Elsea
Erstaunlich leicht schwang die Tür auf und ich trat in den kleinen Raum. Besonders war er nicht. Die Wände waren weiß und direkt an der Wand gegenüber der Tür stand ein mannshoher Spiegel. Neugierig musterte ich ihn und machte einen Schritt in das Zimmer hinein.
Etwas raschelte in der Ecke und ich reagierte sofort. Mit bedrohlich gefletschten Zähnen wirbelte ich herum und suchte nach der Gefahr. Diese stellte sich aber als ein ziemlich kleines Mädchen heraus, dass mich anstarrte. Mit einem tiefen Seufzer stieß ich die
Luft aus und entspannte mich. Von Frauen ging keine Gefahr aus.
„Erschreck mich nicht so“, knurrte ich und sie zuckte heftig zusammen.
„Du bist nicht Petrus?“
Jetzt war ich es, der zusammenzuckte.
„Nein! Das sieht man doch aus drei Meilen Entfernung!“
Sie verzog das Gesicht und fauchte: „Wenn man sehen kann, dann bestimmt!“
Erst jetzt betrachtete ich sie genauer und sah die verschleierten hellblauen Augen. Sie war blind.
„Entschuldige“, erwiderte ich trocken und sah mich um.
„Wohnst du hier?“
Sie nickte. „Ja. Seit zwei Jahren. Und
ich bin nie über diesen Raum hinausgekommen.“
Es sah Petrus nicht ähnlich, ein Mädchen gefangen zu halten. Stirnrunzelnd überlegte ich.
„Kannst du etwas Besonderes?“, fragte ich schließlich, als mir keine plausible Erklärung einfiel.
„Nein. Aber eine Hellseherin hat mir gesagt, dass ich so etwas wie den Antichristen zur Welt bringen würde. Danach ist der da“, sie ruckte mit dem Kopf Richtung Tür,“ aufgetaucht und seitdem sitze ich hier.“
Wäre mein Kiefer nicht angewachsen gewesen, so wäre er mir bestimmt jetzt auf den Boden
gefallen.
Jeder kannte den Antichristen. Zusammen mit dem Teufel und dem falschen Propheten soll er die Welt vor ihren Untergang stellen. Und es war klar, dass der Antichrist der Sohn des Teufels war. Aber ohne Frau ging das mit Kind schlecht, bis dahin hatte ich also nie gedacht.
„Hmm, okay. Tja, dann steht der Vater deines zukünftigen Kindes wohl vor dir.“
Sie riss die Augen auf und warf den Kopf zurück.
„Wie bitte?!“
„Ich bin Luzifer. Der gefallene Engel, der Teufel, wenn man es so haben will.
Und damit der Vater des Antichristen.“
Sie schüttelte wild den Kopf.
„Nein! So wird das ganz bestimmt nicht laufen!“
Anscheinend wusste sie, was ich vorhatte, den mit einem schrillen Kampfschrei warf sie sich auf mich. Da sie blind war, blieb ich stehen und verkniff mir ein Lachen. Doch ich hatte die Rechnung ohne ihr Gehör gemacht.
Wie eine bösartige Katze fiel sie über mich her, kratzte und biss.
„Eh! Hör auf! Was soll der Mist!“
Wütend versuchte ich sie mir vom Leib zu halten. Für eine so kleine Person war sie erschreckend hartnäckig und krallte sich an meinem Arm fest. Amüsiert
lächelnd packte ich sie und warf sie wie einen Sack Kartoffeln über die Schulter.
Die „Lass mich runter!“ Faucher ignorierend stiefelte ich aus dem Anwesen.
Draußen war der Kampf an seinem Höhepunkt angelangt. Blut färbte den Boden rot und Schreie erfüllten die Luft. Leichen und abgetrennte Gliedmaßen lagen über den Boden verstreut. Manche von Engeln, andere von Dämonen. Die der Engel waren tot, doch meine Gefolgsleute waren in dieser Hinsicht nicht so schutzlos. Zuckend bewegten sich Hände, Arme, Füße und Beine auf ihre Besitzer zu. Es war ein grausiges Bild, trotzdem musste ich an mich
halten, um nicht loszulachen.
Etwas Scharfes piekste mich in den Rücken und ich gab dem Mädchen einen leichten Stoß.
„Hörst du wohl auf damit?“
„Wenn du mich runterlässt, ja!“
Seufzend stellte ich die Kleine auf dem Boden ab, war aber nicht naiv und hielt sie an den Oberarmen fest.
„So. Sag mir deinen Namen. Oder ich gebe dir einen.“
„Ich heiße Elsea.“
„Gut Elsea. Du kommst mit und wir überprüfen die Sache mit dem Antichristen.“
Wieder warf ich sie mir über die
Schulter.
Elsea war ein Name aus der Dämonensprache und bedeutete soviel wie Unheil, was man in Anbetracht ihrer Bestimmung wohl als richtig empfinden konnte.
Ich stieß einen leisen Pfiff aus. Wenn mein Pferd noch in der Nähe war, würde es ankommen.
Ungeduldig tippte ich mit der Fußspitze auf den Boden und wartete. Geduld war nie meine Stärke gewesen.
Als ich schon aufgeben wollte, kam der Hengst endlich mit wehender Mähne und hängenden Zügeln zu mir gelaufen.
„Gut.“ Ich warf Elsea in den Sattel und zog aus der Satteltasche ein dünnes
Lederband.
„Du bleibst auf dem Pferd sitzen und ich binde dich an. Ihr haut nicht ab und bleibt direkt hinter dem Tor. Wenn das hier vorbei ist, komme ich zu euch, verstanden?“
Mit zusammengekniffenen Lippen nickte sie. Ich band sie mit den Beinen am Sattel fest, was mir garantierte, dass sie nicht abstieg und aus Versehen von einem Dämonen geköpft wurde.
Wäre auch Schade um den schönen Kopf gewesen.
Schließlich zog ich den Kopf des Pferdes zu mir und hauchte ihm ins Ohr:
„Du wartest hinter dem Tor. Geht sie verloren, habe ich morgen Pferd auf dem
Teller.“
Die Warnung musste reichen und ich gab dem Tier einen Klaps auf den Hintern. Mit hoch erhobenem Kopf trabte es los und verschwand im Kampfgetümmel.
Aber mir blieb noch Zeit. Zeit für Rache und Blutvergießen. Ich zog Mortem, den ich wieder in der Scheide verstaut hatte, hervor und drehte mich um. Diesen Spiegel wollte ich mir doch näher ansehen.