La belle et le bad boy
Es war einmal ein junges Mädchen. Sie war nett, hübsch und intelligent. Würde unsere Geschichte im 18. oder 19. Jahrhundert spielen, würde man sie als „Mädchen aus gutem Hause“ bezeichnen. Sie war sehr behütet aufgewachsen und hatte ausschließlich Kontakt mit Kindern aus ebenfalls guten Familien gehabt. Als sie älter wurde ging sie auf eine Mädchenschule am anderen Ende der Stadt. Sie musste jeden Morgen um 5.30 Uhr aufstehen, mit ihrer Familie frühstücken und in ihrer Schuluniform mit der Straßenbahn in die Schule fahren. Sie aß in der Schule zu Mittag
und fuhr nachmittags wieder mit der Straßenbahn nach Hause. Sie war gut in der Schule und tat das was ihre Eltern sagten, sodass es nie Streit gab. Eines Tages als sie nach Hause fuhr saß ihr ein Junge gegenüber, den sie noch nie gesehen hatte. Er war vielleicht so alt wie sie und hatte dunkle Augen und Haare. Auch sein Teint war eher südländisch. Man sah an seiner Kleidung, dass er aus der unteren Bevölkerungsschicht stammt, da er einen abgetragenen Kapuzenpulli, zerschlissene Jeans und kaputte Schuhe trug. Auch sein schwarzer Rucksack, der neben ihm auf dem Sitz lag war abgewetzt. Sie war aus irgendeinem unerfindlichen Grund
fasziniert von ihm und starrte ihn an. Als er den Kopf hob und ihr in die Augen sah, schaute sie rasch nach unten, lies ihre langen hellbraunen Haare ins Gesicht fallen und nahm ein Buch aus ihrer Schultasche. Sie tat so als würde sie darin lesen, doch ihre Gedanken kreisten ihn Wahrheit nur um den fremden Jungen. Als er ausstieg sah sie aus dem Fenster. Er lebte anscheinend in einem der Wohnblocks, in denen hauptsächlich Ausländer und HartzIV-Empfänger wohnten. Selbst als sie zuhause ihre Hausaufgaben machte musste sie ständig an ihn denken. Aber es hatte sowieso keinen Sinn, denn ihr Vater würde den Kontakt mit solchen Menschen nie
tolerieren. Am nächsten Tag hielt sie vergeblich nach dem Jungen Ausschau. Gerade als sie aufgeben wollte fragte eine raue, aber sanfte Stimme: „Darf ich mich zu dir setzten? Die restliche Bahn ist belegt!“ Sie sah auf, schaute in die Augen, die zusehen sie sich so lange gesehnt hatte und nickte stumm. Sie fürchtete schon, dass er ihre Schüchternheit als Unhöflichkeit auffasste, da sprach er sie an. Er nannte ihr seinen Namen und fragte sie nach ihrem. Dann gab er noch zu, dass sie ihm schon am vorigen Tag aufgefallen war. Zuerst wusste das Mädchen nicht, wie es reagieren sollte. Doch dann sagte sie ihren Namen und gestand, dass auch
er ihr aufgefallen sei. Sie unterhielten sich eine Weile und dann sagte er: „Ich muss jetzt aussteigen. Wollen wir uns heute Abend treffen?“ Sie überlegte kurz. Sie hatte eine Eins in Französisch in der Tasche. Wenn sie ihren Vater bitte würde bei einer Freundin übernachten zu dürfen, würde er es gewiss erlauben. Also sagte sie zu und sie vereinbarten, dass sie um 17.30 Uhr mit der Bahn in Richtung Innenstadt fahren und er dann zusteigen würde. Der Plan ging auf und um 17.30 Uhr saß sie in Chucks, Jeans, einem schwarzen Top und einem pflaumenfarbenen Cardigan in der Straßenbahn. Sie hatte ihre Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und sich
dezent geschminkt. Neben ihr lag ein Rucksack, in den sie ein paar Sachen gestopft hatte, weil ihre Eltern ja glaubten sie würde bei einer Freundin übernachten. Endlich hielt die Bahn an der Station, an der der Junge einstieg. Er trug saubere Jeans, ein T-Shirt und darüber ein kariertes Holzfällerhemd. Er setzte sich neben sie und lächelte: „Hi!“ „Hi!“ Er fragte wie es ihr ginge und schon waren sie wieder im Gespräch. Als die Straßenbahn am Park hielt stiegen sie aus und er nahm sie bei der Hand. Er führte sie einen Weg entlang und sie unterhielten sich weiter. Das Mädchen hatte noch nie eine Verabredung mit einem Jungen gehabt.
Der Junge führte sie zu einer Bank auf einer Anhöhe von der aus sie den Sonnenuntergang betrachten konnten. Er erzählte ihr, dass er die Schule nach der neunten Klasse geschmissen habe und seitdem arbeitete, weil seine Mutter seit sein Vater tot war jeden Cent brauchte um seine drei kleinen Geschwister großzuziehen. Früher hatten sie in einem schönen Haus am Stadtrand gelebt. Doch dann war sein Vater erschossen worden und sie waren wegen der materiellen Not gezwungen gewesen das Haus zu verkaufen und in einen der Wohnblocks zu ziehen. Um ihm zu zeigen, dass es ihr nichts ausmachte, rutschte sie ein Stückchen näher zu ihm und legte den
Kopf an seine Schulter. Er nahm ihre Hand und strich ihr mir der anderen sanft über die Wange. Deine Hände waren stark und rau. Sie betrachteten eine Weile die Sterne, die mittlerweile am Himmel standen. Da rief das Mädchen plötzlich. „Da, schau! Eine Sternschnuppe!“ sie schloss die Augen um sich etwas zu wünschen. Da spürte sie seine Lippen auf ihren. Vorsichtig und unsicher küsste sie ihn zurück. Nach einer Weile fragte er sie ob sie seine Welt kennenlernen wolle. Sie antwortete, dass sie nichts lieber täte und so standen sie auf und verließen den Park. Sie gingen durch ein paar schmale Gässchen und blieben vor einer Garage stehen. Er
öffnete sie und zeigte ihr stolz sein Motorrad, das er von einem Onkel geschenkt bekommen hatte. Er fragte, ob sie Lust hätte eine Runde zu fahren und sie bejahte. Sie setzte sich hinter ihn und schlang ihre Arme um ihn. Sie fuhren los und es war ein berauschendes Gefühl. Doch leider hielt es nicht lange an. Nach einer Weile hörte sie eine Polizeisirene hinter sich. Statt stehen zu bleiben, beschleunigte der Junge und die Polizei nahm die Verfolgung auf. Sie fuhren über einige rote (und grüne) Ampeln und bogen um Kurven. Sie hatten das Polizeiauto fast abgehängt, als das Motorrad auf einer Ölspur ins Schleudern geriet. Sie rutschten quer
über die Straße und einen Abhang hinunter. Sie hatte keine Chance mehr zu entkommen. Die Polizisten nahmen den Jungen und das Mädchen mit auf die Wache. Da der Junge keinen Führerschein besaß und vor der Polizei geflüchtet war, musste er für wenige Monate ins Gefängnis. Das Mädchen kam ohne Strafe davon. Bevor die Polizisten den Jungen abführten, sagte sie zu ihm: „Keine Angst. Ich warte auf dich und ich werde zu deiner Familie gehen.“ Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen um ihn ein letztes Mal zu küssen und trat hinaus in die kühle Nachtluft…