Nackte Tatsachen
Das heiße Wasser füllte die Badewanne bis wenige Zentimeter unter den Rand. Geistesabwesend drehte sie den Hahn zu und tauchte anschließend mit ihrem Körper fast völlig in das Ölbad ein. Eine kleine Welle schwappte über die Kante und landete mit einem klatschenden Geräusch auf dem blau gefließten Fussboden. Kleine Rinnsale suchten sich an der gekachelten Aussenseite der Wanne ihren Weg, und beförderten die tropfenden Reste der Woge in die wartenden Pfützen am Ende ihrer Wege.
Sie registrierte nichts von alledem. Wie hypnotisiert hing ihr Blick in dem flackernden Schein der Kerzen, die, wie Zinnsoldaten
aufgereit, am Fußende der Wanne standen.
Kerzenwachs tropfte zähflüssig an ihren vergänglichen Köpern hinunter und ergoss sich wie kleine Lavaströme ins Badewasser.
Sie weinen - ja, sie fühlen meinen Schmerz.
Dieser seltsam skurrile Gedanke kroch in ihr trauriges, bodenloses Nichts hinein und öffnete dem Überdruck in ihrer gequälten Seele die Schleusen. Was war sie nur blöd gewesen. Wie hatte sie die zweideutigen Signale nur übersehen können? Vielleicht lag es in ihrer Naivität begründet, dass sie sich bei dem kostenlosen Fotoshooting dieser angeblichen Modelagentur anfangs gar keine Gedanken gemacht hatte. Selbst als dieser Fotograf von ihr verlangte, alle Hüllen fallen
zu lassen, damit er sie in eine Wolke aus rosafarbener Fallschirmseide einwickeln konnte - was allerdings mehr von ihr zeigte, als verhüllte - wollte sie noch seinen Worten glauben.
Erste zaghafte Zweifel regten sich, nachdem er ihrer Nacktheit überdimensionierte Flügel anlegte und obendrein ihr Haar mit einem Strauß Federn schmückte. Sie fühlte sich wie ein Truthahn auf Brautschau, und es kam ihr lächerlich vor, sich in dieser absurden Aufmachung vor seiner Linse zu bewegen. Dennoch folgte sie wie selbstverständlich seinen Anweisungen.
Sie hörte noch seine schmeichelnde Stimme. > Ja Baby...gut so Baby...komm, mach mich richtig an...so ist es gut...ja, zeig mir, was du
hast...du bist so sexy, Baby <
In dieser weichen Stimme lag eine irritierende
Erregung, die sie fesselte und auf ganz sonderbare Weise willenlos machte.
Er erklärte ihr zwischendurch immer wieder, wie wichtig Nacktfotos für die Präsentation wären, und dass erotische Aufnahmen nach dieser besonderen Sepia - Art in einer Model - Mappe Seltenheitswert hätten. Angezogen kann jeder. Meine Kunden kaufen doch nicht die Katze im Sack, meinte er und bei diesem Satz kroch eine gehörige Welle an Unmut in ihr hoch. Doch auch diesen Kloß an Bedenken schluckte sie hinunter und vertraute auf seine Ehrlichkeit.
Das Shooting hatte viele Stunden gedauert und als sie sich von ihm verabschiedete, drückte er ihr eine Visitenkarte in die Hand. Sie sollte ihn in ein paar Tagen unter dieser Nummer anrufen, damit sie gemeinsam entscheiden könnten, welche Aufnahmen an die Agenturen geschickt werden sollen.
Sie hatte unzählige Male versucht ihn zu erreichen. Wochenlang wählte sie seine Nummer. Vergebens. Der Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar! Na klasse, alles eine große Lüge, hatte sie sich gedacht und damit war das Thema für sie irgendwie abgeschlossen.
Wieder suchte sich der Druck in ihrem Innersten ein Ventil. Sie weinte und weinte.
Aus Scham und wegen der schrecklichen Demütigungen, mit denen sie einige Zeit später konfrontiert wurde und die ihr Leben zur Hölle machten.
Seit dem Abend in der Gastwirtschaft, als ein betrunkener Typ sie auf diese widerliche Weise angemacht hatte, wußte sie es. Jeder wußte es jetzt, der sich in dem Lokal befand. Auch ihre Freunde und die Menschen aus ihrem Dorf. Ihr nackter Körper wurde auf einschlägigen Internetseiten zu Schau gestellt und niemand in diesem Raum schien auch nur einen wagen Zweifel daran zu hegen, dass sie genau das gewollt hatte.
Es war in den Augenpaaren zu lesen, die sich mit neugieriger Abfälligkeit an ihrem Gesicht festhefteten und unverholene Blicke
Löcher in ihre Kleidung brannten. Wie eine Gehetzte verließ sie den Schankraum, rannte durch die Strassen bis zu ihrer Wohnung und überzeugte sich selbst davon, dass es keine Lüge war....
In diesem Moment beschloß sie nicht mehr aus dem Haus zu gehen, auch nicht ans Telefon und versagte sich das Essen. Dafür trank sie umso mehr.
Heute, es war seitdem genau sechs Tage her, hatte sie die letzte Flasche Alkohol aus ihrem Barfach leergetrunken. Für sie gab es jetzt nur noch eine Möglichkeit, ihrer eigenen Hölle zu entfliehen. Langsam griff sie nach der Rasierklinge, die auf dem Waschbecken- rand deponiert war und blickte noch einmal
gebannt auf die zuckenden Schatten, die das Kerzenlicht an die Badezimmerdecke warf.
Jemand schellte Sturm und hämmerte brutal gegen ihre Wohnungstür. Sie registrierte es teilnahmslos.
" Bitte machen sie die Tür auf, hier ist die Feuerwehr! Wenn sie nicht sofort öffnen, werden wir gewaltsam in ihre Wohnung eindringen. Haben sie mich verstanden?" brüllte die Stimme.
Stille. Unerträgliche Stille. Sie schaute auf ihr Handgelenk, suchte das ersehnte Blutgefäß und...
Das Bersten des Türrahmens ließ sie kurz aufblicken.........im letzten Moment.
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