Der Spiegel Gottes
Petrus war noch immer bewusstlos. So hart hatte ich nicht zugeschlagen. Aber es war mir egal, schließlich war er nicht meine Angelegenheit.
Der Spiegel, dem meine ganze Aufmerksamkeit galt, stand unschuldig glänzend vor mir. Wie ein hungriger Wolf tigerte ich vor ihm auf und ab.
Lateinische Buchstaben waren in den goldenen Rahmen eingelassen.
„Der Spiegel Gottes“, flüsterte ich vor mich hin und musterte die spiegelnde Oberfläche näher.
Ich sah mich selbst, mehr nicht.
„Warum nennen sie dich Spiegel Gottes?
Ich sehe nur mich selbst. Sind Himmel und Hölle also Lügen?“
Meine Worte schienen den Raum auszufüllen und ich schüttelte den Kopf. Der Spiegel war eine Lüge, nicht ich und meine Heimat.
Vorsichtig legte ich die Hand auf die kalte, spiegelnde Oberfläche. Ein leichter Schauer jagte über meinen Rücken und ich schüttelte den Kopf. Dieser Spiegel war so unnormal wie ich.
„Wenn du, Gott, wirklich hinter diesem Spiegel steckst, dann zeige dich und sei kein Feigling!“, fauchte ich und bleckte die Zähne. Nichts.
Wut kochte in mir hoch und ich knurrte. Er wollte sich also nicht zeigen, mir
nicht erklären, warum ich so leiden musste?
Mit einem wilden Schrei riss ich Mortem hoch und stieß ihn bis zum Heft in den Spiegel. Das Glas splitterte und feine Risse zogen sich hoch bis an den Spiegelrand. Ein schriller Schmerzensschrei hallte mir entgegen und dunkelrotes Blut trat an der Stelle hervor, an der Mortem eingedrungen war. Langsam lief es zu Boden und bildete eine Pfütze zu meinen Füßen. Keuchend stand ich da und blickte mir selbst in die Augen.
Glühende, rote Löcher, die sich in meine Seele brannten und mich mit sich zogen, hinein in eine Welt aus Schmerz und
Verdammnis.
Leise schluchzend gab ich meine Kampfhaltung auf und ging in die Knie. Meine Hände lösten sich von dem Schwertgriff und ich beugte mich vornüber. Ich wollte vergessen, dass es so etwas wie Gott geben sollte und er mich für so wertlos hielt, dass er mir nicht einmal antwortete.
„Herr?“
Zitternd drehte ich den Kopf und sah Asmodis an. Ein Dämon, der mir wesentlich sympathischer als die anderen war.
„Ja?“
„Dieses Mädchen, dass Ihr eben auf Euer Pferd gebunden habt. Nun, es ist
weg.“
„Was?!“ Mit eisigem Schrecken in den Adern sprang ich auf. Vergessen war alles, was vorher passiert war. Dieses Mädchen, Elsea, war einer Prophezeiung nach untrennbar an mich gebunden. Sie durfte nicht verloren gehen.
Das Schicksal spann Bänder unter Personen, die nur schwer zu zerreißen waren.
Ohne auf Asmodis zu achten und Mortem zurücklassend, rannte ich aus dem Haus und zur Brücke hin. Nun war es mir egal, wie die Dämonen nach Hause kommen sollten. Elsea würde mir nicht davonlaufen.
Wie von Furien gehetzt rannte ich über
die Brücke und suchte mit den Augen nach meinem Pferd. Nichts, nicht die geringste Spur. Aber es war wahrscheinlich, dass sie bergab geritten war.
Ich dachte nicht im Traum daran, ihnen hinterher zu laufen, also breitete ich meine Flügel aus und stieß mich vom Boden ab.
Kalter Wind zupfte an den tiefschwarzen Federn und ein Gefühl von Freiheit schnürte mir beinahe die Kehle zu. Beim Fliegen war ich frei, niemand konnte es mir verbieten.
Bald lag der Berg wie ein grauer kleiner Stein unter mir und ich konnte die Umgebung genau
betrachten.
Ein schwarzer Fleck bewegte sich langsam über den grauen Boden und ich grinste. So einfach entging sie mir nicht.
Sachte zog ich die Flügel an und stieß wie ein todbringender Pfeil zum Erdboden hinab. Der Wind rauschte in meinen Ohren und der schwarze Fleck wurde größer, verformte sich und wurde zu einem Pferd.
Kurz vor dem unvermeidbaren Aufprall zog ich die Flügel auseinander und landete sanft auf dem Boden. Mein Pferd scheute vor dem plötzlichen Schatten, blieb aber stehen.
„Gut mein Junge. Ist gut Cain, gut.“
Langsam beruhigte er sich und senkte
schnaubend den Kopf. Mit einem wütenden Blick wandte ich mich an Elsea.
„Was hast du dir dabei gedacht? Du gehörst zu mir, und wirst mir nicht abhauen.“
Sie blickte mich bösartig an, was im Falle ihrer Blindheit wirklich beeindruckend war und fauchte: „Ich gehöre dir nicht und du kannst mich zu nichts zwingen!“
„Oh doch. Du wirst mit mir kommen!“
„Nein! Ich gehe nach Hause zurück!“
„Sei nicht so dumm! Glaubst du wirklich, dass sie dich mit offenen Armen empfangen werden! Du kannst niemals jemandem vertrauen, jeder wird
dich von sich stoßen und am Ende ist sicher, dass du allein bist. Nichts bleibt, außer der Hass auf andere. Dieses ganze Gerede um die Liebe und den Frieden ist eine Lüge! Wenn es so etwas geben würde, säße ich nicht in der Hölle! Wer kommt denn schon in den Himmel? Niemand! Ich kriege sie alle, ich muss zusehen, ob sie zu Dämonen werden oder ich sie ins ewige Nichts werfe! Wo ist nun dein Gott! Sag mir wo er ist!“
Elsea zitterte und ich sah die Tränen in ihren Augen. Langsam senkte ich die Mauern vor meinem Geist und suchte nach ihren Empfindungen. Hass, Trauer, Wut und das Wissen, dass ich recht hatte, schlugen mir
entgegen.
„Es ist so Elsea, und nichts, rein gar nichts ändert diese Welt.“
Sie nickte und blickte zur Seite, überallhin, nur nicht zu mir.
„Komm Cain.“ Ich zog sanft an den Zügeln und mein Pferd folgte mir, weg von der Trauer, dem Blut, dem Gefühl, dass dies hier nicht rechtens war und der Hoffnung, dass der jüngste Tag bald kommen sollte, um alles zu verschlucken.