kleidung für den Sonntag raus geholt. Die Senioren wollen Sonntags natürlich schick aussehen. Ich hoffe auch, dass sie die Kleidung anhaben, die ich ihnen raus gelegt habe. Am liebsten mag ich die Bilder von meinen Bewohnern,
diese Sepia Fotos sind am schönsten. Manche sind sogar bearbeitet worden, einfach schön. Ich trockne mich ab und fahre zur Arbeit. Ich hab mich noch nicht eingeloggt und schon kommt mir ein Bewohner entgegen. Er gibt mir eine Linse, heute gab es also Linsensuppe. Ich bedanke mich und gehe in die Umkleidekabine. Meine Motivation sitzt daheim bei Kaffee und Kuchen. Mein Bewohner bemerken meistens nicht, dass ich mal nicht motiviert bin, zum Schein setze ich mein freundlichstes Lächeln auf. Ich hole mein Telefon und hole die Bewohner für ihren Kaffee heraus. Ein paar werden anschließend wieder hingelegt und kommen abends zum Abendbrot wieder raus. Eine Dame die ich abends als erstes versorgen werde, ist heute
auf einer Kommunion, das heißt sie wird dermaßen aufgeregt sein, dass sie weint. Sie hat keine Bedarfsmedikation, dass weiß sie aber nicht. Und schon ist es Abend, da kommt sie. Sie weint, atmet schnell und regt sich stets weiter auf. Ich kenne sie und weiß das sie übertreibt. Es wird ein grünes Medikamententöpfchen geholt und ein bisschen Wasser eingegossen. Ich erkläre ihr,dass es sie beruhigt, wenn sie das trinkt „Einen Schnaps zur Beruhigung?“ frage ich sie. Sie weiß was gemeint ist, zu flüssigen Medikamenten sagen wir Schnaps, das klingt schöner. Sie trinkt das Töpfchen mit dem Wasser. Sie macht ein bitteres Gesicht, weil der „Saft“ so bitter schmeckt. Sie möchte ein Glas Wasser dazu haben, damit sie den
Geschmack verliert. Ich schütte ihr Wasser ins Glas und reibe mir mit einem Lächeln die Stirn.