Der rote Lippenstift
Erwachsen werden.
Was heißt das eigentlich? Wann ist man erwachsen?
Wenn man sich heimlich ins Schlafzimmer schleicht und Mamas Pumps stibitzt und ihren roten Lippenstift im Gesicht verteilt? Oder wenn niemand mehr zu dir sagt: "Du verstehst das nicht" und "Das ist nur was für Erwachsene"?
Als Kind ist es das, was dich erwachsen macht. Aber wenn du kein kleines Kind
mehr bist, ändert sich alles. Während dem Erwachsen werden ist die Welt für dich im ständigen Wandel, sie verändert sich so, wie du dich veränderst.
Aus dem kleinen Mädchen wird langsam eine Frau. Aber davon spürst du nichts, bis du wirklich eine Frau bist, wird es noch viele Jahre dauern. Du hast doch gerade einmal geschafft, zu lernen, was es eigentlich ist, das Älterwerden.
Du wächst. Nicht nur körperlich, sondern auch an deinen Erfahrungen, die du auf dem Weg machst. Plötzlich werden Puppen doof, und wer braucht denn auch diese hunderten Kuscheltiere,
die mehr als die Hälfte des Bettes besiegeln?
Du schmeißt sie raus.
Aber nicht alle, deine Lieblinge, mit denen du immer Teeparties mit dem Porzellanpuppengeschirr von deiner Oma veranstaltet hast, erhalten immer noch den "Ehrenplatz" im Bett. Der Rest kommt in die Kuschelecke, die aus einer Matratze von deinem alten, zu klein gewordenen Bett, und einem Haufen Kuschelsachen besteht. Doch eines Tages werden sie in einer Kiste landen und auf den Speichre landen, vergessen und
unbeachtet.
Auch deine besten Freunde, die doch vorher noch im Bett bleiben durften, verringern sich, bis nur noch der Lieblingsteddybär übrig bleibt. Und auch der ist letztlich nur ein Ersatz, denn dein eigentlicher Teddybär starb schon vor Jahren an chronischer Überkuschelung.
Ohne Teddy kannst du noch nicht leben, er ist der einzige konstante Freund in deinem Leben, musstest du doch wegziehen und alle Freunde hinter dir lassen, durftest keinen Kontakt haben und konntest auch nicht, du warst noch
zu klein, um dich dagegen zur Wehr zu setzen, deine Freunde zu verlieren und ganz besonders ihn, deinen besten Freund, den du seit Kindergartentagen kennst und den du immer versprochen hast, ihn zu heiraten, wenn ihr erwachsen seid.
Doch leider hast du ihn verloren, er war nur ein Kamerad, der ein Stück lang mit auf deinem Weg lief und dich begleitet hat.
Du kannst ihn nicht vergessen, denn er hat Spuren hinterlassen.
Seine Fußabdrücke auf dem Weg haben
sich auf deine Seele eingeprägt und du denkst noch heute oft an ihn und fragst dich, was er so macht und wie es ihm wohl so geht.
Ich vermisse dich, es vergehen kaum Tage, an denen ich nicht an dich denke. Ich war verliebt in dich. Weißt du noch unseren Kuss? An dem Tag hatte ich mal wieder Mamas Lippenstift auf meine Lippen geschmiert, wie Labello einmal quer über die Schnute, ohne jede Gründlichkeit. Du warst der erste Mensch, den ich geliebt habe.
Dabei wusste ich doch noch lange gar nicht, was Liebe eigentlich
ist.
Alles vergeht, deine Freunde werden Teil deiner Vergangenheit. Neue Freunde tauchen auf, sie stehen am Wegrand und warten nur auf dich, dass du an ihnen vorbeikommst und sie dich ein Stück begleiten können, während du älter wirst und langsam beginnst, zu verstehen und die Leute immer weniger zu dir sagen, dass du es die Dinge sowieso nicht begreifst.
Du entwickelst dich langsam aber sicher, immer behütet, ohne Angst vor der Welt, die viele vielleicht hätten, wenn sie wirklich wüssten, was in ihr
passiert.
Doch so viele Jahre im Leben bist du doch unwissend. Die Unwissenheit ist die beste Zeit im Leben, denn sie ermöglicht erst ein unbeschwertes Leben, an dass du dich noch gerne zurück erinnern willst, so lange du es noch kannst.
Und eines Tages klaust du deiner Mutter nicht mehr ihren Lippenstift, sondern hast einen eigenen.